Online-Kommunikation: Plötzlich ist alles anders
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Online-Kommunikation
Mitten in der Corona-Krise erhalte ich von einer Kommunikationsfrau dieses Mail: «Unser CEO muss dringend seine Mitarbeitenden über neue strategische Massnahmen informieren.» Angefügt war ein Hilferuf: «Wie kriegen wir so schnell ein einigermassen professionelles Video hin? Unser CEO hat noch nie eine Video-Botschaft verfasst. Er fühlt sich vor der Kamera hilflos.»
Es ist eine Binsenwahrheit: «Vor der Kamera reden» ist etwas anderes, als «einen Text schreiben und vorlesen». Viele haben dies noch nicht zur Kenntnis genommen. Doch es ist Zeit, dies zu tun. Denn auch nach dem Lockdown und der Corona-Krise werden wir alle häufiger digital miteinander verkehren und arbeiten.
Das schnelle Auftreten der Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass sich viele unvorbereitet mit dem neuen Kommunikationstool beschäftigen mussten. Das Ergebnis ist oft ernüchternd.
Kein Blabla
Immer geht es um die Fragen: Wie kann ich die anderen überzeugen? Was muss ich tun, damit man mir zuhört, damit man meine Botschaft versteht und mir glaubt? Das Auftreten in der digitalen Welt unterscheidet sich grundsätzlich vom Auftreten an Konferenzen, in Sitzungen oder auf Podien.
Dort kann der Redner loslegen: nette Einführung, einige Anekdoten, er spricht und spricht, etwas Farbe, viele Details, viele Zahlen, etwas Powerpoint, 20 Minuten, 20 Minuten lang.
An Videokonferenzen ist das ein absolutes No- Go. Studien zeigen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei Video-Schalten viel ungeduldiger sind als bei Auftritten in einem Saal oder Sitzungszimmer. Man verlangt, dass die Redner rasch zur Sache kommen, präzis, verständlich. Kein Blabla.
«Ich weiss doch so viel»
Ein Auftritt in der digitalen Welt beginnt weit vor dem eigentlichen Auftritt. Man muss sich zuvor seine Kernbotschaft erarbeiten, im Büro oder im stillen Kämmerlein. Das kann ein mühsamer, schmerzhafter Prozess sein. «Ich weiss so viel, ich muss doch noch dies und das sagen, sonst bin ich unvollständig. » Konzentrieren Sie sich auf eine oder höchstens zwei Kernbotschaften. Wer noch dies oder das sagen will, hat schon verloren.
Wie sagte Sophokles: «Es braucht viel Zeit, einen kurzen Weg zu gehen.» Es braucht oft viel Zeit und viel Vorbereitung, um eine kurze, klare, verständliche Kernbotschaft auszuarbeiten. Es ist einfacher, 15 Minuten zu sprechen als drei Minuten.
Michelangelo stand einmal vor einem grossen Marmorblock. Er sagte, ich sah die Figur schon im rohen Stein, ich musste nur noch alles Unnötige wegschlagen. So geht es bei der Formulierung der Kernbotschaft. Das Unnötige wegschlagen.
PowerPoint-Manie
Vor allem: Verzichten Sie auf einen Zahlensalat. Viele Redner glauben, sie würden kompetent wirken, wenn sie Zahlen auftischten. Studien zeigen: Man kann höchstens zwei oder drei Zahlen behalten. Zahlen und Statistiken gehören schriftlich verteilt oder per Mail verschickt, aber sie sollen nicht an Auftritten vorgelesen werden. Und: Selbst bei Videokonferenzen grassiert jetzt die unsägliche PowerPoint-Manie. Da gibt es Redner, die nicht müde werden, vollgepflasterte Folien einzublenden. PowerPoint ist immer dazu da, die Schwächen eines Auftritts zu kaschieren. Denken Sie an Jeff Bezos, den Amazon-Gründer und Besitzer der «Washington Post». Er sagt den PowerPoint-Folien den Kampf an. Geschichten statt Folien, fordert er. Denn mit Geschichten können wir unser Gegenüber erreichen. Untersuchungen zeigen, dass Zahlen und Statistiken auf PowerPoint-Folien am Publikum vorbeirauschen. Kaum etwas bleibt hängen.
