Introvertierte Führungskräfte: Entdecken Sie das Führungs-Potenzial introvertierter Mitarbeiter

Sie suchen eine Führungskraft – und scannen die Qualitäten Ihrer Mitarbeiter. Einige fallen dabei durchs Raster: Die Introvertierten. Ändern Sie dies. Es lohnt sich.

24.09.2024 Von: Brigitte Miller
Introvertierte Führungskräfte

Das Bild von einer Führungskraft – oft einseitig

Der Fachkräftemangel ist längst - oder gerade auch - auf der Führungsebene angelangt. Sie sind auf der Suche nach neuen Führungskräften. Händeringend, vielleicht sogar schon dringend. Extern, wie intern. Längst sind alle mentalen Schranken gefallen. Sie stellen die Suche divers auf: Kulturell, Gender, Alter. Und haben deshalb auch längst im Unternehmen die Frauenquote, als auch die Alters- (oder „Alten“-) Quote erhöht und erfüllt. Sicherlich, oder?! Denn hier findet sich ja erst einmal so viel Potenzial. 

Doch nicht nur in diesen diversen Gruppen schlummert ein hohes Potenzial für neue Führungskräfte. Eine andere Gruppe „lechzt“ schon seit langem nach der Rolle der Führungskraft. Die Gruppe der Introvertierten. Deshalb darf in Frage gestellt werden: Sind auf der Suche nach neuen Führungskräften wirklich alle Ihre mentalen Schranken gefallen? Denn in der Regel wird gerade diese Gruppe „gerne“ übersehen. Die Introvertierten sind meist nicht auf dem Schirm, wenn nach einer Führungskraft Ausschau gehalten wird. Leider. 

Und zwar aus einem einfachen Grund. Das Bild einer Führungskraft ist mit ganz bestimmten Führungseigenschaften verbandelt – wie beispielsweise:

  • durchsetzungsfreudig,
  • kämpferisch,
  • lebhaft,
  • standhaft,
  • entscheidungswillig,
  • unerschrocken,
  • kühn,
  • risikobereit,
  • entschlossen,
  • schnellen Kontakt zu anderen finden,
  • sehr kommunikativ.
     

Alles Eigenschaften, die gerne einer Personengruppe zugeordnet werden: Den Extrovertierten (nach Duden ist übrigens sprachlich korrekt der Begriff „Extravertierte“. Doch der Ausdruck „Extrovertierte“ hat sich umgangssprachlich längst durchgesetzt). So ist dann kaum verwunderlich, dass der eigene Blick stets auf den Einzelkämpfer oder das Alpha-Tier, das gerne das „Rudel lenkt und führt“, fällt. Leider. Denn Introvertierte haben viel zu bieten: Auch und gerade für den Posten einer Führungskraft.

Den Blick weiten: Den genialen Gegensätzen auf der Spur 

Führung darf „neu“ gedacht werden. Und wird es immer öfter. Die Herausforderungen, als auch die Anforderungen, die beispielsweise die Gen Z stellen, haben längst einen Wandel der Führung eingeleitet. Mit der wunderbaren Folge: Führungskräfte benötigen weitere Eigenschaften – oder eben Eigenschaften, die gerade den Introvertierten zuordnet werden können. Deshalb lohnt es sich, die genialen Gegensätze einmal genauer zu betrachten. 

 

