Holokratie: Wie Holokratie den Verwaltungsrat revolutioniert

In einer sich rasant wandelnden Welt stellt Holokratie einen innovativen Ansatz für Unternehmensführung und Entscheidungsfindung dar. Holokratie eignet sich besonders für wachsende und sich transformierende Unternehmen. Welchen Einfluss die Organisationsform auf einen Verwaltungsrat hat und inwiefern dieser von dem kulturellen Wandel profitieren kann, wird beleuchtet. Ein Erfahrungsbericht aus Nexplore illustiert, wie die dynamische Verteilung von Rollen und Verantwortungen die Flexibilität steigert, Mitarbeitendenbeteiligung fördert und die Organisation resilienter macht.

17.12.2024 Von: Brigitte Hulliger
Holokratie

Holokratie - was steckt dahinter?

Holokratie basiert auf Soziokratie und folgt einem festgelegten Regelwerk, entwickelt von Brian Robertson. Damit repräsentiert Holokratie nicht nur eine Organisationsform, sondern eine neue Betrachtungsweise, wie Unternehmen strukturiert und geführt werden können. Im Kern zielt sie darauf ab, starre Hierarchien durch ein System zu ersetzen, das auf Verteilung der Entscheidungskompetenzen, Transparenz und Autonomie der Mitarbeitenden basiert. Anders als in traditionellen Organisationsstrukturen, in denen Entscheidungen top-down getroffen werden, ermöglicht Holokratie eine dynamische Verteilung von Führungsrollen und Entscheidungsbefugnissen. Dabei gibt es keine klassischen Managerrollen. Stattdessen gibt es Kreise und Rollen, die über Entscheidungskompetenzen verfügen und Aufgaben wahrnehmen. So können Mitarbeitende unabhängig von ihrer Position, Initiativen ergreifen und Verantwortung für bestimmte Bereiche übernehmen. 

Diese Partizipation fördert eine Kultur der Eigenverantwortung und des Unternehmertums, die für die Entfaltung individueller Potenziale und die langfristige Unternehmensentwicklung essentiell ist. Durch die Dezentralisierung von Macht und Entscheidungsfindung können Teams schneller auf Veränderungen reagieren und Innovationen vorantreiben. Diese Flexibilität ist besonders in einem schnelllebigen Wirtschaftsumfeld wertvoll. 

Die Rolle des Verwaltungsrats in einer holokratischen Organisation

Die Rechte und Pflichten des Verwaltungsrats sind gesetzlich festgelegt (Obligationenrecht OR, Art. 716 ff.) und bilden das Fundament der Verantwortung des Verwaltungsrats, unabhängig von der gewählten Organisationsform. Die Implementierung von Holokratie hat keinen Einfluss auf diese rechtlichen Rahmenbedingungen. Auch erzwingt die Einführung von Holokratie nicht, dass der Verwaltungsrat gleichermassen holokratisch organisiert sein muss. Jedoch kann Holokratie viel Mehrwert für einen Verwaltungsrat bringen, und besonders ihre Treue- und Sorgfaltspflicht positiv beeinflussen:

Holokratie begünstigt transparente und inklusive Entscheidungsprozesse und fördert damit eine Kultur der offenen Kommunikation und des gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins. Prozesse sind klar definiert und über die gesamte Organisation verteilt. Dies erhöht die Agilität und die Effizienz in der Entscheidungsfindung. Der Einbezug der Mitarbeitenden in sämtliche Entscheidungsprozesse erhöht die Identifikation und das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeitenden mit der Unternehmung. Dies wird zusätzlich dadurch gestärkt, dass alle Spannungen und Einwände prozessual bearbeitet werden müssen. Dies gibt Minderheiten eine Stimme, was sich positiv auf Inklusion und Vielfalt auswirken kann. All dies fördert das Verständnis des VR für die täglichen Herausforderungen und erleichtert dessen Mitgliedern, proaktiv auf Veränderungen zu reagieren und im besten Interesse der Organisation zu handeln.

Die zentrale Aufgabe des Verwaltungsrats verschiebt sich von einer kontrollierenden Rolle, zu einer befähigenden Rolle. Der Verwaltungsrat muss die Unternehmenskultur stärken, und die holokratischen Werte vorleben. Damit muss er sich von ihren traditionellen Rollen lösen und neue Wege beschreiten. 

