Entwicklungsphasen von Unternehmen: Und die Aufgaben des HR

Vom Säugling und Kleinkind über den Teenager bis hin zum Erwachsenen – ähnlich wie Menschen durchläuft ein Unternehmen verschiedene Phasen der Reifung. Die Aufgaben des Human Resource Managements (HR) verändern sich in den Entwicklungsphasen von Unternehmen sehr.

28.12.2023 Von: Barbara Grass
Entwicklungsphasen von Unternehmen

We are family

Ein neu gegründetes Unternehmen befindet sich in der Regel in der Pionierphase. Das ganze Unternehmen wird von der Gründerin oder dem Gründer geprägt. Diese leben ihre Vision vor, und die Mitarbeitenden unterstützen mit Herzblut und grossem Engagement bei der Realisierung. Die Beziehungen unter den Mitarbeitenden, aber auch zu den Kunden sind familiär. Es wird kaum geplant, sondern meistens improvisiert. Dadurch ist das Unternehmen flexibel und effizient. Dabei gibt es verschiedene Entwicklungsphasen von Unternehmen.

In der Pionierphase hat die Organisation in der Regel keine HR-Profis an Bord. Die HR-Aufgaben konzentrieren sich auf die Administration (Verträge, Löhne und Sozialversicherungen), mit der Zeit kommen Verantwortlichkeiten für Arbeitszeugnisse und Weiterbildungen dazu. Da die Arbeitsteilung meist um Personen erfolgt, werden diese Aufgaben von dem- oder derjenigen übernommen, der oder die es scheinbar am besten kann. Insgesamt ist die Aufteilung von Aufgaben zwischen HR und Führungskräften unklar und wenig standardisiert.

Im Gegensatz zum Menschen, bei denen die Reifung altersabhängig ist, können Unternehmen problemlos jahrzehntelang in der Pionierphase bleiben und sehr gut funktionieren. Gute Beispiele sind kleine Handwerksbetriebe oder Detailhandelsgeschäfte wie z.B. Kleiderboutiquen oder Blumenläden mit zwei bis drei Angestellten. Erbringen diese gute Qualität, bauen sie sich einen lokalen Kundenstamm auf, von dem sie gut leben können, ohne partout wachsen zu müssen. Das Festhalten von Prozessen oder das Schaffen von Strukturen ist nicht nötig, da die Arbeit auf Zuruf sehr gut funktioniert und sich die Mitarbeitenden gut genug kennen, um allfällige Schwächen untereinander auszugleichen.

Schwieriger wird es, wenn das Unternehmen wächst und gar einen zweiten Standort eröffnet. Dann werden Improvisation und Spontanität zum Hindernis. Intransparenz, Willkür und Know-how, das einzig und allein in den Köpfen der Mitarbeitenden steckt, fördern Konflikte und Machtkämpfe. Das Unternehmen kommt in die überreife Pionierphase. Damit wird die zweite Phase eingeläutet: die Differenzierungsphase.

Raus aus den Kinderschuhen

In der Differenzierungsphase wird das Unternehmen strukturiert, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten definiert und den verschiedenen Abteilungen zugeordnet. In dieser Phase werden Führungsebenen definiert und Stabsstellen, wie z.B. HR und Finanzen, geschaffen. Das Unternehmen wandelt sich von der grossen Familie zu einem rationalen Konstrukt. Ist die HR-Person mit den Entwicklungsphasen von Unternehmen vertraut, z.B. weil das Thema in HR-Grundkursen aufgenommen wird, kann sie wesentlich dazu beitragen, dass der häufig schwierige Übergang in die Differenzierungsphase gut gelingt. Denn in der Realität ist der Übergang von der Pionierin die Differenzierungsphase häufig schmerzlich. Auch wenn vielen einleuchtet, dass mit einheitlichen Prozessen und Strukturen Missverständnisse und Konflikte reduziert werden, fehlt vor allem den langjährigen Mitarbeitenden der direkte Zugang zur obersten Führungsebene und die für kleine Unternehmen typische Nähe und Überschaubarkeit. Hinzu kommt, dass häufig ehemalige Teammitglieder nun plötzlich Vorgesetzte sind. Ein Rollenwechsel, der in der Regel auch von Spannungen begleitet ist.

