Krankheit und Lohnansprüche: Ohne Arbeit kein Lohn
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Gründe für die Arbeitsverhinderung und deren Auswirkungen auf Krankheit und Lohnansprüche
Krankheit und Lohnansprüche sind zentrale Themen im Arbeitsrecht, die klare Regelungen und Voraussetzungen für die Lohnfortzahlung bei Arbeitsverhinderung erfordern.
Als wichtigste Voraussetzung bestimmt das Gesetz, dass der Grund, welcher zur Arbeitsverhinderung führt, in der Person des Arbeitnehmers liegen muss. Andere Verhinderungsgründe, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen (Stau zum Beispiel oder Gründe, für die der Arbeitgeber verantwortlich ist), fallen nicht unter diese Bestimmung.
Das Gesetz nennt als Verhinderungsgründe Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten (insbesondere Militärdienst) sowie die Ausübung eines öffentlichen Amtes. Im Rahmen dieses Beitrages beschränken wir uns auf die Verhinderungsgründe Krankheit und Unfall.
Mindestdauer der Anstellung als Voraussetzung
Ein Arbeitgeber soll erst dann für eine Arbeitsunfähigkeit seines Angestellten aufkommen müssen, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens drei Monate gedauert hat oder von Anfang an für mehr als drei Monate eingegangen worden ist. Diese Mindestdauer wird Karenzfrist genannt. Für die häufigsten Arbeitsverträge, nämlich die unbefristeten mit einer Probezeit, heisst das, dass die Lohnfortzahlungspflicht erst am 1. Tag des 4. Anstellungsmonats einsetzt. Bei befristeten (nicht ordentlich kündbaren) Arbeitsverträgen mit einer Dauer von mehr als drei Monaten greift die Lohnfortzahlungspflicht hingegen bereits ab dem 1. Anstellungstag. Dasselbe gilt bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag ohne Probezeit mit einer erstmaligen ordentlichen Kündigungsmöglichkeit auf einen Termin nach Ablauf der Karenzfrist. Das Gesetz knüpft die Rechtsfolge allein an das Kriterium der zeitlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses an. Das heisst, die Regelung gilt für Teilzeitarbeitsverträge genau gleich.
Unverschuldete Verhinderung?
Das wird immer dann angenommen, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nicht mit einem Verhalten herbeigeführt hat, welches Personen normalerweise im eigenen Interesse unterlassen würden. Vor einiger Zeit urteilte ein Thurgauer Gericht etwa, dass die Arbeitsunfähigkeit eines Vaters, der zuerst die Kinder des Nachbarn verprügelt hatte und danach von deren Vater dasselbe einkassierte, selbstverschuldet sei. Sein Arbeitgeber schuldete keine Lohnfortzahlung.
Allzu hohe Anforderungen werden an dieses Kriterium aber nicht gestellt. Wer einen über den Durst trinkt und danach aus dem Pub strauchelt und hinfällt, ist am Folgetag immer noch unverschuldet arbeitsunfähig. Seine Verfehlung wird als leicht bis mittel eingestuft, was durchgeht. Auch Alkohol-und Drogensucht werden heute allgemein als Krankheiten anerkannt, und eine Entziehungskur ist eine lohnfortzahlungspflichtige Verhinderung. Psychische Erkrankungen und die Folgen eines Selbstmordversuches dürfen ebenfalls nicht als selbstverschuldet qualifiziert werden. Bei Krankheiten kann generell nur dann von Selbstverschulden gesprochen werden, wenn ein Arbeitnehmer sich einer anerkannten medizinischen Behandlungsmethode verweigert oder klare ärztliche Anordnungen missachtet. Die Krux an der Geschichte ist indessen, dass Sie als Arbeitgeber derlei Handlungen nachweisen müssten. Dazu dürften Sie aber regelmässig über keine ausreichenden Informationen verfügen.
Es folgt die Frage, ob es sich bei der Arbeitsverhinderung um einen Unfall oder um eine Krankheit handelt.1
Arbeitsunfähigkeit infolge eines Unfalls: Die Unterscheidung ist deshalb wesentlich, weil alle Arbeitnehmer obligatorisch gegen Unfall versichert werden müssen. Die Unfallversicherung übernimmt ab dem dritten Tag der Arbeitsverhinderung das Taggeld in der Höhe von 80% des versicherten Lohnes. So weit, so gut.
Arbeitsunfähigkeit infolge einer Krankheit: Etwas sorgfältiger muss die Situation im Falle einer Arbeitsverhinderung wegen Krankheit angeschaut werden. Denn hier sind zwei Konstellationen klar zu unterscheiden, die in der Praxis aber ständig durcheinandergebracht werden. Dabei ist die Frage eigentlich ganz einfach:
«Haben Sie für Ihre Mitarbeiter eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen, ja oder nein?»
