Décharge: Wie wichtig ist die Décharge wirklich?
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Der Beschluss über die Entlastung des Verwaltungsrats
Damit ein Déchargebeschluss auch die gewünschte entlastende Wirkung entfalten kann, muss er gültig zustande kommen. Die Entlastung des Verwaltungsrats erfolgt grundsätzlich an der ordentlichen Generalversammlung, sie kann jedoch auch an einer ausserordentlichen Generalversammlung oder einer Universalversammlung erfolgen. Voraussetzung für einen gültigen Déchargebeschluss ist einerseits, dass die wesentlichen formellen Voraussetzungen für die Abhaltung einer Generalversammlung (Einberufungsform und -frist, gehörige Ankündigung und Information der Aktionäre) eingehalten werden. Andererseits hat die Erteilung nach dem Mehrheitsprinzip gemäss Art. 703 OR oder einem in den Statuten vorgesehenem qualifizierten Quorum zu erfolgen. Werden diese Bestimmungen nicht eingehalten, kann sich der Verwaltungsrat nicht auf die Entlastung durch die Generalversammlung berufen.
Zudem haben nach Art. 695 Abs. 1 OR bei der Beschlussfassung über die Entlastung des Verwaltungsrates Personen, die in irgendeiner Weise an der Geschäftsführung teilgenommen haben, kein Stimmrecht. Das Verbot bezieht sich auf alle an der Geschäftsführung beteiligten Personen, also nicht nur die Verwaltungsratsmitglieder selbst, sondern alle Personen, die in der Zeit, auf die sich die Entlastung beziehen soll, Organfunktion in der Gesellschaft ausgeübt haben. Kommt der Beschluss der Generalversammlung über die Décharge unter Mitwirkung einer vom Stimmrecht ausgeschlossenen Person zustande, ist er zwar nicht automatisch nichtig, aber immerhin anfechtbar. Das allerdings nur, wenn die unerlaubte Stimmbeteiligung das Ergebnis der Abstimmung verändert hat.
Werden also Formvorschriften verletzt, kann sich der Verwaltungsrat trotz erteilter Décharge dennoch mit Ansprüchen aus Verantwortlichkeit seitens der Gesellschaft oder deren Aktionären konfrontiert sehen.
Die Wirkung der Décharge
Wird dem Verwaltungsrat formell gültig Décharge erteilt, stellt diese grundsätzlich einen Verzicht der Gesellschaft und der fraglichen Aktionäre auf Schadenersatzansprüche (insbesondere Verzicht auf Verantwortlichkeitsklagen nach Art. 754 ff. OR) gegen die verantwortlichen Organe dar. Die Déchargeerteilung kann sich dabei auf ein konkretes Geschäft beschränken oder in Form einer allgemeinen Décharge erfolgen. Üblich ist ein allgemeiner und vorbehaltloser Entlastungsbeschluss für das vorangegangene Geschäftsjahr, dessen Jahresrechnung an der fraglichen ordentlichen Generalversammlung verabschiedet wird. Von der Erteilung der Entlastung werden auch Vorfälle aus früheren Geschäftsjahren erfasst, von denen die Generalversammlung erst seit der letzten Déchargeerteilung Kenntnis erlangt hat.
Die Erteilung der Décharge erstreckt sich nur auf bekanntgegebene Tatsachen. Der Beschluss bezieht sich demnach nur auf die Tatsachen, von denen die Aktionäre unbesehen der Informationsquelle tatsächlich Kenntnis haben. Nur wenn den Aktionären zur Zeit des Beschlusses ein Sachverhalt bekannt ist, entlastet die erteilte Décharge den Verwaltungsrat vor Verantwortlichkeitsklagen, welche sich aus diesem Sachverhalt ergeben.
Darin liegen eine erstzunehmende Einschränkung und Schwierigkeit, die in der Praxis wohl häufig zu wenig beachtet wird. Eine Décharge befreit den Verwaltungsrat keineswegs pauschal von jeglicher Verantwortlichkeit. Gerade bei allgemeinen Déchargen ist nämlich oft unklar, was sachlich tatsächlich alles von der Entlastung erfasst wird. Eine Décharge ist kein Freifahrtschein.
