Unterschied Auftrags- und Arbeitsverhältnis: Abgrenzungen in neuen Arbeitsformen
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Entwicklungen der Arbeitswelt und ihre Auswirkungen
Neue Formen der Arbeit und Zusammenarbeit lassen die Grenzen zwischen Arbeits- und Auftragsverhältnissen immer fliessender erscheinen. Gemeint ist damit, dass immer mehr Menschen als Freelancer oder Selbstständige arbeiten, ihre Arbeitsleistung über Plattformen anbieten, als Crowdworker oder digitale Nomaden tätig sind. Damit verbunden sind Phänomene und Entwicklungen wie eine zunehmende Flexibilisierung von Ort und Zeit, eine Dehierarchisierung am Arbeitsplatz, Tendenzen zur Selbstorganisation der Arbeitenden, aber auch die zunehmende Nutzung der Angebote von Plattformarbeiten.1
Unter örtlicher und zeitlicher Flexibilisierung ist beispielsweise zu verstehen, dass sich die Vertragsparteien eines Arbeitsverhältnisses während der Arbeit häufig nicht mehr am selben Ort oder in derselben Zeitzone aufhalten. Dies schränkt natürlich auch die Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers bzw. den Zugriff des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer stark ein.
Es ist festzustellen, dass durch diese und ähnliche Phänomene sich die Formen der Zusammenarbeitsverhältnisse – an dieser Stelle wird bewusst der terminus technicus des «Arbeitsverhältnisses » vermieden – nachhaltig verändern, weil sie immer häufiger und in vielfältiger Weise vom klassischen Arbeitsvertrag abweichen. Isabelle Wildhaber und Frédéric Barth bezeichnen diese Entwicklungen sicher nicht zu Unrecht als «strukturelle Veränderungen im Arbeitsverhältnis»,2 die auch aus meiner Sicht unumkehrbar sind und nachhaltig ihre Spuren hinterlassen werden, auch wenn sich manch bekannte Unternehmen immer wieder medienwirksam als Homeoffice-kritisch inszenieren.
Die Herausforderung besteht jetzt und in Zukunft darin, ein Arbeitsverhältnis von einem Auftragsverhältnis abzugrenzen, da das Recht bisher eine eindeutige Zuordnung verlangt. Dies stellt Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor immer grössere Herausforderungen, da die gelebten Realitäten kaum mehr zu qualifizieren sind. Hinzu kommt die Herausforderung, dass sich Zivilrecht und Sozialversicherungsrecht teilweise auch in ihrer Zuordnung unterscheiden. Was aus zivilrechtlicher Sicht als Auftragsverhältnis qualifiziert wird, kann nach dem Sozialversicherungsrecht, das für einen hohen sozialen Schutz zum Schutz der schwächeren Partei eintritt, dennoch ein Arbeitsverhältnis darstellen.
Aus diesen Gründen ist im Folgenden darzulegen, worin sich diese beiden Rechtsverhältnisse unterscheiden.
Unterschied Auftrags- und Arbeitsverhältnis: Kriterien zur Unterscheidung
Bei einem Arbeitsverhältnis handelt es sich um ein befristetes oder unbefristetes Dauerschuldverhältnis, bei dem die eine Partei zur Leistung von Arbeit und die andere zur Vergütung dieser Arbeitsleistungen verpflichtet ist.3 Damit unterscheidet sich das Arbeitsverhältnis aber noch nicht zwingend vom Auftragsvertrag, denn auch bei diesem handelt es sich ebenfalls zumeist um einen Austausch von Arbeit gegen Geld. Daher hat sich historisch die besondere Gewichtung der Subordination als eines der wesentlichsten Begriffsmerkmale eines Arbeitsverhältnisses zur Unterscheidung von anderen Vertragsverhältnissen, insbesondere dem Auftragsvertrag, herauskristallisiert.4
Subordination im rechtlichen Sinne bedeutet, dass sich der Arbeitnehmer in eine fremde Arbeitsorganisation eingliedert und der Arbeitgeber selbstverständlich zur Erteilung von Weisungen gegenüber dem Arbeitnehmer befugt ist.5 Die Rechtspraxis hat zur Beurteilung dessen verschiedene Indizien herausgearbeitet, die häufig für die Beurteilung des Grads der Subordination beigezogen werden können und damit als Indizien für und gegen ein Arbeitsverhältnis bzw. einen Auftrag dienen:
Vereinbarung und Gewährung von typischen arbeitsvertraglichen Rechten und Pflichten
Wenn die Parteien arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten vereinbaren, wie beispielsweise die Gewährung von Ferientagen, Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, nachvertragliches Konkurrenzverbot oder Spesenersatz, dann wächst die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Vertragsverhältnis ebenfalls tendenziell als Arbeitsverhältnis eingestuft wird.6
Finanzielle Ab- bzw. Unabhängigkeit
Für den Unterschied Auftrags- und Arbeitsverhältnis wird häufig der Grad der finanziellen Abhängigkeit herangezogen. Erhält eine Person von einem Unternehmen nur Geldzahlungen, und verfügt sie über keine weiteren Einnahmequellen, so ist sie finanziell vollständig von diesem Vertragspartner abhängig, sodass eher von einer Weisungsgebundenheit oder Unterordnung gegenüber diesem Vertragspartner auszugehen ist.