In dieser Phase kann das neu geschaffene HR massgeblich dazu beitragen, dass die mit der Differenzierung verbundenen Veränderungen erfolgreich umgesetzt werden. Zum einen hat es die Aufgabe, die HR-Prozesse zu professionalisieren und aufzubauen. Dazu gehören Checklisten für Arbeitszeugnisse, Unterstützung der Vorgesetzten bei Personalgesprächen (Mitarbeitergespräche, Probezeit- und Austrittsgespräche), die Einführung einer Personalplanung und das Erstellen von Weiterbildungskonzepten.

Aber nicht nur bei der Strukturierung an sich hat das HR wichtige Aufgaben. Gerade als Stabsstelle kann das HR glaubhaft thematisieren, dass der Übergang von der Pionier- in die Differenzierungsphase nicht einfach ist. Zum einen erschüttern strukturelle Veränderung – und genau das ist die Einführung von Führungsebenen – ein System immer relativ stark. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich die Mitarbeitenden durch das starke Wachstum noch nicht oder nicht mehr zugehörig zur Organisation fühlen. Aber gerade die Zugehörigkeit ist die Basis für gut funktionierende Teams. Hier kann das HR proaktiv und mit kreativen Ansätzen dafür sorgen, dass die Zugehörigkeit gestärkt wird, z.B. indem in Workshops mit den Mitarbeitenden gezielt der Frage nachgegangen wird, was denn die Zugehörigkeit zur Organisation ausmacht und wie diese gestärkt werden kann.

Human Resources als Entwicklungshelfer

Eine weitere wichtige Funktion, die das HR in diesem Übergang hat, ist die Würdigung des bisher Geleisteten. Dabei gilt es anzuerkennen, dass Mitarbeitende, die schon länger dabei sind, mit ihrem Einsatz das Wachstum überhaupt erst möglich gemacht haben, unabhängig, auf welcher Hierarchiestufe sie sich nun befinden. Sie sollten nach ihren Erfahrungen befragt und ernst genommen werden, ohne dass dies gleichzeitig bedeutet, künftig stur am Früheren festzuhalten.

Und last, but not least hat HR eine führende Rolle, wenn es um die Ausgestaltung von Funktionen geht, was ebenfalls ein typisches Merkmal beim Übergang in die Differenzierungsphase ist. Das durchdachte Verfassen von Funktionsbeschreibungen ist meiner Erfahrung nach Knochenarbeit. Hier kann HR mit gutem Bespiel vorangehen und die Mitarbeitenden in die Ausgestaltung miteinbeziehen. Es bleibt Knochenarbeit, aber sie wird als sinnvoller wahrgenommen, als wenn alles von oben vorgegeben wird.

Wächst das Unternehmen weiter, werden dann auch hier die Vorteile zu Beginn der Phase zum Hindernis, das kennen viele von grossen Konzernen. Die Organisation wird bürokratisch und starr, Entscheide müssen x Hierarchiestufen überwinden, das Unternehmen befindet sich in der überreifen Differenzierungsphase. Hat das HR die Entwicklungsphasen im Bewusstsein, kann es bereits frühzeitig auf diese Gefahren hinweisen und Änderungen rechtzeitig einleiten. Denn nach der Differenzierungsphase kommt die Integrationsphase.

