Entlassung von Geschäftsleitungsmitgliedern: Bestehende und neue rechtliche Grundlagen

Geschäftsleitungsmitglieder in einer Gesellschaft oder in Vereinen und Stiftungen sind üblicherweise mit einem Arbeitsvertrag nach Art. 319 ff OR. tätig. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses birgt jedoch einige Tücken. Durch die Verknüpfung mit dem Gesellschaftsrecht sind diverse weitere Bestimmungen zu beachten, welche im «normalen» Arbeitsverhältnis keine Rolle spielen. Zudem führen Neuerungen in der Rechtsprechung und der Gesetzgebung aus dem Jahr 2021 zu Anpassungen, welche bei der Entlassung von Geschäftsleitungsmitgliedern fortan zu beachten sind.

03.05.2022 Von: Fabia Struss, Nicole Vögeli
Entlassung von Geschäftsleitungsmitgliedern

Rechtsverhältnis der Geschäftsleitungsmitglieder

Geschäftsleitungsmitgliedern kommen innerhalb der Arbeitgeberin zwar aufgrund ihrer leitenden Stellung regelmässig weitrechende Kompetenzen bei der Findung und Umsetzung von Entscheiden zu, sie sind jedoch in der Regel gegenüber der Arbeitgeberin bzw. dem Verwaltungsrat, Vorstand, Stiftungsrat etc. nach wie vor weisungsgebunden. Solange eine Subordination vorliegt, ist von einem Arbeitsverhältnis zwischen den Geschäftsleitungsmitgliedern und der AG auszugehen, und es gelten für das Vertragsverhältnis die üblichen arbeitsrechtlichen Bestimmungen nach Art. 319 ff OR.

Von einem Auftragsverhältnis oder einem Vertrag sui generis wird hingegen ausnahmsweise ausgegangen, wenn es am genannten Subordinationsverhältnis fehlt, beispielsweise, wenn Geschäftsleitungsmitglieder die Gesellschaft wirtschaftlich beherrschen. Dies dürfte jedoch nur in Ausnahmefällen gegeben sein.

Arbeitsrecht vs. Gesellschafts-/ Vereins-/Stiftungsrecht

Neben den arbeitsrechtlichen Bestimmungen müssen die gesellschaftsrechtlichen Normen beachtet werden. Obwohl unbestritten ist, dass das arbeitsrechtliche und das gesellschaftsrechtliche Verhältnis des Geschäftsleitungsmitglieds zur Gesellschaft eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen, wird die Frage, inwieweit von zwei verschiedenen, klar voneinander abzugrenzenden Rechtsverhältnissen auszugehen ist, uneinheitlich beantwortet. Das Bundesgericht geht in seiner Rechtsprechung von einem arbeits- und gesellschaftsrechtlichen Doppelverhältnis aus, welches zwar in einer engen Wechselbeziehung steht, jedoch in Bezug auf Entstehung, Wirkung und Auflösung klar auseinanderzuhalten ist. Diese Rechtsprechung wird in der Lehre zu Recht teilweise kritisiert, da sie zu unhaltbaren Ergebnissen führen kann und unnötige Probleme schafft. Würde der bundesgerichtlichen Rechtsprechung konsequent gefolgt, könnten vermehrt Situationen geschaffen werden, in denen beispielsweise das gesellschaftsrechtliche Verhältnis aufgelöst wäre, jedoch das Arbeitsverhältnis noch bestünde und vice versa. In der Praxis ist es denn zu empfehlen, das Verhältnis des Geschäftsleitungsmitglieds zur Gesellschaft einheitlich zu betrachten, wobei sowohl die arbeitsrechtlichen wie auch die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zu beachten sind.

Bei Vereinen demgegenüber wird dann ein Auftragsverhältnis angenommen, wenn es sich um ehrenamtliche, unentgeltliche Tätigkeiten handelt. Bei Stiftungen ist mit der Stiftungsurkunde und dem Stiftungsreglement zu prüfen, welche Rechte und Pflichten bezüglich Geschäftsführung und Verwaltungsorganen bestehen. Dies wiederum bildet Grundlage für die Qualifikation des Vertragsverhältnisses.

