Mangelnde Delegation: Wenn das Vertrauen in Mitarbeitende fehlt

Das Vertrauen bildet die Grundlage erfolgreicher, menschenorientierter Führung. Ein verlässlicher Gradmesser dafür zeigt sich im Umgang mit Delegation. Nirgendwo fliessen Konsequenzen mangelnden respektive vorhandenen Vertrauens für Mitarbeiter und Vorgesetzte so offensichtlich in den Arbeitsalltag wie bei diesem Führungsinstrument.

05.01.2024 Von: Markus Marthaler
Mangelnde Delegation

Mangelnde Delegation…

  • verhindert ein transparentes Kommunikationsverständnis, erschwert den gegenseitigen Austausch auf Mitarbeiter- und Führungsebene
  • führt zu zeitlichen Verzögerungen, Missverständnissen, unklaren Organisationsstrukturen mit oft überdurchschnittlich hohen Präsenzzeiten am Arbeitsplatz
  • löst gerade durch die mangelnde Organisation bei den Mitarbeitern Aggressionen, Druck und Demotivation hervor
  • begünstigt das Machtvakuum des Vorgesetzten und führt zu verzögerter Entscheidungsbildung. Bei Abwesenheit der verantwortlichen Person sind weder Entschlüsse noch auf Eigeninitiative beruhende Aktivitäten seitens der Mitarbeiter zu erwarten und eigentlich auch nicht erwünscht

Bei all diesen Aufzählungen handelt es sich aber lediglich um mangelnde Delegation und Ihre symptomatische Auswirkungen. Der echte Grund, das Ursächliche, sparsam mit dem Delegieren umzugehen oder auch ganz darauf zu verzichten findet sich auf vielfältige Weise in der einen oder anderen Persönlichkeitsstruktur des Vorgesetzten:

  • Der eigene Mangel an Vertrauen verhindert es, Arbeiten mit den entsprechenden Kompetenzen ohne die Möglichkeit auf Kontrolle weiterzugeben. Einmal mehr, wie soll es gelingen anderen etwas zu geben was ich selber nicht habe
  • Je weniger das Selbstbewusstsein eines Vorgesetzten entwickelt ist, desto grösser ist das Bedürfnis nach Kontrolle, frei nach der Maxime „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Dahinter versteckt sich die Angst vor Fehlern, Konflikten und in seiner Konsequenz letztlich auch persönlichem wie beruflichem Versagen
  • Eine mögliche Konsequenz daraus kann sich auch so auswirken, dass betroffene Führungskräfte ihre Legitimation des Machtanspruches daraus ableiten. Sie sind überzeugt unersetzlich zu sein und tappen in jene Falle, welche zum Missbrauch der formalen Kompetenz führt und wiederum nichts anderes als eine weitere Facette der Unsicherheit offenbart
  • Auch der Kompensationsfaktor Anerkennung kann eine Motivation sein, Delegation zu vermeiden. Was ist, wenn Mitarbeiter eine Arbeit besser ausführen können als ich? Was ist, wenn keiner sieht, was ich tagtäglich für das Unternehmen leiste? Wie angenehm ist dabei der moralisch abgesicherte Gedankengang, der mich ermutigt Dinge selber zu erledigen um nicht zuviel Zeit mit Erklärungen verlieren zu müssen…

Eine weitere Facette solcher Überlegungen findet sich auch bei Peter Kusters Verhalten wieder:

Als Geschäftsführer eines grossen Restaurants ist er gegen elf Uhr morgens dabei, mit viel Eifer die Gläser aus der Geschirrspülmaschine in die verschiedenen Regale einzuräumen. Seine Arbeit wird von seinen beiden Mitarbeitern, welche ihn mit einer Zigarette in der Hand von der Terrasse aus beobachten, mit Interesse zur Kenntnis genommen. Ein Gast spricht Peter darauf an, dass dies doch nicht die Aufgabe des Chefs sei, diese Tätigkeit auszuführen. Er widerspricht und macht seinen Vorsatz, als Führungskraft ein gutes Vorbild abgeben zu wollen für sein Verhalten geltend.

