Zirkuläre Fragen: Ein Schlüsselwerkzeug im Coaching
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Coachees sind eingeladen, zu erzählen und erzählend den Dingen auf den Grund zu gehen. Dadurch werden auch für den Coachee in kurzer Zeit viele neue Informationen erzeugt, die Veränderungen bewirken können.
Zirkuläre Fragen ermöglichen es, Informationen über das eigene Denken und Verhalten aus der Perspektive anderer zu gewinnen. Sie machen die Beziehungen innerhalb von Systemen transparent und können innere Begrenzungen entlarven, die sich ein Systemmitglied auferlegt, indem es vermutet, dass ein anderes in bestimmter Weise auf eine Handlung reagieren würde.
Beispiel: "Was denkt er wohl über Dich? Warum glaubst Du, tut er das? Was würde Dein Vorgesetzter dazu sagen?"
Verhalten innerhalb eines Systems macht Sinn
Schlippe & Schweitzer formulierten 19989: "Ein Symptom, ein Problem, eine Krankheit sind keine Dinge, sondern Prozesse, gebildet durch Handlungen und Kommunikationen verschiedener Personen." Jedes Verhalten innerhalb eines Systems hat einen Sinn. Dieser Sinn wird in Bezug auf die wechselseitigen Beziehungsmuster innerhalb des Systems verstehbar. Jedes Verhalten ist im sozialen System als kommunikatives Angebot zu sehen. Ziele des zirkulären Befragens im Business Coaching sind:
- Informationen über den Kommunikationskontext zu sammeln
- Kommunikationsangebote für alle Beteiligten sichtbar und in ihrem Sinn durch-schaubar zu machen
- festgefahrene Kommunikations- und Verhaltensmuster sowie Beziehungs-Konstellationen zu erkennen
- Ideen für neue Deutungsmuster und Handlungsoptionen zu erhalten
Dazu muss durch die Frageweise des Coaches eine Erweiterung der Perspektive oder ein Perspektivenwechsel aller Beteiligten initiiert werden. Der Beobachterstandort wird so verschoben, dass der Befragte lediglich über persönliche Mutmassungen, Beobachtungen und Deutungen zu bestimmten Kommunikationsmustern Anderer und deren Funktionen im System Auskunft gibt. Dies geschieht in deren Beisein, sodass entgegen der gewohnten Benimmregeln, über diejenigen, die sich mit im Raum befinden, "gesprochen" wird.
Wahrnehmung Beispiel
Person A ist verärgert. Sie könnte nun von einem Anwesenden nach dem Grund für ihren Ärger befragt werden (lineare Sichtweise). Damit würde aber nur ihre eigene Sicht dargestellt werden. Person B sieht, dass A sich ärgert, A weiss, dass B ihr Gefühl wahrnimmt. Der Fragesteller könnte, um diesen kommunikativen Aspekt zu verdeutlichen, A danach fragen, was sie denkt, was ihr Ärger für B bedeutet. Gibt es dazu noch eine Person C, so kann der Fragesteller diese fragen, was sie denkt, was der Ärger von A bei B auslöst. Auf diese Weise erhält A Informationen über die mögliche Bedeutung ihres Ärgers für B. B erhält Informationen über die mögliche Intention von A, und A und B erhalten eine Rückmeldung über ihre Beziehung aus der Sicht von C.
Wie aus dem Beispiel ersichtlich wird, hat das zirkuläre Fragen hier einen triadischen Charakter. Dabei wird deutlich, wie viele zusätzliche Informationen, die neue Sichtweisen und Denkprozesse bei allen Beteiligten anregen können, durch das Zirkuläre Fragen offen gelegt werden.
Unter Berücksichtigung der Zirkularität haben sich in der Coaching Praxis verschiedene Fragetechniken und -formen herauskristallisiert, die im Folgenden genauer dargestellt werden. Sie lassen sich gut auch auf andere Kontexte übertragen, wobei allerdings bewusst bleiben muss, dass sie allein einer Perspektivenerweiterung und kommunikativen Zwecken dienen sollten.
Fragetechniken und Frageformen des Zirkulären Fragens
Die im Folgenden aufgeführten Fragetypen sollen nicht als Standardfragen gehandhabt werden, sondern als Leitfaden zur Verdeutlichung von allgemeinen Prinzipien des zirkulären Fragens. Mit welchen konkreten Inhalten diese allgemeinen Prinzipien dann gefüllt werden, hängt vom Kontext der aktuellen Konversation ab.
