Fehlbesetzungen: Wie Sie «bad hires» vermeiden
Passende Arbeitshilfen
Insgesamt summieren sich diese Personalabgänge auf 30–60% innerhalb der ersten zwei Anstellungsjahre. Künstliche Intelligenz für den Abgleich von Anforderungen und Kompetenzen verspricht hier Lösungen für ein Problem, das die Personalverantwortlichen gar nicht haben . . . auch weil die meisten Menschen durchaus willig und fähig sind, neue Kompetenzen zu erwerben.
Neuanstellungen scheitern meist an Faktoren, die im Vorstellungsgespräch selten thematisiert oder sogar bewusst verschwiegen werden, wie schlechte Arbeitsatmosphäre im Team, zu grosse oder zu kleine Entscheidungsspielräume, oder durchgängige technische Überwachung. 44% aller Neueingestellten erleben deshalb einen «Realitätsschock» während der ersten Arbeitswoche. Von den neuen Mitarbeitenden, die während der Probezeit kündigen, fühlen sich nur 7% angemessen über das informiert, was bei der neuen Arbeitsstelle auf sie zukommt.
Von den Neueingestellten, die über die Probezeit hinaus bleiben, fühlen sich nur 36% realistisch informiert über ihre Tätigkeit. Das könnte zum einen daran liegen, dass Vorgesetzte und langjährige Mitarbeitende sich gar nicht vorstellen können, was für Neuankömmlinge neue wichtige Informationen sind, die helfen könnten, sich in der neuen Arbeitsumgebung zurechtzufinden. Aber auch die abstossende Wirkung von internen Machtspielen oder Sozialneid auf neue Organisationsmitglieder sollte nicht unterschätzt werden, auch wenn es für alle normal ist, die schon länger im Unternehmen arbeiten.
Schwierig vorherzusagen, ob sich die Neue, der Neue im Team wohlfühlen wird und dort gut aufgenommen werden wird. Kleine Gesten oder lustig gemeinte Bemerkungen lösen leicht einen Abstossungsreflex gegenüber dem/der Neuen aus. Werden neue Mitarbeitende im ersten Anstellungsjahr befragt, fühlten sich mehr als 60% zu wenig unterstützt bei der Integration in ihr Team oder ins Unternehmen.
Als weitere Gründe für eine Kündigung während der Probezeit oder im ersten Anstellungsjahr werden Unzufriedenheit mit Vorgesetzten (36% der Nennungen) genannt und mangelnde beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten (34%; Great Attrition, McKinsey, September 2022). Sobald die administrativen und vertragstechnischen Aufgaben erledigt sind, sind Aufgaben der Kompetenzentwicklung (Aus-, Weiterbildung, Laufbahn/Karriereplanung) meist wenig institutionalisiert und oft auch von verschiedenen Verantwortlichen abhängig. Daher sollten bereits in der Einarbeitungsphase Erwartungen und Möglichkeiten abgeklärt und sollte dieses Thema mindestens einmal im Jahr beim Qualifikationsgespräch wieder aufgenommen werden.
Bei Umfragen über Kündigungsgründe wird häufig die «unzureichende Vergütung» angegeben. Dieses Argument ist ganz offensichtlich nur vorgeschoben, denn wer will schon nach einigen Wochen Anstellungsdauer genau berechnen können, ob der Lohn im Arbeitsvertrag und das Geld auf dem Bankkonto, das abhängig ist von verschiedensten Zulagen und Abzügen für Sozialversicherung und der Pensionskasse, höher oder tiefer liegt als bei einem anderen Unternehmen mit einem anderen Personalreglement mit anderen Sozialleistungen, anderen Boni-Systemen, Fringe Benefits usw.? Hinter dem Lohnargument verstecken sich unerfüllte Erwartungen und Enttäuschungen, die zu persönlich sind, um sie preiszugeben.
Was tun?
