Irrtum: Übersicht und Rechtsfolgen

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Gesetzliche Grundlagen
Terminologie und Begriff
Erklärungsirrtum und Motivirrtum
Das Gesetz unterscheidet zwei Arten von (relevanten) Irrtum: den Erklärungsirrtum und den Motivirrtum. Während beim Erklärungsirrtum der Wille des Erklärenden noch frei gebildet wurde, so stimmt seine Erklärung nicht mit seinem Willen überein. Er hat etwas anderes erklärt, als er eigentlich wollte. Der Motivirrtum bezeichnet demgegenüber den Fall, bei dem der Wille des Erklärenden mangelhaft gebildet wurde, da er auf einer falschen Sachverhaltsannahme beruht.
Wesentlicher Irrtum
Damit ein Vertrag für den Irrenden unverbindlich ist, muss er sich in einem wesentlichen Irrtum befunden haben (OR 23, vgl. unten zu den Rechtfolgen). Verlangt ist, dass bestimmte subjektive und objektive Eigenschaften beim Irrtum vorliegen. Bei einem wesentlichen (bzw. qualifizierten) Motivirrtum spricht man von einem Grundlagenirrtum. Die nicht so wesentlichen Irrtümer berechtigen nicht zu Anfechtungen.
Erklärungsirrtum
Der Erklärungsirrtum bezeichnet den Fall, in dem jemand etwas erklärt, was nicht seinem Willen entspricht. Zwischen Willen und Erklärung besteht keine Übereinstimmung. Charakteristisch für den Erklärungsirrtum ist folglich die falsche oder fehlende Vorstellung des Irrenden über die Bedeutung seines eigenen Erklärungsverhaltens (BGE 110 II 293). Erforderlich ist zudem, dass der Empfänger der Erklärung diese auch in der vom Willen abweichenden Form verstanden hat. Nur in diesem Fall kommt ein Vertrag über das irrtümlich Erklärte zustande.
Man unterscheidet verschiedene Formen des Erklärungsirrtums: Fehler in der Erklärungshandlung (z.B. Versprecher), Inhaltsirrtum (z.B. Übersetzungsfehler), unrichtige Übermittlung durch eine Übermittlungsperson bzw. Übermittlungsmethode, z.B. E-Post, die nicht ankommt oder an die falsche Adresse. Nach Art. 27 OR werden dann die Vorschriften über den Irrtum angewendet.
Zur Vertragsanfechtung (vgl. unten) berechtigt bloss eine qualifizierte Form des Erklärungsirrtums, der sog. wesentliche Erklärungsirrtum. Ein solcher kann bejaht werden, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ gegeben sind:
- Einerseits ist es erforderlich, dass der Irrende den Vertrag mit dem falsch erklärten Inhalt nicht geschlossen hätte (subjektive Wesentlichkeit).
- Andererseits muss die Abweichung zwischen der Erklärung und dem wirklichen Willen des Irrenden nach der allgemeinen Verkehrsanschauung tatsächlich von Bedeutung sein (objektive Wesentlichkeit).
OR 24 Abs. 1 Ziff. 1–3 enthalten eine beispielhafte Aufzählung von Fällen, in denen die Wesentlichkeit des Erklärungsirrtums vermutet wird:
- Ziff. 1: Zustimmung zu einem anderen als dem gewollten Vertrag
- Ziff. 2: Irrtum über die Identität der Sache oder der Person
- Ziff. 3: Irrtum über Umfang der Leistung oder Gegenleistung
Ziff. 4: Der Irrtum betrifft einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wird.
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Der Erklärende gibt unbewusst eine Erklärung ab, die so nicht seinem Willen entspricht. Typisch sind dabei die Fälle aufgrund des Sich-Verschreibens oder Sich-Versprechens.
Beispiel: Die Sekretärin hat zwei Schreiben vorbereitet, das eine mit dem Angebot zu CHF 100.-, das andere zu CHF 60.-. Der Chef unterschreibt das Angebot zu CHF 60.-; obwohl er dasjenige zu CHF 100.- unterschreiben wollte. Ein deutschsprachiger Käufer kontrahiert in französischer Sprache. Er verspricht als Kaufpreis ‹quatre-vingt francs› und meint, ‹quatre-vingt› heisse 24.
