Qualität von Assessments: Die Qualität von Beurteilungsverfahren richtig einschätzen
Passende Arbeitshilfen
In der Berufseignungsdiagnostik kommt es häufig zu Verwechslungen zwischen einer reinen Experten/innen-Beurteilung, einem Online-Test und einem professionellen Assessment resp. Assessment Center. Viele gehen irrtümlicherweise auch davon aus, dass es ausreicht, über Führungserfahrung oder schlicht «gewöhnliche» (profunde) berufliche Erfahrungen zu verfügen, um an einem Assessment als Assessorin oder Assessor mitwirken zu können.
Bei einem Assessment (Center) geht es aber nicht wie bei «The Voice», «Deutschland sucht den Superstar» (DSDS) und anderen ähnlichen Show-Formaten in erster Linie darum, dass sich Expertinnen und Experten aus ihrem subjektiven Eindruck und ihrer Berufserfahrung heraus eine Meinung über die beruflichen Perspektiven eines Kandidierenden machen. Es geht um viel mehr.
Ein Assessment ähnelt damit mehr einer medizinischen Abklärung, bei der unterschiedliche Diagnosewerkzeuge wie etwa ein Computertomograph oder eine Blutbildanalyse eingesetzt werden, um eine möglichst zutreffende Diagnose zu stellen oder Eignungsprognose zu formulieren. Allerdings werden bei Assessments keine Störungsbilder oder Krankheiten diagnostiziert, sondern Kompetenzen beurteilt.
Menschliche Urteilsbildung
Wir alle haben das subjektive Gefühl, wir könnten uns gut auf unsere Eindrücke, Wahrnehmungen, Kenntnisse und Erfahrungen verlassen, wenn es darum geht, Entscheidungen zu fällen oder Beurteilungen z.B. über Menschen vorzunehmen.
Doch die Forschung zeigt (leider), dass wir ohne Unterstützung ganz schlecht darin sind, komplexe(re) Beschlüsse zu fassen oder Menschen einzuordnen.
Wie leicht wir beeinflusst werden, zeigt nachfolgendes Gedankenexperiment/Rätsel:
- Ein Baseballschläger und ein Ball kosten im Einkauf zusammen $1.10
- Der Baseballschläger kostet $1.00 mehr als der Ball
- Wie viel kostet der Ball und was ist der Preis des Baseballschlägers?
Finden Sie die richtige Antwort? Viele Menschen antworten intuitiv 10 Cent für den Ball und $1.00 für den Schläger. Die richtige Antwort lautet aber $1.05 für den Schläger und 5 Cent für den Ball. Aber diese Berechnung widerspricht der Art und Weise, wie wir üblicherweise, instinktiv denken.
Sich bei der Beurteilung von Menschen und ihren Eigenschaften vor allem auf subjektive Eindrücke zu verlassen, scheint also genauso fahrlässig wie die Vorstellung, ein/e Pilot/in sollte sich besser auf sein/ihr Gefühl verlassen, wenn es darum geht, eine Boing 747 bei dichtem Nebel und starkem Wind auf einer kurzen Landebahn sicher auf den Boden zu bringen. Nach Luftfahrtexperten/innen schlägt mit 50% nämlich menschliches Versagen als primäre Ursache von Flugzeugabstürzen zu Buche, während als zweitwichtigste Ursache (mit lediglich 20%) maschinelle Defekte genannt werden.
In diesem Zusammenhang sprechen wir von einer sog. klinischen Urteilsbildung, die auf Meinungen von Experten/innen fusst. Dagegen geht es bei der statistischen Urteilsbildung darum, eine Diagnose aufgrund von möglichst objektiv und zuverlässig erhobenen Daten zu formulieren.
Nicht jede Entscheidung lässt sich aber ganz rational fällen bzw. kann einem noch so ausgeklügelten Algorithmus überlassen werden. Es braucht zusätzlich die menschliche «Intuition» oder eben Emotionen, um z.B. eine Präferenzentscheidung fällen zu können. Deswegen können Entscheidungen auch nicht unreflektiert KI-Systemen anvertraut werden.
Insgesamt kann aufgrund des heutigen Kenntnisstands dennoch gesagt werden, dass eine statistische einer klinischen Urteilsbildung (immer) überlegen ist! Oder anders formuliert, macht es im Zweifelsfall Sinn, eher Daten als Meinungen von Experten/innen zu trauen. Dies gilt auch im Assessment oder Assessment Center.
Seminar-Empfehlungen
Wie lässt sich eine Eignung aber prognostizieren?
Wie bei der Wettervorhersage oder Konjunkturprognosen geht es auch in der Berufseignungsdiagnostik darum, die Zukunft aufgrund vorliegender Prädiktoren möglichst zuverlässig vorherzusagen. Hier z.B., ob sich eine Person für einen bestimmten Job eignet oder nicht. Und es ist die Qualität dieser Prädiktoren und deren angemessene Kombination/Gewichtung bei der Interpretation, die darüber entscheiden, wie gut die Prognose schliesslich ausfällt. Also sind hochwertige Daten in Kombination mit einer ausgeprägten Fähigkeit, diese angemessen zu interpretieren, der Schlüssel zum Erfolg.
Ein/e Assessor/in oder besser Berufseignungsdiagnostiker/in muss also einerseits in der Lage sein, Ergebnisse aus wissenschaftlich fundierten Testverfahren zu verstehen (also z.B. wissen, was hinter dem Konzept des «Selbstwertgefühls» steckt) bzw. zu interpretieren. Andererseits muss er/sie auch in der Lage sein, beobachtetes Verhalten möglichst objektiv zu beurteilen.
Schlussendlich muss er/sie auch wissen, wie diese vielen, nicht immer widerspruchslosen Informationen den Anforderungen oder beruflichen Perspektiven zuzuordnen sind, damit Auftraggebende eine gute Erfolgsprognose erhalten. Verlassen wir uns etwa in der Personalauswahl nämlich ausschliesslich auf biografische Daten (z.B. in einem LinkedIn-Profil), den «Ruf» einer Person, Referenzen und ein persönliches Gefühl, wie ich es häufig in der Kadervermittlung beobachte, dann erhöhen wir einfach die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung mit entsprechend kostspieligen Konsequenzen.
Zunehmend stehen auch neue Methoden wie z.B. «Big Data Analytics» zur Verfügung, die es erlauben, das Verhalten von Menschen erstaunlich zuverlässig vorherzusagen, wie dies etwa von der im Jahre 2018 aufgelösten Firma «Cambridge Analytica» auf eine moralisch verwerfliche Art und Weise, etwa bei der Beeinflussung der US-Wahlen (im Jahre 2016), demonstriert wurde.
Qualität von Assessments: Ein Fazit
Zu einem zeitgemässen HR-Management gehören aus meiner langjährigen Erfahrung systematische Eignungsabklärungen unbedingt dazu, denn sie erlauben:
- in Zeiten eines akuten Fachkräftemangels die gezielte Förderung der eigenen Humanressourcen (z.B. im Rahmen professioneller Talentmanagement- und Förderungsprogramme);
- eine Auswahl von Fach- und Führungskräften, die nicht nur in fachlicher Hinsicht gut in die Organisation passen, sondern auch in kultureller Hinsicht eine Bereicherung sind;
- die Implementierung einer HR-Strategie, die dazu beiträgt, sowohl die Fairness bei der Auswahl und Förderung von Mitarbeitenden zu verbessern als auch in Fragen der (nicht nur auf das Geschlecht und die Herkunft beschränkten) Diversität Voraussetzungen zu schaffen, um den Realitäten eines neuen Arbeitsmarktes zu entsprechen.