Die Wesensmerkmale: Die genialen Unterschiede

Introvertierte …Extrovertierte …
Werden stärker durch den Parasympathikus, den Ruhe-Nerv, dominiert.Werden stärker durch den Sympathikus, den Aktivitäts-Nerv, dominiert.
Reagieren oft gereizt, wenn zu viel Action ist. Ursache: Der persönliche Acetylcholin-Spiegel sinkt ab. Acetylcholin ist ein Botenstoff des Gehirns, der notwendig ist, um konzentriert arbeiten zu können. Benötigen mehr Dopamin (Botenstoff des Glücks), um sich stimuliert zu fühlen, d.h. mehr Action ist gefordert, sonst droht das Gefühl der Langeweile und des Frustes. 
Benötigen immer wieder Phasen der Ruhe und des Rückzugs, um „aufzutanken“.Agieren stärker mit der Aussenwelt, da sie hier „auftanken“.
Sind zurückhaltender in ihren Gefühlsbekundungen.Neigen zu starker Euphorie, Begeisterung und Überschwang. 
Benötigen ein Gefühl von Sicherheit und Stetigkeit.Sind oft mutig und risikobereit.
Sind wachsam und aufmerksam. Dadurch genaue Beobachter, die in der Regel besonnen (re-)agieren.Können impulsiv (re-)agieren, unter Stress sogar aggressiv und scheuen keine Auseinandersetzung.
Wägen die Kommentare anderer sorgfältig ab.Neigen dazu, anderen weniger zuzuhören.
Gehen gedanklich in die Tiefe.Gehen gedanklich in die Breite.
Benötigen Zeit und Raum, um eigene Gedanken zu ordnen. Bevor sie antworten, halten sie inne und denken nach. Behalten sich auch das Recht vor, später noch einmal auf das Thema zurückzukommen. Kommunizieren oft einfach „drauflos“, d.h. Gedankengänge werden während des Redens entwickelt und sondiert. Reagieren oft ungeduldig, wenn andere nicht gleich antworten. 
Arbeiten stundenlang konzentriert, gerne auch alleine.Benötigen regelmässige Stimulation von aussen und die Interaktion mit anderen. 
Sind unabhängiger von äusserer Anerkennung.Benötigen stetes Feedback und „Schulterklopfen“.
Halten sich mit dem Mitteilen persönlicher Dinge zurück. Kommen schnell in Kontakt. Dabei wird viel von sich erzählt. 
Setzen sich, auch kritisch, mit sich selbst auseinanderVernachlässigen „oft“ die Selbstreflektion.

Lassen Sie für einen Moment diese genialen Eigenschaften – oder Gegensätze – auf sich wirken. Gehen Sie danach einen Schritt weiter. Markieren Sie einmal all die Eigenschaften, die Sie gerne in einer Führungskraft wiederfinden würden. Zweifelsohne werden Sie auch etliche Eigenschaften auswählen, die den Introvertierten zugeordnet werden – wie beispielsweise 

  • arbeitet stundenlang konzentriert,
  • nehmen sich Zeit und Raum, um Gedanken zu ordnen,
  • gehen gedanklich in die Tiefe,
  • wägen die Meinungen/Kommentare anderer sorgfältig ab,
  • sind gute Beobachter und (re-)agieren besonnener.

Die lieben Vorurteile, die jeder füreinander hegt – und die für Probleme sorgen können

Jede Seite hat viele wunderbare Eigenschaften. Nur, wie Sie oben gelesen haben, sind es wirklich Gegensätze. Gegensätze, die in jeder Begegnung aufeinanderprallen – und für Irritationen, Frust, Unwohlsein sorgen. Denn ein Extrovertierter kann kaum verstehen, warum ein Introvertierter sich in der Mittagspause lieber zurückzieht und für sich alleine spazieren geht. Ein Introvertierter dagegen empfindet das ständige Mitteilen, gar Fragenstellen eines Extrovertierten als anstrengend, lästig, gar übergriffig. 

So ist es kaum verwunderlich, dass sich viele Vorurteile gebildet haben. Vorurteile, die natürlich auch einer Führungskraft, ob introvertiert oder extrovertiert, entgegengebracht werden - und deshalb unbedingt in den Fokus gerückt werden sollten. 

