Coaching und Motivation: Fallbeispiel: „Gelassenheit“
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Der Fall
Ein Seminarteilnehmer hat Klaus E. empfohlen, ein Coaching nach dem St. Galler Coaching-Modell® vorzunehmen. Er ist Diplomingenieur (Maschinenbau), 54 Jahre alt, und leitet seit sieben Monaten die Geschäftseinheit „Pumpen“ in einem Industriekonzern, bei dem er schon über 20 Jahre tätig ist. Er ist ein drahtiger, eloquenter Techniker, der sich präzise ausdrückt und gut gekleidet erscheint.
Coaching: 1. Sitzung
Die Werte-Findung ergibt „Gelassenheit“, den Klaus entwickeln und vermehren möchte.
Er erzählt, dass seine Arbeitsmotivation mittlerweile „gegen Null“ geht. Er hat seit vier Monaten Schlafprobleme, fühlt sich ständig unter Druck, ist oft unkonzentriert und in mehreren Situationen „gegenüber Mitarbeitern ausfallend“ und aggressiv geworden.
Der Grund für alles sind laut Aussage von Klaus die quartalsweise steigenden Verluste „seiner“ Division. Auf einer Skala von minus 10 (schlechtester möglicher Wert) und plus 10 (maximal erreichbarer Wert) empfindet er sich auf plus eins.
Dimension 1 - der Ziel-Raum: „entspannt arbeiten“
Auf der Suche nach einem lohnenswerten Ziel, das den gewählten Wert „Gelassenheit“ unterstützen würde, findet Klaus zunächst nur Negationen wie: „Ich rege mich nicht mehr auf“. Als er schließlich das Ziel: „Ich kann entspannt arbeiten“ formuliert, sinkt er erschöpft in seinem Stuhl nieder und verharrt dort minutenlang regungslos und in sich gekehrt.
- Nachteile des Ziels: „Entspannung (und Gelassenheit) widerspricht meiner Führungsrolle“
- Ziel-Modell: Als Zielmodell wählt Klaus den Vater. Er hat seinen Vater als streng, jedoch wohlwollend und den Kindern gegenüber aufmerksam in Erinnerung. In den wenigen Zeiten wo er zu Hause war, strahlte er „so eine Ruhe und Sicherheit aus“.
Kommentar Coach: Bei den Nachteilen des Ziels wird oft klar, warum die Veränderung bisher nicht gelungen ist und was sich in seiner Persönlichkeit dagegen stellt. Ich erkläre Klaus die Systematik von Aufstellungen, „wie der Bauplan einer Maschine wo man sieht wie alles zusammen hängt“.
Dimension 2 - der Problemraum
Coaching: 2. Sitzung
Das Problem: „Unlösbarkeit“: Meine Frage was Klaus daran hindert, seine Arbeit mit etwas Ruhe oder mehr Gelassenheit zu erledigen beantwortet er mit äußeren „Umständen und Faktoren“. Diese machen es ihm unmöglich, die an ihn gestellten Aufgaben zu erfüllen und die Ziele zu erreichen. Der Druck des Vorstands auf die Ergebnisse wird zusätzlich ständig höher. „Ich stehe vor einer unlösbaren Aufgabe die mich erdrückt.“
Dimension 3 - Tiefenstrukturen
Klaus assoziiert sich mit dem Ziel-Gefühl. Es fühlt sich angenehm warm und leicht an. Das stärkste Gefühl ist „Wärme“. Darunter spürt er etwas „Freudiges“, wie „das leise Summen eines Elektromotors“. Es folgen dann: Leichtigkeit, Kraft, Begeisterung, eine Art „Liebe“, meint Selbst-Liebe und Verbunden sein mit allem.
Auf dieser Wahrnehmung von „verbunden sein“ frage ich die dazugehörigen Glaubenssätze ab: „Ich kann wirken“ (Selbst-Zuschreibung), „Die anderen unterstützen mich“ (Andere-Zuschreibung), „Ich lebe in der Fülle“ (Gesamt-Wahrnehmung).
Im nächsten Prozess, der Tiefenstruktur im Problemraum, assoziiert sich Klaus mit dem Gefühl „erdrückt zu werden“. Die Glaubessätze lauten: „Ich bin wertlos“, „Die anderen sind Feinde“, „Die ganze Welt ist gefährlich“ und das Zwingt ihn zu handeln, sich körperlich zu bewegen.
