Coaching im Metaverse: Welches Potenzial bietet das Metaverse für Coachingprozesse?
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Der Begriff «Metaverse» wurde in den 1990erJahren vom ScienceFictionAutor Neal Stephenson geprägt. Er bezeichnet eine virtuelle Welt, an der Menschen in digitalen Körpern als Avatare teilnehmen. In jüngster Zeit hat der Begriff an Popularität gewonnen, weil Technologiekonzerne im Metaverse einen Markt mit hohem Wachstumspotenzial sehen. Dementsprechend wird der Zugang zum Metaverse immer einfacher, z.B. bezüglich kompatibler Geräte und Verfügbarkeit virtueller Welten.
Die virtuelle Realität (VR), so die Prognosen, soll unser Leben ähnlich stark verändern wie einst das Internet und die Digitalisierung. Es herrscht Pionierstimmung, und auch wenn vieles wie ein weiterer grosser Hype anmutet, bietet das Metaverse unendliche Möglichkeiten, Altbewährtes neu zu denken und neue Anwendungen zu erschliessen.
Vom «Second Life» zum Coaching
In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, wie der Einsatz von VR Coachingprozesse bereichern und ergänzen kann und welche Einsatzgebiete von Coaching im Metaverse denkbar sind. VRBrillen, mit denen man in virtuelle Welten aus der IchPerspektive einsteigen kann, sind schon etwas länger auf dem Markt. Und auch Plattformen wie «Second Life» bieten Zugang zu virtuellen Welten seit fast 20 Jahren an. Ähnlich sieht es mit VRAnwendungen in der Therapie und zur allgemeinen Steigerung des Wohlbefindens aus. Der Einsatz von VRTechnologie hat sich dort vor allem zur Förderung der Entspannung und der Behandlung von Ängsten (z.B. Flugangst, Phobien oder Auftrittsangst) sowie in der Schmerztherapie als wirksam erwiesen. Doch auch im Coaching bietet sich Potenzial für den Einsatz von VR, zum Beispiel bei der Gestaltung der Coachingräume und Avatare (siehe Abbildung 1) sowie zur Unterstützung von Übungen und Entspannungsverfahren.
Virtueller Raum als «safe space»
Im Coaching ist entscheidend, ob Coachees sich in einem sicheren Raum bewegen können, der zwischenmenschlich und von der Umgebung her einen Kontrast zum Alltag bietet. Das Kreieren von «safe spaces», in denen man Problemmuster gefahrlos reflektieren kann, wird durch VRTechnologie sehr gut unterstützt. Mit dem Aufsetzen einer VRBrille taucht man augenblicklich in eine andere Welt ein. Für Coaching bedeutet dieses Eintauchen, die sog. Immersion, dass Alltagsprobleme aus einer sicheren Distanz betrachtet und bearbeitet werden können. Dadurch reduziert sich automatisch die Intensität der mit den problematischen Erinnerungen verbundenen Emo tionen, was wiederum die Lösungsfindung unterstützen kann.
Grosses Potenzial von VRunterstützten Coachingprozessen besteht auch darin, Coachingräume zu personalisieren und ganz nach den Vorstellungen von Coachees zu gestalten. Sie können auch leicht mit Objekten ausgestattet werden, die für den Coachee mit Problem und vor allem Lösungsmustern verknüpft sind.
Unser Gedächtnis ist auf einzigartige Weise raumgebunden, und das gilt für virtuelle Räume ebenso wie für unsere realen Umgebungen. Zellen im Hippocampus codieren unsere genaue Position im Raum, die Bewegungen, die Ausrichtung unseres Kopfes und legen auf diese Weise kognitive Karten unserer Umgebung an. Erinnerungen an Situationen, die wir erleben, werden automatisch mit räumlichen Gegebenheiten verknüpft. Im virtuellen Raum lässt sich dies gezielt in Coachings nutzen, zum Beispiel, um Erinnerungen zu verankern, die zur Lösung eines Problems beitragen (siehe Abbildung 2).
