Selbstcoaching: Im Dialog mit sich selbst

Gutes Selbstmanagement bedeutet, sein eigener Coach zu sein. Mut und Selbsterkenntnis sind dabei die Schlüssel zum Erfolg. Doch wie lässt sich dies in die Tat umsetzen?

20.01.2021 Von: Urs R. Bärtschi
Selbstcoaching

Nicht alles, was wir gelernt haben, ist nützlich.

Der Mensch wird von Kindesbeinen an dazu trainiert, Fehler und Schwächen rasch zu finden. Die roten Markierungen in unseren Schulaufsätzen sind uns allen noch in bester Erinnerung, denn Fehler und Schwächen nehmen wir um ein Vielfaches mehr wahr als positive Aspekte. Oder haben Sie Ihre Aufmerksamkeit damals auf die nicht rot markierten Wörter im Aufsatz gelenkt? Wohl kaum, obwohl diese in der Überzahl waren.

Denken Sie an Ihr letztes Mitarbeitergespräch. Nach einer fünfminütigen «Sie machen ja einiges ganz gut»-Phase sind Sie bereits dazu übergegangen, ausführlich zu diskutieren, wo Verbesserungen und Anstrengungen gewünscht wären. Doch, bringt dies den Menschen wirklich weiter? Selbst wenn Veränderungen durchaus wünschenswert sind, so gehe ich einig mit Goethe:

«Wenn wir, sagtest du, die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter. Wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.» – Johann Wolfgang von Goethe

Das Prinzip der Selbstermutigung  

Ein Mensch kann über sich selbst hinauswachsen. Doch was braucht es dazu? In erster Linie eine grosse Portion Selbstermutigung. Wir alle führen täglich rund 4000 (!) Selbstgespräche, die wir oft gar nicht wahrnehmen, und 70 Prozent davon haben einen negierenden Inhalt. Diese negativen Selbstgespräche rauben Energie und Lebensfreude. Sie führen direkt in die gedankliche und gefühlsmässige Abwärtsspirale. Menschen kennen das Gefühl der Unzulänglichkeit und verstärken es durch entsprechende Gedankengänge.

Gesundes Denken fördern

Denkprozesse sind körperliche Arbeit und verbrauchen wie jede andere Tätigkeit Energie. Die (unbewussten) direktiven Selbstgespräche haben Auswirkungen auf das gesamte Erleben. Als Folge von negativen Selbstgesprächen machen sich Unsicherheit, Sorgen und Selbstzweifel stark. Das Unwirtschaftliche daran ist, dass gerade dann, wenn wir unsere Ressourcen am meisten bräuchten, wir uns häufig selbst schwächen. Anstelle eines «so was habe ich schon mal hingekriegt, das schaff ich wieder» macht sich ein «ich weiss nicht recht, es ist so lange her» breit.

Durch Selbstcoaching lassen sich wenig hilfreiche Denkprozesse erkennen und gezielt steuern. Der Mensch braucht ein gesundes Denken! Ein Denken, das ihn fit, stabil und nachhaltig durch das Leben bringt. Eben ein mutiges Denken. Folgende Fragen helfen, Klarheit zu schaffen:

  • Entspricht der Gedanke den aktuellen Tatsachen?
  • Hilft mir der Gedanke?
  • Wenn nein: Durch welchen Gedanken kann ich ihn ersetzen? Was ist angemessener und angebrachter?
  • Welche Worte eignen sich, damit ich gesund und mutig den nächsten Schritt tun kann?

Jeder Gedanke braucht eine tragfähige Grundlage. Es geht ja nicht um einen Selbstbetrug oder eine Irreführung seiner selbst. Gezielt geführte Selbstgespräche sind aufbauend, schöpferisch und konstruktiv, beinhalten anerkennende, ermutigende Aussagen und bringen weiter, weil sie das persönliche Wachstum aktivieren. Für gewöhnlich beachten wir unser Denken wenig. Das Augenmerk liegt auf unseren Gefühlen. Das Gefühl überrollt häufig lautstark den Menschen. Wir kommen gar nicht auf die Idee, nach unseren Gedanken zu forschen. Dies ist bedauerlich, denn die Gedanken sind die Grundlage für unsere Gefühle.

Über eine Veränderung der Gedanken steuern wir unsere Gefühle. Ein Beispiel: Sie ärgern sich gerade unglaublich über einen Fehler einer Mitarbeiterin und sind aufgebracht. Das Telefon läutet, Sie nehmen ab: «Was? Wir haben den Zuschlag gekriegt?» Ein Hochgefühl durchflutet Sie, das sofort an Wirkung verliert, sobald Sie Ihre Gedanken wieder auf die Mitarbeiterin lenken. Ein Zufall? Nein! Nutzen Sie die Kraft der Gedanken zum Selbstcoaching.

Als Selbst-Ermutiger ...

