Generationenübergreifende Führung: Mit Reverse Mentoring Augenhöhe zwischen den Generationen herstellen

Babyboomer. Gen Z. Beide treffen aufeinander – mit Werten und Zielen, aber nicht immer auf Augenhöhe. Reverse Mentoring ändert dies. Sorgt für Respekt und gegenseitige Anerkennung.

17.09.2024 Von: Brigitte Miller
Generationenübergreifende Führung

OK, Boomer! Echt jetzt, Gen Z?!

Der Arbeitsalltag macht es möglich. Babyboomer trifft auf Gen Z. Gen Z trifft auf Babyboomer. Und dann? Culture Clash. Vielleicht wird in manchen Momenten der Kopf über die andere Generation geschüttelt. Wie keine Überstunden machen? Wie pünktlich nach Hause wollen? Kein Zuhause, keine Familie, nur die Arbeit im Kopf? Viel zu sensibel, versteht keine Witze. Viel zu sexistisch, darüber lach ich nicht. Geht es auch mal ohne Smartphone? Geht es vielleicht mal mit Smartphone? Muss immer nach dem Sinn der Arbeit gefragt werden? Sollte nicht endlich mal nach dem Sinn der Arbeit gefragt werden? 

So viele Vor-Urteile, Klischees und Vorbehalte. Sicher, jede:r hat Erfahrungen mit der anderen Generation gemacht. Erfahrungen, die prägen und das Bild des anderen gestalten. Manchmal positiv. Manchmal, vielleicht zu oft, negativ. Und dies beeinflusst natürlich auch die Zusammenarbeit, den Arbeitsalltag und die Arbeitsatmosphäre. 

Denn, wenn sich viel zu oft nur mit Vorbehalten, gar Skepsis, begegnet wird, entsteht kaum ein Raum für Austausch, Respekt, Toleranz und – ganz wichtig – für das Entdecken der individuellen Schätze, ob diese nun aus Wissen, Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten besteht, die jede:r in sich trägt und zweifelsfrei auch gerne teilen würde. Leider. Da dies ein Verlust für alle Beteiligten ist – und auch für das Unternehmen. 

Raum der Begegnung schaffen mit Reverse Mentoring

Ein neuer Begriff, der zweifelsfrei sofort erste Assoziationen freisetzt. Denn Mentoring kennt jede:r. Da poppt sofort ein Bild auf: Ein Experte, älter, nimmt einen Jüngeren unter seine Fittiche und teilt ihm sein Wissen mit. Reverse, claro, wäre dann eben umgekehrt. Doch weit gefehlt. „Reverse Mentoring heisst nicht, dass lediglich die Jüngeren die Älteren lehren“, so Anastasia Barner, Gründerin von FeMonitor, der ersten Reverse-Mentoring-Plattform Europas, „denn dadurch entstünde erneut ein Gefälle zwischen Generationen. Stattdessen geht es um eine Begegnung auf Augenhöhe, bei der Mentor:in und Mentee voneinander lernen“ (Bock, Mehrgenerationen-Belegschaft: Augenhöhe durch Reverse-Mentoring, Januar 2024, Springer-Online, letzter Zugriff 01.08.2024).

Ein kleiner, aber feiner Unterschied: Voneinander lernen. Ein Unterschied der Anerkennung, Wertschätzung, Respekt und Gleichberechtigung fordert und fördert. Und das Beste: Dies schwappt zweifelsfrei über die eigentliche Reverse Mentoring Begegnung hinaus in den Arbeitsalltag hinein und sorgt für ein „neues“ Miteinander zwischen den Generationen. 

