Stufengerechte Bewerberinterviews: Begegnung auf Augenhöhe
Passende Arbeitshilfen
Setting und Haltung bestimmen vieles
Wie viele Interviews haben Sie schon geführt? Als HR-Leiter/in, als HR-Business- Partner, als Linienmanager, als Teamleiter, als Unternehmer, als Personalberater/ in? Und wie oft wurden Sie selbst bereits interviewt, befragt, ausgequetscht, verhört oder mit irrelevanten Fragen konfrontiert? Welche Erfahrungen haben Sie in der einen oder anderen Rolle gemacht? Was waren positive Erlebnisse und Erkenntnisse? Wann wurde es kritisch und welche Situationen waren für Sie reine Zeitverschwendung? Und: Woran lag es?
Die Erwartungen, Anforderungen und Ziele von Interviewer und Bewerber können sehr unterschiedlich sein. Das Setting und die Haltung bestimmen vieles. Und doch gibt es eigentlich viele gemeinsame Interessen von beiden Gesprächsteilnehmern.
Wer ist der «Kunde»?
Der Fall ist doch eigentlich klar: Wer zahlt, befiehlt, und so hat der Interviewer, der zukünftige Arbeitgeber oder der Berater als sein Vertreter natürlich die besseren Karten in der Hand. Diese Haltung ist tatsächlich noch weitverbreitet, ob man es glaubt oder nicht. Zumindest erfahren wir dies immer wieder von Kandidatenseite, wenn von schlechten Interviewerlebnissen die Rede ist. Die Gründe sind wohl vielfältig und die «Schuldigen» sind sicherlich auf beiden Seiten zu finden. Aber Hand aufs Herz: Haben Sie sich passend auf den Kandidaten eingestellt? Ist Ihnen klar, welche Fragen Sie mit dem Kandidaten klären möchten bzw. sollten? Oder wenn wir uns in die Situation der Kandidaten versetzen: Testen diese einfach mal ihren Marktwert oder sind sie ernsthaft am Job interessiert? Schaffen sie es, in wenigen Minuten knackige, interessante und relevante Aussagen zu ihrem Leistungsausweis zu formulieren? Wie erläutern und plausibilisieren sie ihre Misserfolge und «dunklen Flecken» im CV? Wie haben sie sich auf ihren Gesprächspartner vorbereitet und eingestellt?
Wer ist der «König»?
Wir leben bekanntlich nicht in einer Monarchie. Und auf dem internationalen Parkett existieren Monarchien höchstens noch aus Nostalgiegründen. Die Gesprächspartner sollten sich im Interview bewusst sein, dass keiner der Teilnehmer «auf dem Thron» sitzt und auf den anderen herunterblickt. Und Unterwürfigkeit und anbiederndes Verhalten sind ebenfalls nicht angebracht. Die passende Haltung ist wohl eine Begegnung auf Augenhöhe und so sind wir auch beim Thema «Stufengerechte Interviewführung ». Aber was heisst denn das konkret? Wie kann ich mich anpassen und bleibe dennoch authentisch? Wie erreiche ich im Interview meine Ziele? Wie komme ich zu den Informationen, die für mich relevant und wichtig sind? Und welches sind denn die Erfolgsfaktoren für eine stufengerechte Interviewführung?
Stufengerechte Bewerberinterviews brauchen eine fokussierte Vorbereitung
Vorbereitung ist das A und O. Und gleichwohl: Im Rekrutierungsalltag ist der Zeitdruck oft gross. Die Konzentration aufs Wesentliche ist deshalb oft eine sinnvolle Devise:
- Welche Informationen muss ich wann haben, um meinen weiteren Entscheid fällen zu können?
- Welche Fragen gilt es zu klären, damit ich glaubhaft Alternativen prüfen kann?