  • denken Sie in Chancen statt in Kritik.
  • denken Sie in Herausforderungen statt in Problemen.
  • denken Sie kreativ weiter: an den nächsten Schritt und die nächste Möglichkeit, auch über die persönlichen Angstbereiche hinaus. Ihr persönlicher Mut-Level wird analog dazu steigen.
  • bauen Sie Feindbilder ab und stoppen Sie den negativen inneren Dialog. Erleben Sie, dass mehr möglich ist, als Sie für möglich gehalten haben.

Das «Selbstentwickler»-Prinzip 

Jeder Mensch vereint verschiedene Eigenschaften und Möglichkeiten in sich. Es gilt, diese zu erkennen und zu beobachten, in welchen Lebenssituationen welches Persönlichkeitsmerkmal zum Tragen kommt. Wir sprechen dabei von Grundrichtungen, die jedem Mensch eigen sind, deren Anteile unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und je nach Situation als gewinnbringend oder weniger hilfreich erlebt werden. Dabei lassen sich folgende vier Grundrichtungen unterscheiden:

  1. Der/Die Geschäftige: Sie stecken voller Ideen und möchten möglichst alles gleichzeitig umsetzen? Unbedingt sofort anfangen. Und das möglichst schnell. Neues ist spannend.
  2. Der/Die Konsequente: Sie achten auf eine genaue Umsetzung. Arbeiten exakt und behalten den Überblick. Auf Sie ist Verlass. Sie haben eine tolle Zeitplanung.  
  3. Der/Die Freundliche: Sie lieben Beziehungen und setzen sich dafür ein? In Konfliktsituationen schätzen Ihre Mitmenschen das Verbindende und Ausgleichende an Ihnen.
  4. Der/Die Gemütliche: Sie lieben die Freiheit und bestimmen gerne selbst, wie Sie etwas machen und wann Sie es machen wollen? Der Tag darf gerne ohne Hektik beginnen.

In welchen dieser Typen erkennen Sie sich wieder? Es gibt Menschen, die sich insbesondere in einer Grundrichtung wiedererkennen. Sie kennen fast «nur» die eine Art zu denken und zu handeln. Andere entdecken zwei der Grundrichtungen als starke Komponenten, einige machen sogar alle vier in sich aus.

Selbstcoaching im inneren Dialog

Nehmen wir als Beispiel eine Person mit zwei ausgeprägten Grundrichtungen, in diesem Fall vorwiegend «freundlich» und «konsequent». Die freundliche Grundrichtung kann nicht Nein sagen und als Folge lädt sich die Person stets neue Aufgaben auf. Die konsequente Grundrichtung will alles perfekt erledigt haben, nach dem Motto: «Wenn schon, denn schon.» Dass sich als Ergebnis dieses steten gegenseitigen inneren Antreibens Dauerbeschäftigung und Erschöpfung einstellen, liegt auf der Hand. Doch was kann diese Person dagegen tun?  

Das Entdecken der untergeordneten Grundrichtungen – in unserem Beispiel «geschäftig» und «gemütlich» – als durchaus angelegte, aber als unwichtig eingestufte Persönlichkeitsanteile kann hier von entscheidender Wichtigkeit sein, um sich im Selbstcoaching die nötige Entlastung zu holen. Die Grosszügigkeit des Geschäftigen («einmal durchsehen reicht vollkommen»), kombiniert mit der Gelassenheit des Gemütlichen («mach‘s mal nicht so wichtig»), kann situativ bewusst hinzugezogen und eingesetzt werden. Dies verhilft zu mehr Autonomie, die sich im Selbstcoaching wie folgt äussert:

Ich erkenne die eigene(n) Hauptgrundrichtung(en), deren Einfluss und Stärke im Arbeits- und Privatleben. Ich werde befähigt, diese zu steuern, erfolgreich einzusetzen und, wo nötig, Entlastung (untergeordnete Grundrichtungen) herbeizuziehen. Ich gestalte mein Leben und agiere souverän in Situationen.

Hören Sie Ihren inneren Dialogen gut zu. Achten Sie dabei besonders gut auf die «Darsteller» – jene Stimmen, die sich im Trubel des Lebens starkmachen und in den Vordergrund spielen, und auf jene, die in den Hintergrund gedrängt werden. Viele innere Selbstgespräche sind weder grundsätzlich destruktiv noch konstruktiv. Der «Darsteller», der «Nur keine Langeweile! » ruft, kann das Leben bereichern und gleichzeitig erschöpfen. Jener «Darsteller », der «Alles oder nichts!» fordert, kann je nach Lebenslage zu notwendigen Konsequenzen ermutigen oder einen unerwünschten Abbruch einer beruflichen oder privaten Beziehung provozieren. Gutes Selbstmanagement bedeutet, sein eigener Coach zu sein. Auf zu mehr Autonomie!

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