Innovationsmanagement: Exploit und Explore als Schlüssel zum Erfolg

Im nachfolgenden Beitrag wird erklärt, warum Exploit und Explore als grundlegende Fähigkeiten über den Erfolg von Innovationen entscheiden. Dabei identifiziert er Exploit-Strukturen als Treiber für inkrementelle Veränderungen und Effizienz, während Explore-Strukturen Raum für bahnbrechende Neuerungen schaffen.

20.08.2024 Von: Tobias Reisbeck
Innovationsmanagement

Innovationsstruktur – die strukturelle Ebene des Innovationsmanagements 

Erfolgreiches Innovationsmanagement spielt sich auf drei Ebenen ab: der funktionalen, der emotionalen und der strukturellen Ebene. Auf der funktionalen Ebene widmen wir uns den Fragen, WAS wir unter Innovation verstehen, was wir damit erreichen wollen. Auch die Frage, WIE Innovationen realisiert werden und welche Werkzeuge und Abläufe hierfür zur Verfügung stehen, ist Teil der funktionalen Ebene. Dagegen beleuchtet die emotionale Ebene des Innovationsmanagements die Aspekte der Kultur, der Führung und der Motivation von Mitarbeitern. Die strukturelle Ebene adressiert hingegen die Frage, welcher der passende Rahmen und welche die passenden strukturellen Voraussetzungen für erfolgreiches Innovationsmanagement sind. Es lohnt sich, dieser strukturellen Ebene einiges an Bedeutung zu schenken, denn sie kann Innovation nicht nur ermöglichen, sondern auch erleichtern. Sie legt den Rahmen fest, in dem Innovation stattfinden kann. Sie bestimmt in wesentlichem Masse, wie und in welchem Umfang und mit welchen Freiheitsgraden Innovation erfolgt und erfolgreich sein kann.

Zwei grundlegende Fähigkeiten: Exploit und Explore 

Innovationsfähigkeit 

Innovationsfähigkeit beinhaltet zwei unterschiedliche Arten von Fähigkeiten: die Fähigkeit, das vorhandene Potenzial auszuschöpfen (Exploit), und die Fähigkeit, Neues zu entdecken (Explore). Die Exploit-Fähigkeit steht dabei für die kleinen Schritte und die evolutionäre Weiterentwicklung des Unternehmens. Sie beschreibt die Fähigkeit, Situationen stabil und berechenbar zu gestalten und für ein hohes Mass an Effizienz zu sorgen. Mithilfe dieser Fähigkeit werden vorrangig inkrementelle Innovationen hervorgebracht. Diese verändern weder das Produkt noch den Markt wirklich wesentlich, sorgen aber für eine kontinuierliche Entwicklung des Unternehmens und seiner Produkte. Die Explore-Fähigkeit hingegen sorgt für grosse innovative Sprünge und einschneidende Veränderungen in Produkt und Markt. Sie beschreibt die Fähigkeit, flexibel auf die unterschiedlichsten Situationen und Anforderungen zu reagieren, und bringt radikalere Lösungen und Innovationen hervor. Mit einer Reihe von Fragen zur Selbstdiagnose erhält man einen Anhaltspunkt, auf welche der Fähigkeiten in einem Unternehmen mehr Gewicht gelegt wird: 

  • Wo liegt die Stärke Ihres Unternehmens? 
  • Setzt Ihr Unternehmen eher auf «Exploit», oder sind Sie von Haus aus eher der «Explore»-Typ von Unternehmen? 
  • Inwiefern ist das Ergebnis Ihrer Einschätzung genauso erwünscht und bewusst angestrebt? 
  • Wo liegen gewachsene Strukturen vor, die dieses Ergebnis bzw. dieses Handeln implizit vorgeben?

Innovationsstrukturen – Exploit- und Explore-Strukturen 

Die Strukturen einer Organisation setzen den Rahmen für Innovationen. Im Innovationsmanagement spricht man von zwei grundlegenden Strukturmodellen: Exploit-Strukturen (Ausschöpfungsstrukturen) und die Explore- Strukturen (Entdeckungsstrukturen). 