In der Praxis kommt oft ist die Unterschrift unter eine nicht gelesene oder nicht verstandene Urkunde vor. Bei Internet-Verträgen ist das wohl die Regel, denn wer liest schon immer die AGB, besonders wenn diese noch lang und umständlich formuliert sind und der Vertrag ohne Klick auf den Button ohnehin nicht zustande kommt. Es ist aber trotzdem ratsam, Verträge immer genau zu lesen, wenn es um höhere Beträge und wichtige Angelegenheiten geht. In diesen Fällen sollte man bei Internetverträgen sogar die AGB unveränderbar speichern mit Datum.
Auf der Basis der Vertrauenstheorie kommt der Vertrag mit dem Inhalt der Urkunde zwar zustande, doch das Bundesgericht lässt eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtum grundsätzlich zu, ausser wenn ersichtlich ist, dass der Erklärende im Bewusstsein der Unkenntnis des Inhalts des Erklärten sich allem, was der Gegner will, unterwirft.
In Anlehnung an die Römer nennt das Gesetz in Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1-3 OR die Anfechtung der Zustimmung zu einem andern Vertrag als dem Gewollten (error in negotio), den Irrtum über die Identität der Sache oder der Person (error in objecto vel in persona) und den Irrtum über den Umfang von Leistung und Gegenleistung (error in quantitate).
Error in negotio: Nach dem ersten Fall liegt ein wesentlicher Irrtum vor, wenn der gewollte Vertrag seinem gesamten Inhalt nach als ein wesentlich anderer zu qualifizieren ist als der geschlossene, z.B. entgeltlicher statt unentgeltlicher Vertrag, solidarische Schuldübernahme statt Bürgschaft.
Error in objecto vel in persona: Beim Irrtum über eine individualisierte Sache oder Person wird dieselbe mit andern verwechselt, z.B. Jemand will Aktien der UBS kaufen, verschreibt sich aber und kauft Aktien der UMS. Oder A will Kalisalpeter zu Düngezwecken kaufen, schliesst jedoch einen Kaufvertrag über den hundertmal teureren chemisch reinen Kalisalpeter zu pharmazeutischen Zwecken ab.
Error in quantitate: Bei Irrtümer bezüglich des Umfangs von Leistung und Gegenleistung muss die Differenz zwischen gewollter und tatsächlich vereinbarter Leistung bzw. Gegenleistung erheblich sein, z.B. irrtümliche Beschriftung eines Ringes mit CHF 1’380.- statt CHF 13’800 oder Verbürgung in dreifacher Höhe im Vergleich zum Gewollten.
Der Grundlagenirrtum
Ein Grundlagenirrtum liegt vor, wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betrifft, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. Im Einzelnen ist in subjektiver Hinsicht vorausgesetzt, dass der Irrende den irrtümlich vorgestellten Sachverhalt zur Zeit des Vertragsschlusses als notwendige Grundlage für den Vertrag erachtet hat. Zudem muss es sich aus objektiver Sicht rechtfertigen, dass der Irrende den vorgesellten Sachverhalt als notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet hat (BGE 118 II 58, BGE 118 II 29, BGE 113 II 25).
In der Praxis kommt dem Grundlagenirrtum deshalb eine überragende Bedeutung zu, weil gelegentlich Vertragsparteien durch dessen Geltendmachung einen unliebsam gewordenen Vertrag beseitigen möchten. Deshalb rechtfertigt sich hier eine eingehende Darstellung.
Das Gesetz geht zwar in Art. 24 Abs. 2 OR davon aus, dass der Irrtum im Beweggrund nicht wesentlich sei. Allerdings wird diese Regelung durch Ziff. 4 des Absatzes 1 dadurch eingeschränkt, dass ein besonders qualifizierter Motivirrtum, nämlich der Grundlagenirrtum, als wesentlich zu gelten hat.
In der Folge ist zunächst der Begriff des Motivirrtums zu klären, um dann die Voraussetzungen des Grundlagenirrtums darlegen zu können: Als Motivirrtum wird ein Irrtum im Beweggrund zum Vertragsabschluss verstanden, d.h. eine irrige Vorstellung über den Sachverhalt. Ein Motivirrtum ist grundsätzlich unwesentlich (Art. 24 Abs. 2 OR). Nur wenn die qualifizierenden Eigenschaften des Grundlagenirrtums nach Art. 24 Abs. 1 Ziffer 1 bis 4 OR hinzukommen, handelt es sich um einen wesentlichen Irrtum im rechtlichen Sinn, der zur Vertragsanfechtung berechtigt.
