Unternehmensführung: Neue Pflichten zur verantwortungsvollen Unternehmensführung
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Einleitung
Quelle dieser Pflichten ist die Umsetzung des indirekten Gegenvorschlags des Schweizer Parlaments zur Ende 2020 am Ständemehr gescheiterten sogenannten «Konzernverantwortungsinitiative», kurz: «KVI». Im Bereich der Menschenrechte bezweckte die Initiative unter anderem Elemente der UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahre 2011 rechtlich verbindlich zu regeln. Einer der Hauptgründe für die Ablehnung der Initiative war, dass die Schweiz der ohnehin stattfindenden internationalen Entwicklung nicht vorauseilen und keine strengeren Vorschriften aufstellen wollte, um den Schweizer Wirtschaftsstandort nicht zu gefährden. Die Pflichten orientieren sich weitgehend am Recht der Europäischen Union (EU) sowie an einzelnen ausländischen Erlassen.
Nachfolgend werden ausgewählte Aspekte der aktuellen Bestimmungen kommentiert. Aufgrund der Fortentwicklung des Rechts sowie der Diversität der betroffenen Themenbereiche und Branchen sind sie stets im Kontext zu weiteren und künftigen Pflichten zu betrachten. In diesem Zusammenhang hat der Bundesrat bereits angekündigt, die geltenden Pflichten an das in der Zwischenzeit verschärfte und weitergehende EU-Recht anzupassen.
Der Beitrag zeigt auf, dass es für international tätige Unternehmen schwierig ist zu erkennen, welche Pflichten zur verantwortungsvollen Unternehmensführung sie einzuhalten haben. Darauf basierend werden Empfehlungen an Unternehmen zum Umgang mit den neuen Pflichten formuliert.
Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten
Zum einen sind Unternehmen ab einer bestimmten Grösse neu dazu verpflichtet, über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt (insbesondere die CO2-Ziele), Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption sowie über die ergriffenen Massnahmen öffentlich Bericht zu erstatten (sog. «CSR-Berichterstattung»). Zum anderen müssen Unternehmen mit Risiken in den Bereichen der Kinderarbeit und der sogenannten «Konfliktmineralien» besondere Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten einhalten. Die neuen Pflichten fanden erstmals für das Geschäftsjahr 2023 Anwendung, wofür die Berichte im Jahr 2024 zu erstatten sind.
Weitreichende und komplexe Ausnahmebestimmungen
Bereits die Prüfung der Anwendung der neuen Pflichten stellt Unternehmen vor Herausforderungen. Es gelten diverse Ausnahmeregelungen, die dazu führen, dass sie auf viele Unternehmen nicht anwendbar sind. Namentlich:
- Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind von der Berichterstattungspflicht zu nichtfinanziellen Belangen ausgenommen.
- Die Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten bezüglich Konfliktmineralien gelten erst ab einem bestimmten Schwellenwert bei der Verarbeitung bestimmter Materialien.
- Die Anwendung der Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten betreffend Kinderarbeit setzt grundsätzlich einen «begründeten Verdacht» auf Kinderarbeit voraus.
- Unternehmen können von den neuen Pflichten befreit sein, wenn sie «gleichwertige anerkannte internationale Regelwerke» einhalten.
Unter anderem die Prüfung eines begründeten Verdachts auf Kinderarbeit kann eine komplexe investigative Aufgabe darstellen. Die Erläuterungen bieten dabei nur wenige Indizien und Hilfsmittel, wie Fotos, die Kinderarbeit belegen, oder den UNICEF Children's Rights in the Workplace Index.
Zusätzliche Unsicherheit entsteht durch die stete Weiterentwicklung des Rechts. So werden beispielsweise die Schwellenwerte für die Anwendung der Bestimmungen bei Konfliktmineralien regelmässig an das aktuelle EU-Recht angepasst. Zudem können sich die Gegebenheiten vor Ort (z.B. die politische Lage) schnell ändern, was sich wiederum auf die Rechtsanwendung auswirkt (z.B. bei der Definition eines Konfliktminerals).
