Assessment-Verfahren: Mit dem Assessment zur optimalen Stellenbesetzung
Passende Arbeitshilfen
Gleichermassen werden sehr häufig Führungspositionen besetzt, ohne dass die Expertise von Spezialistinnen und Spezialisten beigezogen wird. Wird da fahrlässig gehandelt? Welche Verfahren genieren bezüglich einer Anstellung einen Nutzen und überschätzen Entscheidungstragende ihren gesunden Menschenverstand?
Biografie versus Assessment
Führungspersonen werden häufig aufgrund ihrer Biografie hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten beurteilt. Wer schon einmal eine Abteilung mit hundert Personen geführt hat und diese Information prominent im Curriculum Vita positioniert, verfügt sicherlich über einen guten Rucksack an Kompetenzen zur erfolgreichen Erledigung von Führungsaufgaben, welche auch in der neuen Unternehmung zu vergleichbaren Ergebnissen führen könnten. Dies sind oft die Überlegungen hinter der Beurteilung einer Person basierend auf biografischen Daten. Ein solcher Gedankengang hat im Sinne der Stabilitätshypothese, welche postuliert, dass vergangenes Verhalten ein geeigneter Prädiktor für zukünftiges Verhalten ist, seine Berechtigung. Entsprechend tendiert der Mensch zu linearem Denken – obwohl die Welt oft nicht linear funktioniert.
So können auch quereinsteigende Personen ein Führungstalent mitbringen, wobei sie dieses bis anhin jedoch noch nicht zeigen konnten, da sich keine gute Gelegenheit ergab oder weil sich die jeweilige Person diesbezüglich unterschätzt. Solche versteckten Talente werden durch eine Selektion basierend auf lediglich biografischen Daten benachteiligt. Gleichermassen besteht die Gefahr, dass eine Unternehmung eine Führungsperson mit mehr Erfahrungen einstellt, die sich allerdings schon bald als nicht passend für die Stelle erweist, was sich auch finanziell verheerend für die Firma auswirken kann.
Demgegenüber steht ein Assessment, bei welchem biografische Daten eine sekundäre Rolle spielen. Im Rahmen von Assessments werden individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche durch die Erfahrungen in der beruflichen Umwelt geformt wurden, basierend auf realitätsnahen Arbeitssimulationen in einer komplexen sowie stark standardisierten «Laborsituation» ermittelt. Folglich werden Bewerbende umfassend geprüft. Konsequenz davon ist, dass Talente entdeckt, verborgenes Potenzial gefunden oder auch Selbstüber- und Selbstunterschätzung korrigiert werden. In der heutigen Situation, wo vielerorts Führungs- und Fachkräftemangel herrscht und der baldige Abgang der Babyboomer vor der Türe steht, kann diese Art von Potenzialerfassung neue Türen öffnen. Man investiert in eine Person mit grossem Potenzial und wenig Erfahrung. Doch ist eine Testbatterie allein die richtige Lösung?
Ein optimaler Mix zur treffsicheren Potenzialerfassung
Die Antwort lautet natürlich: Jein. Wie so oft bietet sich auch bei der Potenzialerfassung der Mittelweg an. Im Zuge der Eignungsdiagnostik ist es ratsam, biografische Daten und Resultate aus simulativen Verfahren wie Assessments zu betrachten, wobei zweiteres punkto Voraussagekraft besser abschneidet.
