Psychometrische Testverfahren: Kostenfreie Tools für den HR-Profi
Passende Arbeitshilfen
Psychometrische Testverfahren
Viele HR-Abteilungen setzen psychometrische Testverfahren ein und haben deren Nutzen erkannt. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Maurice Zemp (2023): Zwei Drittel der rund 130 befragten Schweizer Firmen verwenden Persönlichkeitsfragebogen, und rund ein Drittel setzt Intelligenztests für die Personalauswahl ein. In der Personalentwicklung hingegen steht eine vorgelagerte Diagnostik deutlich seltener auf der Prioritätenliste von Verantwortlichen. Dieser Erfahrungswert überrascht nicht, denn die Auswahl geeigneter Verfahren fordert Fachkräfte aus mehreren Gründen heraus. Es gibt mittlerweile eine beachtliche bis unübersichtliche Anzahl von Tools. Einige davon haben mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel und sind veraltet, das Benchmark-Material ist zweifelhaft, oder die deutschen Übersetzungen sind nicht brauchbar. Eine Einschätzung der Qualität in Bezug auf wissenschaftliche Gütekriterien erfordert zudem eine psychometrische Schulung, die den Ressourcenrahmen von Verantwortlichen endgültig sprengen würde.
«Kostet viel, kann viel» gilt nicht
In Anbetracht der beschriebenen Komplexität ist es verlockend, sich an anderen Firmen oder Kolleg:innen zu orientieren (König, Klehe, Berchtold & Kleinmann, 2010). In der Folge kommt es vermehrt zum Einsatz von wissenschaftlich weniger fundierten Persönlichkeitstests. Diese weisen in vielen Fällen zwar eine hohe praktische Akzeptanz auf, eignen sich aber weniger, um die Vielfalt einer Persönlichkeit abzubilden. Hinzu kommt, dass sie mit Preisen von teils mehreren Hundert Franken pro Durchführung oft kostspielig sind. Diese Einschränkungen sind bedauerlich, zumal sorgfältig erstellte und geprüfte Verfahren sowohl bei der Einstellung neuer Mitarbeitenden als auch innerhalb der Personal- und Persönlichkeitsentwicklung von unschätzbarem Wert sind.
Win-win-win: Hier gewinnen alle
Glücklicherweise gibt es inzwischen verschiedene Institutionen und Unternehmen, die sich für Aufklärung engagieren, hilfreiche psychometrische Testverfahren unentgeltlich zur Verfügung stellen und bedacht mit den anfallenden Daten umgehen.1 Doch wie zuverlässig und praxistauglich sind frei verfügbare Verfahren im Vergleich zu etablierten, kostenpflichtigen? Die Antwort ist ermutigend. Mit etwas Engagement finden sich zahlreiche Instrumente, die auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen basieren und von Expert:innen auf dem Gebiet der Psychometrie und der Verhaltenswissenschaften entwickelt wurden. Sie decken ein breites Spektrum von Anwendungsbereichen ab, eignen sich hervorragend für die Vorauswahl von Bewerbenden, als fundierte Grundlage für Einstellungsinterviews oder auch für ein faktenbasiertes Setzen von Beratungsimpulsen.
In diesem Artikel verweisen wir auf vertrauenswürdige Plattformen und empfehlenswerte Tools, die folgenden Kriterien entsprechen: Sie sind leicht zugänglich, verständlich aufbereitet und ressourcenschonend. Des Weiteren verschreiben sie sich hohen Standards und können ortsunabhängig durchgeführt werden. Die sorgfältig aufbereiteten Reports mit Interpretationshilfen stehen rasch bzw. in einigen Fällen sogar unmittelbar zur Verfügung (per Download oder Mailzustellung). So ist ein Praxistransfer ohne lange Wartezeiten gewährleistet. Welche Rückschlüsse aus den Daten gezogen werden, wird transparent gemacht: Sie erhalten entsprechend Informationen darüber, ob die Ergebnisse in Bezug zu einer Normstichprobe gestellt werden oder die Berichterstattung die Resultate der Person spiegelt.
