Positive Fehlerkultur: Ein Führungsinstrument

In der heutigen disruptiven Geschäftswelt ist eine Kultur, die Fehler begrüsst und daraus lernt, entscheidend. Anstatt zu glauben, dass Führungspersonen oder Experten alles wissen müssen, und Gespräche über Misserfolge zu vermeiden, erfordert die heutige Zeit eine Kultur, die aus Fehlern Erkenntnisse zieht. Echtzeitinformationen und Kundenfeedback sind unverzichtbar, und das Ignorieren von Fehlern kann in einem sich schnell verändernden Markt gefährlich sein. Das offene Teilen und Austauschen von Erkenntnissen aus Fehlern ist unerlässlich für die kontinuierliche Verbesserung und Anpassungsfähigkeit.

20.08.2024 Von: Romeo Ruh
Positive Fehlerkultur

Betrachten wir zum Beispiel den Ansatz der «beidhändigen» Führung am Beispiel von Porsche Motorsport.1 Dieser Ansatz erkennt an, dass unterschiedliche Grade der Fehlerakzeptanz in unterschiedlichen Führungssituationen erforderlich sind:

Ergebnisorientierte Führung (auf der Rennstrecke): In der riskanten Welt des Rennsports steht Präzision an erster Stelle. Führungspersonen konzentrieren sich auf Fehlervermeidung und diszipliniertes Einhalten von Regeln, um Effizienz, Qualität und Sicherheit zu gewährleisten. Klare Führungsrollen und direktes Feedback sind hier unerlässlich. Dabei liegt der Fokus auf der Zielerreichung und dem gewünschten Ergebnis, dem Monitoring der Zielerreichung, der Etablierung von Routinen sowie der Förderung und Einforderung von Disziplin und Qualitätsbewusstsein.

Explorative Führung (Fahrzeugentwicklung): Innovative «Projekte» wie die Fahrzeugentwicklung erfordern einen anderen Ansatz. Es ist entscheidend, Teams zu befähigen, ihnen Freiheit zu geben und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Eine Kultur des Experimentierens und der Offenheit zu etablieren, fördert Kreativität und die Bereitschaft, neue Lösungen zu erkunden. Dabei ist es wichtig, ein Beispiel für geteilte Führung zu setzen und eine Kultur der Fehlertoleranz und des Lernens zu schaffen.

Je nach Kontext sind unterschiedliche Führungsansätze und Anforderungen wichtig. Während in ergebnisorientierten Umgebungen wie auf der Rennstrecke Präzision, Effizienz und Sicherheit im Vordergrund stehen, erfordern innovative Projekte wie die Fahrzeugentwicklung eine explorative Führung, die von Offenheit, Kreativität und der Akzeptanz von Fehlern geprägt ist.

Diese unterschiedlichen Führungsansätze zeigen deutlich, dass es keine Einheitslösung für alle Situationen gibt. Stattdessen ist es entscheidend, eine agile Fehlerkultur zu entwickeln, die sich an verschiedene Kontexte anpassen kann. In der komplexen und unvorhersehbaren Geschäftswelt bietet eine solche Kultur erhebliche Vorteile:

Fördert Innovation: Schafft eine Umgebung, in der Mitarbeiter ermutigt werden, neue Ideen zu erkunden, auch wenn der Erfolg nicht garantiert ist.

Beschleunigt die Anpassung: Ermöglicht es Organisationen, schnell zu lernen und sich effektiv an veränderte Bedingungen anzupassen.

Erhöht psychologische Sicherheit: Fördert offene Kommunikation und ermöglicht es Mitarbeitenden, ihre Ideen und Bedenken ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu äussern.

Unterstützt kontinuierliche Verbesserung: Schnell aus Fehlern zu lernen, führt zu stetigen Verbesserungen in Zusammenarbeit, Prozessen, Produkten und Arbeitsweisen.

Einblicke in die Ebenen der Fehlerkultur

Eine wirksame, positive Fehlerkultur basiert auf drei Ebenen: Organisation, Team und Individuum. Jede Ebene trägt auf ihre Weise zur Entwicklung und Förderung dieser Kultur bei.

Organisationsebene: Diese Ebene wird durch den Unternehmenszweck, Werte, Haltungen und die visionäre Ausrichtung geprägt. Organisationen, die Fehler als Teil des Wachstumsprozesses betrachten, fördern ein Umfeld des kontinuierlichen Lernens. Die Vision und das organisatorische Lernen spielen hierbei eine zentrale Rolle, indem sie die Werte und Verhaltensweisen stärken, die eine positive Fehlerkultur unterstützen.

Teamebene: Auf der Teamebene sind psychologische Sicherheit, Feedbackmechanismen, Transparenz und kontinuierliche Verbesserung entscheidend. Eine Kultur, in der Teammitglieder sicher Ideen austauschen und lernen können, wird durch diese Faktoren gefördert. Die psychologische Sicherheit, die das Vertrauen und die Offenheit im Team stärkt, ist dabei besonders wichtig. Zusätzlich tragen eine starke Kundenzentrierung und damit verbunden eine kontinuierliche Wertschöpfung dazu bei, dass Teams wirksam und effizient arbeiten.