Die Vorteile des Reverse Mentoring entdecken

Hhmm, vielleicht noch nicht überzeugt. Vielleicht poppen eher Bedenken auf wie „Alles gut und schön, ist aber nichts für uns“ oder „Benötigt Zeit und womöglich auch Geld, um dies zu etablieren“. Ja, mag sein. Neues einzuführen, ist stets mit dem Überwinden von Hürden verbunden. Dennoch lohnt es sich – die vielen Vorteile sprechen für sich: 

  • Die Generationen nähern sich an.
  • Generationenübergreifende Projekte gelingen besser.
  • Konflikte durch unterschiedliche „Arbeitsauffassungen“ und Werte verringern sich.
  • Das gegenseitige Verständnis wird erhöht.
  • Die Zusammenarbeit und das Miteinander werden verbessert und gestärkt.
  • Arbeitsabläufe könn(t)en erleichtert werden. 
  • Der Wissensaustausch gelingt optimaler.
  • Zu entdecken: Jeder kann vom anderen lernen, schafft eine Atmosphäre des Respektes und der Wertschätzung.
  • Das Wissen, das jeder mitbringt und einbringt, wird gesehen und anerkannt.
  • Mentoring bzw. Peer-Lernen holt jeden dort ab, wo er/sie wissenstechnisch steht.
  • Themen, wie beispielsweise „Wie tickt TikTok“, können Boomer durch Gen Z begreifen und anwenden lernen.
  • Der Sinn der Arbeit wird gesteigert – nicht nur für Gen Z wichtig.
  • Die Freude an der Arbeit steigt: Ich werde gesehen und kann mich einbringen.
  • Die Bindung zum Unternehmen wird gesteigert. 
  • Die Scheu, nachzufragen und Informationen/Wissen einzufordern, verringert sich: Denn der Kollege ist ebenbürtig – und wird endlich als solcher wahrgenommen.

Reverse Mentoring im Unternehmen: 3 Tipps, wie es gelingt 

Voneinander lernen. Kein Novum. Schliesslich werden neue Mitarbeiter von Kollegen eingewiesen. Und dennoch ein Novum, weil immer wieder mal Wissen und Können ungern geteilt werden. Oder, im schlimmsten Falle, dem anderen – dem Jüngeren – kaum Wissen oder Können zugetraut wird: „Was will der mir schon beibringen können?“

Keine guten Voraussetzungen für Mentoring, schon gar nicht für Reverse Mentoring. Deshalb gilt es einige Weichen zu stellen, damit sich die vielen Vorteile im Unternehmen entfalten können. 

Tipp 1: Reverse Mentoring etablieren

Sie haben sich entschieden. Sie wollen Reverse Mentoring nutzen. Zuerst einmal nur in Ihrem Team und/oder Ihrer Abteilung. Um erste Erfahrungen zu sammeln, bevor es abteilungsübergreifend auch im gesamten Unternehmen eingesetzt werden soll. Überlegen Sie: 

  • In welchen Bereichen sehen Sie ein Reverse Mentoring Potenzial?
  • Welche Unternehmensziele würden von welchem (Reverse) Mentoring profitieren? 
  • Welche Ihrer MitarbeiterInnen, nach einer spontanen Einschätzung, wären dafür aufgeschlossen?
  • Wie bringen Sie die Interessierten zusammen bzw. wie finden diese zusammen? Gibt es eine Intranet-Gruppe, in der jeder seine Interessen und Anfragen für Reverse Mentorin einstellen kann?
  • Wie können Sie Themen aufspüren, die Sie selbst nicht „auf dem Schirm haben“?
  • Wie viel Zeit pro Woche oder pro Monat stellen Sie den beteiligten Mitarbeiter für Reverse Mentoring zur Verfügung – es geschieht ja während der Arbeitszeit?
  • Welchen Raum für den Austausch und das Lernen können Sie zur Verfügung stellen, falls das gewählte Thema des Reverse Mentoring dies erfordert? 
  • Wie können Sie gemeinsam Ziele und Realisierungsschritte vereinbaren? Welche Kontrollpunkte und Ergebniskontrolle sollten vereinbart werden?
  • Wie können Sie sich zurückhalten und gleichzeitig auch signalisieren „Ich bin bei Problemen ansprechbar?“
  • Wie können Sie kontrollieren, ob und in welchen Bereichen Reverse Mentoring auch eigenständig von den Mitarbeitern eingesetzt wird bzw. welche Erfolge es dem Team beschert?

