HR Marketing: Mit gesundem Menschenverstand
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HR Marketing mit gesundem Menschenverstand
Algorithmen. Künstliche Intelligenz. Roboter. Big Data. Schlagworte wie diese dominieren die Schlagzeilen und beflügeln die Fantasien, auch in den Personalabteilungen. Die Personalverantwortlichen und Recruiter versprechen sich (bezeichnend: sich, nicht den Bewerberinnen und Mitarbeitern) schlankere Prozesse und Effizienz. Arbeitszeugnisse, Vorselektion, Sourcingaufgaben, ja ganze Abteilungen wurden schon in alle Welt ausgelagert. Jetzt soll noch eine Schippe draufgelegt werden. Es winken finanzielle Einsparungen und endlich wieder mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge in der Personalarbeit.
Die wirklich wichtigen Dinge der Personalarbeit?
Das wären ja dann der Aufbau eines Dialogs zu Interessentinnen und Interessenten. Die Intensivierung der Beziehung zu den Führungskräften und den Talenten im Unternehmen. Gespräche führen. Potenziale erkennen. Entwicklungspläne für Leistungsträger erstellen. Konzepte entwickeln, um gute Mitarbeitende längerfristig zu binden. Ideen ausbaldowern, um an neue Fachkräfte zu kommen. Und so weiter. Der digitale Messias soll endlich wieder mehr Zeit bringen.
Was für ein Trugschluss
Mehr Technik, mehr Systeme und mehr Digitales gehen fast immer einher mit riesigen Prozesseinöden. Diese Prozess-Kakofonie führt kaum je zu mehr Zeit für die wirklich wichtigen Aspekte der Personalarbeit. Oder haben Ihnen SAP, e-Spesen oder Zeugnisgeneratoren wirklich mehr Freiräume geschaffen? Oder Ihr Bewerbermanagementsystem? Letztere wurden im grossen Stil eingeführt, um die Abwicklung der Bewerbungen und die Kommunikation mit den Bewerberinnen und Bewerbern zu digitalisieren und zu verbessern.
Alle sind happy. Oder?
Nein. Dummerweise ging dabei «das Gegenüber» vergessen. Das Antwortverhalten ist katastrophal, monieren die Bewerberinnen und Bewerber. Es wird spät oder gar nicht, unpersönlich und unverbindlich kommuniziert. Viele Firmen orientieren sich nach innen, und die «draussen» sind unglücklich. Ausgerechnet sie, um die es doch eigentlich geht. Talente! Fachkräfte! Nachwuchs! Und warum? Nicht weil es am Digitalen fehlt, sondern am Analogen. Am Menschlichen. Am Nichtbeachten der goldenen Regel im HR Marketing:
"Tue anderen nicht an, was dich ärgern würde, wenn andere es dir antäten."
Noch mehr Digital macht die Abläufe nicht per se kundenorientierter. Der Schlüssel ist die Einstellung in den Köpfen der Mitarbeitenden in den Personalabteilungen und den Vorgesetzten. Wir träumen von Robotern, sind aber noch nicht mal in der Lage, den Bewerbern eine Antwortzeit zu versprechen. Wenn wir überhaupt einen neuen Chip brauchen, dann für unsere Haltung.
Seminar-Empfehlungen
Wir wollen mehr Zeit für zwischenmenschliche Kontakte kreieren und drehen dabei munter weiter am Rad der Anonymisierung. Verrückt: Alle Welt spricht vom Kampf um Fachkräfte und von der Candidate Experience. Doch die Bedürfnisse der Zielgruppen werden bei den Diskussionen um Algorithmen, Robot- Recruiting und Künstliche Intelligenz kaum je erwähnt. Die Kernfragen müssten doch lauten:
- Wer möchte den Dialog mit Maschinen führen?
- Was bringt das den Bewerberinnen und Bewerbern?
- Wie gezielt gehen Chatbots auf die individuellen Bedürfnisse und Fragen der (potenziellen) Mitarbeitenden ein?
- Wie effizient ist die automatisierte Kommunikation für die Zielgruppen?
- Wie akzeptiert ist der Einsatz von Algorithmen?
Das Menschliche ist unendlich wichtig, und das Analoge ist nicht totzukriegen, allen digitalen Schwärmereien zum Trotz. Logisch: Menschen sind sinnliche Lebewesen.
Sehen. Hören. Schmecken. Riechen. Fühlen.
Die meisten dieser Sinne können nur analog erlebt werden, und die Mehrzahl der Kundenbedürfnisse im HR kann nur «analog» befriedigt werden.
Warum sollte die «Mensch-zu-Mensch-Kommunikation» ausser Kraft gesetzt werden, sobald es darum geht, einen neuen Job zu finden? Den Ort, an welchem man täglich 8 Stunden mit anderen Menschen live zusammen ist?
