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Ortsunabhängiges Arbeiten: Was Arbeitgeber beachten müssen

In vielen Berufen ist ortsunabhängiges Arbeiten technisch längst möglich. Werden dabei Landesgrenzen überschritten, wird der Rechtsrahmen zunehmend komplex. Was Arbeitgeber beachten müssen, welche Faktoren entscheidend sind und wie Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden ortsunabhängiges Arbeiten und flexible Arbeit auch über Landesgrenzen hinweg rechtssicher ermöglichen können, beantworten wir in diesem Beitrag.

03.09.2024 Von: Tabea Gutmann, Irène Suter-Sieber
Ortsunabhängiges Arbeiten

Allgemeine öffentlich-rechtliche Anforderungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Tätigkeit im Angestelltenverhältnis werden nicht nur durch den Arbeitsvertrag und anwendbare Reglemente bestimmt. Von erheblicher Bedeutung sind auch öffentlich-rechtliche Vorgaben. Diese reichen typischerweise von einem grundsätzlichen Verbot von Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit über Höchstarbeitszeiten, Mindestpausenzeiten und Vorgaben zur Zeiterfassung. In der Schweiz sind diese Vorgaben im Arbeitsgesetz und in den Verordnungen zum Arbeitsgesetz enthalten.

Da es sich um öffentlich-rechtliche Vorschriften handelt, gilt das Territorialitätsprinzip. Bildlich gesprochen bedeutet das, dass der Geltungsbereich des schweizerischen Arbeitsgesetzes an der Landesgrenze endet und dasjenige öffentlich-rechtliche Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, auf dessen Territorium sich die mobil arbeitende Person aufhält. Eine in jeder Hinsicht rechtskonforme Lösung für ortsunabhängiges Arbeiten würde es daher erfordern, dass der Arbeitgeber die öffentlich-rechtlichen Vorschriften an jedem ausländischen Arbeitsort ihrer Mitarbeitenden kennt, diese umsetzt und kontrolliert.

PRAXISTIPP
Es bleibt in der Realität wohl häufig dabei, dass bei gelegentlicher Auslandstätigkeit länderspezifische Besonderheiten unter den Tisch fallen. Ist es dem Arbeitgeber mit zumutbarem Aufwand nicht möglich, die lokalen Besonderheiten ausfindig zu machen und umzusetzen, raten wir dazu, dass sie zur Minimierung ihrer Risiken die Schweizer Regeln im Sinne eines Mindeststandards auch im Ausland anwendet.

Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

Das bereits erwähnte Territorialitätsprinzip gilt auch im Bereich der Sozialversicherungen. Das bedeutet im Grundsatz, dass das Sozialversicherungsrecht desjenigen Staats Anwendung findet, auf dessen Territorium die Arbeit ausgeübt wird. Möchten Arbeitgeber Mitarbeitende ausserhalb einer Entsendung dauerhaft im Ausland (z. B. im Homeoffice) beschäftigen und ortsunabhängiges Arbeiten fördern, unterliegen diese Mitarbeitenden dem ausländischen Sozialversicherungsrecht. Arbeitgeber müssen sich mit den lokalen Gegebenheiten vertraut machen und – je nachdem, welche Pflichten die lokale sozialversicherungsrechtliche Gesetzgebung ihnen auferlegt – ihre Mitarbeitenden bei den relevanten Sozialversicherungsträgern registrieren. Bei zeitlich begrenzter Auslandstätigkeit wird das Territorialitätsprinzip indes aus Praktikabilitätsgründen verschiedentlich durchbrochen. Grundlage hierfür sind Sozialversicherungsabkommen:

a) Homeoffice in der EU/EFTA

Etwa 7,3% aller Beschäftigten in der Schweiz (in gewissen Regionen ist es bis zu einem Viertel) haben ihren Wohnsitz in den angrenzenden Staaten und überqueren die Grenze täglich als Grenzgänger. Im Verhältnis zwischen der Schweiz, der EU sowie den EFTA-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen) finden die europäischen sozialversicherungsrechtlichen Koordinationsregelungen Anwendung, namentlich die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (nachfolgend Grundverordnung) und die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009, vorausgesetzt der Arbeitnehmer hat die Staatsangehörigkeit der Schweiz oder eines EU- oder EFTA-Staats.

Grundsatz: 25-%-Regel

Gemäss Art. 13 Abs. 1 lit. a der Grundverordnung ist eine unselbstständig erwerbstätige Person dem Sozialversicherungssystem des Wohnsitzstaats unterstellt, sofern sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Erwerbstätigkeit erbringt. Als wesentlich gilt eine Tätigkeit im Umfang von 25% der Arbeitszeit innerhalb eines Betrachtungszeitraums von zwölf Monaten. Arbeitet ein Grenzgänger mehr als 25% seiner Arbeitszeit von zu Hause, hätte dies somit zur Folge, dass er im Wohnsitzstaat sozialversichert werden müsste.