Tipp 2: Reverse Mentoring vorstellen

Ohne Mitarbeiter läuft gar nichts. Denn Ihre Mitarbeiter werden ja zu Mentor:innen und Mentees. Informieren Sie Ihr Team und/oder Ihre Abteilung. Stellen Sie Reverse Mentoring kurz vor: 

  • Erläutern Sie den Sinn.
  • Beschreiben Sie, wie es abläuft: 
    • Einstellen von Wissen, Interessen, Kompetenzen. 
    • Suche bzw. Frage stellen.
    • Mentor finden.
    • Sich für den Austausch und das Voneinander-Lernen treffen. 
    • Mentoring darf während der Arbeitszeit ablaufen – mit vorheriger Absprache. 
  • Besprechen Sie gemeinsam die „Lern-Regeln“, wie „Wir begegnen uns auf Augenhöhe“ oder „Nachfragen ist immer erlaubt“ oder „Keine Frage ist zu dumm“ oder „Durch deine Fragen lerne ich selbst auch etwas“. 
  • Lernergebnisse und Erfahrungen dürfen mit dem Team geteilt werden. 

Tipp 3: Wissen, Kompetenzen und Interessen abfragen 

Zweifelsfrei, Sie werden als Führungskraft einiges über die Kompetenzen und Ressourcen Ihrer einzelnen Mitarbeiter wissen. Viele leiten sich allein schon durch deren Jobfunktion und Aufgabenbereich ab. Dennoch lohnt es sich, einmal im Team und/oder der Abteilung gezielt diese abzufragen. Einfach, um sicherzugehen, dass kein Wissen oder Interesse, das hilfreich sein kann, „übersehen“ wird. Denken Sie auch daran, Hobbies abzufragen. In so manchem Hobby stecken Wissen und Kompetenzen, die auch für das Unternehmen und das Team relevant sein kann. 

Erstellen Sie einen kurzen Fragenbogen – beispielsweise mit folgenden Fragen: 

  • Was sind meine Stärken –beruflich und privat? Beispielsweise kann gut zuhören, denke quer, setze gut Prioritäten. 
  • Welche Kompetenzen besitze ich? Beispielsweise bin besonders fit in Excel.
  • Welche besonderen Aufgaben habe ich in der letzten Woche bzw. dem letzten Monat erledigt? Beispielsweise habe ich zwei PP-Präsentationen erstellt und gehalten.
  • Welche Sprachen spreche ich? Beispielsweise Deutsch, Französisch, Englisch.
  • Worin könnte ich einen Kollegen gut schulen (spontane Ideen)? Beispielsweise wie ich einen Blog schreibe und regelmässig mit Inhalt bestücke. 
  • Was würde ich selbst gerne lernen? Beispielsweise wie ich gelassener mit verärgerten Kunden umgehen kann.
  • Welche Interessen und Hobbies habe ich? Beispielsweise spiele ich immer wieder in einer Amateur-Theatergruppe mit. 

 

Werten Sie die Antworten aus. Fassen Sie einzelne Themenblogs zusammen, wie beispielsweise Sprachen oder IT-Kenntnisse. Falls Sie kein Intranet haben, drucken Sie die Ergebnisse aus. Verteilen Sie diese im Team. Sprechen Sie einzelne Mitarbeiter gezielt an, die Sie für Reverse Mentoring gewinnen möchten. Allen anderen im Team geben Sie eine Woche Zeit, um für sich zu entscheiden, welches Mentoring für sie interessant wäre. Klären Sie den Bedarf. Besprechen Sie, wie, wann und wo das Mentoring stattfinden kann. Und dann – legen Sie los. 

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