Kriterien des Grundlagenirrtums
Rechtsprechung und Lehre haben die im Gesetz genannten Kriterien präzisiert und erweitert. Heute braucht es prinzipiell vier Voraussetzungen, um sich erfolgreich auf einen Grundlagenirrtum berufen zu können:
- Der Grundlagenirrtum muss sich auf einen bestimmten Sachverhalt beziehen. Mit dem bestimmten Sachverhalt drückt das Gesetz aus, dass die Tatsache, auf die sich der Irrtum bezieht, eine feste Natur haben muss und objektiv klar umgrenzt ist. Der Irrtum muss sich damit auf einen konkreten Umstand beziehen, der nicht schon von vornherein zweifelhaft ist.
- Dieser Sachverhalt muss zu den subjektiv wesentlichen Elementen gehören, die den sich Irrenden zum Vertragsschluss bestimmt haben, die sogenannte subjektive Wesentlichkeit. Das Erfordernis der subjektiven Wesentlichkeit hält ein Mindestmass an Anforderungen fest, um einen Grundlagenirrtum geltend machen zu können. Der Irrtum muss sich auf Vertragselemente beziehen, ohne die der Irrende den Vertrag nicht geschlossen hätte.
Auch unter dem objektiven Gesichtspunkt von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr muss dieser Sachverhalt zur Vertragsgrundlage gehören, sogenannte objektive Wesentlichkeit). Die objektive Wesentlichkeit bedeutet, dass die irrig angenommene Vertragsgrundlage nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als wesentlich zu gelten hat. Was objektiv wesentlich ist, ergibt sich somit aus einer sachlichen Bewertung der Geschäftsgrundlage, z.B. für den Bildkauf eines berühmten Malers ist es nach der Vertragsart typisch, dass davon ausgegangen wird, dass das Bild echt sei.
Der Irrende muss zudem der Gegenpartei zu erkennen gegeben haben, worauf es ihm ankommt, d.h. welche grundlegende Bedeutung er dem irrig angenommenen Sachverhalt beimass. sogenannte Erkennbarkeit. Der Grundlagenirrtum kann im Weiteren nur dann geltend gemacht werden, wenn der nicht irrende Vertragsgegner die Bedeutung des vom Irrenden angenommenen Umstandes für den Vertragsabschluss erkennen konnte.
Fälle aus der Praxis zum Thema Irrtum
In folgenden Gerichtsfällen wurde die Berufung auf Irrtümer in der Grundlage gutgeheissen:
Kauf einer Maschine für chemische Reinigung. Käufer nimmt auf Grund der Angaben des Verkäufers an, sie nach etwa 14 Tagen beherrschen zu können, während in Wahrheit eine zwei bis dreijährige Ausbildung erforderlich ist
Erwerb eines Unternehmens durch Kauf aller Aktien einer Gesellschaft in der Annahme, diese verfüge über einen ungefähr dem Kaufpreis entsprechenden Aktivenüberschuss, während sie vermögenslos ist
Kauf einer Parzelle als Bauland, die wegen Lawinengefahr nicht überbaut werden durfte
Kauf eines alten Perserteppichs, der sich nachträglich als unecht herausstellt
Der gekaufte Wagen stellt sich nachträglich als Diebesgut heraus
Miete einer Wohnung, wobei das Inserat von ‹etwa 160 m2 grossen Wohnung› ausgeht, die effektive Wohnfläche aber nur 146,8 m2 beträgt
Der Grundlagenirrtum wurde etwa in folgenden Fällen verneint:
wenn schon bei Vertragsschluss bekannt war, dass die Echtheit eines Gemäldes zweifelhaft sein könnte, der Preis das Ergebnis einer Versteigerung ist und sich nachträglich herausstellt, dass das Bild unecht ist
Kauf von Bauland, von dem der Käufer wusste, dass es wegen mangelnder Kanalisation, Wasserzuleitung und hinreichender Zufahrt noch nicht erschlossen war und nachträglich die Baubewilligung aus diesen Gründen verweigert wird
Abschluss eines Lizenzvertrages durch branchenkundige Lizenznehmer, wenn sich herausstellt, dass die betreffende Maschine nicht den Erwartungen entspricht
Aktuelles Beispiel: Bundesgerichtsentscheid 4A_406/2023
