Emotionen im Change-Prozess: So gehen Sie erfolgreich damit um

Change-Prozesse lösen unvermeidlich Emotionen bei Mitarbeitenden aus. Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, auf diese sehr spezifisch zu reagieren, um Mitarbeitende tatsächlich wirkungsvoll zu unterstützen.

17.09.2024 Von: Tobias Heisig, Alexander Wittwer
Emotionen im Change-Prozess

Veränderungen werden gemeinhin mit Angst assoziiert. Sobald von Veränderungen die Rede ist, hören wir allenthalben, dass Mitarbeitende Angst vor Veränderungen hätten und aus diesem Grund häufig nicht so «mitziehen», wie Führungskräfte sich dies wünschen. Im Zuge der Gestaltung und Begleitung von Veränderungsprozessen begegnen wir neben Angst jedoch mindestens ebenso häufig den Kernemotionen Schmerz, Wut und Vergnügen, die wiederum jeweils zu sehr unterschiedlichen Verhaltensmustern führen.

Emotionen im Change-Prozess

Für Führungskräfte ist es wertvoll zu wissen, bei welchen Mitarbeitenden welche Gefühlsmuster mit welchen Verhaltensmustern einhergehen und wie sie wiederum idealerweise damit umgehen sollten. Vier Kernemotionen lassen sich unterscheiden: Vergnügen, Schmerz, Wut und Angst. Diese Kernemotionen sind häufig mit weiteren emotionalen Zuständen assoziiert, die im Veränderungsprozess sichtbar werden: So kann Vergnügen mit Neugierde verbunden sein, Schmerz mit Ernüchterung, Wut mit Ausdauer, Angst mit Blockade, umgekehrt Angstfreiheit mit Selbstwert (siehe Abbildung).

Vergnügen und Neugierde

Ein neues Servicepaket erzeugt bei der Vertriebsmannschaft Neugier auf die zu erwartenden Kundenreaktionen. Es besteht die Zuversicht, dass Verkaufsgespräche einfacher werden und die Abschlussquote steigt. Diese Perspektive wird als Vergnügen erlebt.

Schmerz und Ernüchterung

In einem grossen Einzelhandelsunternehmen engagieren sich die Verkaufsmitarbeitenden dafür, das Einkaufserlebnis für die Kunden zu verbessern. Ernüchterung macht sich breit als deutlich wird, dass das durchgehaltene Engagement zwar zu mehr Kundenzufriedenheit, nicht aber zu den erwarteten Umsatzsteigerungen führt. Die Corona-Pandemie macht alle weiteren Bemühungen obsolet. Die Realität wird als sehr schmerzvoll erfahren.

Wut und Ausdauer

Das Management eines Produktionsunternehmens entscheidet, Standorte zu schliessen. Der ursächliche Kostendruck wird als Versagen des Managements betrachtet. Teile der Belegschaft reagieren wütend und legen eine enorme Ausdauer an den Tag, die Umsetzung der beschlossenen Veränderungsmassnahmen hinauszuzögern und letztlich zu boykottieren.

Angst und Selbstvertrauen

Der Strukturwandel ganzer Branchen, Sanierungs- und Restrukturierungserfordernisse sowie Digitalisierung erzeugen die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes bzw. die Sorge, unter den neuen Bedingungen nicht länger erfolgreich sein zu können. Gefühle der Angst gehen mit zum Teil massiven Selbstzweifeln einher. Umgekehrt kann die Reduktion von Angst zur Steigerung des Selbstwerts und einem ganz neuen Erleben eigener Wirksamkeit führen.

Wenn Führungskräfte diese Zusammenhänge kennen und differenziert wahrnehmen, können sie ihr Verhalten im Change-Prozess über gefühlsspezifische Interventionen noch bewusster steuern und wirksamer gestalten. Bedingung hierfür ist, anzuerkennen, dass jede Emotion ihre Berechtigung sowie ihren spezifischen Nutzen und Wert besitzt.