Exploit-Strukturen fördern die Fähigkeit zur Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials. Sie setzen den Rahmen und bilden die strukturellen Voraussetzungen für eine inkrementelle Innovation und evolutionäre Veränderung. Exploit-Strukturen sind darauf ausgerichtet, Effizienz und Standardisierung zu ermöglichen. Die Potenziale im festgelegten Rahmen sollen ausgeschöpft und gewinnbringend genutzt werden. Exploit-Strukturen sorgen in Organisationen für Vorhersagbarkeit und Steuerbarkeit. Sie sind klar in der Zuordnung, der Aufgabenteilung und Aufgabenzuteilung. Stellenbeschreibungen, Standardprozesse und Regeln sind essenzielle Bestandteile der Exploit- Struktur, um Effizienz und Potenzialausschöpfung zu ermöglichen. 

Exploit-Strukturen bilden einen geeigneten Rahmen für inkrementelle Innovationen, die bisherige Lösungen verbessern, optimieren und das Potenzial des bereits Vorhandenen (Produkte, Ressourcen, Konzepte) ausschöpfen. Da inkrementelle Innovationen sich mit geringerem Risiko durchführen lassen und kalkulierbar sind, kann die Steuerbarkeit des Systems erhalten bleiben. Der notwendige Veränderungs- und Adapationsgrad bleibt gering und vorhersehbar. 

In der Praxis sieht man als Ergebnis der Innovationsarbeit von Konzernen meist inkrementelle Lösungen. Dies ist unter anderem auf die auf Effizienz und Standardisierung ausgerichtete Struktur vieler Konzerne zurückzuführen. Steuerbarkeit und Berechenbarkeit sind besonders für grosse Unternehmen essenziell. Sie brauchen klare Regeln, um Vorhersagbarkeit zu gewährleisten. Neuerungen bleiben in Konzernen oft inkrementeller Art, denn disruptive Innovationen sind mit einem klaren Regelbruch verbunden und nicht mit den klaren Regeln in Konzernstrukturen. Eine Lösung sehen grosse Konzerne wie Siemens gerne in der Ausgliederung von Unternehmensbereichen oder im Zukauf von kleinen Unternehmen, die disruptive Innovationen erarbeiten. Denn auch Konzerne können nicht auf Dauer auf disruptive Innovationen verzichten. 

Exploit-Strukturen sind klar strukturiert und hierarchisch aufgebaut. Sie folgen meist der funktionalen Ordnung und sind Top-down organisiert. Rollen und Aufgaben lassen sich eindeutig zuordnen und ermöglichen damit ein hohes Mass an Effizienz, Standardisierung und vor allem Stabilität. Diese Strukturen finden wir in vielen grossen Konzernen (siehe Abbildung 1).

Explore-Strukturen hingegen setzen die Basis für diskontinuierliche Innovation und entscheidende Veränderung. Sie fördern im Wesentlichen die Explore-Fähigkeiten des Unternehmens, d.h. die Fähigkeit, Neues zu entdecken und zu erschaffen. Explore-Strukturen sind auf Flexibilität und Anpassungfähigkeit ausgelegt. Diese Strukturen schaffen Freiräume für Experimente, Kreativität und Teamwork. Durch wenig standardisierte Prozesse sind Neukombinationen und neuartige Wechselwirkungen möglich. Neuartiges Handeln der Beteiligten zieht wiederum neuartige Reaktionen anderer nach sich und öffnet den Raum für neue Lösungen. In diesem Umfeld kann disruptive Innovation entstehen. Kleine Unternehmen, die nicht über die Ressourcenausstattung der Konzerne verfügen, sind wesentlich von ihrer Flexibilität, Geschwindigkeit und bahnbrechenden Neuigkeiten abhängig, daher greifen diese meist auf flexible und adaptive Strukturen zurück. 

Explore-Strukturen weisen flache Hierarchien und keine klare Strukturierung auf. Sie ähneln der Struktur von Netzwerken und basieren auf stark interagierenden Teams. Rollen und Aufgaben können nicht immer klar zugeordnet werden und bieten Freiräume zur Entfaltung, Kreativität und vor allem für Flexibilität. Die Firma Gore beispielsweise setzt auf diese Art von Organisationsstruktur. Sie ist modular aufgebaut und setzt sich selbst die Regel, dass kein Unternehmensbereich mehr als 200 Mitarbeiter und eine bestimmte Anzahl an Hierarchiestufen aufweisen darf. Sind diese Grenzen erreicht, wird der Bereich geteilt bzw. ein neuer Bereich geschaffen. So können dauerhaft Flexibilität, Reaktionsfähigkeit und Innovationskraft erhalten bleiben (siehe Abbildung 2). 