Mit ihrer Entscheidung, einen anderen Job in einem anderen Umfeld und mit anderen Personen zu suchen und anzunehmen, gehen Menschen ein Risiko ein. Sie haben darum einen Anspruch auf die bestmögliche individuelle Betreuung. Dabei kann die Digitalisierung Chance und Problem gleichzeitig sein. Vieles hängt damit zusammen, wie man sie nutzt: Einseitig zum eigenen Vorteil der Prozessoptimierung? Oder zum Vorteil für Mitarbeiterinnen und Bewerber, indem man sich konsequent die Frage nach dem Kundennutzen stellt und das H in HR in den Fokus des Tuns stellt.
Für diese fünf Inspirationen können Sie getrost auf den digitalen Messias pfeifen:
1. Entrümpeln
Viele Fachspezialisten und Manager im Middle-Management leiden unter «Brown-out». So beschreibt Bestsellerautor David Graeber den Spannungsabfall in vielen Jobs. Schwachsinnige Tätigkeiten, sogenannte Bullshit- Jobs, ausgeführt von bestens ausgebildeten Menschen. Administratoren statt kreative Denker. Grund dafür sind der administrative Wahnsinn und die einengenden Vorgaben und Prozesse, auch mitausgelöst durch die Digitalisierung. Versuchen Sie, den adipösen Regelwerken an den Speck zu gehen. Schaffen Sie wieder mehr Freiheiten und werben Sie mit entschlackten Prozessen, erhöhten Entscheidungskompetenzen und mit der Zahl abgeschaffter Reglemente.
2. Bringen Sie das Lachen zurück in Ihre Organisation
Eine starke Unternehmenskultur ist ein Magnet für das Employer Branding und ein Fluktuationskiller. Lachen ist gesund, weiss der Volksmund, und Studien belegen es. Lachen trägt zur Konfliktlösung bei und erhöht die geistige Flexibilität, es schafft gar neue Denkdimensionen, schreibt Daniel Goleman in seinem Klassiker über emotionale Intelligenz. Starke Argumente gerade auch für den Umgang mit Change und der Digitalisierung. Thematisieren Sie das Lachen in den Stelleninseraten, den Vorstellungsgesprächen und in den Mitarbeitergesprächen. Befördern Sie nur Talente, die Humor haben und das gerne zeigen. Beauftragen Sie das BGM oder OE mit einer Lachstrategie.
3. Schaffen Sie die jährlichen Mitarbeiterbeurteilungen ab
Da arbeitet man an 364 Tagen eng und gut zusammen, dann kommt er: der Tag der Abrechnung. Dann werden Vorgesetzte genötigt, ihre Mitarbeitenden nach Schulnoten zu bewerten. Vernetztes Denken? War okay, eine 3. Teamorientierung: Da gebe ich dir eine 4. Um das Jahresgespräch herum ist ein ganzes Instrumentarium an Vorgaben, Formularen und Controllingsystemen entstanden. Regelmässige Gespräche ja, aber bitte nicht (mehr) so. Schaffen Sie stattdessen eine Gesprächssituation auf Augenhöhe, einen Austausch zwischen zwei erwachsenen Menschen. Und werben Sie konkret damit. Macht noch fast niemand.
4. Machen Sie das Vorstellungsgespräch zum Bewerberdate
Hand aufs Herz: Die meisten Jobinterviews laufen seit Jahrzehnten gleich ab. Orientieren Sie sich doch vermehrt an einem ersten Date: Anreisekosten? Kein Thema, werden übernommen. Parkplatz? Ist reserviert. Die Gesprächsteilnehmer? Wurden mit der Einladung bereits vorgestellt – mit ihren Xing- oder LinkedIn-Profilen oder einem Kurz-CV. Der Tisch? Rund. Die Getränkeauswahl: 10 Getränke, mindestens. Die Agenda (Fragen)? Im Voraus verschickt. Und am Schluss bitten Sie um ein kurzes Feedback – am besten gleich auf Kununu.
5. Sagen Sie au revoir statt tschüss
Der Austritt ist wohl das schwarze Loch unter den Personalprozessen. Bloss weil man anderswo seine Karriere fortsetzt, wird man bisweilen fast schon mit Liebesentzug bestraft. Müsste es nicht auch Offboarding-Programme geben, wo unter anderem die Verabschiedung von den wichtigsten Stakeholdern minutiös geplant ist? Der Ulmer Gastronom Marian Schneider schenkt Mitarbeitenden, die er nur ungern ziehen lässt, zum Abschied einen Rückkehrgutschein – für den Fall, dass die Welt am neuen Ort vielleicht doch nicht ganz so rosig ist wie gedacht.