Stellvertretung: So bestimmen Sie eine Stellvertretung

Eine Stellvertretung richtig zu definieren, wirft oftmals viele Fragen auf und kann sich aufwendig gestalten. Fällt die Geschäftsführung plötzlich aus, zahlt sich das dennoch aus. Um eine gute Wahl zu treffen, sollte man sich dem Thema schrittweise nähern, sich mit Szenarien beschäftigen und Aufgaben und Kompetenzen definieren.

13.02.2023 Von: Barbara Grass
Stellvertretung

Brauche ich eine Stellvertretung? – diese Frage wird in Unternehmen erstaunlich selten gestellt. Dabei lohnt es sich besonders für kleine Unternehmen, diese Frage rechtzeitig zu klären. Solche Unternehmen sind in der Regel stark geprägt vom Pioniergeist der Gründerin oder des Gründers. Diese leben ihre Vision vor, und die Mitarbeitenden unterstützen mit Herzblut und grossem Engagement bei der Realisierung. Die Beziehungen unter den Mitarbeitenden, aber auch zu den Kunden sind familiär. Die Kehrseite ist, dass wenig geplant und viel improvisiert wird. Und über eine Stellvertretung wird auch erst nachgedacht, wenn sich das Problem konkret stellt, sprich, die Geschäftsführung fällt heute für mehrere Wochen oder Monate aus, und alle schauen sich fragend an. Gerade bei kleineren Unternehmen mit immerhin bis zu 30 Mitarbeitenden kann ein solcher Ausfall gravierende Konsequenzen bis hin zur Liquidation der Firma haben. Dabei lässt sich die Rolle einer Stellvertretung am besten mit der eines Co-Piloten vergleichen.

Während der Stelleninhaber als Flugkapitän weiterhin die Gesamtverantwortung innehat, um das Unternehmen auf Kurs zu halten, erhält die Stellvertretung alle notwendigen Informationen und Kompetenzen, um im Notfall übernehmen zu können, hat aber in der Regel weniger Erfahrung in diesem Bereich.

In Szenarien denken

Aber welche Kompetenzen soll die Stellvertretung erhalten? Wenn es dann um Unterschriftsberechtigung bei der Bank, Administratorenrechte für IT-Systeme, aber auch geschäftsspezifische Kompetenzen geht, kommen viele ins Überlegen, was sie denn wirklich vertrauensvoll in die Hände eines Mitarbeitenden legen können und wollen. Mit Szenarien kann man sich der Sache sachlicher nähern: Was kann im Ernstfall schlimmstenfalls passieren?

Gerade Unternehmenspioniere sind nicht besonders gut darin, sich Worst-Case-Szenarien zu überlegen. Sie haben ihr Unternehmen aufgebaut und vorangebracht mit dem festen Glauben und der Vision einer positiven Zukunft. Sich mit düsteren, potenziellen Schicksalsschlägen zu befassen, wirkt dabei eher hinderlich. Dennoch lohnt es sich, sich Gedanken darüber zu machen, warum sie überhaupt ausfallen könnten und welche Konsequenzen ein längerer Ausfall mit sich bringen würde. Analog zum Flugverkehr empfiehlt es sich, dabei in Szenarien zu denken. Mögliche Szenarien sind:

  • Ein längerer geplanter Ausfall der Geschäftsführung: Das könnte z.B. eine geplante Operation mit anschliessendem Kuraufenthalt oder ein Sabbatical sein. In diesem Fall lassen sich Entscheide von grosser Tragweite meistens um die Abwesenheit der Schlüsselperson herum organisieren. Der oder die Stellvertreter/-in benötigt daher die Fähigkeiten und Kompetenzen, um das Tagesgeschäft gut zu führen, z.B. die Berechtigung, Bestellungen bei Lieferanten auszulösen oder die Vollmacht, Rechnungen freizugeben und zu begleichen.
  • Ein zweites mögliches Szenario ist ein ungeplanter, kürzerer Ausfall der Schlüsselperson, z.B. wegen eines Unfalls. Auch hier reicht es meistens, wenn die Stellvertretung in der Lage ist, das operative Geschäft weiterzuführen. Beim Durchspielen dieses Szenarios empfiehlt es sich zu überlegen, wie lange ein kurzfristiger Ausfall maximal dauern darf, ohne dass Entscheide von langfristiger Tragweite gefällt werden müssen. Das ist stark branchenabhängig und deswegen sehr unterschiedlich.

Bei diesen beiden Szenarien ist klar, dass der oder die Stelleninhaber/-in wieder zurückkehrt. Dies birgt gewisse Herausforderungen, derer man sich bewusst sein sollte. Trifft die Stellvertretung nämlich eine Entscheidung, die nicht im Sinne des/der Stelleninhaber/-in ist, riskiert sie, dass diese nach deren Rückkehr rückgängig gemacht wird. Dies desavouiert nicht nur die Stellvertretung, sondern ist auch für alle anderen Mitarbeitenden und Partner ärgerlich, die von der Kehrtwende betroffen sind.

Praxistipps zu Szenario 1 und 2

  • Der oder die Stelleninhaber/-in muss die Stellvertretung selbst wählen. Es sollte eine Person sein, der sie vertraut.
  • Die Stellvertretung sollte das Alltagsgeschäft sehr gut kennen. Dies bedeutet, dass sie nicht erst im Krisenfall involviert werden darf, sondern schon früh in alle wichtigen Entscheidungen miteinbezogen wird.
  • Muss die Stellvertretung Entscheidungen treffen, müssen diese verstärkt mit dem Vorgesetzten und allenfalls mit Betroffenen abgestimmt werden. Dadurch verringert sich das Risiko, dass die Entscheidung nicht akzeptiert wird.
  • Was die Stellvertretung während einer Abwesenheit entscheidet, gilt. Selbst wenn es der/die Stelleninhaber/-in in der gleichen Situation anders entschieden hätte.