Bei aller Enttäuschung über eine Kündigung oder Fehlbesetzung ist es auch immer eine Chance, bisherige Abläufe, Gewohnheiten und Denkmuster zu überprüfen. Passieren die Fehler eher beim Rekrutieren oder während der Probezeit und der Einarbeitung? Häufen sich Kündigungen in bestimmten Abteilungen, Funktions- oder Qualifikationsniveaus?
Als eine wirksame Massnahme zur Verhinderung von Frühfluktuation hat sich die realistische Tätigkeitsvorschau bewährt bzw. Arbeitsproben oder Probearbeiten im Rahmen des Auswahlverfahrens.
- Diese Vorschau oder bezahlte Probearbeit sollte möglichst früh im Such- und Auswahlprozess angeboten werden, damit die Wirkung möglichst gross ist, d.h. damit nicht Kandidat*innen das Auswahlverfahren durchlaufen, um dann am Ende festzustellen, dass es doch nicht für sie passt; die Kandidat*innen werden darüber informiert, dass diese realistische Tätigkeitsvorschau bei ihnen Abwägungsprozesse auslösen und sie bei ihrer Entscheidung für oder gegen das Unternehmen unterstützen soll.
- Die realistische Tätigkeitsvorschau soll sich vor allem auf falsche Erwartungen und Tätigkeitsmerkmale beziehen, die die Personalverantwortlichen aus der Vergangenheit kennen und die bisher häufig Kündigungen ausgelöst haben.
- Am glaubwürdigsten wirkt das Auswahlverfahren, wenn Kandidat*innen alleine mit den bisherige Stelleninhaber*innen sprechen können, oder auch mit einem anderen Teammitglied. Wirksam sind auch Videos und Podcasts, die inzwischen üblich sind, z.B. mein erster Arbeitstag bei ... .
- Arbeitsvermittler*innen, Personalberater*innen oder Recruiter wirken weniger glaubwürdig bei der Beschreibung von Stellenanforderungen.
- Der Negativity-Bias in unserem Gehirn führt dazu, dass mögliche Kandidat*innen sich erst gar nicht bewerben, wenn diese Informationen auf der Internetseite der Organisation nicht mit Informationen aus anderen Quellen übereinstimmen, z.B. Arbeitgeberbewertungen auf kununu. Diese Selbstselektion verhindert wahrscheinlich Frühfluktuationen, aber schreckt möglicherweise auch unnötig viele geeignete Kandidat*innen ab.
Besonders wichtig ist die realistische Tätigkeitsvorschau bei
- Neulingen auf dem Arbeitsmarkt (Lehrlinge, Abvolvent*innen von [Fach-]Hochschulen),
- schwierig zu besetzenden oder
- neu geschaffenen Stellen,
- organisationsspezifischen Stellen und solchen,
- die sehr grosse Flexibilität erfordern, in Abhängigkeit von verschiedensten Situationen.
- Auch Stellen im Ausland oder
- gefährliche Tätigkeiten (z.B. Polizei, Krankenpflege),
- unregelmässige Arbeitszeiten, (unbezahlte) Überstunden, Wochenendarbeit oder
- ständiger Termindruck sind für viele Mitarbeitende bzw. deren soziales Umfeld sehr belastend.
Daher empfiehlt sich bei einem Vorstellungsgespräch die Frage, ob der Berufswunsch oder Stellenwechsel auch vom sozialen Umfeld der Kandidatin, des Kandidaten mitgetragen wird. Als sehr belastend werden auch regelmässige und detaillierte Fremdkontrollen erlebt, durch technische Einrichtungen oder als Leistungskennziffern, die möglicherweise sogar im Unternehmen bekannt gegeben werden. Weitere Auslöser für Frühfluktuation sind schwierige Kolleg*innen oder Kund*innen oder schwer zu erreichende Zielvorgaben, z.B. bei der Neukundengewinnung.
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