Bei Vollbesetzung des Restaurants mag diese Aussage zutreffen, doch lässt in dieser Situation Peter Kuster ganz einfach den Mut vermissen, seine Mitarbeiter nett aber bestimmt darauf hinzuweisen, ihre Arbeit zu erledigen. Hinter der „ich mache es gerne selber“ Ausrede versteckt sich in vielen Fällen der Anspruch es allen recht machen zu wollen und kaschiert dabei eine moralisch abgesicherte Feigheit. Ein weit verbreitetes Bestreben unsicherer Führungskräfte, denen Oscar Wilde mit folgendem Ausspruch entgegen tritt:

„Jeder Erfolg den man erzielt, schafft uns einen Feind. Man muss mittelmässig sein, wenn man beliebt sein will“.

Doch nicht nur die menschlichen Aspekte erschweren ein sinnvolles Delegieren, das ja immer auch dazu auffordert, eigenverantwortlich und selbständig zu handeln. Die Vielfalt an technischen Hilfsmitteln trägt wesentlich dazu bei, dass zum Beispiel durch eine permanente Erreichbarkeit auch ein grosses Stück an Selbstdisziplin verloren geht. Da praktisch jederzeit die Möglichkeit besteht, Versäumnisse durch entsprechende Kommunikationshilfen nachzuholen, vermindert dies gleichzeitig das noch aus früheren Zeiten bekannte termingerechte Denken und Planen.

In einem Seminar sind sich die Teilnehmer einig, dass eines der grossen Probleme im heutigen Management darin liegt, drohendem Minimalismus und unselbständigem Denken und Handeln seitens der Mitarbeiter entgegen zu wirken. – Mit natürlicher Selbstverständlichkeit aber zwängten sich die Chefs in der Pause in eine ruhige Ecke um sich über Handy nach den letzten Neuigkeiten in ihrem Betrieb zu erkundigen!

Dr. Hohler, Vorstandsvorsitzender eines grossen Unternehmens weist explizit darauf hin, für wichtige Angelegenheiten jederzeit auch während seiner Urlaubsreise erreichbar zu sein…

Alex Brand beschwert sich über den enormen Arbeitsanfall nach seinem Urlaub, fügt aber im selben Atemzug bei, wie sinnvoll es ist, dass seine Assistentin ihre Urlaubszeit der Seinen anpasst…

Wir alle kennen die Floskeln, mein Büro steht ihnen jederzeit offen, ich habe immer ein offenes Ohr für meine Mitarbeiter… - doch nicht immer fördern solche Sätze auch eigenverantwortliches Handeln. Warum soll ich selber anfangen zu denken, wo doch mein Chef immer erreichbar ist!  

Mangelnde Delegation: Konsequenzen für die Mitarbeiter

Damit sind wir bei der Frage angelangt, welcher Mitarbeitertypus sich denn in einem Umfeld wohlfühlt, wo nicht delegiert wird? Der eine will nicht loslassen, der andere nichts festhalten. Chef und Mitarbeiter zeichnen sich gemeinsam dadurch aus, dass sie mit dem Thema der Verantwortung nicht umgehen können. Darin liegt der Grund, um noch einmal das Schattenthema zu erwähnen, warum sich Minimalisten und im Selbstwert geschwächte Mitarbeiter bei gleichgesinnten Chefs wohlfühlen. Auch wenn sie sich scheinbar gegensätzlich verhalten, so beruht die innere Motivation doch auf derselben Grundlage.

Selbständige, förderungswillige und initiative Mitarbeiter suchen sich, der Resonanz folgend, einen anderen Wirkungskreis. Sie bewerben sich dort, wo Möglichkeiten bestehen, sich einzubringen, zu wachsen und das Thema Delegation im Führungsverständnis als tragendes Element gelebt wird.

Unter diesem Aspekt darf darüber spekuliert werden, ob im Führungsalltag die provokative Aussage der Prüfung standhält, welche besagt, dass jeder Chef die Mitarbeiter und jeder Mitarbeiter den Chef hat, den er verdient.

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