Zuständigkeit zur Abberufung

Die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen halten bereits bei der Anstellung bzw. Entlassung von Geschäftsleitungsmitgliedern bestimmte Vorgaben bereit. Gemäss Art. 705 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 716a Abs. 1 Ziff. 4 OR können Geschäftsleitungsmitglieder lediglich durch den Verwaltungsrat bestellt und abberufen werden. Es handelt sich dabei um unübertragbare Aufgaben des Verwaltungsrats (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 4 OR), sodass beispielsweise eine Delegation an die Generalversammlung nicht zulässig ist. Hingegen ist es gemäss Bundesgericht zulässig, Wahl und Abwahl der dem Verwaltungsrat nicht direkt unterstellten, d.h. «tieferen», Geschäftsleitungsmitglieder an die Geschäftsleitung zu delegieren. Ebenso liegt bei der Genossenschaft die Abberufung von Geschäftsführern in den Händen der Verwaltung (Art. 898 Abs. 1, Art. 905 OR). Bei Vereinen und Stiftungen ist den Statuten bzw. der Stiftungsurkunde sowie dem Stiftungsreglement zu entnehmen, ob der Vorstand bzw. der Stiftungsrat Geschäftsführer etc. ernennen darf. Ist dies der Fall, sind Vorstand oder Stiftungsrat auch für die Abberufung zuständig.

Grundsätzlich sind die arbeitsrechtliche Kündigung und die gesellschaftsrechtliche Abberufung der Geschäftsleitungsmitglieder trotz ihrer engen Verknüpfung auseinanderzuhalten und jeweils gesondert zu betrachten. Dennoch muss bei der Entlassung von Geschäftsleitungsmitgliedern zuerst der Beschluss des zuständigen Organs der Gesellschaft, des Vereins oder der Stiftung auf Abberufung vorliegen, da ansonsten gar nicht (formell) korrekt arbeitsrechtlich gekündigt werden kann. Eine arbeitsrechtliche Kündigung ohne vorangehenden Beschluss wäre nichtig.

Verletzung von Treuepflichten

Da nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein arbeits- und gesellschaftsrechtliches Doppelverhältnis vorliegt, ist auch klar zwischen den arbeits- und gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten zu unterscheiden. Eine schwere Verletzung von arbeitsrechtlichen Treuepflichten kann nach Art. 337 OR zu einer fristlosen Kündigung führen; eine Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten zieht Schadenersatzansprüche gestützt auf Art. 717 Abs. 1 OR nach sich. Zentral ist, dass eine sorgfaltswidrige Handlung eines Geschäftsleitungsmitglieds nicht zwingend beides erfüllen muss. Eine bestimmte Handlung kann zwar stark gegen die Interessen der Gesellschaft gerichtet sein, jedoch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses lediglich eine leichte Pflichtverletzung darstellen. In einem solchen Fall kann Geschäftsleitungsmitgliedern nicht gestützt auf Art. 337 OR fristlos gekündigt werden. Umgekehrt löst eine schwere arbeitsrechtliche Pflichtverletzung nicht zwingend eine Schadenersatzpflicht aus.

Alterskündigung (Praxisänderung Bundesgericht)

In der Vergangenheit statuierte das Bundesgericht in mehreren Entscheiden eine erhöhte Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden gegenüber älteren und langjährigen Mitarbeitenden. Mit dieser Rechtsprechung schränkte es die im schweizerischen Arbeitsrecht grundsätzlich geltende Kündigungsfreiheit stark ein. Mit Urteil vom 2. Juni 2021 hielt das Bundesgericht bezüglich Geschäftsleitungsmitgliedern fest, dass das Interesse der Arbeitgeberin an der Kündigungsfreiheit (äusserst) hoch zu gewichten sei, zumal Geschäftsleitungsmitglieder über eine erhebliche Entscheidungskompetenz, eine grosse Verantwortung und einen hohen Lohn verfügten. Langjährige Geschäftsleitungsmitglieder im fortgeschrittenen Alter profitieren dementsprechend grundsätzlich nicht mehr von einer erhöhten Fürsorgepflicht seitens der Arbeitgebenden. Darüber hinaus hielt das Bundesgericht bezüglich Alterskündigungen im Allgemeinen fest, dass die Kategorie der älteren Arbeitnehmenden keinen besonderen Schutz geniesse, sondern wie in allen Fällen eine einzelfallbezogene Gesamtwürdigung stattzufinden habe. Damit hat das Bundesgericht die bis anhin geltende Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden bei älteren, langjährigen Arbeitnehmenden äusserst stark relativiert bzw. effektiv aufgehoben.