Passende Produkt-Empfehlungen
Personal-, Persönlichkeits- und Teamentwicklung
Im Rahmen von Personalentwicklungsinitiativen stellt sich häufig die Frage nach dem optimalen Einsatz bzw. dem Orchestrieren von Stärken in einem Team. Das Inventar der Stärken VIA-IS der Universität Zürich wurde über viele Jahre weiterentwickelt und greift mit mehreren Millionen Nutzenden weltweit auf eine robuste Vergleichsdatenbank zurück. Es eignet sich wunderbar, um mit wenig Aufwand (Registrierung und Angabe von demografischen Daten innert weniger Minuten über www.charakterstaerken.org) wertvolle Informationen zu erhalten. Diese dienen etwa als Basis für Reflexionsprozesse, Coachings, Entwicklungsvorhaben oder eine stärkenorientierte Lernprozessbegleitung. Die Plattform enthält neben dem Kernstück der Charakterstärkentestung übrigens zahlreiche weitere fundierte psychologische Fragebogen rund um die Themenbereiche Persönlichkeit, Wohlbefinden, Humor, Arbeitserleben und Arbeitsbedingungen.
Laufbahndiagnostik und Karriereplanung
Das Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW hat eine erstklassige Plattform für kostenfreie Testverfahren und Arbeitsmittel geschaffen, die als Basis von Standortbestimmungen oder bei der Planung von Laufbahnschritten einen deutlichen Mehrwert schaffen. Auch hier ist der Zugriff innert Kürze mittels Registrierung unter www.laufbahndiagnostik.ch/fragebogen möglich. Die fundierten Instrumente unterstützen etwa bei der Identifikation von Motiven, beruflichen Interessen und Neigungen (z.B. Karriereorientierung). Auch diverse Persönlichkeitsfragebogen oder Verfahren zur Erhebung des psychologischen Wohlbefindens sind verfügbar. Die jeweiligen Resultate können umgehend heruntergeladen und mit anderen Personen geteilt werden – unabhängig davon, ob diese auch ein Profil besitzen. Da die Plattform eigentlich für Expert:innen aufgebaut ist, sind im Downloadbereich Handbücher für alle Fragebogen frei verfügbar. Möchte eine beratende Person die gesamte Bandbreite an Möglichkeiten nutzen (Normvergleiche, Einsehen der Itemebene etc.), kann diese einen kostenpflichten Account erstellen.
Kognitive Leistungsfähigkeit
Von den von Maurice Zemp befragten Schweizer Firmen nutzen rund 30% Intelligenztests als Personalselektionsinstrument. Ein besonders praxisrelevanter Aspekt bei der Prüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit ist die Verarbeitung von komplexen Zahlen und Daten im wirtschaftlichen Kontext. Die Abteilung Diagnostik der Jörg Lienert AG hat mit dem «FLINK» (Fähigkeit zur Leistung in Informationsverarbeitung bei numerischer Komplexität) ein Instrument entwickelt, welches aktuell in der Beta-Version vorliegt und über folgenden Link aufgerufen werden kann: https://joerglienert.ch/flink. Der Test ermöglicht einen Einblick in die Fähigkeit, praxisnahes Datenmaterial im betriebswirtschaftlichen Kontext (z.B. Reportings von Mitarbeitendenbefragungen oder Verkaufsdaten) richtig zu interpretieren.
Fazit
Psychometrische Testverfahren und Instrumente sind heute für professionell agierende HR-Abteilungen kaum noch wegzudenken. Mit diesem Beitrag plädieren wir für ein kritisches Hinterfragen eines vermeintlichen Zusammenhangs von Kosten und Qualität. Darüber hinaus stellen wir kostenfreie Alternativen für diverse Einsatzgebiete vor. Diese unterstützen Personalverantwortliche ressourcenschonend, ermöglichen diagnostisch gestützte Entwicklungsvorhaben und setzen neue Impulse für Einzelpersonen und Teams. Die vorgestellten Tools sind einfach in Personalprozesse zu integrieren und verständlich sowie transparent aufbereitet. Last, but not least unterstützt jede Durchführung die Forschung bzw. die Weiterentwicklung der jeweiligen Instrumente. Damit stärken alle Beteiligten die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis.
Quellen
Zemp, M. (2023). Zwischen KI und Bauchgefühl: Wie sieht die Personalselektion in Zukunft aus? Masterarbeit Universität Zürich.
König, C. J., Klehe, U.-C., Berchtold, M., & Kleinmann, M. (2010). Reasons for being selective when choosing personnel selection procedures. International Journal of Selection and Assessment, 18, 17-27. doi:10.1111/ j.1468-2389.2010.00485.x (preprint)
Fussnoten
1 Bitte beachten Sie die jeweiligen Datenschutzbestimmungen der im Artikel aufgeführten Plattformen. Diese klären über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf und stellen Transparenz sicher.