Auch die Sprache ist in der Online-Kommunikation eine andere. Blumige Sätze haben da keinen Platz. Nebensätze zweiten und dritten Grades sind ein Horror. Wer sich mit möglichst originellen Formulierungen inszenieren will, fällt durch.
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«It’s not about me it’s about you»
Wenn Sie bei einer Videokonferenz eine längere Präsentation machen müssen, ziehen Sie die Leute schnell in Ihren Bann. Es geht nicht um Sie, es geht um Ihr Gegenüber. Beginnen Sie gleich damit, was Sie den anderen bieten können.
Ich analysierte mit einer Managerin einen Pitch, den sie via Video führte. Sechs ihrer Mitarbeiter waren zugeschaltet. Sie stellte zunächst jeden Einzelnen vor. Dann referierte sie darüber, wie toll ihr Unternehmen ist, gegründet 1932 von ihrem Urgrossvater. Man konnte sehen, wie die Zugeschalteten auf der anderen Seite schon nervös wurden. Sie wollen endlich wissen, was der Betrieb ihnen konkret bieten kann – ihnen. Wer die einzelnen Mitarbeiter sind, interessiert sie im Moment nicht – auch der Urgrossvater war ihnen piepegal. Gerade bei Online-Kommunikation gilt: «It’s not about me it’s about you.»
Der gähnende Spaniel
Und dann das Formale: Der Hintergrund spielt eine entscheidende Rolle. Die Sprechenden werden im Video zusammen mit dem wahrgenommen, was man hinter ihnen sieht. Der Hintergrund ist ein Teil des Sprechenden; er ist genauso wichtig wie das Gesicht oder die Augen. Der Hintergrund sagt viel über eine Person aus. Hängt an einer Wand ein Bild oder ein Plakat, werden Sie mit diesem Bild identifiziert – und oft hört man Ihnen dann nicht mehr zu. Der Hintergrund kann einen auch lächerlich machen. Achten Sie darauf, dass man im Hintergrund keinen Wäschekorb auf einem Bügeleisenbrett sieht – oder den Spaniel, der gerade gähnt. Am besten ist ein neutraler, nicht definierbarer Hintergrund.
Das Kameraauge ist meist gross auf das Gesicht gerichtet. Deshalb spielen die Augen bei Bildaufnahmen eine grössere Rolle als in einem Konferenzsaal. Die Augen in Grosseinstellung können demaskieren. Sie verraten, ob man nervös ist, ob man sattelfest ist, ob man arrogant ist, ob man glaubwürdig ist oder etwas zu verbergen hat. Wer mit den Augen hin- und herflackert, wirkt wenig überzeugend.
Je normaler, desto besser
Ein falsches Licht kann Sie zum Zombie machen. Schatten können Sie zur Unkenntlichkeit entstellen. Fotografen wissen: Das Licht macht das Bild. Die optimale Belichtung und die Kontrastbewältigung gehören zum Anspruchsvollsten. Mustern Sie sich unbedingt vor einem Auftritt, und zwar zuerst im Spiegel. Stellen Sie zuerst die Frage: Wie sehe ich aus? Dann folgt aber zwingend noch eine zweite Frage: Wie sieht mich mein Gegenüber? Dann schalten Sie ein Probebild auf Facetime, Skype oder im noch nicht durchgeschalteten Konferenzbild. Sitzen Sie vor allem nicht vor einem hellen Fenster. Dann wird Ihr Gesicht rabenschwarz.