Nicht auf jeder Stufe sind die gleichen Fragen relevant und ist damit dieselbe Vorbereitung auf das Interview nötig. Der Bezug zur Aufgabe bzw. zum Kandidaten muss unbedingt von Anfang an gegeben sein. Disqualifizieren Sie sich hier nicht selbst. Dies gilt natürlich für beide Seiten, insbesondere aber für den Recruiter. Zu detaillierte Fragen im Erstgespräch auf C-Level sind sicher nicht empfehlenswert. Und auf Stufe Fachspezialist braucht es vermutlich keine Vertiefung zur künftigen Unternehmensstrategie.
Klare Prozessführung
Ein klar kommuniziertes Timing und die Definition der wichtigsten Prozessschritte (z.B. Vorgespräch, Zweitgespräch, Präsentation, Assessment, Schlussgespräch, Verhandlung) machen allen Parteien das Leben leichter. Klar braucht es auch eine gewisse Flexibilität. Schwierig wird es, wenn von Bewerberseite die Haltung vorherrscht: «Also, ich stehe eigentlich nur abends oder am Samstag für Gespräche zur Verfügung.» Umgekehrt schätzen es Kandidaten sehr, wenn bereits beim Erstkontakt gewisse Zeitfenster für die wichtigsten Prozessschritte vom Recruiter kommuniziert werden. Gerade auf Top-Level sollte dies zum Standard gehören, da die Terminkalender meist sehr voll sind.
Authentische Kommunikation
Passen Sie Ihre Sprache nach Möglichkeit an und bleiben Sie gleichwohl Sie selbst, authentisch. Hochtrabende Formulierungen irritieren und wirken künstlich. Zu beachten ist auch der ausgeglichene Redeanteil. Stellen Sie Fragen, zeigen Sie Interesse. Aber nehmen Sie sich auch zurück, wenn nötig. Setzen Sie für C-Level-Interviews keine Newcomer ein. Es braucht eine gewisse Seniorität, um mit einem potenziellen CEO ein Gespräch auf ähnlichem Level zu führen und Akzeptanz zu erhalten.
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Stufengerechte Fragetechnik
Je anspruchsvoller die diskutierte Funktion ist, desto differenzierter sollte Ihre Fragetechnik sein. Reflektieren Sie wieder einmal Ihre Interviewtechnik und passen Sie diese an, wenn nötig. Welchen Themen sollten Sie im Interview auf Executive-Level besondere Beachtung schenken? Versuchen Sie, Persönlichkeitsmerkmale zu identifizieren, die bei Führungskräften besonders ausgeprägt sein sollten (gemäss einer Studie von Spencer Stuart; Quelle: «Mit den besten Interviewfragen die besten Mitarbeiter gewinnen», Arthur Schneider, Praxium Verlag):
- Leidenschaft und Engagement für die Arbeit und das Unternehmen
- Intelligenz und Klarheit des Denkens
- Hervorragende Kommunikationsfähigkeiten
- Hohes Energieniveau
- Ein beherrschtes Ego
- Innere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit
- Wegweisende und prägende Lebenserfahrungen
- Ausgeglichenes und harmonisches Familienleben
- Positive Grundhaltung und Lebenseinstellung
- Konzentration auf «doing the right things»
Diese Punkte lassen sich im Laufe eines Rekrutierungsprozesses immer mehr verifi zieren. Vielleicht sind sie zu Beginn nur als Bauchgefühl vorhanden. Später erhärten sich gewisse Eindrücke oder sie verschwinden. Variieren Sie Ihre Fragetechnik, um den Kandidaten auf den Zahn zu fühlen. Für Interviews mit Fachspezialisten eignen sich eher standardisierte, detaillierte Fragebogen (Checklisten, Vorgaben des zukünftigen Linienvorgesetzten etc.). In Interviews mit Führungskräften ist es durchaus sinnvoll, auch intuitiv vorzugehen.