Dieses Unterscheidungskriterium kann jedoch aufgrund der Möglichkeit von mehreren Teilzeitarbeitsverhältnissen relativiert werden. Dies zeigt, dass auch ein Arbeitnehmer über verschiedene Einnahmequellen verfügen kann und es sich trotzdem um ein Arbeitsverhältnis handelt.7
Nichtsdestotrotz deutet ein hohes Mass an finanzieller Abhängigkeit von nur einer Einnahmequelle eher auf ein Arbeitsverhältnis als auf ein Auftragsverhältnis hin.
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Tragung des Unternehmens- oder Betriebsrisikos
Traditionell unterscheidet den Arbeitnehmer vom Unternehmer, dass der Arbeitnehmer kein Betriebsrisiko zu tragen hat. Dieses Kriterium ist zumindest für die Sozialversicherungen von zentraler Bedeutung. Im zivilrechtlichen Kontext gerät es jedoch zunehmend unter Druck, da hier das unternehmerische Risiko gerne auf die Arbeitnehmer abgewälzt wird, z. B. durch kreative Lohngestaltung oder die Nutzung von Plattformen, und damit ebenfalls an Eindeutigkeit verliert.8
Selbstständige Gestaltung von Erfüllungsort und -zeit
Darunter ist zu verstehen, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Weisungsgebundenheit nicht selbst über Ort und Zeit der Arbeitsleistung entscheiden kann. Der Arbeitgeber bestimmt, wann und von wo aus der Arbeitnehmer seine Pflichten zu erfüllen hat. Im Vergleich dazu kann ein Auftragnehmer über die tatsächliche Arbeitsorganisation frei verfügen, wann und von wo er die Arbeitsleistung erbringt, bleibt ihm oder ihr überlassen.
Dieser Aspekt spielt meines Erachtens grundsätzlich eine immer weniger gewichtige Rolle.9 In Zeiten von Selbstorganisation, Workations, Homeoffice und mobiler Arbeit kann auch der Arbeitnehmer immer mehr und immer öfter über Ort und Zeit seiner Arbeitsleistung bestimmen – allerdings nur dann, wenn der Arbeitgeber diese Freiheiten auch zulässt. Hier liegt wohl der wesentliche Unterschied – im Arbeitsverhältnis bedarf es der Zustimmung des Arbeitgebers, bzw. es besteht kein Rechtsanspruch auf Homeoffice. Im Arbeitsverhältnis ist der Arbeitnehmer also auf die Zustimmung des Arbeitgebers angewiesen, was bei einem Auftragnehmer in der Regel nicht der Fall ist.
Eigener Auftritt gegen aussen (Webseite, E-Mail-Adresse, Adresse)
Ein häufiges Unterscheidungskriterium befasst sich mit dem Aussenauftritt der betreffenden Person. Dabei wird in Erwägung gezogen, ob eine Person gegen aussen unter eigenem Namen oder unter dem Label einer fremden Organisation auftritt. Das kann sich beispielsweise auf Webseite, Gestaltung der E-Mail-Adresse,10 Angabe der Geschäftsadresse, LinkedIn-Auftritt oder Visitenkarten11 beziehen. Agiert ein Auftragnehmer nicht unter seinem Privatnamen, sondern als Geschäftsführer oder Inhaber einer aussenstehenden juristischen Person, ist es tendenziell leichter, einen glaubwürdigen unabhängigen Aussenauftritt zu gewährleisten.