Die lieben Vorurteile

Introvertierte sind…Extrovertierte sind …
reserviert, unnahbar, schweigsamdominant, oberflächlich, geschwätzig.
unsicher, langweilig und unsozial, weil sie   nichts über sich mitteilen übertrieben selbstsicher, protzig und im Grunde unsozial im Auftreten.
null kommunikativ: „Denen muss man alles aus der Nase ziehen, bis sie sich endlich mal äussern“.ändern ständig ihre Meinung. Die wissen nicht, was sie wollen und sorgen so für Verwirrung. 
gerade am Anfang eines Projektes oder einer Diskussion viel zu kritisch. Sie haben immer etwas einzuwenden. Erstaunlicherweise lassen sie dann später bei der Umsetzung nicht locker. oft im kreativen Overload. Sie produzieren eine Idee nach der anderen, ohne eine einzige kritischer zu beleuchten. Und bei der Umsetzung sucht man sie oft vergebens. 

Halten Sie auch jetzt für einen Moment inne. Lassen Sie beide Blickwinkel – oder auch Vorurteile - auf sich wirken. Verankern Sie einen Fakt: Die Mehrheit der Führungskräfte, die Ihre Mitarbeiter bisher erlebt haben (werden), weisen garantiert extrovertierte Eigenschaften auf. Ein Wechsel, also der Einsatz einer Führungskraft mit introvertierten Eigenschaften, mag deshalb unterschiedliche Reaktionen im Team auslösen, abhängig davon, welchem Typus der jeweilige Mitarbeiter angehört. Fragen Sie sich: 

  • Wie würde ein Mitarbeiter eine introvertierte Führungskraft erleben, nachdem er zuvor unter einer extrovertierten Führungskraft gearbeitet hat?

  • Welche Erwartungen stellt wohl das Team an eine Führungskraft. deren Erfahrungen jahrelange durch eine extrovertierte Führungskraft geprägt wurden? 

  • Welches Unverständnis für einen anderen Führungsstil kann so entstehen?

  • Welche Schwierigkeiten könnten aufpoppen?

  • Welche Probleme für beiden Seiten –  für die Führungskraft und/oder das Team – könnten auftreten?

  • Wie wird wohl ein extrovertierter Mitarbeiter auf eine introvertierte Führungskraft reagieren?

Sich für eine introvertierte Führungskraft entscheiden 

Ihr Blick hat sich geweitet. Mitarbeiter oder externe Bewerber mit introvertierten Eigenschaften sind „auf den Schirm“ gekommen. Wunderbar. Und dennoch: Vielleicht zögern Sie – noch. Nehmen Sie Ihre persönlichen Einwände ernst. Aber – ganz wichtig – Ihre Einwände sollten jetzt kein KO-Kriterium für den Mitarbeiter mit introvertierten Eigenschaften sein. Das wäre wirklich zu einfach – und würde Sie um eine gute Führungskraft berauben. 

Entkräften Sie Ihre Einwände. Überlegen Sie sich, 

  • ob die Führungskraft mit introvertierten Eigenschaften Ihre Unterstützung benötigt,
  • bei welchen Aufgaben dies der Fall wäre,
  • wie Sie bei diesen Aufgaben konkret unterstützen können,
  • welche Aspekte der Führungsaufgaben eventuell ein Coaching benötigen,
  • wie die eigene Zusammenarbeit gut gelingen kann, d.h. in welchen Bereichen könnte es zwischen Ihnen zu Missverständnissen kommen (falls Sie extrovertierte Eigenschaften, was anzunehmen ist, aufweisen) und wie könnten Sie dies vermeiden, 
  • wie Sie gerade zu Beginn für eine gute Weichenstellung zwischen introvertierter Führungskraft und dem Team sorgen können. 

