Neue Führungsmodelle: Führungskraft oder Coach auf Abruf?

Die Ansprüche an Führungspersonen haben sich geändert. Die klassisch autoritäre Führungskultur verliert an Bedeutung. Aber brauchen Mitarbeitende in Zukunft überhaupt eine Führungskraft oder bloss einen Coach auf Abruf?

18.04.2022 Von: Andreas Benoit
Neue Führungsmodelle

Die Suche nach der «richtigen» Führung gleicht einer unendlichen Geschichte. Wer kennt sie nicht, Zitate zur Führung wie: «Den guten Steuermann lernt man erst im Sturme kennen» (Seneca); «Der gute Führer geht hinter den Menschen» (Laotse); «Willst Du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht» (Abraham Lincoln); «Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie nur eine einzige Person führen können und auch müssen. Diese Person sind sie selbst!» (Peter F. Drucker).

Führungsstile sowie Erwartungen, die mit einer Führungsrolle einhergehen, sind immer auch Abbild einer aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung. In Fachartikeln ist zu lesen, dass Führungskräfte der Zukunft neue Kompetenzen und neue Führungsmodelle benötigen, um ihre Rolle erfolgreich ausüben zu können. Hauptgrund dafür ist das sich im Wandel befindende Umfeld, das – je nach Weltregion mehr oder weniger stark ausgeprägt – zum einen von Diversität und Individualisierung, zum anderen von fortschreitender Globalisierung, Technologisierung und demografischem Wandel geprägt ist. Die niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung in westlichen Ländern haben vielfältige Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Zudem sorgen die zunehmende Verflechtung der Märkte über Staatsgrenzen hinweg, die jeweils vorherrschenden politischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen (wie etwa der «Brexit» oder die Kündigung der bilateralen Verträge der Schweiz gegenüber der EU) sowie der Strukturwandel in spezifischen Feldern der Wirtschaft für zusätzlichen Druck und erfordern von Unternehmen konstante Anpassungsleistung und Innovation.

Parallel dazu zeichnet sich – zumindest im Westen – immer deutlicher ab, dass Mitarbeitende mehr Mitverantwortung, autonome Entscheidungsspielräume, Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung sowie konstante Weiterbildung erwarten.

Der Ansatz eines «partizipativen Führungsstils » beispielsweise ist keinesfalls neu. Die Einteilung von Kurt Lewin (1890–1947) in die Führungsstile

  • autoritär/hierarchisch (Führung in unumschränkter Selbstherrschaft ohne Berücksichtigung der Geführten) versus
  • demokratisch/kooperativ (die Führungskraft beteiligt Mitarbeitende aktiv an Entscheidungen)

ist in ihren Grundzügen bis heute relevant und wurde durch zahlreiche Autoren kommentiert und im Rahmen von Studien weiterentwickelt. Davon ausgehend, dass ein Führungsstil mit der Persönlichkeit der/des Vorgesetzten, ihrer/ seiner hierarchischen Position, durch situativ einschneidende Bedingungen (wie etwa aktuell durch Covid-19, durch Kurzarbeit …) sowie den Ansprüchen, Qualifikationen, Erfahrungen und Kompetenzen der Mitarbeitenden und ihren Beziehungen untereinander zusammenhängt, wird allerdings klar, dass solche Modelle die Komplexität des Führungsalltags nicht abzubilden vermögen.

Neue Führungsmodelle: Die klassische hierarchische Führungskultur verliert an Bedeutung

Eine Studie des Deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales1 hat 400 deutsche Manager hinsichtlich «Führungskultur neugestalten» befragt und kommt zu folgendem Schluss: «Die klassische hierarchische Führungskultur verliert an Bedeutung. Viele Führungskräfte sehen darin sogar das Gegenteil von guter Führung.» Da die Arbeitswelt immer dynamischer und weniger planbar werde, brauche es bewegliche Führungsstrukturen und die Fähigkeit, ergebnisoffene Prozesse zu gestalten; das heisst, sich schrittweise vorzutasten, die kollektive Intelligenz und Kreativität von Netzwerken zu nutzen und Kooperationen einzugehen.

Massgeblich für gute Personalführung sind gemäss dieser Befragung zukünftig:

  1. Flexibilität und Diversität
  2. Prozesskompetenz
  3. Selbstorganisierende Netzwerke
  4. Absage an ein hierarchisch gesteuertes Management
  5. Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung
  6. Persönliches Coaching als unverzichtbares Werkzeug
  7. Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt
  8. Gesellschaftliche Themen verlangen konstante Aufmerksamkeit

Wie sollten Führungsstile die Erkenntnisse und Trends aus dieser umfassenden Befragung künftig berücksichtigen?

a) Individuell und adaptiv: Eine Führungskraft muss die Diversität (kulturelle, ethnische und nationale Herkunft) von Arbeitnehmenden verstehen und akzeptieren können.

b) Integrierend und motivierend: Führungskräfte müssen in der Lage sein, aktiv auf Mitarbeitende zuzugehen und deren Leistungsbereitschaft auf positive Weise in die Kultur der Organisation einzubinden.

c) Vernetzend: Covid-19 hat uns in den letzten zwei Jahren mit hohem Tempo vor Augen geführt, wie sehr die Digitalisierungskompetenz, die Mobilität sowie die Flexibilität an Bedeutung gewonnen haben. Führungskräfte sind auf einmal gefordert, ihre Kommunikation auch virtuell auszuüben. Mitarbeitende arbeiten vom Homeoffice aus, Meetings finden via Bildschirm statt. Was früher nur Manager mit international ausgerichteten Teams beherrschen mussten, betrifft inzwischen jede regional tätige Führungskraft. Das heisst, Letztere muss auch auf diesem Weg den Zusammenhalt fördern und eine gemeinsame Identität bewahren können.

d) Innovativ: Nicht zuletzt durch das Internet und die Digitalisierung ist die Welt «zusammengewachsen». Zumindest technisch. Die Dynamik des internationalen Markts fordert von Führungskräften (und Mitarbeitenden), dass sie flexibel auf sich ändernde Anforderungen reagieren. Innovation als kollektiver Prozess steht im Mittelpunkt der Führungsarbeit.

e) Partizipativ: Führungskräfte müssen immer wieder neue Positionen ein- und weiterhin Verantwortung übernehmen. Letztere aber auch an Mitarbeitende delegieren. Streng hierarchisch geführte Teams sind «out».

Aufgrund dieser Erkenntnisse und Trends liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die künftige Führungsarbeit nicht allein Sache der Führungsperson selbst ist, sondern gleichermassen von den (momentan) vorherrschenden Rahmenbedingungen abhängt. Ganz im Sinne des «Systemischen Ansatzes», der besagt, dass Elemente stets in Wechselwirkungen miteinander stehen.

Quelle: https://inqa.de/DE/wissen/fuehrung/fuehrungskultur/uebersicht.html

Newsletter W+ abonnieren