Ehe für alle: Auswirkungen im Sozialversicherungsrecht

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Ehe für alle: Die Ausgangslage
Am 26. September 2021 hat das Schweizer Stimmvolk die Ehe für alle angenommen, welche am 1. Juli 2022 in Kraft getreten ist. Gleichgeschlechtliche Paare können nun heiraten oder ihre bereits bestehende eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umwandeln. Mit dem geänderten Gesetz können gleichgeschlechtliche Paare zivil heiraten und werden anderen Ehepaaren institutionell und rechtlich gleichgestellt. Die Ehe für alle hat in der Folge Auswirkungen im Sozialversicherungsrecht, unter anderem auf die Erwerbsersatzordnung in Bezug sowohl auf die Mutterschafts- als auch auf die Vaterschaftsentschädigung, vor allem weil mit der Ehe für alle die gesetzlich geregelte Samenspende für verheiratete Frauenpaare geöffnet wurde und gleichgeschlechtliche Paare neu gemeinsam ein Kind adoptieren können.
Zwei Mütter
Wie das Kindesverhältnis der Mutter entsteht, ist in Art. 252 Abs. 1 ZGB geregelt: Es entsteht mit der Geburt. Die Frau, die das Kind zur Welt bringt, ist aus rechtlicher Sicht die Mutter des Kindes, unabhängig davon, ob sie verheiratet ist oder nicht. Zwischen dem Kind und dem «anderen Elternteil» wird es kraft der Ehe der Mutter begründet oder, soweit gesetzlich vorgesehen, durch Anerkennung oder durch das Gericht festgestellt (Abs. 2). Damit ist sowohl der Ehemann als auch neu die Ehefrau der Mutter gemeint. Art. 255a ZGB spezifiziert dahin gehend, dass die Ehefrau der Mutter als das «andere Elternteil» gilt, wenn das Kind nach den Bestimmungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes vom 18. Dezember 1998 (FMedG; SR 810.11) durch eine Samenspende gezeugt wurde. Die Verwendung von Samenzellen steht grundsätzlich nur Ehepaaren zu (Art. 3 Abs. 3 FMedG). Mit der Ehe für alle wurde die gesetzlich geregelte Samenspende in der Schweiz auch verheirateten Frauenpaaren erlaubt.
Auf die Mutterschaftsentschädigung hat die Ehe für alle keine Auswirkungen: Weiterhin hat nur die Frau, die das Kind geboren hat, Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung gemäss Art. 16b ff. EOG und Mutterschaftsurlaub gemäss Art. 329f OR. Was geschieht mit der Ehefrau der Mutter? Hat sie Anspruch auf eine Vaterschaftsentschädigung i. S. v. Art. 16i ff. EOG? Und auf Vaterschaftsurlaub i. S. v. Art. 329g OR? Folgt man dem Wortlaut dieser Bestimmungen, ist immer klar und deutlich nur vom Vater die Rede und nicht etwa vom «anderen Elternteil», wie im ZGB. Gemäss Art. 16i Abs. 1 lit. a EOG ist der Mann anspruchsberechtigt, der zum Zeitpunkt der Geburt der rechtliche Vater des Kindes ist. Gleiches gilt in Art. 329g Abs. 1 OR. Wurde das Kind durch eine Samenspende gezeugt, so gilt nicht der biologische Vater (der Samenspender) als der rechtliche Vater des Kindes, sondern der Ehemann der Mutter. Unklar ist, ob der Gesetzgeber es schlichtweg vergessen hat, im Zuge der Ehe für alle die entsprechenden Anpassungen im EOG und OR vorzunehmen oder ob er tatsächlich nur für Väter die Vaterschaftsentschädigung und den Vaterschaftsurlaub vorsieht. Das Formular für die Beantragung der Vaterschaftsentschädigung enthält neu folgenden Disclaimer: «Für die Ehefrau der Mutter, die im Sinne von Art. 255a Abs. 1 ZGB als anderer Elternteil gilt, sind die Bestimmungen zur Vaterschaftsentschädigung analog anwendbar» (abrufbar auf www.ahv-iv.ch). Ob dies vor Gericht standhält, wird sich zeigen. Es wäre die saubere und rechtlich klarere Lösung gewesen, hätte der Gesetzgeber entsprechende Anpassungen im Wortlaut vorgenommen.
Zwei Väter
Für verheiratete Männer sieht die Situation anders aus: Ei- und Embryonenspende sowie die Leihmutterschaft sind in der Schweiz unzulässig (Art. 119 Abs. 2 BV; Art. 4 FMedG). Für sie gibt es nur den Weg über eine Adoption, ein Kindesverhältnis zu begründen (Art. 252 Abs. 3). Seit dem 1. Juli steht die gemeinschaftliche Volladoption auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen. Ehegatten dürfen ein Kind gemeinschaftlich adoptieren, wenn sie seit mindestens drei Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen und beide mindestens 28 Jahre alt sind (Art. 264a Abs. 1 ZGB). Selbst wenn verheiratete Männer das Verbot der Leihmutterschaft in der Schweiz umgehen und ins Ausland ausweichen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, müssen sie den Weg über eine Adoption gehen, es sei denn, das Kind wurde aufgrund von einer Samenspende des einen Ehemanns gezeugt. Er kann allenfalls den Weg über die Vaterschaftsanerkennung gehen. In diesem Fall hat der zeugende Vater Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung und Vaterschaftsurlaub, wenn er die weiteren Voraussetzungen erfüllt (Art. 16i Abs. 1 lit. a EOG und Art. 329g Abs. 1 OR).