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Das Problem aus unterschiedlicher Distanz betrachten
Weil die Veränderung von raumbezogenen kognitiven Karten so mächtig ist, lassen sich auch Übungen zur Abgrenzung und Distanzierung durch VR auf neue Art nutzen. Zum Beispiel, indem man Objekte beliebig manipuliert, sie vergrössert oder verkleinert, näher holt oder weit wegschickt. Auf diese Weise können Coachees gleich erfahren, wie es wäre, wenn ein Problemzustand weniger Raum einnehmen würde, oder wie es ist, aus grosser Entfernung auf das Problem zu schauen. Auch wie nah man ein Problem an sich heranlässt und wo man Grenzen setzt, lässt sich durch VR konkret erfahren. Problemlösungen, die im VRCoaching entstehen, werden so zu unvergesslichen Erlebnissen – denn sie finden in einem personalisierten Raum statt, dem jede Coachee eine individuelle Bedeutung zuweist.
Simulationen von gewünschten Verhaltensweisen und sozialen Situationen sind weitere Einsatzgebiete von VRCoaching. Beispielsweise kann man mit einem Avatar anspruchsvolle Gesprächssituationen oder eine Präsentation vor der Geschäftsleitung üben. Insgesamt ist der positive Effekt von VR auf Simulationen, z.B. von öffentlichen Auftritten oder Konfrontationen mit Angst auslösenden Situationen, gut belegt.
Auch kann die Wahl der Avatare Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten haben. Der sogenannte ProteusEffekt besagt, dass die Gestaltung des eigenen Avatars das Verhalten beeinflusst. Mit VR wird es möglich, in der Haut von Heldin, Narr oder Giraffe zu stecken und so das eigene subjektive Empfinden auf spielerische Art zu verändern. Gepaart mit dem passenden Storytelling steckt in solchen Körperillusionen allgemein grosses Potenzial, zum Beispiel, wenn es um die Reduktion von impliziten Vorurteilen und Stereotypen geht. Virtuell in einer fremden Haut zu stecken, kann positive Effekte auf die Fähigkeit zur Perspektivübernahme haben bzw. unbewusste Vorurteile reduzieren.
Körperliche Erfahrung im Coaching durch VR erhöhen
Insgesamt ergibt sich durch die immersiven Erfahrungen im VR die Chance, körperliche Erfahrungen der Coachees stärker für Coachingprozesse zu nutzen. Ob man Apps zur Entspannung, Erhöhung der Achtsamkeit oder für Meditation nutzt oder mit den Coachees an der Körperhaltung arbeitet – die Möglichkeiten, somatische Marker für Coaching zu nutzen, werden durch den Einsatz von VR vielfältiger. Hier gibt es mittlerweile einige einfache Apps zur Unterstützung von Entspannungsverfahren, z.B. zur Atemregulation oder um die Aufmerksamkeitslenkung zu fördern.
Es mutet paradox an, dass gerade durch mehr Virtualität im Coaching der Körper stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt und Aspekte des Raums höher gewichtet werden. Vielleicht liegt das Potenzial von Coaching im Metaverse gerade darin, dass kognitivanalytische Coachingansätze auf eine leichte und spielerische Art erweitert und so an Wirksamkeit gewinnen könnten.
Der Einsatz von VR im Coaching kann Coachingprozesse sinnvoll ergänzen und ohne grossen Aufwand realisiert werden. Ob es Sinn macht, Coachings ausschliesslich in virtuellen Räumen anzubieten, wird sich erst durch Ausprobieren zeigen. Ergänzend eingesetzt, hat Coaching im Metaverse aus meiner Sicht das Potenzial, sich auf spielerische Art und Weise Problemmustern und schwierigen Entscheidungssituationen zu nähern und diese mit einer gewissen Leichtigkeit zu bearbeiten. Erste Hinweise, dass sich diese Einschätzung bewahrheiten könnte, hat uns in den letzten Wochen ein Pilotprojekt mit sieben Coachees geliefert.
Coaching im Metaverse: Was ist anders?
- Immersion schafft augenblicklich Distanz zum Alltag («safe space»)
- Coachingräume lassen sich leicht personalisieren – bessere Gedächtnisanker
- Visuelle und auditive Objekte sind vielfältig manipulierbar
- Verändertes Erleben und Verhalten durch Avatare als Stellvertreter
- Simulationen von Alltagssituationen zum Trainieren von Lösungsmustern
- Abgrenzung und Distanzregulation direkt körperlich erfahrbar
- Erleichterte Emotionsregulation durch Förderung von Achtsamkeit und Entspannung