Praxisbeispiel Nexplore AG

Nexplore ist IT-Dienstleisterin, spezialisiert auf Individualsoftware, Digital Workplace, Cloud Engineering und Data & AI. Das KMU beschäftigt rund 120 Mitarbeitende an vier Standorten. Vor einigen Jahren hat Nexplore Holokratie eingeführt, damals noch ohne strukturelle Veränderungen innerhalb des Verwaltungsrats. 2023 wurde der Verwaltungsrat aus strategischen Gründen durch zwei weitere externe Personen erweitert. Kurz darauf hat der Verwaltungsrat beschlossen, seinerseits auch nach den holokratischen Regeln zu agieren. Seither werden die monatlichen Sitzungen nach den Vorgaben eines Tactical-Meetings abgehalten. Nebst dem Lead Link und dem Rep Link wurden zwei weitere System-Rollen von Holokratie besetzt: Der Facilitator und der Secretary. Die Rollen werden jährlich neu gewählt. 

Der Ablauf einer VR-Sitzung

Vorbereitend zur VR-Sitzung bereiten sich alle Mitglieder des Verwaltungsrats auf die Sitzung vor, angefangen mit der Dokumentation ihrer Kennzahlen. Der VR hat Kennzahlen und Schwellenwerte definiert, anhand derer das Unternehmen beurteilt wird. Jede Kennzahl wird von einem Mitglied des VR verantwortet. Zu diesen Kennzahlen gehören beispielsweise Finanzkennzahlen, Risikokennzahlen, Kennzahlen zu aktuellen Projekten, zur Personalentwicklung und zu strategischen Zielen.

Der Ablauf einer Verwaltungsratssitzung folgt den Vorgaben eines Tactical-Meetings nach dem Regelwerk der Holokratie. Diese strikte Vorgabe schafft Effizienz und Transparenz, so dass monatlich eine Vielzahl an Themen besprochen werden können.

Strategische Entscheidungen

Die strategische Entwicklung von Nexplore wird nicht in erster Linie durch den Verwaltungsrat vorgegeben. Stattdessen hat Nexplore einen Kreis «Erweitertes Strategieboard» gegründet. In diesem Kreis werden strategische Vorstösse erarbeitet und beurteilt. In diesem Kreis vertreten sind auch Mitglieder des Verwaltungsrats, womit der Informationsfluss zum Verwaltungsrat sichergestellt wird. Dieses Vorgehen ist nicht von Holokratie vorgeschrieben, sondern hat sich als «Best Practice» bei Nexplore etabliert. Ein Grund dafür ist, dass die Mitarbeitenden auch die Eigentümer:innen des Unternehmens sind.

Chancen und Herausforderungen

Die Umstellung auf Holokratie im Verwaltungsrat hat den externen Mitgliedern des VR einen vertieften Einblick und ein grösseres Verständnis für Nexplore gebracht. Das Partizipieren an der Holokratie ist ein wesentlicher Teil der kulturellen Veränderung. Die kurzen Entscheidungswege zu Knowhowträgern aus verschiedenen Kreisen ermöglicht effizientes Agieren. 

Das Implementieren von Holokratie benötigt viel Zeit und Geduld, Adaptionswille und Überzeugungskraft, angefangen mit Vorbildern innerhalb der Organisation. Gleichzeitig ist Holokratie keine Antwort auf alle Fragen in einem Unternehmen (genausowenig wie sonst irgendein Managementsystem). Vielmehr bietet es Rahmenbedingungen, um eigene Prozesse in einer passenden Ausprägung zu entwickeln. Gelebte Holokratie ermöglicht jedoch echte Partizipation der Mitarbeitenden, Innovationskraft dank schneller Reaktionsfähigkeit und Inklusion verschiedener Meinungen. 

Es gibt heute viele Tools, die den Prozess der Holokratie in der täglichen Arbeit unterstützen. Bei Nexplore wird dazu Holaspirit eingesetzt. Dies vereinfacht den Alltag erheblich. 

Fazit

Holokratie eignet sich besonders für Organisationen, die Flexibilität, schnelles Wachstum und Innovation priorisieren. Unternehmen, die in dynamischen und unsicheren Märkten tätig sind oder die digitale Transformation vorantreiben, können von den agilen Strukturen der Holokratie profitieren. Startups und Technologieunternehmen finden oft natürliche Synergien mit holokratischen Prinzipien.

Vorsicht ist geboten bei Organisationen mit tief verwurzelten traditionellen Strukturen oder in Branchen, die stark reguliert sind und wo klare Hierarchien für Compliance und Berichterstattung erforderlich sind. In solchen Fällen kann die Einführung von Holokratie mehr Herausforderungen als Vorteile mit sich bringen.

Bevor man sich für Holokratie entscheidet, sollte eine gründliche Bewertung der Organisationskultur, der Unternehmensziele und der Bereitschaft zur Veränderung erfolgen. Holokratie ist nicht für jedes Unternehmen geeignet, aber für diejenigen, die bereit sind, den Sprung zu wagen, kann sie einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil darstellen. Es ist wichtig, den Übergang schrittweise zu gestalten und die Mitarbeitenden aktiv in den Prozess einzubeziehen, um den Erfolg zu sichern.

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