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Ausnahmen der Wirkung der Décharge
Die rechtswirksame Décharge lässt allfällige Schadenersatzansprüche der Gesellschaft aus Aktienrecht untergehen. Die Gesellschaft ist daher nach erteilter Décharge nicht mehr berechtigt, gegen die Verantwortlichen vorzugehen. Das gilt allerdings nicht in jedem Fall auch für die Ansprüche der Aktionäre. Diesbezüglich ist zu unterscheiden, ob die Aktionäre mittelbar oder unmittelbar geschädigt wurden.
Als unmittelbarer Schaden gilt der Schaden, den ein Aktionär selbst individuell erleidet, ohne dass gleichzeitig das Vermögen der Gesellschaft geschmälert wird. Der Schaden tritt somit direkt in der Vermögensmasse des Aktionärs ein, bspw. wenn ein individuelles Recht des Aktionärs verletzt wird. Das Recht der Aktionäre, unmittelbaren Schaden gelten zu machen, wird von der Décharge nicht berührt, auch wenn der Aktionär dieser zugestimmt hat.
Als mittelbar gilt der Schaden im Vermögen der Aktionäre, der dadurch eintritt, dass das Vermögen der Gesellschaft verringert und somit der innere Wert der Beteiligungen der Aktionäre sinkt. Das Klagerecht der Aktionäre, die der Erteilung der Décharge zugestimmt haben oder die Aktien nach Erteilung erworben haben, ist wie dasjenige der Gesellschaft untergegangen. Die Aktionäre, die dem Déchargebeschluss allerdings nicht zugestimmt haben, können während sechs Monaten seit dem Beschluss weiterhin aus Schädigung der Gesellschaft klagen.
Ausserdem hat der Déchargebeschluss keine Wirkung auf die Stellung der Gläubiger der Gesellschaft. Diese können nicht nur aus unmittelbarer Schädigung, sondern weiterhin auch aus mittelbarer Schädigung klagen. Die Gläubiger werden durch den Déchargebeschluss der Generalversammlung in ihren Rechten in keiner Weise beeinträchtigt.
Die Erteilung einer Décharge an den Verwaltungsrat hat also nicht zur Folge, dass gegen diesen keine Verantwortungsklagen mehr angestrengt werden können. Es wird lediglich der Kreis der Berechtigten und oder die Klagefrist eingeschränkt.
Folgen der Verweigerung einer Décharge
Die Tragweite des Instituts der Décharge ist auch aus deren Verweigerung ersichtlich. Verweigert die Generalversammlung die Décharge oder stimmt sie nicht darüber ab, hat dies nämlich keine unmittelbaren rechtlichen Folgen. Die betroffenen Organe befinden sich unverändert in einer Situation, in der gegen sie eine Verantwortlichkeitsklage erhoben werden kann. Denn die Verweigerung der Entlastung hat keinen Einfluss auf einen allfälligen Verantwortlichkeitsprozess; insbesondere muss nach wie vor der Aktionär als Kläger das Vorhandensein der Klagevoraussetzungen (Verletzung der Sorgfaltspflichten und Schaden der Gesellschaft) beweisen. Darüber hinaus begründet die Verweigerung einer Décharge auch keine Pflicht der Gesellschaft, eine Verantwortlichkeitsklage gegen die betroffenen Organe einzuleiten oder andere Massnahmen zu ergreifen. Dafür wäre ein ausdrücklicher Beschluss der Generalversammlung notwendig.
Fazit
Wie sich bei genauerer Betrachtung zeigt, ist die Wirkung der Déchargeerteilung keineswegs absolut. Die Einschränkung der Berechtigung zur Verantwortlichkeitsklage ist gerade nicht dergestalt, dass der Verwaltungsrat nach erteiltem Déchargebeschluss nicht mehr damit rechnen muss, mit Verantwortlichkeitsklagen konfrontiert zu werden. Oft ist bereits unklar, ob ein konkreter Sachverhalt überhaupt von der Décharge umfasst ist. Selbst wenn dies jedoch klar ist und auch die Stimmrechtsbeschränkungen eingehalten worden sind, bedeutet das nicht, dass dadurch eine Verantwortlichkeitsklage ausgeschlossen ist. Die Wirkung der Décharge wird daher gemeinhin überschätzt und die Décharge ist in Wirklichkeit nicht so wichtig, wie sie auf den ersten Blick scheint.