Dies ist sicherlich ein zentrales Unterscheidungsmerkmal, das insbesondere von den Sozialpartnern bei der Beurteilung und Einstufung eines Auftragsverhältnisses genau beachtet wird. Wenn es sich also um ein Auftragsverhältnis und nicht um ein Arbeitsverhältnis handelt, lohnt es sich, in eine glaubwürdige und durchdachte Aussendarstellung als unabhängiger Akteur zu investieren.
Irrelevant für die Qualifikation eines Vertrags ist, wie er bezeichnet wird. Denn massgebend ist schliesslich laut Art. 18 Abs. 1 OR die gelebte Realität, und diese muss als Gesamtpaket unter Beachtung der verschiedenen oben aufgeführten Indizien beurteilt werden. Nur in einer umfassenden Gesamtschau kann beurteilt werden, ob im Einzelfall eher ein Arbeits- oder ein Auftragsverhältnis vorliegt.
Ausblick
Es zeigt sich, dass der Unterschied Auftrags- und Arbeitsverhältnis zunehmend mit Entwicklungen in den Arbeitsrealitäten konfrontiert ist, die eine Differenzierung erschweren, sodass immer mehr Faktoren berücksichtigt werden müssen, um überhaupt noch eine Zuordnung vornehmen zu können. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Unterscheidung überhaupt noch zeitgemäss ist.12
Denkbar wäre auch, die soziale Absicherung für andere Vertragsformen zu verbessern, um nicht mehr strikt an der Unterscheidung zwischen Arbeitsverhältnis und Auftragsverhältnis festhalten zu müssen.13 Ich persönlich vermute, dass wir einen aufgrund der veränderten Zusammenarbeitsverhältnisse, der fortschreitenden Technologisierung und der internationalen Entwicklungen einen zunehmenden Abbau der sozialen Absicherung beobachten werden. Es lohnt sich also, proaktiv darüber nachzudenken, in welche Richtung sich die Schweiz entwickeln möchte, bevor sie von Realitäten eingeholt würde.
KEY TAKE-AWAYS
- Bei neuen Arbeitsformen wie Freelancing ist es oft schwer, zwischen einem Auftrag und einem Arbeitsverhältnis zu unterscheiden.
- Ein Arbeitsverhältnis erkennt man daran, dass der Arbeitnehmende den Anweisungen des Arbeitgebers folgen muss. Bei neuen Arbeitsformen ist das aber nicht immer klar.
- Ein eigener professioneller Auftritt, z. B. durch eine eigene Website, deutet eher auf ein Auftragsverhältnis hin.
FUSSNOTEN
1 Barth/Wildhaber, Was ist ein Arbeitsvertrag? – Abgrenzung des Einzelarbeitsverhältnisses von anderen Dienstleistungsverträgen in der Arbeitswelt 4.0, in: ARV 2022, S. 127 ff.
2 Barth/Wildhaber (FN 1) S. 128.
3 Art. 319 Abs. 1 OR.; dazu Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, 319 N 2.
4 Vgl. Barth/Wildhaber (FN 1) S. 130 ff.
5 BGer 4A_64/2020 v. 6.8.2020, E. 6.1 ff; Gersbach/Gross, OR 319, in: Etter/Facincani/Sutter (Hrsg.), Arbeitsvertrag, Stämpflis Handkommentar SHK, Bern 2021, N 6.
6 Gersbach/Gross (FN 5) N 7.
7 Vgl. BGer 4A_64/2020 v. 6.8.2020, E. 6.3.6.
8 Barth/Wildhaber (FN 1) S. 142.
9 Gl. M. Barth/Wildhaber (FN 1) S. 138 ff.
10 Vgl. hierzu: BGer 4A_404/2009 vom 22.10.2009, E. 4.
11 Vgl. hierzu: BGer 4A_404/2009 (FN 10).
12 Vgl. dazu Barth/Wildhaber (FN 1) S. 143–144.
13 Barth/Wildhaber (FN 1) S. 143–144.