In dem Fall geht es um ein Grundstück. Ein von dem Käufer geplantes Bauprojekt wurde abgelehnt. Deswegen berief sich dieser gegenüber dem Verkäufer auf Grundlagenirrtum. Die Beschwerde wurde abgelehnt mit folgender Begründung:
Entscheidend ist, von welcher künftigen Entwicklung der Käufer im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags ausgehen musste. Diesbezüglich ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz erwog, es habe sich schon vor dem Vertragsabschluss abgezeichnet, und sei auch generell bekannt gewesen, dass das Bauen in ländlichen Gebieten in Zukunft schwieriger werden dürfte. Die Vorinstanz weist in ihrem Entscheid an anderer Stelle zu Recht darauf hin, dass der Bundesrat bereits mit Beschluss vom 27. Oktober 2010 das Kapitel Kleinsiedlungen im Richtplan nur als Zwischenergebnis genehmigte und den Kanton anwies, die ausgeschiedenen Weilerzonen einer sachgerechten Zone zuzuweisen. Diesbezüglich ist auch zu beachten, dass der Thurgauer Regierungsrat das Projekt Überprüfung Kleinsiedlungen im Kanton Thurgau gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen bereits am 19. Februar 2019 beschlossen hat. Vor diesem Hintergrund vermag das Argument des Beschwerdeführers, Zonenpläne würden eine gewisse Beständigkeit aufweisen und könnten nur in einem länger dauernden demokratischen Prozess abgeändert werden, nichts zu ändern. Zusammenfassend verletzt es kein Bundesrecht, wenn die Vorinstanz erwog, der künftige Erhalt einer Baubewilligung sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit objektiv sicher gewesen. Das Risiko der künftigen Entwicklung hat der Käufer also selbst zu tragen.
Rechnungsfehler
Gemäss Art. 24 Abs. 3 OR behindern "blosse Rechnungsfehler" den Vertrag nicht, sind aber zu berichtigen. (Zum Begriff des Rechnungsfehlers siehe BGE 116 II 685.) Dies entspricht der Regelung von Art. 24 Abs. 3 OR, welche richtig besehen eine Konsensregel darstellt. Sie besagt laut Bundesgericht, dass im Abrechnungsverhältnis der Behandlung der einzelnen Rechnungspositionen nach dem Vertragswillen der Vorrang vor dem äusserlich erklärten Endresultat zukommt. Der im Gesetz verwendete Begriff des Rechnungsfehlers ist daher in einem weiten Sinne zu verstehen. Diese Regel ist immer dann anzuwenden, wenn vertragliche Abmachungen in einem formalen Verfahren aus einzelnen Vertragselementen unrichtig hergeleitet sind. Erforderlich ist nur, dass die Berechnungsgrundlage Vertragsinhalt bildet und ein beidseitiges Versehen der Parteien, nicht bloss ein im allgemeinen als unbeachtlicher Motivirrtum zu wertender, nach aussen nicht erkennbarer Kalkulationsirrtum einer Partei, namentlich des Offerenten, gegeben ist. Art. 24 Abs. 3 OR gilt daher stets und nur für Rechnungsfehler, die in den übereinstimmenden Willensäusserungen beider Parteien zutage treten, d.h. für Versehen, die den Parteien bei der Umrechnung vertraglicher Grundlagen gemeinsam unterlaufen. Dies trifft auch auf die gemeinsam bewirkte buchhalterische Behandlung eines Aktiv- oder Passivpostens entgegen dem übereinstimmenden Parteiwillen zu.
Rechtsfolgen wesentlicher Irrtümer
Ein Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (einseitige Unverbindlichkeit Art. 23 OR). Der Irrende kann den Vertrag innert eines Jahres anfechten (Art. 31 Abs. 1 OR). Tut er dies nicht, gilt der Vertrag als genehmigt (Art. 31 Abs. 1 OR). Die Frist beginnt mit der Entdeckung des Irrtums (Art. 31 Abs. 2 OR). Die Zeit heilt den Mangel.
Wichtig: Die Genehmigung eines wegen Täuschung oder Furcht unverbindlichen Vertrages schliesst den Anspruch auf Schadenersatz nicht ohne weiteres aus (Art. 31 Abs. 3 OR).
