Mitarbeitenden-Sharing: Mehr Flexibilität und Effizienz für Arbeitgebende und -nehmende

Beispiele aus der EU zeigen: Das Teilen von Mitarbeitenden verspricht mehr Flexibilität und Effizienz für Arbeitgebende und grössere Sicherheit für Arbeitnehmende. Ob das auch in der Schweiz funktionieren kann, und was dazu aus rechtlicher Sicht nötig wäre, wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht. Und so viel Veränderung braucht es gar nicht!

05.09.2023 Von: Sebastian Huber, Ana Maria Knüsel, Karina von dem Berge
Mitarbeitenden-Sharing

Auch im letzten Winter fehlte es in den Skigebieten im Bündnerland wieder an Personal, vor allem in Hotels und Restaurants. Im Kanton Tessin geht es während der Wintersaison hingegen eher ruhig zu. Dort steigt zu dieser Zeit die Zahl der arbeitslosen Saisonniers, denen es an einer ganzjährigen Arbeitsperspektive fehlt. Recht offensichtlich erscheint es da, dass Saisonniers den Sommer über im Tessin arbeiten und im Winter dann ins Bündnerland wechseln. Was einfach klingt, ist für Betroffene bisher jedoch mit grossem Aufwand verbunden: Jede Saison aufs Neue muss eine Stelle gesucht werden, die zeitlich an die bestehende Beschäftigung anschliesst. Das erfordert Koordination und bringt Unsicherheit mit sich.

Der Bedarf an mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und Veränderungen in der Beziehung zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden haben zur Idee des Teilens oder auch «Sharing» von Mitarbeitenden geführt. Als eine neue Form der Beschäftigung wird ein einzelner Arbeitnehmer von zwei oder mehr Arbeitgebenden beschäftigt, wenn ein Arbeitgeber aufgrund von saisonalen Schwankungen oder begrenztem Arbeitsaufkommen allein keine passend dotierte Stelle anbieten kann. Für Mitarbeitende wird der gewünschte Beschäftigungsgrad gewährleistet, während arbeitgeberseitig Phasen überbrückt werden, in denen Angestellte nicht voll ausgelastet sind. Für Mitarbeitende bedeutet diese Beschäftigungsform mehr Stabilität und Vorhersehbarkeit während Arbeitgebende gleichzeitig von mehr Flexibilität bei der Auslastung ihrer Beschäftigten profitieren. Diese Lösung bietet sich vor allem in Sektoren an, wo sich die Saison oder Auftragslage direkt auf das Arbeitsvolumen auswirkt. Ebenfalls interessant ist das Modell für Arbeitnehmende mit sehr spezifischen Fähigkeiten, die von einzelnen Arbeitgebenden oft nur in Teilzeit benötigt und wenig Jobs im gewünschten Anstellungsgrad angeboten werden.

Erfahrungen aus Nachbarländern

Ganz neu ist das Teilen von Mitarbeitenden nicht: Ein Bericht von Eurofound aus dem Jahr 2020 identifizierte Beispiele für Mitarbeitenden-Sharing in 16 der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union (Eurofond, 2020). Hierzu zählen auch die Schweizer Nachbarländer Österreich, Frankreich und Deutschland. Dort wird zwischen zwei verschiedenen Arten unterschieden (siehe Abb.): zum einen das strategische Mitarbeitenden-Sharing, bei dem eine Gruppe von Arbeitgebenden ein festes Netzwerk bildet, das gemeinsam Personen einstellt, die dann zu individuellen Arbeitseinsätzen innerhalb des Netzwerkes entsandt werden. Und zum anderen das Ad-hoc Mitarbeitenden-Sharing, bei dem Arbeitgebende ihre Angestellten vorübergehend nicht auslasten können und sie während dieser Zeit in ein anderes Unternehmen entsenden.

Im europäischen Vergleich ist Mitarbeitenden-Sharing in Frankreich am stärksten verbreitet. Dort etablierten sich Arbeitgeberverbände, die aus unterschiedlich grossen Unternehmen verschiedener Branchen bestehen. Ein Beispiel für einen solchen Verband ist Vénétis in den französischen Regionen Morbihan und Loire-Atlantique (du Guerny, 2022). Er besteht aus 360 kleinen Unternehmen, die derzeit gemeinsam 170 Vollzeitkräfte beschäftigen und diese auf Projektbasis untereinander aufteilen (Radjou, 2020).