Berufliche Erfahrung ist schlechter Prädiktor
Im Sinne der Analyse von biografischen Daten werden in der Selektion oftmals die berufliche Erfahrung berücksichtigt. Van Iddekinge et al. (2019) konnten in ihrer Metaanalyse zeigen, dass eine Berücksichtigung von beruflichen Erfahrungen vor einer etwaigen Anstellung kaum die Arbeitsleistung vorhersagen kann. Warum ist dem so? Der Kontext spielt eine sehr grosse Rolle. Es gibt riesige Unterschiede punkto Firmenkultur, Zusammenarbeitsformen und Werten. Eine Firma hat die stufengerechte Verantwortung bereits weit vorangetrieben, anderswo läuft noch alles über den Schreibtisch des Patrons. Die einen können sich auf zuverlässige Mitarbeitende mit hoher Detailorientierung abstützen, anderswo betreibt die vorgesetzte Person Mikromanagement. In der einen Firma werden fünf Minuten zu viel aufgeschriebene Arbeitszeit als Diebstahl bezeichnet, anderswo wird eine angebrochene halbe Stunde als 30 Minuten deklariert.
Abschlussnoten mehr Vorhersagekraft
Die Abschlussnoten der bewerbenden Person können als guter Prädiktor für die zukünftige Arbeitsleistung beigezogen werden können (z. B. Roth et al., 1996). Wenn jemand in Mathematik eine gute Abschlussnote erzielt hat, dann besteht eine gute Wahrscheinlichkeit, dass diese Person erfolgreich mit Zahlenmaterial umgehen kann. Nachteile der Abschlussnoten sind, dass die Bewertung zeitlich oft weit zurückliegt und für die Beurteilung von Führungspersonen demzufolge nicht mehr aktuell sind. Hinzu kommt, dass Abschlussnoten eher den Erfolg im fachlichen Kontext voraussagen. Ob jemand aber punkto Sozial- und Führungskompetenz am richtigen Platz ist, dazu sagen Abschlussnoten meist wenig aus.
Tests sind gute Prädiktoren
Eigenschaften einer Person, im spezifischen punkto Intelligenz und Persönlichkeit, scheinen gute Prädiktoren für Erfolg zu sein. Schmidt und Hunter (1998) zeigten in ihrer Studie, dass Intelligenz ein geeigneter Prädiktor zur Vorhersage von Arbeitsleistung ist, da diese zu einem raschen Wissenserwerb sowie zu beruflichem Leistungsvermögen führt (Hunter, 1986). Daneben scheinen Persönlichkeitseigenschaften und folglich Persönlichkeitsinventare geeignet zu sein, um berufliche Leistung vorherzusagen (z. B. Hurtz & Donovan, 2000).
Zusammengefasst sind gewisse biografische Daten, simulative Verfahren wie auch Eigenschaften der Person wesentliche Faktoren für die Vorhersage der Berufsleistung, insofern diese richtig beziehungsweise in Kombination eingesetzt werden. Eine alleinige Analyse der Berufserfahrung ist, wie angesprochen, wenig geeignet für eine erfolgreiche Stellenbesetzung. Vielmehr ist es sinnvoll, sich auf elaborierte Tests zu beziehen. In diesem Sinne ist ein «Cocktail» mit verschiedenen Verfahren klar zu bevorzugen, so wie dies in Rahmen eines professionellen Assessments geschieht.
Literaturverzeichnis
Hunter, J. E. (1986). Cognitive ability, cognitive aptitude, job knowledge, and job performance. Journal of Vocational Behavior, 29, 340–362. https://doi.org/10.1016/0001-8791(86)90013-8
Hurtz, G. M., & Donovan, J. J. (2000). Personality and job performance: The Big Five revisited. Journal of Applied Psychology, 85, 869–879. https://doi.org/10.1037/0021-9010.85.6.869
Roth, P. L., BeVier, C. A., Switzer, F. S., III, & Schippmann, J. S. (1996). Meta-analyzing the relationship between grades and job performance. Journal of Applied Psychology, 81, 548–556. https://doi.org/10.1037/0021-9010.81.5.548
Van Iddekinge, C. H., Arnold, J. D., Frieder, R. E., & Roth, P. L. (2019). A meta‐analysis of the criterion‐related validity of prehire work experience. Personnel Psychology, 72, 571–598. https://doi.org/10.1111/peps.12335