Ein drittes und Worst-Case-Szenario ist der Ausfall einer Schlüsselperson, ohne dass diese an die Stelle zurückkehrt. Dies kann infolge eines Burn-outs oder gar eines Todesfalls geschehen. Gerade in diesem Fall ist die Stellvertretung enorm gefordert. Abgesehen davon, dass die persönliche Betroffenheit unter den Mitarbeitenden im Todes fall in der Regel sehr gross ist, sind hier die Konsequenzen bei einer nicht geregelten Stellvertretung am gravierendsten. Im schlimmsten Fall geht das Unternehmen wegen kurzfristiger Illiquidität Konkurs, nur weil nicht rechtzeitig über eine Bankvollmacht nachgedacht wurde. Andere – ebenfalls gravierende Folgen – sind der Verlust von Schlüsselkunden und/oder Schlüsselpartnern, weil der Kontakt einzig über den Gründer oder die Gründerin bestanden hat und nur in deren «Kopf» dokumentiert ist, oder die Nichteinhaltung von Verträgen, weil das entsprechende Know-how im Unternehmen gar nicht vorhanden ist.

Für jedes der drei Szenarien gilt es deshalb zu klären, was das Schlimmste wäre, was eintreten könnte, und welche Massnahmen es braucht, um dies zu verhindern. Je konkreter die möglichen Konsequenzen ausgearbeitet werden, desto deutlicher können die Aufgaben und Herausforderungen benannt werden, die kurz- und mittelfristig durch eine Stellvertretung bewältigt werden müssen. Gleichzeitig wird klar, welche Fähigkeiten und Kompetenzen dafür nötig sind. Und es zeigt sich, ob für die Stellvertretung eine Einzelperson infrage kommt, oder ob es Sinn ergibt, diese Aufgabe auf mehrere Schultern zu verteilen. Ein weiterer Nebeneffekt solcher Überlegungen ist, dass die wichtigsten Prozesse durchgegangen und idealerweise zumindest rudimentär dokumentiert werden.

Die richtige Wahl

In einem nächsten Schritt gilt es, eine oder mehrere Personen zu finden, die die Rolle der Stellvertretung wahrnehmen können. Neben den für die Stellvertretung fachlichen Fähigkeiten gilt es hier, besonderes Augenmerk auf die Persönlichkeit zu legen. Niemand braucht eine Stellvertretung, deren Ziel es in erster Linie die Stelle des Vorgesetzten einzunehmen, und die deswegen ständig an seinem Stuhl sägt. Oftmals empfiehlt es sich auch, dass der/die Stelleninhaber/-in den Lead bei der Auswahl der Stellvertretung hat. Die Chemie muss einfach stimmen, beide sollten sich klar als Team verstehen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Glücklicherweise treten die Worst-Case-Szenarien nur selten ein. Damit ein Co-Pilot im Ernstfall aber übernehmen kann, muss er vorher die Möglichkeit haben, zu üben. Deshalb ergibt es Sinn, der Stellvertretung weitere Aufgaben zu delegieren und so eine Win-win-Situation zu schaffen. Die Geschäftsführung muss bereit sein, die Verantwortung für bestimmte Aufgaben auch tatsächlich abzugeben, beide sollten eine vertrauensvolle Beziehung zueinander pflegen bzw. bereit sein, diese aufzubauen. Und die Stellvertretung muss Spielraum und Entfaltung erhalten, einen eigenen Raum und Zuständigkeitsbereich, in dem sie sich profilieren und beweisen kann. All dies ist auf dem Papier deutlich einfacher als in der Realität, besonders, wenn eine Schlüsselperson viel persönliches Know-how und/oder finanzielle Ressourcen in das Unternehmen investiert hat. Aber wenn die Stellvertretung nur der «verlängerte Arm des Chefs» bleibt, ist der Frust vorprogrammiert. Es braucht eine klare Definition und Kommunikation von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung, nur so hat eine Stellvertretung die Möglichkeit, sich vertieft in bestimmte Aufgabengebiete einzuarbeiten und entsprechende Kompetenzen zu entwickeln. Dies wirkt motivierend für die Stellvertretung und entlastet gleichzeitig die Vorgesetzte oder den Vorgesetzten, und beide können zu einem erfolgreichen Führungsgespann werden.

Fazit

Die rechtzeitige Ernennung einer Stellvertretung lohnt sich also in jedem Fall. Das Erarbeiten der möglichen Szenarien und der notwendigen Massnahmen zur Abwendung eines Worst-Case-Szenarios sind zeitaufwendig und werden deshalb gerade in den Anfängen eines Unternehmens oft vernachlässigt. Am schwierigsten dürften aber die weichen Faktoren sein: sich mit der eigenen Ersetzbarkeit auseinanderzusetzen, eine Stellvertretung zu finden, die persönlich passt, und ihr das Vertrauen zu schenken, das sie braucht, um im Ernstfall einzuspringen. Gelingt das hingegen, wird es sich nicht nur im Notfall für das Unternehmen positiv auswirken, sondern Pilot und Co-Pilot werden zum erfolgreichen Führungsgespann, das zu gemeinsamen Höhenflügen ansetzt und das Unternehmen auf Erfolgskurs hält.

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