Kontinuierliche Verbesserungen: So funktioniert das japanische «Kaizen» in der täglichen Praxis
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Kontinuierliche Verbesserungen
«Lean Management» und «Kaizen» gehören wahrscheinlich zu den am meisten missinterpretierten Managementwörtern der letzten 20 Jahre. Unzählige Industriebetriebe, Spitäler, Versicherungen, Banken und Gewerbe haben sich mit diesem anscheinend erfolgreichen Konzept stark die Finger verbrannt und mehr «Frust» statt «Lust» erzeugt. Wieso kam es so weit? Was haben diese Organisationen in der täglichen Praxis vernachlässigt oder falsch verstanden? Warum sind viele Betriebe äusserst schnell und effektiv mit dieser Methode unterwegs, während andere damit zum Scheitern verurteilt sind?
«Kaizen» bedeutet Veränderung oder Wandel zum Besseren. Viele Managementkonzepte der letzten Jahre wie Six Sigma, Scrum, Agilität, Business Process Reengineering, KVP, CIP und Lean Management haben dasselbe Ziel: besser zu werden! Sei es nun, schneller zu werden oder die Qualität für den Kunden zu steigern und zugleich die Kosten für das Unternehmen zu reduzieren. Kaizen ist eher eine innere Denkhaltung, wobei es darum geht, etwas bei sich selbst zu verändern und auf eine andere, neue Weise besser zu machen.
Im Rahmen einer Studienreise nach Japan im Jahr 2018 gab es einige eindrückliche Momente für einen Westeuropäer. Auf die Frage in einem japanischen Unternehmen: «Machen Sie hier bei Ihnen auch Kaizen?», gab es immer die gleiche Antwort: «Ja, klar» (im selbstverständlichen Sinne)! Erst viel später habe ich realisiert, dass sie mit Kaizen eine ganz andere Einstellung haben als wir hier in Westeuropa. Wir betrachten die Methodik als ein Instrument, Hilfsmittel oder Werkzeug. Dieser Unterschied ist bereits der erste grosse Fehler, den europäische Organisationen täglich begehen. Kontinuierliche Verbesserungen sind nicht delegierbar! Die Verbesserungsleistung beginnt bei jedem selbst!
Masaaki Imai hat 1999 in seinem Buch «Gemba Kaizen» folgende – und für uns sehr wertvolle – Definition veröffentlicht (Imai & Brian, 1999): «Kaizen is everyday, everybody, everywhere improvement.» Mit anderen Worten: Jeden Tag, durch jede Person, an jedem Ort eine Verbesserung etablieren!
30 Minuten täglich in Verbesserungen investieren
Stellen Sie sich diese Situation einmal bildlich vor: Jede Person in Ihrem Betrieb verbessert bei sich selbst jeden Tag etwas – sei es einen Prozess, eine Einstellung oder ein Arbeitsmittel. Oder noch konkreter, wenn Sie selbst jeden Tag 30 Minuten Ihrer wertvollen Arbeitszeit in die eigene Verbesserung investieren würden? Bei einer Belegschaft von 100 Personen kommen nach dieser Logik täglich 100 umgesetzte Verbesserungsmassnahmen zusammen. Bräuchten wir mit dieser Art und Weise gleich viele Verbesserungsprojekte und Workshops in den Organisationen wie zuvor? Ist es nicht einfacher, wenn man täglich einen kleinen Schritt statt eines 100-Meter-Sprungs einmal jährlich macht? Ich persönlich bevorzuge eindeutig die kleinen, dafür kontinuierlichen Schritte. Was braucht es nun, damit dieser Gedanke nicht nur eine Vision oder Utopie bleibt, sondern gelebt werden kann?
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In den letzten Jahrzehnten war es häufig die Aufgabe des mittleren Managements und dessen operativen Mitarbeitenden, die Verbesserungen anzudenken und umzusetzen. Die Topmanager haben auch gewisse Dinge durchaus verbessert, jedoch war dies grundsätzlich die Aufgabe der anderen. Doch Verbesserungsleistung ist in den wenigsten Fällen delegierbar. Mit anderen Worten: Was passiert, wenn der CEO und das Topmanagement als Vorbilder vorangehen und jeden Tag bei sich selbst eine kleine Verbesserung anpacken und umsetzen? Welche Wirkung hat dies auf die gesamte Organisation? Kaizen ist insbesondere in der Startphase oft als Prozess zu beobachten, der top-down erfolgt. Genau hier liegt bereits eine grosse Soll-Ist-Differenz in der täglichen Praxis. Verbesserungen werden lieber delegiert!