Individuelle Ebene: Aspekte wie Persönlichkeit, Haltung, Biografie, Erziehung, Erfahrungen und Fähigkeiten prägen die positive Fehlerkultur auf individueller Ebene. Die persönliche Haltung gegenüber Fehlern ist hierbei entscheidend. Individuen, die Fehler als Lernchancen sehen, tragen aktiv zu einer offenen und lernorientierten Fehlerkultur bei. Ihre einzigartigen Hintergründe und Fähigkeiten bereichern das kollektive Wissen und fördern die Anpassungsfähigkeit der Organisation.

Durch die Integration dieser Ebenen wird eine umfassende, positive Fehlerkultur geschaffen, die auf allen Ebenen des Unternehmens wirkt und das Fundament für nachhaltigen Erfolg und kontinuierliche Verbesserung bildet. Um psychologische Sicherheit zu fördern, gibt es gezielte Werkzeuge, die in der täglichen Zusammenarbeit kontinuierlich eingesetzt werden können:

Beyond Leadership: Eine innovative Teamentwicklungsmethode, die darauf abzielt, Vertrauen zu fördern, das gegenseitige Kennenlernen zu vertiefen und eine gemeinsame Ausrichtung zu schaffen. Diese Methode setzt auf Workshops, interaktive Übungen und regelmässige Reflexionsrunden, um die Teamdynamik zu stärken und ein tiefes Verständnis füreinander zu entwickeln. Durch gezielte Massnahmen wird eine Atmosphäre geschaffen, in der sich Teammitglieder sicher und unterstützt fühlen, ihre individuellen Stärken einzubringen und gemeinsam auf die Erreichung der Teamziele hinzuarbeiten.

Check-ins: Bevor die eigentliche Teamarbeit beginnt, wird bewusst Raum für persönliches Wohlbefinden geschaffen. Dies könnte eine kurze Runde persönlicher Updates oder Achtsamkeitsübungen sein, um eine positive Atmosphäre zu schaffen. Diese einfache, aber wirksame Methode fördert eine achtsame Präsenz und schafft eine entspannte Umgebung, in der sich Teammitglieder wohl und unterstützt fühlen.

«Wertschätzungs-Dusche»: Hier geht es um mehr als nur Worte. Teammitglieder geben sich gegenseitig nicht nur positives Feedback, sondern unterstreichen ihre Wertschätzung durch konkrete Beispiele für gelungene Leistungen. Teammitglieder ermutigen sich in einem regelmässigen Austausch, indem sie konkrete Erfolge anerkennen und somit eine Kultur der Wertschätzung und Zusammenarbeit fördern.

Retrospektiven: Am Ende eines Projekts oder Sprints werden in strukturierten Team- Meetings nicht nur Erfolge gefeiert, sondern auch Herausforderungen und Verbesserungspotenziale bezüglich Zusammenarbeit und Arbeitsprozessen reflektiert. Dies schafft Raum für ehrliche Diskussionen, fördert die Lernbereitschaft und ermöglicht die Planung von konkreten Massnahmen zur Weiterentwicklung.

Aus Fehlern lernen: Das Führen eines «Fehlerlogbuchs» geht über blosses Dokumentieren hinaus. Es ist eine Methode, um Erkenntnisse aus Fehlern zu sammeln und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Denken Sie an ein geteiltes elektronisches Tagebuch, in dem Teammitglieder ihre Erfahrungen teilen, voneinander lernen und somit eine offene Fehlerkultur fördern.

«Ja, und ...» anstatt «Ja, aber ...»: Eine positive Dialogkultur fördern, in der Gegenargumente in konstruktive Fragen oder Ideen umgewandelt werden. Hier geht es darum, eine Kultur zu schaffen, in der die Teammitglieder aufeinander aufbauen, anstatt Ideen zu blockieren. Anstatt mit «Ja, aber ...» negative Energie zu erzeugen, wird der Fokus auf «Ja, und ...» gelegt, was bedeutet, dass jeder Beitrag als wertvoll betrachtet wird. Dies fördert eine offene Atmosphäre, in der Gegenargumente nicht als Widerstand, sondern als Bausteine für konstruktive Lösungen betrachtet werden.

Verhaltensorientiertes Feedback in Form von Kritik: Kritik wird in konkrete, beobachtbare Verhaltensweisen umgewandelt, um konstruktive Entwicklungen zu fördern. Hier steht die konstruktive Weiterentwicklung im Vordergrund. Anstatt vage Kritik zu äussern, wird darauf geachtet, spezifische beobachtbare Verhaltensweisen anzusprechen. Anstatt zu sagen: «Du warst nicht effektiv in der Präsentation », könnte die Kritik präzisiert werden zu: «In der Präsentation habe ich bemerkt, dass die Struktur nicht klar war, was anhand dieser konkreten Feedbacks zu Verwirrung bei den Zuhörern führte». Diese Art von Feedback ermöglicht es den Teammitgliedern, konkret an ihren Entwicklungsfeldern zu arbeiten, und fördert die kontinuierliche Verbesserung im Team.

Die Entwicklung einer effektiven Fehlerkultur ist nicht nur für den individuellen und organisatorischen Lernprozess von entscheidender Bedeutung, sondern auch für den Erfolg in einer sich ständig verändernden Geschäftsumgebung. Eine offene Kommunikation, Transparenz, Vertrauen und eine lernorientierte Führung sind die Grundpfeiler, um eine solche Kultur zu stärken.

 

FUSSNOTE 

1) Bruch, H., Schuler, A., & Barton, L. (2022): Inspirierend- multimodale Führung Leadership zwischen Leistungsdruck, Präzision und Exploration. Zeitschrift für Führung und Organisation 6/2022: 378–386.

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