Neue Führungskraft, introvertierte Führungskraft: 3 Tipps, wie es gelingt 

Eine neue Führungskraft sorgt stets für „frischen Wind“, eben, weil sie neu ist. Beide Seiten durchlaufen eine Aufwärmphase, in der sich beschnuppert und kennengelernt wird. Und in der auch begutachtet wird, ob die eigenen Erwartungen erfüllt werden oder eben nicht. Auch eine Führungskraft mit introvertierten Eigenschaften ist neu – und zwar oft in doppelter Hinsicht. Deshalb bietet die Kennlernphase beste Möglichkeiten, für ein gutes Miteinander und Zusammenarbeit zu sorgen. Die folgenden Tipps geben hierfür erste Impulse. Setzen Sie gerne eigene weitere Ideen frei, die zu Ihnen, Ihrem Team und der neuen Führungskraft passen. 

Tipp 1: Teamzusammensetzung scannen

Vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Tipp. Denn bisher wurde kaum auf die „Mitarbeitertypen“ bei der Einführung einer neuen Führungskraft geachtet. Allerdings empfiehlt es sich, um potenzielle Spannungen, Schwierigkeiten und Probleme im Vorfeld zu erkennen. 

Deshalb betrachten Sie die einzelnen Teammitglieder einmal unter dem Gesichtspunkt: Introvertiert oder Extrovertiert?! Sind nicht bei dem einen oder anderen Mitarbeiter nicht so sicher, überlegen Sie, welche Eigenschaften überwiegen. Entscheidend ist in jedem Falle keine eindeutige Zuordnung, sondern dass Sie und die zukünftige Führungskraft ein Gespür für die Zusammensetzung des Teams erhalten. 

Fragen Sie sich zusammen: 

  • Welche Anteile überwiegen?
  • Wer könnte Schwierigkeiten mit einer Führungskraft, die introvertiert auftritt, haben?
  • Wie könnte dies gezeigt werden?
  • Wie könnte dies das gesamte Team beeinflussen?
  • Wie stark ist dessen Einfluss im Team?
  • Auf was sollte geachtet werden?
  • Wer würde dies dagegen begrüssen und sich selbst im eigenen Verhalten bestätigt fühlen?
  • Mit welchen positiven Auswirkungen darf gerechnet werden?

Tipp 2: Neuen Führungsstil kommunizieren

Vielleicht kennt das Team die neue Führungskraft bereits. Vielleicht war sie früher ein Kollege oder eine Kollegin. Vielleicht ist sie aber auch unbekannt. Wie immer die Ausgangslage sein mag, eine neue Führungskraft stellt sich immer vor – auch dem Team. 

Dieses Sich-Vorstellen darf und sollte unbedingt auch für eins genutzt werden: Den neuen Führungsstil zu kommunizieren. Denn eine Führungskraft, die introvertiert ist, wird anders führen. Punkt. 

Tipp 3: Sich für die Unterschiedlichkeit(en) und das Positive sensibilisieren 

Vielleicht wurde sich bereits für die genialen Gegensätze von Introvertiert und Extrovertiert im Team sensibilisiert. Vielleicht hat sich seitdem die Zusammensetzung im Team geändert. Vielleicht wurden diese Unterschiede noch nie angesprochen. Dann ist jetzt beste Gelegenheit dafür. 

Nicht allein, weil ein Team nie homogen ist, sondern introvertierte, als auch extrovertierte Mitarbeiter hat. Allein dies wäre ein Grund für eine Sensibilisierung. Ein weiterer Grund ist: Der neue Führungsstil. 

Nutzen Sie die obige Tabelle, um die genialen Unterschiede aufzuzeigen. Diskutieren Sie im Team und mit der neuen Führungskraft zusammen: 

  • Welche Erwartungen habe ich an den Führungsstil?
  • Was war ich bisher gewohnt?
  • Was würde für eventuelle Irritationen sorgen?
  • Welche positiven Auswirkungen könn(t)en entstehen?
  • Was wäre jetzt neu für mich, beispielsweise dass die Führungskraft sich Zeit fürs antworten gibt?
  • Welche Erwartungen stellt der Führungsstil an mich und an das Team?
  • Was wäre hier neu? Welche Teamregeln sollte angepasst werden?
  • Auf was sollten wir alle achten?
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