Bei der erfolgreichen Berufung auf die Unverbindlichkeit des Vertrages müssen noch nicht erbrachte Leistungen nicht mehr geleistet und bereits erbrachte Leistungen zurückerstattet werden. Die Geltendmachung der Rückgewährsansprüche erfolgen dabei durch Vindikation (Art. 641 Abs. 1 ZGB), Grundbuchberechtigungsklage (Art. 975 ZGB) oder aus ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 62 ff. OR), wobei die Klagefrist ein Jahr beträgt (Art. 67 OR). Die Klagen nach ZGB gelten als unverjährbar.
Wer Irrtum geltend macht, muss den Vertrag akzeptieren, wenn der Vertragspartner bereit ist, auch den irrtumsfreien Vertrag abzuschliessen (Art. 25 Abs. 2 OR), d.h. wenn der Vertrag so abgeändert wird dass der Irrtum behoben ist, z.B. die Sache zu verkaufen, die der Irrende wirklich gewollt hat.
Beim Kaufvertrag ist Minderung, Wandlung oder Umtausch nach Art. 205 und 206 OR möglich. Das Gesetz gibt dem Käufer die kaufrechtlichen Behelfe der Minderung und Wandelung, sofern die Kaufsache an einem Mangel leidet und der Käufer die Sache innerhalb von zwei Jahre seit der Ablieferung geprüft und gerügt hat (Art. 210 OR). Wo nun die Abweichung der Sache von eigener Bedeutung ist, wird der Käufer glaubhaft dartun können, dass das Fehlen der Abweichung eine Grundlage des Vertrages gewesen sei. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Käufer nach seiner Wahl entweder auf Gewährleistungsrecht oder/und auf Grundlagenirrtum berufen könne.
Beispiele
Verkauf eines unechten van Gogh, wobei Unechtheit sowohl Sachmangel i.S. von Art. 197 OR als auch Echtheit Grundlage des Vertrages ist. Kauf eines unechten van Gogh, alternative Geltendmachung wird vom Bundesgericht bestätigt.
Kauf eines Teppichs ‹Chah Abbaz›, wobei der Verkäufer die Echtheit zusichert, was der Käufer dahin versteht, dass das Stück alt und von Seltenheitswert sei. Nachdem der Käufer belehrt wurde, ein neues Stück erworben zu haben und die Gewährleistungsrechte aus Kaufrecht verjährt sind, wird ihm der Grundlagenirrtum gewährt.
Verkauf einer Geige des Meisters Ferdinand Gagliano. Anderthalb Jahre später erfährt der Käufer, dass diese Geige nicht von Gagliano stammen kann. Gewährleistungsrechte sind verjährt, Grundlagenirrtum wird gewährt.
Schadenersatzpflicht des fahrlässig Irrenden
Zu beachten gilt es im Übrigen, dass der Irrende, sofern der Irrtum der eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben ist, gegenüber dem Vertragspartner schadenersatzpflichtig werden kann (Art. 26 OR). Die Vorschrift bezweckt, dass der Irrende für den Schaden aufzukommen hat, den er dem Gegner durch die Anfechtung des Vertrages zufügt.
Die Willensmängelanfechtung wurde verschuldensneutral konzipiert. Das bedeutet, dass auch ein Irrender, der den Irrtum der eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben hat, sich auf den Irrtum berufen kann. Insofern geht der Willensschutz des Irrenden dem Vertrauensschutz des Vertragspartners vor. Der Vertrauensschutz bleibt allerdings nicht ganz unberücksichtigt, denn der Irrende hat den von ihm angerichteten Vertrauensschaden zu übernehmen. Muss der Gegner das Scheitern des Vertrages hinnehmen, so muss der fahrlässig Irrende ihn zumindest schadlos halten.
Für den Umfang der Schadenersatzpflicht gilt, dass der Vertragspartner des Irrenden das sogenannte negative Interesse ersetzt erhält. Das bedeutet, dass er so zu stellen ist, wie wenn er nie den weggefallenen Vertrag geschlossen hätte. Dazu gehört aller Schaden, der in der Irrtumsanfechtung seinen Grund hat: Kosten, Aufwendungen, Spesen, aber auch entgangener Gewinn, der aus dem Scheitern des Vertrages resultiert. Der Richter kann aber auch Schadenersatz für das positive Vertragsinteresse zusprechen, wenn es der Billigkeit entspricht.