Krankentaggeldversicherung: Gegen wen ist zu klagen?
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Sachverhalt/Hintergrund
Der vor Bundesgericht klagende Arbeitnehmer A war seit seinem Lehrabschluss im August 2008 bei der beklagten Arbeitgeberin B tätig. Aus gesundheitlichen Gründen konnte der Arbeitnehmer seit dem 1. Oktober 2012 nicht mehr arbeiten. Da die Arbeitgeberin bei einer privaten Versicherungsgesellschaft eine kollektive Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hatte, richtete diese entsprechend Taggelder aus und überwies diese der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin wiederum erstellte auf Basis von 80% des bisherigen Lohnes monatliche Lohnabrechnungen und zahlte dem Arbeitnehmer die Beträge aus.
Zwischen dem 1. Juni 2013 und dem 31. Mai 2014 absolvierte der Arbeitnehmer von der IV angeordnete Eingliederungsmassnahmen bei der Arbeitgeberin und erhielt gleichzeitig IV-Taggelder ausbezahlt. Zwischen Juni und Dezember 2014 arbeitete der Arbeitnehmer wiederum zu 100% bei der Arbeitgeberin, wobei er in dieser Zeit an einigen Tagen krankgeschrieben war.
Ab Februar 2015 war er gänzlich krankgeschrieben, sodass er wieder über seine Arbeitgeberin Krankentaggelder ausgerichtet erhielt. Diese kündigte den Arbeitsvertrag am 17. Februar 2015 auf den 31. März 2015. Der Arbeitnehmer bestritt vor Gericht die Gültigkeit der Kündigung, weil er zum Kündigungszeitpunkt krankgeschrieben gewesen sei.
Ab 1. Juni 2015 bezahlte die Versicherung die Krankentaggelder direkt an den Arbeitnehmer. Diese Zahlungen wurden per 18. August 2015 definitiv eingestellt.
Am 14. Juni 2016 klagte der Arbeitnehmer gegen die Arbeitgeberin auf CHF 26 681.90 infolge Vornahme unzulässiger Abzüge an den IV-Leistungen und an den Krankentaggeldern. Des Weitern machte er geltend, dass ihm eine nie ausbezahlte Lohnerhöhung zustünde, der 13. Monatslohn nicht immer korrekt überwiesen worden sei und ihm eine Lohnforderung infolge ungültiger Kündigung zustehe.
Gegen das Urteil gelangte der Arbeitnehmer mit Berufung an das Kantonsgericht Basel-Landschaft, welches unter anderem festhielt, dass die Arbeitgeberin ihren Verpflichtungen für den Lohn für Dezember 2014 und Januar 2015 nachgekommen sei. Allfällige (teilweise noch nicht bezahlte) Krankentaggelder seien jedoch gegenüber der Versicherung geltend zu machen. Hiergegen erhob der Arbeitnehmer anschliessend Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht.
Infrage standen insbesondere die Passivlegitimation der Arbeitgeberin für ausstehende Krankentaggelder sowie die Kündigung zur Unzeit.
Entscheid des Bundesgerichts
2. Nach Art. 87 VVG steht demjenigen, zu dessen Gunsten die Versicherung abgeschlossen worden ist, mit dem Eintritt des Unfalls oder der Krankheit aus der kollektiven Unfall- oder Krankenversicherung ein selbstständiges Forderungsrecht gegen den Versicherer zu.
Dieses eigene Recht hat zur Folge, dass ausschliesslich der Begünstigte (der Versicherte) an der Leistung der Versicherung berechtigt ist. Die Versicherung kann nur durch Zahlung an den Arbeitnehmer mit befreiender Wirkung erfüllen, nicht jedoch durch Leistung an die Arbeitgeberin, obwohl diese Vertragspartei ist.
Insoweit kann die Vertragserfüllung mit einem echten Vertrag zugunsten eines Dritten im Sinne von Art. 112 Abs. 2 OR verglichen werden. Der Versicherte wird nicht Vertragspartei, und die Arbeitgeberin ist weiterhin Schuldnerin der Versicherungsprämien.
Diese Schuldpflicht zur Zahlung von Versicherungsprämien an die Versicherung ersetzt somit diejenige der Lohnzahlung an den Arbeitnehmer bei dessen Verhinderung (gemäss Art. 324a OR).
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2.1. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Arbeitgeberin eine Kollektivkrankentaggeldversicherung zugunsten ihrer Arbeitnehmer abgeschlossen hat und dass die Versicherung Taggeldleistungen für die Tage ausbezahlt hat, während denen der Beschwerdeführer krankgeschrieben war.
Die Versicherung hat somit mit diesen Zahlungen an die Beschwerdegegnerin ihre Verpflichtungen gegenüber dem Beschwerdeführer nicht erfüllt. Vielmehr erfüllte sie ihre Pflicht erst und nur insofern, als die für sie als Zahlstelle handelnde Arbeitgeberin die dem Beschwerdeführer zustehenden Taggelder in vollem Umfang weiterleitete bzw. auszahlte.
2.2. Indem die Arbeitgeberin eine Taggeldversicherung nach Art. 324a Abs. 4 OR abschloss, befreite sie sich von ihrer Lohnzahlungspflicht für die Dauer der Krankheit des Beschwerdeführers. Da sie dennoch Krankentaggelder abrechnete und weiterleitete, handelte sie als von der Versicherung eingesetzte Zahlstelle und nicht aus einer gegenüber dem Beschwerdeführer bestehenden Schuldpflicht.