Ausnahme vom Grundsatz: 49,9-%-Regel

Aufgrund des erheblichen praktischen Bedürfnisses nach einer flexibleren Lösung sind die Schweiz sowie bestimmte weitere Staaten der EU/EFTA auf Grundlage von Art. 16 der Grundverordnung ein zunächst auf fünf Jahre befristetes Rahmenübereinkommen zur Erleichterung solcher grenzüberschreitenden Tätigkeiten im Homeoffice eingegangen.1 Grenzgänger, die bei einem Schweizer Arbeitgeber beschäftigt sind, können demnach bis zu 49,9% der Gesamtarbeitszeit von Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien oder Liechtenstein aus leisten, ohne dass sich die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung ändert.

Um diese Sonderregelung in Anspruch zu nehmen, müssen Arbeitgeber bei ihrer AHV-Ausgleichskasse jeweils grundsätzlich im Voraus für jeden einzelnen Grenzgänger eine Bescheinigung A1 beantragen. Die Grenzgänger müssen hierfür bestimmte Kriterien erfüllen, so insbesondere: 

  • Sofern der Grenzgänger für mehrere Arbeitgeber arbeitet, müssen alle Arbeitgeber ihren Sitz im selben Staat haben. 
  • Der Grenzgänger darf nicht gewöhnlich in einem weiteren Staat als dem Wohnsitz und Arbeitgebersitzstaat eine Tätigkeit ausüben. 
  • Neben der Homeofficetätigkeit darf im Wohnsitzstaat keine andere Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt werden (z. B. selbstständige Nebenerwerbstätigkeit).
     

Ist auch nur eines dieser Kriterien nicht erfüllt, oder beantragt der Arbeitgeber keine Bescheinigung A1, bleibt es bei der allgemeinen Schwelle von 25%.

b) Workation EU/EFTA 

Von der grenzüberschreitenden mobilen Arbeit im Homeoffice zu trennen ist die Situation, dass Mitarbeitende auf ausländischem Territorium arbeiten, ohne dort einen Wohnsitz zu haben. In diesen Fällen gelten die soeben dargestellten Regelungen nicht.

Die europäische Verwaltungskommission hat in ihren Leitlinien vom 21. Juni 2023 wiederum klargestellt, dass die Regelungen über Entsendungen bis zu einer maximalen Dauer von 24 Monaten sinngemäss Anwendung finden, wenn sich Mitarbeitende nicht auf Geheiss des Arbeitgebers, sondern auf eigenen Wunsch temporär ins Ausland begeben, um von dort zu arbeiten (sog. Workation). Mögliche Motive derartiger Workations sind z. B. die Betreuung von Angehörigen im Ausland, medizinische Gründe oder die mobile Arbeit vor oder nach dem Ferienbezug von einer Feriendestination aus. Unter der Voraussetzung, dass vor jeder Workation eine Bescheinigung A1 bei der zuständigen AHV-Ausgleichskasse eingeholt wird, können Mitarbeitende somit analog einer Entsendung dem Sozialversicherungssystem der Schweiz unterstellt bleiben (Art. 12 Grundverordnung). Dies gilt selbstredend nur im Anwendungsbereich der Grundverordnung, d. h. für Staatsangehörige der EU/ EFTA und der Schweiz.

PRAXISTIPP
Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeitenden z. B. in einer Mobile Working Policy für das Thema Sozialversicherungen sensibilisieren und vor jeder Workation rechtzeitig eine Bescheinigung A1 einholen.

c) Bilaterale Sozialversicherungsabkommen mit Drittstaaten 

Ausserhalb des Anwendungsbereichs der oben erwähnten europäischen Koordinationsregelungen, etwa weil Mitarbeitende die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats haben oder von einem Drittstaat aus arbeiten, ergeben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen jeweils aus bilateralen Sozialversicherungsabkommen.

PRAXISTIPP
Die Schweiz hat mit 52 Staaten solche bilateralen Sozialversicherungsabkommen geschlossen, wobei die Abkommen durchaus unterschiedlich ausgestaltet sind. Aus diesem Grund sollten Arbeitgeber in Reglementen besser keine generellen Zusagen für Workations unabhängig von der Destination abgeben.

Mit dem Vereinigten Königreich hat die Schweiz nach dem Brexit ein Sozialversicherungsabkommen geschlossen, das sich eng an den Regelungen mit der EU/EFTA orientiert. Auch hier gilt die 25%-Regel für grenzüberschreitendes Homeoffice; Workations wiederum werden sozialversicherungsrechtlich analog Entsendungen behandelt.

Fehlt es hingegen an einem bilateralen Abkommen, oder sind Mitarbeitende nicht von einem solchen Abkommen erfasst, richten sich die Pflichten nach dem jeweiligen lokalen Sozialversicherungsrecht. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, auf entsprechendes Gesuch weiterhin in der AHV/IV/EO und ALV versichert zu bleiben, wenn der oder die Mitarbeitende fünf aufeinanderfolgende Versicherungsjahre unmittelbar vor der Auslandstätigkeit aufweist (Art. 1a Abs. 3 lit. a AHVG, Art. 5 ff. AHVV).

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