Die grundsätzlich jährliche Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen sollte dokumentiert werden. Dabei sind auch allfällige weitergehende Pflichten (dazu unter II.) zu berücksichtigen.
Zum Inhalt der neuen Pflichten
Die pflichtigen Unternehmen müssen jährlich Berichte verfassen. Diese sind von der obersten Führungsebene (im Falle einer Aktiengesellschaft vom Verwaltungsrat) unterzeichnet und vom für die Jahresrechnung zuständigen Organ (in einer Aktiengesellschaft ist das die Generalversammlung) zu genehmigen. Anschliessend müssen die Berichte publiziert werden und für zehn Jahre öffentlich zugänglich bleiben. Unternehmen, die Berichte zu verschiedenen Bereichen der neuen Vorschriften erstatten müssen, können diese in einem einzigen Gesamtbericht zusammenfassen. Dabei sollten sie jedoch die spezifischen formalen und inhaltlichen Anforderungen für jeden Bereich berücksichtigen.
Im Bericht zu nichtfinanziellen Belangen muss das Unternehmen wie erwähnt über Umweltbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Korruption Rechenschaft ablegen. Dabei sind die Geschäftsrisiken, das Risikomanagement, die Konzepte zur verantwortungsvollen Unternehmensführung und die angewandte Sorgfaltsprüfung darzulegen. Die Berichterstattungs- und Rechenschaftspflichten zu diesen Bereichen legen es Unternehmen nahe, ein Compliance Management System (CMS) einzurichten. Allerdings gilt ein «comply or explain»-Ansatz, aufgrund dessen Unternehmen begründen können, wenn sie in einem bestimmten Bereich kein Konzept verfolgen.
In Bezug auf Kinderarbeit und Konfliktmineralien gelten besondere Sorgfaltspflichten: Die Unternehmen müssen ein CMS einrichten, das bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Dazu gehören eine Lieferkettenpolitik, ein System zur Rückverfolgbarkeit der Lieferkette, ein Risikomanagement und interne Meldeverfahren. Lediglich im Bereich der Konfliktmineralien wird zusätzlich die Prüfung durch eine externe Revisionsstelle verlangt.
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Herausforderungen bei der Umsetzung
Wie bereits die Prüfung der Anwendung der neuen Pflichten, so ist deren Umsetzung mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Nebst der investigativen Aufgabe sowie der mit neuen Bestimmungen einhergehenden Rechtsunsicherheit werden nachfolgend lediglich zwei ausgewählte Beispiele hervorgehoben:
- Der Begriff der «Lieferkette» bezieht sich gemäss aktuellem Recht nur auf die vorgelagerten Akteure. Im Bereich der Kinderarbeit bedeutet dies, dass die Risikoprüfung für Produkte mit Komponenten aus verschiedenen Ländern nur auf das Produktionsland gemäss Herkunftsangabe beschränkt ist, wie es auf dem Produkt (z.B. «made in») angegeben ist. Diese Einschränkung wird von Menschenrechts- und Kinderschutzorganisationen viel kritisiert und entspricht nicht den internationalen Rechtsentwicklungen.
- Das interne Meldesystem, bei dem alle interessierten Personen niederschwellig Bedenken bezüglich Kinderarbeit oder Konfliktmineralien melden können, stellt Unternehmen unter anderem vor Datenschutzherausforderungen: Die eingegangenen Meldungen sind zu dokumentieren, und das Verfahren muss «anonym» genutzt werden können. Allerdings fällt es in der Praxis schwer, die Anonymität sicherzustellen. So steht bereits die Pflicht, intern transparent über die Meldungen zu informieren, im Spannungsverhältnis zur Anonymität. Bei den organisatorischen Vorkehrungen sollten solche kritischen Aspekte sowie allfällige weitergehende Pflichten berücksichtigt werden.