Es gibt verschiedene Versuche, zirkuläre Fragen zu klassifizieren und zu ordnen. Einige unterscheiden sich nach der Form, andere nach den Zielsetzungen, und wieder andere nach den Inhalten der Fragen. Der triadische Charakter zieht sich hierbei durch fast alle Fragetypen. Stellvertretend wird im Folgenden die Kategorisierung nach Schlippe und Schweitzer ergänzt durch Simon vorgestellt und durch Beispiele erläutert.
Perspektivische Fragen
Einschätzungen zu verschiedenen Zeitpunkten von unterschiedlichen Personen je nach unterschiedlichen Situationen und Kontexten werden abgefragt, um diese zu erweitern und daraus neue Ideen zu beziehen.
Beispiele: "Wie wurde mit der Situation umgegangen, als das Problem noch nicht bestand?" "Wie wird das Problem in zwei Jahren gesehen?" "Wie sieht es aus der Perspektive der Lieferanten, Kunden, der Mitarbeiter verschiedener Abteilungen aus?" "In welchem Kontext tritt das Phänomen nicht bzw. anders auf?" "Wie sieht das Ganze von aussen betrachtet aus?"
Klassifikationsfragen
Klassifikationsfragen zielen auf qualitative Unterschiede ab. Rangfolgen von Akteuren hinsichtlich einer interaktiven oder kommunikativen Situation sollen vom Klienten eingestuft werden. Dabei werden Unterschiede in Sichtweisen und Beziehungen greifbar.
Beispiele: "Wer würde als erster ..., wer zuletzt ...?" "Wenn man eine Rangfolge in Bezug auf ...erstellen wollte, wer käme an erster Stelle, zweiter Stelle ...letzter Stelle?" "Angenommen, jemand möchte das Coaching abrechen, wer wäre der erste, zweite ...?" "Wer freut sich über Ihre Gehaltserhöhung in der Familie am meisten? Wer am wenigsten?" "Wer hatte am meisten das Bedürfnis heute zu kommen, wer am wenigsten?" "Wer ist am aktivsten, abenteuerlustigsten in der Familie, wer ist am wenigsten aktiv?"
Prozentfragen
Prozentfragen ermöglichen unter anderem eine bessere Differenzierung und Präzisierung von Ideen, Überzeugungen, Stimmungen, Meinungen voneinander, Krankheitskonzepten usw. in quantitativer Hinsicht. Je nach Bedarf können zusätzliche Skalierungen eingesetzt werden.
Beispiele: "Zu wie viel Prozent halten Sie dies für ... und zu wie viel Prozent hingegen für ...?" "Zu wie viel Prozent halten Sie Ihr Problem für ein medizinisches, zu wie viel Prozent für ein psychisches?" "Für wie felsenfest halten Sie auf einer Skala von 0 bis 100% die Erfolgswahrscheinlichkeit für Ihr Projekt?
Übereinstimmungsfragen
Übereinstimmungsfragen haben zweierlei Funktionen. Zum einen geben sie Hinweise auf Koalitionen, zum Anderen geben sie die Möglichkeit des Feedbacks zu vorherigen Äusserungen.
Beispiele: "Wer stimmt mit wem überein/nicht überein?" "Stimmen Sie dem zu oder sehen Sie das anders?" "Ihr Vorgesetzter denkt, Sie hättest einen engeren Bezug zu Ihrem Kollegen als zu ihm. Ihr Kollege sieht es genau umgekehrt. Welcher Sicht würde ein anderer Kollege eher zustimmen?" "Sind Sie der gleichen Meinung wie Ihre anderer Kollege oder sehen Sie den Sachverhalt anders?"
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Fragen nach Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen
Wirklichkeiten in einem sozialen System sind konstruiert, denn Situationen sind immer durch die subjektive Wahrnehmung des Einzelnen gefiltert. Es gibt folglich keine eindeutige Wirklichkeit, sondern viele Wirklichkeitskonstruktionen der verschiedenen Beobachter. Um neue Bewertungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume im sozialen System herbeizuführen ist es zunächst wichtig, die gegenwärtige Situation des Systems aus Sicht aller Beteiligten für alle Beteiligten durchschaubar zu machen.