Zur fundierten Abklärung gewisser Kompetenzen werden oft Assessments eingesetzt. Neben dem Einsatz von Diagnoseinstrumenten und Praxisübungen (z.B. Präsentationen, simulierte Führungsgespräche und Management-Cases) ist das Interview ein wichtiger Bestandteil der Beurteilung. Im Vieraugenprinzip und psychologisch unterstützt, werden kompetenzbasierte Verhaltensweisen mit dem Kandidaten besprochen und reflektiert. Der Beizug von Spezialisten nach dem Second-Opinion-Prinzip ist hier wohl der Normalfall.
Informationen festhalten
Wie halten Sie als Interviewer Informationen aus den Gesprächen fest? Protokollieren Sie das Gespräch mithilfe eines Laptops oder eines Tablets? Vermutlich wirken Sie so auf Ihren Gesprächspartner nicht sehr präsent und konzentriert auf das Gespräch. Handnotizen auf einem vorbereiteten Formular sind sinnvoll. Dabei sind auch hier Schwerpunkte zu setzen. Wenn es um die Besetzung von Fachfunktionen geht, steht eher die Klärung von Fachkompetenzen, konkreten Resultaten und Erfolgen bzw. Misserfolgen im Vordergrund. Bei Management- Positionen werden Sie versuchen, mehr zur Persönlichkeit und zum Führungsverhalten zu erfahren. Vertritt der Kandidat ähnliche Werte wie wir in der Unternehmung? Wirkt der Kandidat leidenschaftlich? Wie stellt er sich und seine Vita dar?
Übertragen Sie nach den verschiedenen Interviewschritten (Interview-Kaskade) die wichtigsten Informationen in Ihr Bewerbersystem. So sind diese Fakten jederzeit wieder auffindbar und vor allem auch für Ihre Kolleginnen und Kollegen verfügbar. Aber auch die Kandidaten sind gefordert, Stichworte festzuhalten und die Antworten auf ihre Fragen zu notieren. Dies verhindert, dass Fragen doppelt und dreifach gestellt werden (z.B. in Folgegesprächen). Immer wieder kommt es vor, dass Kandidaten keinen Notizblock vor sich haben oder am Ende des Interviews vor einer leeren Seite sitzen. Sicher ein No-Go!
Für Transparenz sorgen
Standardmässig sind auch formale Themen abzufragen, und dies bereits im Erstgespräch: Dazu gehören insbesondere Informationen zur Verfügbarkeit sowie zu anderen Jobangeboten (Entscheidungsdruck). Thematisieren Sie auch die Salärerwartungen von Beginn weg. Seien Sie diesbezüglich offen, denn beide Seiten haben ihre Rahmenbedingungen. Während der Kandidat gewisse Erwartungen mitbringt, sind die Vorstellungen des Arbeitgebers an sein Budget gebunden.
Der Anspruch an Transparenz, Ehrlichkeit und Offenheit ist heute von beiden Seiten hoch. Machen Sie sich gegenseitig nicht ein X für ein U vor. Prüfen Sie, ob Kandidaten konsistent und transparent auftreten. Entsprechen die Social-Media- Profi le dem CV? Stimmen die Lebenslauf-Daten und die Funktionen überein? Welche Kompetenzen verkaufen die Kandidaten auf Xing und LinkedIn und welche im Interview? Transparent sollten auch Sie als Interviewer auftreten: Wie preisen Sie Ihren Job an, den Sie zu vergeben haben? Erwähnen Sie auch die Schattenseiten? Welches könnten die Stolpersteine sein? Und sind Sie auf kritische Kandidatenfragen vorbereitet? Versuchen Sie zudem, auch bezüglich des ganzen Search-Prozesses transparent zu sein. Wo steht der Kandidat? Welches sind die Entscheider? Wie sieht der Entscheidungsprozess aus? Für Kandidaten auf Top-Level sind diese Informationen essenziell, da doch das zeitliche Investment in der Regel gross ist.