Weitere Pflichten zur verantwortungsvollen Unternehmensführung
Die neue öffentliche Berichterstattungspflicht führt zu mehr Transparenz, was eine Überprüfung der Einhaltung sämtlicher bestehender Pflichten zur verantwortungsvollen Unternehmensführung nahelegt.
1. Themen- und branchenspezifische Pflichten sowie internationales Recht
Entsprechend der Diversität der betroffenen Themenbereiche der verantwortungsvollen Unternehmensführung können diesbezügliche Pflichten einer Vielzahl an Rechtsquellen, wie dem Arbeits-, Gesundheits-, Datenschutz-, Kindesschutz-, Opferhilfe-, Sozialversicherungs-, Umwelt- oder Strafrecht, entstammen.
Die Pflichten zur verantwortungsvollen Unternehmensführung vermehren sich denn auch weiterhin: So sind beispielsweise im Januar 2023 neue Berichterstattungspflichten betreffend Klimabelange in Kraft getreten.
Zudem sind die jeweiligen branchenbezogenen Pflichten zu beachten. Namentlich haben Rohstoffunternehmen bereits seit dem 1. Januar 2021 besondere Transparenzvorschriften über Zahlungen an staatliche Stellen zu befolgen.
2. Internationales und ausländisches Recht
Die neuen Bestimmungen richten sich primär an international tätige Unternehmen. Parallel zum Schweizer Recht kann auch internationales oder ausländisches Recht auf Unternehmen anwendbar sein. Die Anwendbarkeit von internationalen Rechtsgrundlagen, wie insbesondere von EU-Recht, einschlägigen bi- oder multilateralen Abkommen und ausländischen Rechtsordnungen, zu welchen in der jeweiligen Konstellation Anknüpfungspunkte bestehen, muss somit zwingend geprüft werden.
Von grosser Bedeutung ist dabei die kontinuierliche Rechtsentwicklung auf EU-Ebene: Am 5. Januar 2024 sind EU-Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen in Kraft getreten, wonach sich die Unternehmen an Europäische Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu halten haben. Kurz darauf hat der Europäische Rat am 24. Mai 2024 die Richtlinie über Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Nachhaltigkeit angenommen. Letztere sieht weitreichende Sorgfaltspflichten für Unternehmen in ihren globalen Aktivitätsketten vor (u.a. die Implementierung eines CMS inklusive eines Beschwerdeverfahrens sowie Berichterstattungspflichten). Die dort verwendete Definition der «Aktivitätskette» ist verglichen mit den aktuellen Bestimmungen gemäss Schweizer Recht wesentlich weiter gefasst. Betroffene Unternehmen müssen zudem einen Plan zum Klimawandel im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzübereinkommen verabschieden und umsetzen. Bei Nichteinhaltung von Sorgfaltspflichten drohen umsatzbezogene Geldbussen und zivilrechtliche Haftung.
Der verantwortungsvollen Unternehmensführung dient schliesslich auch die bereits im Dezember 2021 in Kraft getretene sogenannte «EU-Whistleblowing-Richtlinie», welche Unternehmen verpflichtet, interne Beschwerdeverfahren für Hinweisgebende bzw. Whistleblower zur Meldung von Unregelmässigkeiten einzurichten sowie die Hinweisgebenden zu schützen.
Wie bereits erwähnt sind diese Aspekte bei der Prüfung der Anwendbarkeit der neuen Bestimmungen sowie bei der Etablierung des CMS, wie beispielsweise des internen Meldeverfahrens, zu berücksichtigen.
3. Soft Law, ethische Standards und kulturelle Gepflogenheiten
Parallel zu den Rechtspflichten sind in der Compliance sogenanntes Soft law, namentlich die UNO-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte oder OECD Empfehlungen, ethische Prinzipien sowie kulturelle Hintergründe zu beachten.Diese je nach Branche variierenden Faktoren und Hilfsmittel unterstützen auch bei der Auslegung und Konkretisierung von bestehenden Pflichten.