Beispiele: "Wer hatte die Idee zu diesem Kontakt?" "Was möchten Sie, was hier passieren soll?" "Wer will hier was von wem?" "Aus welchen Verhaltensweisen (Wie? Wann? Wo?) besteht das Problem?" "Wer reagiert am meisten auf das Problemverhalten, wer weniger? Wen stört es, wen nicht?" "Wie erklären Sie sich, dass das Problem entstanden ist, wie, dass es dann und dann auftritt, und dann und dann nicht? Welche Folgen haben diese Erklärungen?" "Was hat sich in den Beziehungen verändert, als das Problem begann?
Sind Wirklichkeitskonstruktionen für alle Beteiligten durchschaubar, so werden sie veränderbar. Die Kenntnis anderer Wirklichkeiten schwächt die Absolutheit der eigenen Wirklichkeit. Fragen zur Möglichkeitskonstruktion sollen, darüber hinaus, neue Wirklichkeiten für das System offerieren. Möglichkeitskonstruktionen in der Form von Gedankenexperimenten sind ein gutes Verfahren, um in der Vorstellung Optionen durchzuspielen, und angstfrei Veränderungen zu erproben. Fragen zu Möglichkeitskonstruktionen werden in zwei grosse Bereiche aufgeteilt. Zu den Fragen nach der Möglichkeitskonstruktion gehören:
Fragen nach Ausnahmen von Problemen
Oft sehen die Beteiligten des Systems das Problem/Symptom als die Regel an: "Person X ist immer ungehalten". Durch Fragen nach Ausnahmen wird wiederum verdeutlicht, dass das Problem nicht allgegenwärtig ist.
Beispiele: "Wie oft (wie lange, wann, wo) ist das Problem nicht aufgetreten?" "Was haben Sie und andere in diesen Zeiten anders gemacht?" "Wie könnten Sie mehr von dem machen, was Sie in Nicht-Problem-Zeiten gemacht haben?"
Fragen nach Zukunfts- und Zeitplänen
Probleme können in der Vorstellung der Beteiligten zeitlich unbegrenzt existieren oder aber auch nur für einen bestimmten Zeitraum. Fragen nach Zukunfts- und Zeitplänen sollen diese Vorstellungen aufdecken.
Beispiele: "Wie lange wird das Problem noch Ihr Begleiter sein? Wann werden Sie es verabschieden?" "Wir haben verstanden, dass Sie auf Ihren Kollegen wütend sind und deshalb Konsequenzen fordern: Was denken Sie, wann Sie genug bestraft sind - in einem Jahr, in zwei Jahren oder schon in einigen Monaten?"
Hypothetische Als-ob-Fragen
Als-ob-Fragen sollen eine bewusste Simulation des Problems initiieren. Die Präsentation des Problems (alle nach aussen getragenen Symptome) wird hierbei vom eigentlichen Problem losgelöst erfahrbar. Es ist durchaus denkbar, dass das gleiche Problem in verschiedenen Situationen unterschiedlich geäussert wird, gleichzeitig kann das nach aussen getragene Symptom unterschiedliche Problemherde haben. Dadurch, dass die Präsentation und das Problem an sich nicht zwingend miteinander verknüpft sind, ergeben sich neue Handlungsoptionen, die aus den vermeintlichen Opferrollen herausführen. So wird jeder zum bewussten Akteur.
Beispiele: "Wie müssten Sie sich verhalten, damit die anderen denken würden, Ihr Problem sei zurückgekommen, obwohl es das gar nicht ist?" "Angenommen, Sie hätten nächste Woche keinen Durchhänger mehr, wollten aber Ihren Kollegen gern weiter zu dem rücksichtsvollen Verhalten bewegen, dass er an den Tag legt, wenn er Sie einen Durchhänger haben - wie könnten Sie das erreichen?"
Es wird durch das zirkuläre Fragen klar, dass sich Horizonte verschieben. Die dadurch ausgelöste Kreativität befähigt wieder, den "Knoten" zu lösen und über den gesetzten Problemrahmen hinaus zu Ansichten zu kommen, die Lösungen ermöglichen.
Die Frage-Interventionen enthalten die Implikation, dass ein Phänomen auch ganz anders gesehen werden kann und relativieren so feste Denkmuster. Auch wenn es scheinbar nur um Fragen geht, ist das "Fragen" prinzipielle Umsetzung systemischen Vorgehens.
Dieses geht davon aus, dass nicht der Coach das Wissen um die Inhalte des entsprechenden Systems hat, sondern der Coachee, der dafür als Experte gilt und dazu wieder zu befähigen ist. Dazu sind aber von Seiten des Coaches in einer entsprechenden Prozessführung günstige systemische Frage-Interventionen einzubringen, welche den Coachee zum Weiterdenken anregen.