Verbindlichkeit zeigen
«Ich habe wochenlang nichts auf meine Bewerbung gehört und dann plötzlich eine Absage erhalten» – «Der Kandidat hat mir seine Referenzangaben noch immer nicht geliefert …» Kommen Ihnen solche Aussagen bekannt vor? Auch schon mal erlebt? Verbindlichkeit schafft Vertrauen. Vereinbaren Sie gemeinsam Termine, Daten für Feedback und für offene Gesprächspunkte. Und halten Sie sich daran. Anspruchsvoll wird dieses Thema im Umgang mit direkt angesprochenen Executive- Kandidaten. Hier können Sie sich als Recruiter von der Masse abheben. Der Informationsfluss in der Kommunikation wird zu Beginn eher einseitig sein, nämlich hin zum Kandidaten. Später kommt jedoch der Zeitpunkt, zu dem sich mögliche Kandidaten entscheiden müssen, ernsthafte Kandidaten zu werden. Die langfristige Einstellung, glücklicherweise abgeworben worden zu sein, stärkt zwar vielleicht einen Moment lang das Ego, ist aber auf Dauer in den stufengerechte Bewerberinterviews und vermutlich im Assessment nicht zielführend.
Dresscode einhalten
Eine im Zusammenhang mit Bewerbungsgesprächen oft zitierte Redewendung lautet: «Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck.» Gleichzeitig heisst es oft aber auch: «Jeder hat eine zweite Chance verdient.» Die Wahrheit liegt wohl wie so oft in der Mitte. Mit Sicherheit gibt es aber Grundregeln, die es auch heute in der Businesswelt zu beachten gilt. Seien Sie sich bewusst, welche Botschaften Sie aussenden, wenn Sie in Freizeithosen statt im Anzug zum Interview erscheinen. Verkörpern Sie als Interviewer den Dresscode der Unternehmung? Weiss ein Kandidat, wie man sich bei seinem zukünftigen Arbeitgeber kleidet? Auch hier gilt: stufengerecht und authentisch bleiben. Eine Grundregel lautet für beide Seiten: lieber over- statt underdressed; lieber diskret und vielleicht etwas konservativ statt bunt schillernd. Versuchen Sie lieber nicht, um jeden Preis aufzufallen. Fallen Kandidaten aus dem Rahmen, darf man sie durchaus auf ihr Auftreten ansprechen. Denn nur wer die passenden Antworten bereithält, kann sich ein extravagantes Outfit, eine spezielle Frisur oder auffälligen Schmuck leisten.
Glaubwürdig bleiben
Gehen Sie positiv, mutig, selbstbewusst und mit klarem Kopf ins Interview. Konzentration ja; Verkrampfung nein. Begegnen Sie Ihrem Gesprächspartner trotz allem Selbstbewusstsein auf Augenhöhe. Seien Sie offen und stehen Sie auch zu schwierigen Themen in Ihrer Unternehmung. Genauso sollten auch Kandidaten zu den heiklen Punkten in ihrem Lebenslauf stehen. Vertrauliche Themen können offener diskutiert werden, wenn beispielsweise zu Beginn des Gesprächs eine entsprechende Erklärung unterschrieben wird. Gerade bei einer heiklen, verdeckten Suche ist dies empfehlenswert. «Verkaufen» Sie sich bzw. Ihr Unternehmen im Interview adäquat. Aber seien Sie dabei nicht zu marktschreierisch unterwegs und übertreiben Sie es nicht. Ihre Glaubwürdigkeit könnte ernsthaften Schaden nehmen.
Die wichtigsten Grundsätze
- Konzentration auf das Thema – nicht abschweifen
- Feedback geben
- aktiv zuhören
- Aufmerksamkeit fördern (z.B. mithilfe von Visualisierungen wie Präsentationen, Charts)
- mit Fragen führen
- Dialog statt Monolog
- Ängste nehmen
- Anschlussfragen stellen