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Krankentaggeldversicherung vorhanden
Falls ja:
- Holen Sie die Police hervor und melden Sie den Schaden an bzw. tragen Sie dem Mitarbeiter auf, den Schaden anzumelden. Es schadet nicht, ihn auf seine Mitwirkungspflichten gegenüber der Versicherung aufmerksam zu machen. Denn wenn er diesen Pflichten gegenüber der Versicherung nicht nachkommt und diese daraufhin die Leistung verweigert, klopft er sicher wieder an Ihrer Türe an. Sie können sich von der Lohnfortzahlung aber nur dann distanzieren, wenn Sie nachweisen können, dass der Mitarbeiter von seinen Pflichten und Obliegenheiten der Versicherung gegenüber wusste. Es ist empfehlenswert, ein Merkblatt über die Modalitäten der Taggeldversicherung zu erstellen und allen Mitarbeitern – am besten gegen Unterschrift – abzugeben und zudem auf einem allfälligen Intranet Ihres Unternehmens zugänglich zu halten.
- Die meisten Arbeitgeber vereinbaren Wartefristen von bis zu 60 Tagen Dauer, bevor die Krankentaggeldversicherungsleistungen einsetzen. Damit kann das Prämienvolumen substanziell gesenkt werden. Genauso häufig wird aber vergessen, im Arbeitsvertrag zu regeln, wie hoch die Lohnfortzahlung während der Dauer dieser Wartefrist sein soll. Hier liegt einiges an Optimierungspotenzial brach.
Sofern Sie eine Krankentaggeldversicherung für Ihre Mitarbeiter abgeschlossen haben, regelt sich der Schadensfall dann insofern von alleine, als Sie sich nicht mehr mit Fragen wie «Wie lange dauert die Lohnfortzahlungspflicht?» herumschlagen müssen. Sie können namentlich die bekannten «Skalen» vergessen, welche die Gerichtspraxis entwickelt hat, um die Dauer der Lohnfortzahlung in den Fällen, in denen keine Versicherungslösung gewählt worden ist, zu schätzen. Ihr Merksatz heisst also: Keine Skalen, wenn Versicherung – oder umgekehrt.
Die meisten Taggeldversicherungen sehen eine maximale Leistungsdauer von 720 oder 730 Tagen innerhalb von 900 Tagen für einen Schadenfall vor. Sie werden später sehen, dass Versicherungslösungen damit die Skalen deutlich überdauern. Etwas ausgeglichen wird die längere Leistungsdauer mit einer Lohnreduktion auf 80%, welche allein unter dem Regime des OR nicht zulässig wäre. In-gesamt wird so eine gleichwertige Ersatzlösung zum gesetzlichen Anspruch geschaffen, was die Voraussetzung für ihre Gültigkeit ist (siehe Art. 324a Abs. 4 OR). Die Schlaumeier AG sollte also nicht auf die Idee kommen, eine Billigversicherung mit einer wesentlich verkürzten Leistungsdauer und/oder tieferem Taggeld als 80% abzuschliessen, um kurzfristig Prämien einzusparen. Eine solche Regelung wäre nicht gleichwertig, weshalb der gesetzliche Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber der Schlaumeier AG dadurch nicht aufgehoben würde.
Keine Krankentaggeldversicherung = Lohnfortzahlung gemäss OR
Falls Sie keine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen haben, richtet sich die Lohnfortzahlungspflicht allein nach dem OR, namentlich nach Art. 324a OR.2
a) Berner, Zürcher, Basler Skala – Dauer der Lohnfortzahlungspflicht
Art. 324a OR statuiert, dass der Arbeitgeber den Lohn für eine beschränkte Zeit weiter zu bezahlen hat (...).
Für den Arbeitgeber sind Formulierungen wie «für eine beschränkte Zeit» natürlich wenig hilfreich. Daher hat die Gerichtspraxis im Laufe der Jahrzehnte Skalen entwickelt, welche zwar nicht in Stein gemeisselt (im begründeten Einzelfall kann also davon abgewichen werden), aber doch sehr weit verbreitet sind.
Es handelt sich dabei um die Berner, die Zürcher und die Basler Skala. Nehmen Sie einen Verweis auf die in Ihrem Kanton angewendete Skala in den Arbeitsvertrag auf.