Fragen zur Selbstdiagnose 

  • Welches Strukturprinzip herrscht in Ihrem Unternehmen aktuell vor? 
  • Wie stabil ist der Markt, in dem Ihr Unternehmen agiert? 
  • Welche Vorteile sehen Sie in den aktuellen Strukturen? 
  • Welche Nachteile sehen Sie in den aktuellen Strukturen? 
  • Ermöglichen die aktuellen Strukturen das notwendige Mass an Flexibilität und Stabilität?

Die «Innovations-Falle» 

Explore-Strukturen fördern tiefgreifende Veränderungen und bahnbrechende Innovationen. Sie schaffen die Rahmenbedingungen, dass neuartig gedacht werden kann und nutzenstiftende Neuerungen hervorgebracht werden können. Die konsequente und effiziente Implementierung dieser Innovationen wird jedoch durch diese netzwerkartige Organisationsstruktur kaum forciert. In dieser Hinsicht bieten Exploit-Strukturen den passenden Rahmen für klare Vorgehensweisen und rasche Implementierung. Sie fördern Effizienz, stringente Planung und Realisierung von definierten Projekten und Vorhaben. Generell gesprochen, sind Exploit-Strukturen das passende Mittel, um Erfolg in stabilen Märkten zu realisieren. In turbulenten Märkten hingegen versagen diese Strukturen meist. Im Gegenzug sind Explore-Strukturen bestens geeignet, um in turbulenten Märkten zu bestehen, in stabilen Märkten hingegen sind sie auf Dauer wenig hilfreich. Die Tatsache, dass weder die Explore- noch die Exploit-Strukturen die passenden Rahmenbedingungen sowohl für Flexibilität als auch für Stabilität schaffen, bezeichnet die Literatur als «Innovationsfalle ». Jedes Unternehmen steht somit vor der Frage, welche die passende Struktur für das Unternehmen bzw. das Innovationsvorhaben ist und wie diese auszugestalten ist. 

Organisationsstruktur und Innovationsvorhaben 

Ein eindeutiges Rezept für die richtige Entscheidung bzw. die zu wählende Organisationsstruktur gibt es nicht. Jedes Unternehmen hat die Vor- und Nachteile der jeweiligen Strukturen abzuwägen und ein Modell zu wählen, das den individuellen Ansprüchen bestmöglich genügt. 

Einige hilfreiche Anhaltspunkte bezüglich der passenden Organisationsstruktur für die unterschiedlichen Innovationsvorhaben können aus den Einsatzfeldern und ihrer Zielsetzung abgeleitet werden (siehe Abbildung 3). 

Wie die Abbildung 3 zeigt, sind für die unterschiedlichen Innovationsvorhaben und -zielsetzungen auch unterschiedliche Strukturen und Rahmenbedingungen sinnvoll und notwendig. Um langfristig erfolgreich zu sein, benötigt ein Unternehmen Innovationen auf den unterschiedlichen Ebenen, sowohl disruptiver als auch inkrementeller Art. Um auch hier einen Anhaltspunkt zu erhalten, können folgende Fragen zur Selbstdiagnose beantwortet werden: 

  • Was sind die strategischen Erfolgspotenziale Ihres Unternehmens? Welche strukturellen Faktoren tragen massgeblich zum Erfolg im Wettbewerb bei? 
  • Werden die vorhandenen Ressourcen und Kernkompetenzen durch die Organisationsstruktur gefördert? 
  • Welche Fähigkeit, Exploit oder Explore, müssen wir zukünftig fördern? Was bedeutet das für die Gestaltung unserer Strukturen? 
  • Welche Art von Innovationsvorhaben steht in der nahen Zukunft an? Welche Strukturen müssen wir für das Gelingen des Vorhabens schaffen? 
  • Welchen ungeschriebenen Regeln hinsichtlich der Struktur folgt Ihr Unternehmen? 
  • Welche dieser Regeln sind in irgendeiner Form veränderbar, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen?
Newsletter W+ abonnieren