Die Mehrarbeit: Überstunden oder Überzeit, was liegt vor?
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Mittlerweile kann man sich überall und jederzeit umfassende Informationen zu jedem nur erdenklichen Thema beschaffen. Im Arbeitsrecht führt dies dazu, dass Arbeitnehmer über ihre Rechte oft besser informiert sind als ihre Arbeitgeber. Während diese gerade im Hinblick auf das Thema Arbeitszeiten oft noch sehr freihändig unterwegs sind oder den restriktiven Arbeitszeiterfassungsvorschriften trotzig die Stirne bieten, sich weigern, eine detaillierte Arbeitszeiterfassung im Betrieb durchzusetzen und stattdessen nach Vertrauensarbeitszeiten rufen, führen viele Arbeitnehmer minutiös Buch über ihre Arbeitseinsätze und zögern insbesondere bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht, diese Forderungen auch geltend zu machen.
Das Auseinanderfallen der gelebten Wirklichkeit und der gesetzlichen Anforderungen betreffend die Arbeitszeiterfassungen ist wohl eine der grössten Diskrepanzen im Schweizer (Arbeits-)Recht. Wie ist damit umzugehen? Was können sich Betriebe betreffend Arbeitszeiten leisten, was nicht? Was sind die Risiken?
Um diese Fragen klären zu können, definieren wir zunächst ein paar Begriffe. Überstunden und Überzeiten sind nämlich nicht dasselbe und dürfen keinesfalls verwechselt werden.
Überstunden: Differenz zwischen vertraglich vereinbarter Arbeitszeit und wöchentlicher Höchstarbeitszeit gemäss Arbeitsgesetz. Letztere beträgt je nach Arbeitnehmerkategorien entweder 45 Stunden oder 50 Stunden pro Woche.
Überzeiten: gesamte Arbeitszeit, welche 45 bzw. 50 Stunden Stunden pro Woche überschreitet.
Die Mehrarbeit: Hier verwendeter Oberbegriff für Überstunden und Überzeit.
Grafik A macht das anhand der 45-Stunden-Woche deutlich.
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Die Mehrarbeit: Überstunden und Überzeiten
Die Unterscheidung zwischen Überstunden und Überzeiten ist deshalb so wichtig, weil die Parteien eines Arbeitsvertrags nur über die Überstunden vertragliche Vereinbarungen treffen können. Über Überzeiten hingegen können die Vertragsparteien nicht verfügen. Die Rechtsfolgen von Überzeit sind zwingendes Recht und richten sich immer nach den arbeitsgesetzlichen Vorschriften. Genau dies wird nun oft übersehen.
Wichtiger Hinweis: In Arbeitsverträgen finden sich häufig Klauseln, wonach Überstunden im Lohn inbegriffen seien und nicht zur Auszahlung kämen. Damit wähnen sich insbesondere Arbeitgeber in Sicherheit und gehen davon aus, das gesamte Thema über die Mehrarbeit mit dieser Klausel erledigt zu haben. Doch dies ist ein grosser Irrtum.
Sobald Überstunden ein so grosses Ausmass annehmen, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten wird, stellen sie automatisch Überzeit dar und sämtliche vertraglichen Regelungen sind wirkungslos. Pikanterweise fallen in Arbeitsverhältnissen, in denen wirklich viel gearbeitet wird, notwendigerweise sehr viel mehr Überzeiten an als Überstunden. Letztere beschränken sich ja lediglich auf drei Stunden pro Woche (gemäss obigem Beispiel), während die Überzeiten ohne Weiteres zehn Stunden und mehr pro Woche ausmachen können.
Dieses Missverständnis betreffend den Einfluss des Arbeitsvertrags auf die Überzeiten führt zu einer falschen Herangehensweise an die Mehrarbeit. Und so werden Arbeitgeber von Forderungen betreffend Überzeit oft auf dem falschen Fuss erwischt, da sie aufgrund der Regelungen im Arbeitsvertrag davon ausgehen, dass solche Ansprüche erst gar nicht entstehen können. Wohl auch deshalb wird in vielen Betrieben die Arbeitszeiterfassung vernachlässigt, ja generell dem Thema Mehrarbeit zu wenig Beachtung geschenkt.
Rechtstipp: Fakt ist indessen, dass Arbeitnehmer – jedenfalls bei guter Beweislage – ihre Forderungen aus Überzeit ohne Weiteres durchsetzen können. Dies namentlich auch dann, wenn im Betrieb keine Arbeitszeiterfassung geführt worden ist, da Arbeitnehmer die Überzeit grundsätzlich auch anders beweisen können bzw. die Gerichte Überstunden bzw. Überzeit auch schätzen können (beides ist zugegebenermassen aber sehr anspruchsvoll).
Was sagt das Arbeitsgesetz?
Das Arbeitsgesetz schreibt vor, dass Überzeit zum Grundlohn plus einem Zuschlag von 25% zu entschädigen ist, sofern sie nicht im Verhältnis 1:1 mit Freizeit kompensiert werden kann (Art. 13 ArG). Grundsätzlich gilt das für jede einzelne Überzeitstunde, sofern nicht Büropersonal und technische und andere Angestellte sowie das Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels betroffen sind. Bei diesen Arbeitnehmerkategorien gelten 60 Überzeitstunden im Kalenderjahr als im Lohn inbegriffen und sind entschädigungsfrei (sofern nicht der Arbeitsvertrag ohnehin vorsieht, dass Überstunden ausbezahlt würden; diesfalls erstreckt sich diese Regelung für die Überstunden auch auf die ersten 60 Überzeitstunden eines Kalenderjahrs).