Dimension 4 - die Arbeit auf der Time-Line
Ich erkläre Klaus, dass eine starke Steuereinheit bei uns Menschen die „Glaubenssätze“ im Problemraum sind. Wir folgen dem Problemgefühl in die Vergangenheit von Klaus und finden wiederkehrend Erfahrungen von „erdrückt werden“, die sich durch sein ganzes Leben ziehen. Er war ein sehr guter Schüler und Student, für den alles unter einer „sechs“ inakzeptabel war. Aus der Metaposition erkennt er, wie viel Wille, Disziplin und Kraft ihm als Ressource gegenüber „dem Druck“ erwachsen ist und wie stark das sein „ganzes Leben“ geprägt hat. Ich frage nach der Ressource, die ihm am meisten gefehlt hat. Klaus sucht minutenlang bis er zu „von starken Armen gehalten“ kommt. Da die Ressource sich auf der kinästhetischen Ebene befindet, frage ich ihn nach einer solchen Erinnerung. Er findet dazu eine Wanderung mit seinem Vater, wo er ihn als Kleinkind, als er müde war, auf seine Schultern gehoben, getragen und gehalten hat. Das sei für ihn „eine der verbundensten Erfahrungen“ gewesen.
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Dimension 5 - Spiritualität und Selbstbild
Selbstbilder sind unbewusste innere Bilder, die uns steuern, weil diese die zur Verfügung stehenden Ressourcen spiegeln oder die fehlenden anzeigen. In belastenden Situationen erleben wir uns – unbewusst – als „klein“, „schwach“ und „unfähig“ und die Handlungen, die von diesem Bild gesteuert werden haben die Kategorien Flucht oder Verteidigung, die Kognition ist stark eingeschränkt.
Klaus erlebt sich unter dem Druck der scheinbar unerfüllbaren Forderungen wie eine „Schnecke, die platt gedrückt wird.“ (Metapher). Der Coach leitet Klaus an, aus einer ressourcenvollen Erfahrung eine starke Metapher zu bilden und verknüpft diese mit dem „Druckzustand“. Es entsteht dadurch ein neues Selbstbild, das ihn in diesen Wahrnehmungen zukünftig unterstützt.
Coaching Review:
Rückblick Klaus: In der vergangenen Woche hat es ein „einprägsames Erlebnis“ gegeben. Die Quartalszahlen von Nordamerika sind „miserabel“ gewesen. Früher hätte ihn das in Wut versetzt und später in „hektisches Tun“, begleitet von einer „Hitze im Kopf“. Diesmal hingegen sei „der Kopf kühl geblieben“. Er hat die Zahlen in Ruhe studiert, eine Video-Konferenz mit dem Vertrieb durchgeführt, sich „mit einer geradezu erschreckenden Gelassenheit“ die Ursachen erklären lassen und Vorschläge zur Verbesserung gesammelt. Aufgrund dessen erlebt er sich im Wert „Gelassenheit“ auf plus sieben.
Coaching: Abschluss-Feedback
Abschluss-Feedback Klaus: Das Coaching hat er „als überaus bereichernd, manchmal auch als erschreckend“ empfunden, weil da „Dinge“ aufgetaucht sind, die er „unter normalen Umständen“ keinen „Fremden“ mitgeteilt hätte. Er fühlt sich verändert, wie ein „Motor nach einer Generalüberholung“, wie „neu“, auf „irgendeine Weise lebendiger und freier“. Es ist „mehr Lebensfreude da“ und die Arbeit erscheint ihm jetzt „nur mehr wie eine Aufgabe, die er, so gut es eben möglich ist“ erledigt. Die Werterfüllung beschreibt er als plus acht, und das „ziemlich stabil“.
Abschluss-Feedback Coach: Klaus ist in einer für ihn scheinbar unlösbaren Situation „gelandet“, die ihn seine Grenzen erleben haben lassen, so wie das vielen Menschen früher oder später geschieht. Das aufdecken, um was es in Wirklichkeit (in der Tiefe) geht, hat Klarheit geschaffen, was in seinem Inneren tatsächlich vor sich geht. Die Trennung „von den anderen“ ist auch eine Trennung von sich selbst, die eigenen Ressourcen sind abgeschnitten und so entsteht die Interpretation „unlösbar“. Die persönliche Entwicklung die Klaus hier durchlaufen hat, kann ihn zukünftig vor „unlösbaren“ Situationen schützen.
Hinweis, dies ist ein gekürztes Fallbeispiel aus dem Buch: „Wertorientierung und Sinnentfaltung im Coaching. Vorgehen und Praxisbeispiele nach dem St. Galler Coaching Modell® „ Springer Verlag, 2014