Ad-hoc-Publikation (Neuerungen)

Bis anhin galt ein Wechsel in der Geschäftsleitung (und des Verwaltungsrats) als per se kursrelevant und war somit in jedem Fall publikationspflichtig. Per 1. Juli 2021 trat eine Revision der Regularien der SIX Swiss Exchange zur Ad-hoc-Publizität und Corporate Governance in Kraft, mit welcher die bisherige Praxis beendet wurde, alle Änderungen im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung per se als kursrelevant zu bezeichnen. Eine Publikation von Wechseln in der Geschäftsleitung ist somit nicht mehr in jedem Fall vorzunehmen, sondern nur noch, wenn diese effektiv eine erhebliche Kursrelevanz aufweisen können. Dies ist vom Emittenten nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden. Ob in der Praxis damit tatsächlich eine Erleichterung in der Handhabung eintreten wird, ist fraglich. Schliesslich ist schwierig abzuschätzen, welche personellen Veränderungen tatsächlich als erheblich kursrelevant zu bezeichnen sind. Im Zweifel muss daher publiziert werden.

Abgangsentschädigungen (geplante Neuerungen)

Regelmässig werden im Rahmen von Aufhebungsvereinbarungen Abfindungen offeriert. Bei börsenkotierten Gesellschaften sind Abgangsentschädigungen, die vertraglich vereinbart oder statutarisch vorgesehen sind, unzulässig (VegüV 20). Es ist grundsätzlich nicht zulässig, im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsvertrags pauschale Zahlungen zu entrichten, die weder eine Leistung entgelten noch einen Nachteil kompensieren. Mit der Aufhebungsvereinbarung verzichtet das Geschäftsleitungsmitglied jedoch auf den Kündigungs- und Sperrfristenschutz, was für ihn bzw. sie einen Nachteil bedeutet und gestützt auf Art. 341 Abs. 1 OR ohne Gegenleistung nichtig ist. Nicht grundsätzlich unzulässig, aber im Einzelfall zu beurteilen sind somit in der Aufhebungsvereinbarung festgehaltene Vergleichszahlungen.

In diesem Zusammenhang festzuhalten ist, dass voraussichtlich 2023 die VegüV-Bestimmungen ins schweizerische Obligationenrecht überführt und teilweise angepasst werden sollen. Insbesondere wird Art. 735c revOR (VegüV 20) künftig zusätzlich vorsehen, dass auch Entschädigungen aufgrund eines geschäftsmässig nicht begründeten nachvertraglichen Konkurrenzverbots unzulässig sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung Entschädigungen aufgrund eines nachvertraglichen Konkurrenzverbots, welches im Interesse der Gesellschaft liegt, wohl zulässig sind.

Ablauf der Entlassung von Geschäftsleitungsmitgliedern (Aktiengesellschaft, analog Übrige)

  1. Einberufung VR-Sitzung
  2. Traktandum: Abberufung/Kündigung GL-Mitglied
  3. VR-Sitzung
    a. Beschluss über Abberufung/Kündigung
    b. Beschluss über Offerte Aufhebungsvereinbarung
    c. Achtung: Beschluss ist formell korrekt zu fällen und zu protokollieren.
  4. Ausformulierung Kündigung und Zustellung/Übergabe an GL-Mitglied (Achtung: Zuständigkeit zur Aussprache der Kündigung einhalten. Allenfalls Unterbreitung Aufhebungsvereinbarung mit Fristansetzung zur Annahme.)
  5. Ad-hoc-Publikation bei börsenkotierten Gesellschaften
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