Sharing-Potenzial in der Schweiz

In der Schweiz ist das Modell des Mitarbeitenden-Sharings bisher weniger etabliert, und entsprechend wenig Beispiele sind bekannt. Darunter das 2018 gestartete Projekt zum Sharing von Mitarbeitenden im Gastgewerbe zwischen den Kantonen Tessin und Graubünden. Es zielte darauf ab, Mitarbeitende für saisonale Tätigkeiten über das ganze Jahr zwischen Unternehmen im Gastgewerbe in den beiden Kantonen zu teilen. Über die Plattform jobs2share.ch konnten Angebote platziert und saisonale Mitarbeitende gesucht werden. Inmitten der ersten Saison erreichte der COVID-19-Ausbruch das Gastgewerbe und damit auch diese Initiative, die in Folge eingestellt wurde. Insgesamt bewerteten die Unternehmen das Mitarbeitenden-Sharing durch das Projekt als hilfreich und zukunftsträchtig, sodass aktuell weitere Anstrengungen unternommen werden, um das Teilen von Mitarbeitenden weiter zu ermöglichen.

Ein ähnliches Ziel verfolgte eine kürzlich an der Hochschule Luzern durchgeführte Forschungsstudie: Untersucht wurde, ob die in anderen Ländern der EU angewandten Strategien des Mitarbeitenden-Sharings auf die Schweiz übertragbar sind. Dazu wurden die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Frankreich und Deutschland mit den Bedingungen in der Schweiz verglichen. Die Untersuchung zeigte, dass die Ausgangslage für Unternehmen in der Schweiz vergleichbar mit denen der Nachbarländer ist: Zu den Voraussetzungen für das Teilen von Mitarbeitenden gehören (a) die geografische Nähe zwischen den Unternehmen, (b) eine saisonal bedingte Arbeitsauslastung sowie (c) die Zusammenarbeit und das Vertrauen zwischen den am Sharing beteiligten Unternehmen. In Frankreich werden Plattformen innerhalb der Arbeitgeberverbände zur Erleichterung der Zusammenarbeit der vielen Mitglieder genutzt. In der Schweiz dienen sie eher als Instrument zur Erleichterung der Interaktion zwischen den beteiligten Sharing-Parteien.

Schweizer Gesetzgebung bei Mitarbeitenden-Sharing im Rückstand

Im Gegensatz zu den Nachbarländern ist das Modell des Mitarbeitenden-Sharings in der Schweiz aus rechtlicher Sicht noch nicht ausreichend abgesichert: Noch fehlt es an geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung. Schweizer Unternehmen, die trotzdem schon Mitarbeitende teilen, nutzen ein spontanes Mitarbeitenden-Sharing, und vereinbaren immer wieder neue, saisonal befristete Verträge. Eine gemeinsame Beschäftigung eines Mitarbeitenden durch mehrere Arbeitgebende ist noch nicht möglich.

Dennoch können Unternehmen in der Schweiz als Antwort auf den Fachkräftemangel Sharing von Mitarbeitenden nutzen, indem sie vorübergehend Personal von anderen Unternehmen einstellen, die für einen bestimmten Zeitraum kein Personal benötigen, aber Entlassungen vermeiden wollen. Das Modell muss so umgesetzt werden, dass es sowohl für die beiden Unternehmen, die sich Mitarbeitende teilen, als auch für die Person, die an zwei verschiedenen Standorten arbeitet, fair ist. Auch wenn ein gesetzgeberischer Vorstoss für eine noch umfassendere Nutzung von Mitarbeitenden-Sharing erforderlich ist, haben die in der Schweiz vorliegenden Fälle gezeigt, dass die Umsetzung möglich ist und daran grundsätzlich ein Interesse besteht.

 

Referenzen:
Du Guerny, S. (2022, 3. Mai). Le groupement d’employeurs Vénétis boosté par les besoins en cybersécurité. LesEchos. www.lesechos.fr/pme-regions
Eurofound (2020). New forms of employment: 2020 update. New forms of employment series, Publications Office of the European Union, Luxembourg.
Radjou, N. (2020, 6. August). The Rising Frugal Economy. MIT Sloan Management Review. sloanreview.mit.edu/article/the-rising-frugal-economy/

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