Der Faktor Zeit
Der zweite wichtige Aspekt ist die Zeit. Jede Verbesserung und Veränderung zum Besseren benötigt Zeit. Zeit, die Verbesserung zu erkennen, Zeit, um Ideen zu entwickeln, Zeit für die Umsetzung, Zeit für die Kontrolle der Nachhaltigkeit sowie Zeit für die kontinuierliche Anpassung und Feinjustierung. Wer hat denn in der heutigen schnelllebigen Welt noch Zeit? Wahrscheinlich nur die wenigsten Mitarbeitenden. Deshalb liegt der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung in der täglichen Praxis und einem stabilen Verbesserungsrhythmus. Betriebe, welche Kaizen in mehr als zehn Jahren verinnerlicht haben, investieren rund zehn Prozent der Arbeitszeit in die aktive Verbesserung. Durch einen konkreten und fixierten Rhythmus für Optimierungen, wie zum Beispiel jeden Tag zwischen 13:00 Uhr bis 13:45 Uhr, entwickelt sich eine sehr überzeugende Verbesserungskultur. Auch ein wöchentlicher Block von drei bis vier Stunden kann sinnvoll sein. Allenfalls kann alle zwei Wochen jeweils am Mittwoch ein Verbesserungstag stattfinden. Viele Personen, die diese Zeilen lesen, werden sich wundern und wahrscheinlich denken: «Das ist bei uns sowieso nicht möglich.» In der Schweiz gibt es bereits viele Betriebe, die den Mehrwert von Verbesserung bzw. Kaizen für die tägliche Praxis erkannt, umgesetzt und sich dadurch einen massiven Wettbewerbsvorteil erarbeitet haben. Verbesserung ist harte (Fleiss-)Arbeit, die sich aber immer lohnt!
Denkanstösse für die tägliche Praxis (Mattmann, 2020)
- Eine Minute besteht aus Sekunden – deshalb: Jede Sekunde ist wertvoll und zählt!
- Jede Verbesserung, egal ob gross oder klein, ist eine Anerkennung und ein Lob wert!
- Das Einzige, was zählt, ist die Umsetzung! Angedachte Verbesserungen sind wertlos, wenn sie keine Umsetzung in der täglichen Praxis finden!
- Die Veränderungs- und Verbesserungsleistung beginnt bei jeder Person selbst. Es ist einfach zu sagen: «Du musst dich oder deine Prozesse verbessern!»
- Veränderungsleistung an andere zu adressieren, führt häufig nicht zum gewünschten Erfolg!
- Lieber hundert 1-Meter-Schritte statt eines 100-Meter-Schritts!
- Der Mensch möchte sich grundsätzlich nicht verschlechtern. Der Mensch strebt kontinuierlich (bewusst, aber auch unbewusst) nach einer besseren Situation.
Tipps für die erfolgreiche erste Umsetzung in der täglichen Praxis
- Je näher der Kaizen-Gedanke beim CEO ist, desto besser! Kaizen kann jedoch auch im eigenen Team gestartet werden. Die Führungskraft stellt dabei einen wichtigen Treiber dar.
- Definieren Sie einen fixen und geplanten Zeitpunkt für die regelmässige Verbesserung (z.B. jeden Tag 45 Minuten, einmal in der Woche für drei bis vier Stunden oder alle zwei Wochen für acht Stunden). Diese Verbesserungszeit ist heilig und wird nicht durch das operative Geschäft übersteuert!
- Die Kaizen-Reise beginnt bei einem selbst: Wo kann ich 45 Minuten Zeit investieren und eine Verbesserung umsetzen, damit ich ab der 46. Minute bereits im verbesserten Zustand arbeite? Da gibt es viele kleine Dinge am Arbeitsplatz, in den Prozessen, in der Arbeitsweise etc., welche Verschwendungen, Probleme und Herausforderungen darstellen. Diese packen wir direkt an (siehe Abbildung).
- Jede Verbesserung wird kurz im Team vorgestellt, und ggf. wird die neue Arbeitsweise trainiert und eingeübt. Dieser Punkt wird häufig unterschätzt, denn die beste Verbesserung hat keine Wirkung, wenn niemand darüber informiert ist.
Es ist noch kein Weltmeister vom Himmel gefallen. Aller Anfang ist schwer und braucht auf vielen Seiten intern und extern etwas Geduld und Überzeugungskraft. Jede Führungskraft freut sich über Verbesserungen im eigenen Team, wenn es dadurch für alle einfacher und besser geht und der Kunde am Schluss profitieren kann.