2.3. Der Arbeitnehmer forderte einen Teil der ihm zustehenden, aber nicht bezahlten Taggelder, da ihm unzulässige Abzüge am Krankentaggeld vorgenommen worden seien.
Aus dem zwingenden Art. 87 VVG folgt jedoch, dass hierzu nicht die Arbeitgeberin, sondern die Versicherung passivlegitimiert ist. Die fehlende Passivlegitimation der Arbeitgeberin ergibt sich als Rechtsfolge aus den unbestrittenen Tatsachen, dass eine Kollektivkrankentaggeldversicherung bestand, der Beschwerdeführer daraus begünstigt war und der Versicherungsfall der Krankheit eintrat. Allfällige Ansprüche gegenüber der Versicherung sind indessen nicht Verfahrensgegenstand.
3. Als zweites Kernthema beanstandet der Beschwerdeführer, dass die Vorinstanz als unerheblich angesehen hat, dass ihm während seiner Krankheit gekündigt wurde.
3.1. Wird die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei Krankheit des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 324a Abs. 4 OR durch eine für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertige Regelung ersetzt, so ist die Arbeitgeberin von der Lohnfortzahlungspflicht befreit.
Eine Krankentaggeldversicherung ist angesichts ihrer Dauer in der Regel für den Arbeitnehmer günstiger. Nach jüngerer Rechtsprechung, die der herrschenden Lehre folgt, ist eine Regelung jedenfalls dann gleichwertig, wenn sie bei hälftiger Prämienteilung Taggelder von 80% des Lohnes während maximal 720 innert 900 Tagen ausrichtet.
3.2. Weil der Arbeitnehmer nicht nur kurzzeitig krank war, war diese Regelung für ihn sogar günstiger als die zeitlich beschränkte Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a OR.
Die gesetzliche, zeitlich beschränkte Lohnfortzahlungspflicht – die auch im laufenden Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Frist endet – lebt aber nach Beendigung der Versicherungsleistungen im selben Kalenderjahr nicht wieder auf.
3.3. Da die Arbeitgeberin gemäss Art. 324a OR für das Jahr 2015 von ihrer Lohnfortzahlungspflicht befreit war, erübrigt es sich, die Gültigkeit der Kündigung zu prüfen.
4.2. Der Arbeitnehmer rügte zudem, dass ihm der anteilige 13. Monatslohn für das Jahr 2015 nur für die 13 im Januar 2015 effektiv geleisteten Arbeitstage ausbezahlt wurde. Da die Arbeitgeberin für die übrige Zeit gemäss Art. 324a Abs. 4 OR von ihrer Lohnzahlungspflicht befreit war, musste sie sowohl den Lohn als auch den anteiligen 13. Monatslohn nicht bezahlen.
5. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Da die Beschwerdegegnerin von ihrer Lohnfortzahlungspflicht im Krankheitsfall aufgrund der abgeschlossenen Kollektivkrankentaggeldversicherung befreit ist, war die Beschwerde von Anfang an aussichtslos.
Fazit
Die Arbeitgeberin ist gemäss Art. 324a OR verpflichtet, den Lohn weiterhin auszurichten, wenn der Arbeitnehmer erkrankt oder verunfallt Im ersten Dienstjahr hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Lohn für mindestens 3 Wochen und nachher angemessen länger zu entrichten. Die Arbeitgeberin kann sich von dieser Lohnzahlungspflicht befreien, wenn sie bspw. eine Krankentaggeldversicherung abschliesst, die mindestens gleichwertig ist.
Diese Gleichwertigkeit wurde vorliegend vom Bundesgericht bejaht, wenn die Versicherung bei hälftiger Prämienteilung Taggelder von 80% des Lohnes während maximal 720 innerhalb von 900 Tagen ausrichtet (E. 3.1).
Eine solche Krankentaggeldversicherung wird mittlerweile in vielen Arbeitsverträgen vorgesehen. Im Versicherungsfall steht dann dem versicherten Arbeitnehmer ein selbstständiges Forderungsrecht gegenüber der Versicherung zu. Nichtsdestotrotz darf die Versicherung die Krankentaggelder an die Arbeitgeberin zur Ausbezahlung überweisen. Gleichzeitig erfüllt sie dadurch aber erst, wenn die Arbeitgeberin das Geld letztlich auch weiterleitet (E. 2, 2.2 und 2.3). Aus administrativer Sicht der Arbeitgeberin wäre es somit prüfenswert, diesen Umweg nicht zu wählen.
Eine Krankentaggeldversicherung ist zudem für die Arbeitgeberin nicht nur vorteilhaft, weil sie das finanzielle Risiko für Unfall und Krankheit auslagern kann, sondern auch, weil der Arbeitnehmer für Anspruchsforderungen an die Versicherung verwiesen werden kann.
Gleichzeitig gilt es zu beachten, dass die gesetzlich vorgesehene, zeitlich beschränkte Lohnfortzahlungspflicht nach Beendigung der Versicherungsleistungen im gleichen Kalenderjahr nicht wieder aufleben kann (E. 3.2), sodass selbst auf den 13. Monatslohn nur ein anteiliger Anspruch besteht (E. 4.1 und 4.2).