Die Skalen bemessen die Dauer der Lohnfortzahlung anhand der bereits absolvierten Dienstjahre wie folgt:
Zürcher Skala (ZH, TG, SH) | |
---|---|
1. Dienstjahr | 3 Wochen |
2. Dienstjahr | 8 Wochen |
3. Dienstjahr | 9 Wochen |
4. Dienstjahr | 10 Wochen |
usw., immer Anzahl Dienstjahre plus 6 (ausg. 1. Dienstjahr immer Anzahl Dienstjahre plus 6) |
Basler Skala (beide Basel) | |
---|---|
1. Dienstjahr | 3 Wochen |
2.–3. Dienstjahr | 9 Wochen |
3.–10. Dienstjahr | 13 Wochen |
11.–15. Dienstjahr | 17 Wochen |
16.–20. Dienstjahr | 22 Wochen |
ab 21. Dienstjahr | 26 Wochen |
Berner Skala (alle anderen Kantone) | |
---|---|
1. Dienstjahr | 3 Wochen |
2. Dienstjahr | 1 Monat |
3.–4. Dienstjahr | 2 Monate |
5.–9. Dienstjahr | 3 Monate |
10.–14. Dienstjahr | 4 Monate |
usw. |
Das Dienstjahr berechnet sich immer ab dem Datum des Stellenantritts und deckt sich damit nicht (immer) mit dem Kalenderjahr.
FUSSNOTEN
1 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, auch noch die anderen Verhinderungsgründe wie die Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder die Lohnfortzahlung bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes zu beleuchten. Hier geht es allein um Krankheit und um Unfall.
2 Vorsicht. Falls Ihr Betrieb einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt ist, ist der Abschluss einer Krankentaggeld-versicherung möglicherweise Pflicht. Bei Unterlassung kann der Arbeitgeber zur Leistung der Lohnfortzahlung gemäss den hypothetischen Versicherungskonditionen verpflichtet werden.
Hinweis
Haben Sie im Arbeitsvertrag an eine Regelung der Lohnfortzahlungsansprüche während der Wartezeit gedacht?
- Wenn keine arbeitsvertragliche Regelung eine reduzierte Lohnzahlung während der Wartefrist erlaubt, ist weiter der normale Lohn inkl. Provisionen, Naturallohnanteilen und dergleichen zu leisten. Eine Kürzung auf 80% des Lohnes (analog der später einsetzenden Krankentaggelder) ist, anders als bei einem Unfall, ohne vertragliche Grundlage nicht zulässig. Vom Lohn während der Wartefrist sind ausserdem die Sozialversicherungsleistungen abzuführen (was für die Krankentaggeldleistungen nicht gilt).
- Ganz wichtig: Im schriftlichen Arbeitsvertrag müssen unbedingt die Eckwerte der Versicherungslösung aufgeführt werden. Ein einfacher Hinweis, es bestehe eine Krankentaggeldversicherung, reicht nicht aus. Es muss aufgeführt sein, welche Leistungen in welcher Höhe für welchen Zeitraum erbracht werden, wie lange die Wartefrist ist, wie die Prämien aufgeteilt werden und dass die Krankentaggeldversicherung an die Stelle der gesetzlichen Lohnfortzahlung des Arbeitgebers tritt. Achten Sie auf eine genaue Formulierung dieser Punkte. Am besten, Sie lassen durch einen auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt oder eine Anwältin redigieren. Unklarheiten können sich rasch zu Ihren Ungunsten auswirken und schlimmstenfalls bedeuten, dass Sie in Fällen, in denen die Versicherung nicht bezahlt, den Lohn zu 80% während 720 Tagen erbringen müssen. Die Gerichte sind in diesem Punkt streng! Fehlen diese Eckwerte, befreien Sie sich mit der Kran-kentaggeldversicherung nicht von der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht – das heisst, der gesetzliche Anspruch des Arbeitnehmers geht trotz Versicherungsleistungen nicht unter und der Arbeitnehmer könnte beides einfordern! Unschön – und leicht zu vermeiden.
- Bei sehr lange andauernder Arbeitsunfähigkeit kann eine Beitragslücke in der Altersvorsorge (AHV) entstehen, weil die Leistungen der Kran-kentaggeldversicherung nicht sozialversicherungsbeitragspflichtig sind. Machen Sie Ihren Mitarbeiter auf dieses Risiko aufmerksam, sodass er sich beraten lassen und gegebenenfalls den Mindestbeitrag einbezahlen kann, um eine Beitragslücke zu verhindern.
Eine transparente Kommunikation und ein fundiertes Verständnis der rechtlichen Grundlagen sind essenziell, um Missverständnisse und Konflikte im Zusammenhang mit Krankheit und Lohnansprüche zu vermeiden.