Genetisch nicht verwandte Kinder können gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im schweizerischen Personenstandsregister nicht als eigene Kinder eingetragen werden, selbst wenn sie in der ausländischen Geburtsurkunde als solche anerkannt wurden (Urteil des Bundesgerichts 5A_443/2015 vom 14. September 2015). Es bleibt in diesen Fällen nur der lange und komplizierte Weg über eine Adoption.
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Entschädigung des anderen Elternteils
Erwerbstätige Väter sowie die Ehefrau der Mutter, die gemäß Art. 255a Abs. 1 ZGB als anderer Elternteil anerkannt wird, haben innerhalb der ersten sechs Monate nach der Geburt des Kindes Anspruch auf zwei Wochen Urlaub. Dieser Urlaub wird über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt. Zwei Wochen entsprechen zehn Urlaubstagen bei einem Vollzeitpensum. Die Anzahl der Urlaubstage kann je nach Beschäftigungsgrad des erwerbstätigen Vaters oder der Ehefrau der Mutter variieren.
Adoptionsentschädigung im EOG
Mütter und Väter von Adoptivkindern, haben seit 1. Januar 2023 Anspruch auf den Adoptionsurlaub.Die Adoptiveltern haben Anspruch auf 14 Tage Adoptionsurlaub, der wochenweise oder tage weise innerhalb der Rahmenfrist eines Jahres bezogen werden kann. Das Taggeld beträgt 80 % des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, welches der die Mutter bzw. der Vater unmittelbar vor der Adoption erzielt hat, wobei ein maximaler versicherter Verdienst festgelegt wurde. Das Kindesverhältnis entsteht mit der Adoption, eines weniger als vier Jahre alten Kindes.
Analog zur Geburt von Mehrlingen, die auch nur eine Mutterschafts- Vaterschaftsentschädigung auslöst, soll auch bei einer gleichzeitigen Adoption von mehreren Kindern nur eine Entschädigung ausgerichtet werden.
Keinen Anspruch auf bezahlten Adoptionsurlaub erhält, wer das Kind der Partnerin oder des Partners (Stiefkinder) adoptiert.
Adoptionsurlaub im OR
Erwerbstätige, die ein Kind von unter vier Jahren zur Adoption aufnehmen, haben seit 2023 Anspruch auf einen durch die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigten zweiwöchigen Adoptionsurlaub.
Die Adoptiveltern können bei einer gemeinschaftlichen Adoption wählen, wer von ihnen den Adoptionsurlaub in Anspruch nimmt, können diesen allerdings nur einmal beziehen.
Sie können den Urlaub auch untereinander aufteilen, ihn aber nicht gleichzeitig beziehen. Für Eltern, die das Kind der Ehegattin bzw. des Ehegatten oder der Partnerin bzw. des Partners adoptieren, ist keine Entschädigung vorgesehen.
Im Falle einer Mehrfachadoption besteht der Anspruch auf Entschädigung und somit auch auf den Adoptionsurlaub nur einmal.
Bei der Stiefkindadoption besteht kein Anspruch auf die Adoptionsentschädigung und den entsprechenden Adoptionsurlaub. Die Adoptionsentschädigung besteht aus maximal 14 Taggeldern. Sie wird einmalig nachschüssig ausgerichtet und zwar nach Bezug des letztens Urlaubstages. Das gilt auch, wenn der Adoptionsurlaub aufgeteilt wird. Erfolgt der Bezug des Adoptionsurlaubes wochenweise, so werden 7 Taggelder pro Woche ausgerichtet bzw. 14 Taggelder, wenn der Urlaub von zwei Wochen am Stück bezogen wird. Dies gilt unabhängig vom Beschäftigungsgrad des anspruchsberechtigten Elternteils. Dieser Grundsatz gilt sowohl für Vollzeitbeschäftigte wie auch für Teilzeiterwerbstätige. Wird der Urlaub also für die ganze Arbeitswoche bezogen, liegt unabhängig vom Beschäftigungsgrad ein wochenweiser Bezug vor. Dies gilt auch für Personen, die bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt sind. Wird der Adoptionsurlaub tageweise bezogen, entspricht der zweiwöchige Adoptionsurlaub grundsätzlich zehn Arbeitstagen. Pro fünf bezogene Arbeitstage sind zwei zusätzliche Taggelder anzurechnen, so dass bei vollständigem Bezug der Urlaubstage 14 Taggelder ausgerichtet werden. Möglich ist auch eine Kombination zwischen wochenweisem und tageweisem Bezug des Adoptionsurlaubs.
Der 14-tägige Adoptionsurlaub muss innerhalb des ersten Jahres nach der Aufnahme des Kindes entweder tage- oder wochenweise bezogen werden.
Der Adoptionsurlaub wird über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt. Wie bei der Mutter- oder Vaterschaftsentschädigung beträgt das Taggeld der EO 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor dem Beginn des Urlaubs erzielt worden ist, höchstens aber 220 Franken pro Tag.
Wird ein Adoptionsurlaub bezogen, dürfen die Ferien nicht gekürzt werden. Während dem Bezug des Adoptionsurlaubs besteht kein zeitlicher Kündigungsschutz. Wird einem Arbeitnehmer oder einer Arbeitnehmerin allerdings wegen dem Adoptionsurlaub gekündigt, dürfte eine solche Kündigung in der Regel missbräuchlich
Fazit Ehe für alle
Die Einführung der Ehe für alle hat rechtlich und gesellschaftlich vieles vereinfacht. Gleichgeschlechtliche Paare können nun heiraten (ehe für alle), gemeinsam Kinder adoptieren und im Fall von verheirateten Frauenpaaren auch auf eine Samenspende zurückgreifen. Dadurch ergeben sich auch Anpassungen im Sozialversicherungsrecht.