Konsequenzen und Empfehlungen
1. Sanktionen
Bei Verletzung der Berichterstattungs- oder Aufbewahrungspflichten drohen gemäss Schweizer Recht Bussen in Höhe von bis zu CHF 100'000 (bei Fahrlässigkeit bis zu CHF 50'000). Die Sanktionen richten sich gegen natürliche Personen und nicht gegen Unternehmen, also primär gegen die für die Berichterstattung verantwortlichen Verwaltungsrät:innen. Vor dem Hintergrund der breiten öffentlichen Diskussion und der mit der Veröffentlichung der Berichte einhergehenden Kontrollmöglichkeit haben Verwaltungsrät:innen vermehrt mit Strafanzeigen zu rechnen. Aufgrund der Neuheit der Bestimmungen sowie der internationalen Komplexität ist abzusehen, dass solche Strafverfahren besonders lange andauern können. Auch wenn sie nicht in einem Schuldspruch enden sollten, können sie für die betroffenen Personen sehr belastend sein. Insbesondere stellt der (drohende) Strafregistereintrag für viele Positionen ein Karrierehindernis dar und die oft mit den grundsätzlich öffentlichen Verfahren einhergehende Medienberichtserstattung trifft die Betroffenen auf verschiedenen Ebenen. Weitere Sanktionen könnten zudem auf parallel anwendbare Rechtsgrundlagen basieren.
2. Wirtschaftliche Aspekte
Selbst wenn die neuen Pflichten nicht direkt auf ein Unternehmen zutreffen, drohen wirtschaftliche Schäden, da Geschäftspartner*innen zunehmend nur noch mit solchen Unternehmen Beziehungen eingehen, die ihre Compliance entsprechend zusichern. Zudem ist es auch aus ökonomischer Sicht ratsam, nicht nur den Minimalstandard des aktuellen Schweizer Rechts zu beachten, sondern bei der Einrichtung des CMS bereits mögliche künftige Verschärfungen zu berücksichtigen.
Nicht zuletzt wird eine verantwortungsvolle Unternehmensführung als ökonomisch wertvolles Gut anerkannt, wobei mit den zunehmenden Pflichten ein erhöhtes Risiko besteht, sich negativ von vorbildlicher Konkurrenz abzuheben. Unternehmen, welche die neuen Pflichten nicht ernst nehmen, droht, insbesondere von Menschenrechts- und Umweltorganisationen öffentlich kritisiert zu werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen wie MeToo, Klimabewegung, Black Lives Matter, diverser Korruptionsskandale, Ukrainekrieg usw. Hinzu kommen immer modernere technische Möglichkeiten zur Überwachung von Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten und die rasche Verbreitung entsprechender Informationen.
3. Individuelle Rechtsberatung
Grundsätzlich ist eine individuelle Rechtsberatung empfehlenswert, um die komplexe Schnittstelle verschiedener Regulierungsgebiete und sektorspezifischer Bestimmungen zu bewältigen. In enger Zusammenarbeit mit dem Management kann so ein wirksames CMS entwickelt werden, das alle Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt. Insbesondere Verwaltungsrät*innen sollten sich rechtlich absichern, um sicherzustellen, dass die notwendigen Massnahmen getroffen werden.
Fazit: Risiken und Chancen
Viele Unternehmen sind von den neuen Pflichten nicht unmittelbar betroffen. Dennoch wird grundsätzlich allen Unternehmen empfohlen, angemessene Sozialstandards, Umweltschutz und Massnahmen gegen Korruption zu prüfen sowie dies entsprechend zu dokumentieren. Unternehmen, welche die neuen Bestimmungen zur verantwortungsvollen Unternehmensführung nicht ernsthaft umsetzen, riskieren rechtliche, wirtschaftliche und reputative Schäden.
Obwohl die Bestimmungen in erster Linie Pflichten enthalten, sollten Unternehmen diese auch als Chancen betrachten. Eine verantwortungsvolle Unternehmensführung kommt schliesslich allen Interessengruppen zugute, da sie in der heutigen Gesellschaft, insbesondere in Unternehmen, als essenzielles Bedürfnis anerkannt wird.
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