Führungsansätze und Führungsfehler

Gelingende Veränderungsprozesse setzen voraus, dass alle Zustände (Neugier, Ernüchterung, Ausdauer und Selbstvertrauen) für die handelnden Personen bewältigbar und gestaltbar sind. Insbesondere gilt es, die negativen Emotionen im Change-Prozess nicht zu ignorieren oder gar zu unterdrücken. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die Emotionen im Change-Prozess in übersteigerter Form Bahn brechen und als «emotionaler Marker» darauf aufmerksam machen, dass etwas nicht stimmt. Wenn Menschen in Veränderungsprozessen für ihre Emotionen keine Resonanz erhalten, suchen sie sich in der Regel alternative Bewältigungsmechanismen. Typischerweise bestehen diese darin, den Change-Prozess zu leugnen, zu ignorieren oder einfach auszusitzen.

Führungsfehler sorgen dafür, dass Veränderungsprozesse emotional nicht im Fluss sind. Wesentlich ist auch der emotionale Zustand der Führungskraft. Wenn Führungskräfte selbst unter Druck stehen, neigen sie dazu den Kontakt zu ihren Mitarbeitenden zu reduzieren und gleichzeitig den Druck durch Appelle oder Vorgaben zu erhöhen. Wenn Mitarbeitende sich im Zustand der Angst befinden, entwickelt sich daraus Panik, aus Schmerz wird Nörgeln und aus Wut Kampf. Oft werden Ängste bei Mitarbeitern noch verstärkt («Ja, ich kann gut verstehen, dass Sie sich Sorgen machen») oder schmerzhafte Erfahrungen werden ignoriert («Richten wir den Blick auf die Chancen»). Wut wiederum hat viel mit Engagement und persönlichen Wertvorstellungen, denen nicht entsprochen wird, zu tun. Wird Wut abgewertet («Die jammern auf hohem Niveau.»), erleben die Betroffenen dieses Gefühl umso stärker.

Die reine Vermittlung eines «Sense of Urgency» oder die Kommunikation einer positiven Vision greifen emotional meist zu kurz. Allein dadurch, dass die Unternehmensleitung besorgt oder begeistert ist, bewegen sich Mitarbeitende noch nicht. Wenn Führungskräfte auf Abwehr dann mit intensivierten Appellen reagieren, fühlen sich Mitarbeitende abgewertet und wenden sich innerlich ab.

Gefühlsadäquate Interventionen

Für Führungskräfte ist es wichtig, sich bewusst zu machen, welches Spektrum an Emotionen es gibt und wie jeweils zu reagieren ist. Zentral sind dabei Empathie (bei Schmerz), Kanalisierung und Lenkung (bei Wut), die Vermittlung von Selbstwirksamkeit (bei Angst vor Scheitern) sowie die Stärkung von adäquatem Vergnügen, wenn dieses mit der gewünschten Veränderung im Einklang steht. Wenn jemand Schmerz darüber erlebt, dass seine bisher erbrachte Leistung nicht mehr zählt, dann ist es wenig hilfreich ihm/ihr zu vermitteln, dass die Zukunft doch auch Chancen birgt. Viel wirksamer ist es einfach zuzuhören und zu bestätigen, dass es in der Tat sehr schmerzhaft ist und es sich um einen schwierigen Prozess handelt (Empathie). Umgekehrt ist es bei Angst. Empathie kann Angst noch weiter verstärken – so als würden wir einem Passagier mit Flugangst sagen, dass wir seine Angst sehr gut verstehen können. Bei Angst gilt es, Sicherheit zu vermitteln und Zuversicht auszustrahlen und sich eben nicht zu empathisch zu zeigen. Bei Wut hingegen, etwa darüber, dass man zu Beginn des Veränderungsprozesses nicht ausreichend eingebunden wurde oder es in der Umsetzung nicht voran geht, gilt es zunächst zuzuhören und dann gemeinsam zu überlegen, was konkret getan werden kann, um Versäumtes schnell nach- oder aufzuholen. Auf diese Weise kann auch die in der Wut verborgen liegende Ausdauer aktiviert werden. Bei Freude oder Vergnügen gilt es, sich zunächst einfach mitzufreuen. Es kann aber auch darum gehen «falsche» Freude zu entlarven – z.B. Freude an Tätigkeiten, die eigentlich gar nicht mehr erwünscht sind – und klares Feedback zu geben. Führungskräfte müssen also alle vier Grundemotionen kennen und jeweils spezifische Interventionen beherrschen. Einige Beispiele sollen dies weiter verdeutlichen:

Angst

Eine Mitarbeiterin hat Angst im Zuge der Einführung eines neuen Systems den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Die verantwortliche Führungskraft sollte diese Angst wahrnehmen, ernst nehmen (nicht bagatellisieren), aber gleichzeitig auch nicht zu viel Resonanz, Empathie oder Verständnis zeigen, um die Angst nicht grösser zu machen. Es gilt, ganz praktische Unterstützung anzubieten, Rückhalt zu vermitteln und Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Unserer Erfahrung nach neigen Führungskräfte dazu, bei Angst eher viel Empathie zu zeigen. Sie laufen damit (ungewollt) Gefahr, die Angst grösser zu machen.

Schmerz

Gewohntes oder Vertrautes zu verlieren oder loslassen zu müssen erzeugt Schmerz. Bei Schmerz ist ein hohes Mass an Empathie notwendig. Hierfür muss in der Unternehmenskultur verankert sein, dass der Schmerz als berechtigte Emotion wahrgenommen wird. Schmerz kann nicht durch sachliche Nutzenargumente einfach aus der Welt geschafft werden. Argumentativ ist Schmerz nicht behandelbar. Es gilt, ein hohes Mass an Empathie an den Tag zu legen und nicht zu argumentieren. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitenden Zeit geben und ausdrücklich bestätigen, dass der Prozess für alle Beteiligten schwierig ist und dass es in der Tat auch zu Härten und Ungerechtigkeiten kommen kann. Nur wenn der Schmerz gewürdigt wird, kann er abfliessen. Nach einiger Zeit kann es durchaus sinnvoll sein, darauf hinzuweisen, dass es besser ist, bestimmte Dinge abzuhaken und hinter sich zu lassen. Unserer Erfahrung nach zeigen Führungskräfte bei Schmerz deutlich zu wenig Empathie und versuchen über Sachargumente den Mitarbeitenden zu vermitteln, dass es keinen Grund gibt, dem Vergangenen nachzutrauern.

Wut

Bei Wut greifen Kanalisierung oder Funktionalisierung. Eine energische Aktivität des Mitarbeitenden sollte zunächst gewürdigt werden. Es gilt, die in der Wut steckende Energie und die darin enthaltene Bereitschaft zum Handeln auf die geeigneten Themen umzulenken. Die Führungskraft sollte dabei ausgesprochen sicher, bestimmt und zuversichtlich auftreten.

Fazit - So gehen Sie mit Emotionen im Change-Prozess um

Im Zuge von Veränderungsprozessen sind Emotionen unvermeidlich. Jede Emotion (Vergnügen, Schmerz, Angst, Wut) erfordert eine spezifische Antwort. Führungskräfte sollten deshalb über die Kompetenz verfügen, diese Emotionen im Change-Prozess wahrzunehmen und präzise darauf zu reagieren. Insbesondere bei Widerständen sind weniger die Argumente als vielmehr die passende Reaktionsweise ausschlaggebend. So ist etwa bei Angst der Appell an die Vernunft völlig wirkungslos und im Gegenteil kontraproduktiv. Bei Wut erzeugt das Angebot von Vergnügen sogar Ekel. Bei Schmerz helfen Rationalisierungen oder Versachlichungen überhaupt nicht, im Gegenteil, die fehlende Resonanz führt zu einem Verlust von Vertrauen und Beziehung. Vergnügen wiederum entsteht durch konkretes eigenes Tun und kann nicht von aussen erzeugt oder verschrieben werden. Erfolgreiche Veränderungen zeichnen sich somit dadurch aus, dass es gelingt, das erlebte Vergnügen beim neuen Verhalten Schritt für Schritt zu erhöhen.

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