Das grosse Ganze im Fokus

Der Übergang von der Differenzierungs- in die Integrationsphase wird in der Regel von den Mitarbeitenden als einfacher wahrgenommen, da die Überbürokratisierung wegfällt und Eigenverantwortung wieder wichtiger wird. In der Integrationsphase wird die Organisation in kleinere, überschaubare Einheiten gegliedert. Diese sind für ganzheitliche Aufgaben zuständig und planen, organisieren und kontrollieren weitgehend selbstständig. Zentrale Stabsstellen stehen ihnen dabei unterstützend zur Seite. So gewährleistetet das HR professionelle und standardisierte Personalprozesse für alle Bereiche. Gleichzeitig übernehmen die Führungskräfte wieder mehr Verantwortung für die Entwicklung der Mitarbeitenden. HR unterstützt sie dabei im Sinne einer professionellen Dienstleistung. Typisch für die Integrationsphase sind HR-Businesspartner-Modelle, bei denen der Business-Partner sowohl Sparringspartner der Mitarbeitenden als auch der Unternehmensleitung ist und vermehrt auch in strategische Fragestellungen einbezogen wird.

Neben dem Wandel der eigenen Rolle sollte das HR in der Begleitung des Veränderungsprozesses der ganzen Organisation ebenfalls eine führende Rolle einnehmen. Zum einen sollte es – wie bereits erwähnt – die notwendigen Schritte rechtzeitig einleiten, sodass die für die überreife Differenzierungsphase typischen Lähmungserscheinungen der Organisation gar nicht erst auftreten. Zum anderen sollte das HR die Transformation der Organisation in überschaubare Einheiten so begleiten, dass diesen der Start in die grössere Selbstständigkeit gelingt. Dazu gehört das Festlegen von klaren Rahmenbedingungen, innerhalb derer selbstständiges Agieren möglich ist. Was unpopulär und altmodisch tönt, ist gerade in agilen Organisationen enorm wichtig: Klarheit bezüglich Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung. Denn diese werden in agilen Organisationen von wenigen Einzelpersonen auf die Mitarbeitenden und Teammitglieder übertragen. Dabei braucht es geeignete Instrumente, z.B. mittels eines «Delegation Board», das die Organisation unterstützt, die Verantwortung schrittweise zu übertragen.

In der Integrationsphase werden Kommunikation und Reflexion zu zentralen Themen. Hier ist das HR gefordert, bei der Rekrutierung neuer Mitarbeitenden sicherzustellen, dass sie hohe Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Selbstreflexion mitbringen. Und das HR hat ebenfalls die Aufgabe, diese Fähigkeiten gezielt zu schulen. Denn in einer agilen Organisation sind eine gute Feedback- und Konfliktkultur zentrale Erfolgsfaktoren.

Klarheit für Ihre Unternehmung

Das Wissen um die Unternehmensphasen ist grundlegend, um die Weiterentwicklung von Unternehmen aktiv zu gestalten. Dass aktuell viel über Selbstorganisation und Agilität geschrieben wird, hängt auch damit zusammen, dass viele grössere Konzerne in der überreifen Differenzierungsphase sind. Viele KMUs hingegen befinden sich nach meiner Praxiserfahrung im Übergang von der Pionier- zur Differenzierungsphase. Ganz unabhängig davon, in welcher Phase sich Ihr Unternehmen befindet. Es lohnt sich, Klarheit zu haben, wo Sie gerade stehen, und die Zukunft aktiv in Angriff zu nehmen. HR hat dabei zwei wesentliche Aufgaben. Zum einen muss sie Organisationen rechtzeitig befähigen, sich weiterzuentwickeln, sodass die negativen Seiten einer überreifen Phase gar nicht erst zum Tragen kommen. Und zum anderen muss das HR sich in seiner Rolle selbst weiterentwickeln, um der neuen Organisationsform gerecht zu werden.

 

Quellen:
Glasl F., Kalcher, T. Piber H. (2014): Professionelle Prozessberatung. Das Trigon Modell der sieben OE-Basisprozesse, 3. überarbeitete und ergänzte Auflage, Bern: Haupt Verlag.
Raudaschel W., Wanjek L.: Kernkompetenzen einer agilen Führungskraft, heruntergeladen von www2. deloitte.com/de/de/pages/financial-services/articles/ kernkompetenzen-agile-fuehrungskraft-fsi.html, 22.4.22

Newsletter W+ abonnieren