Und da sind wir bei der nonverbalen Kommunikation. Die Kamera ist brutal. Jeder Tick, ein zuckender Mund, ein ständiges Schlucken oder Räuspern oder ein wackelndes Ohr kommen besonders zur Geltung. Wer auffällig gekleidet oder frisiert ist, muss damit rechnen, dass man ihm oder ihr nicht zuhört. Man fragt sich nämlich, was hat ihm dieser Barbier angetan, weshalb trägt er eine Mickey-Mouse-Krawatte, wie teuer ist dieser Schmuck? Und während man sich das fragt, hört man nicht zu, was man sagt. Achten Sie darauf, Stoffe zu tragen, die nicht flimmern. Je dezenter und «normaler» man gekleidet ist, desto mehr lenkt man die Aufmerksamkeit auf den Inhalt.
Monologisieren im sterilen Raum
In der analogen Welt soll der Redner oder die Rednerin locker auftreten und etwas gestikulieren; das wirkt lebendig. Bei Videoauftritten funktioniert das nicht. Wer gestikuliert, wird schnell zur Karikatur und fällt aus dem Bild. Ziel muss es sein, ruhig, nicht nach vorne gebeugt dazusitzen, die Kamera zu fixieren – und doch entspannt und nicht steif zu wirken.
Gerade wenn man vor einer Kamera steht und kein direktes menschliches Gegenüber mehr hat, ist die Gefahr gross, sich in Raum und Zeit zu verlieren. Wenn man in einem Konferenz- oder Sitzungsraum spricht, spürt und sieht man, ob die Anwesenden aufmerksam sind, zuhören oder bereits mit dem Handy spielen. Anders ist es bei Videoauftritten, weil man allein in einem Büro vor einer Kamera sitzt. Man spürt die Zuhörerinnen und Zuhörer kaum. Das kann gefährlich sein. In Gedanken sollten wir das Gegenüber stets präsent halten, sonst beginnen wir – sozusagen im sterilen Raum – zu monologisieren. Stellen Sie sich im Kameraloch ein Augenpaar vor, mit dem Sie kommunizieren. Flirten Sie mit der Kamera, das ist nicht einfach, aber das kann man lernen.
Chancen und Gefahren der Online-Kommunikation
Videos sind brutal: Sie potenzieren das Gute – und das Schlechte. Wer Ausstrahlung und Charisma hat, wer die Leute fesseln kann, überzeugt im Video erst recht. Und Langweiler wirken im Video noch langweiliger.
Früher konnten sich CEOs allenfalls hinter ihren Medienverantwortlichen verstecken. Heute verlangt man mehr und mehr, dass die Führungsperson, der CEO, hinsteht. Dann aber dürfen Sie nicht einfach die Texte Ihrer PR-Agentur vorlesen, sondern müssen mit ihrem eigenen Charisma überzeugen. Wer das kann, hat viel erreicht.
Heute sind viele Unternehmen weniger hierarchisch strukturiert als früher. Man arbeitet in spezialisierten Teams mit Teamleitern. Von ihnen verlangt man heute Auftrittskompetenz, denn sie präsentieren ihre Arbeit, nehmen an Konferenzen teil: auch an Videokonferenzen.
Ob Spezialist oder Führungsperson: Alle müssen heute medial auftreten und überzeugen können.
HR-Verantwortliche spielen eine Schlüsselrolle
Hier können HR-Verantwortliche einen entscheidenden Teil beitragen. Und zwar schon bei Anstellungen. Sie sollten heute, zu all den Aufgaben, die sie sonst haben, prüfen, ob sich Kandidatinnen und Kandidaten für Auftritte eignen. Ob sie Videotauglich sind, ob sie auftreten können.
Um die anderen beurteilen zu können, um eine Sensibilität für «Medienkompetenz» zu entwickeln, sollten sich aber auch HR-Leute selbst mit den Mechanismen von Auftritten vertraut machen. Je besser die Leute auftreten, desto besser steht der Betrieb da. Medien- und Auftrittskompetenz wird auch in der Erwachsenenbildung und in der universitären Weiterbildung zunehmend zum Thema.
Corona hat dazu geführt, dass das Bild immer mehr dominiert. Im Wettkampf Bild gegen Text steht es heute 3:0 für das Bild. Doch das Spiel hat viele Tücken: Manche verdribbeln sich, neigen zu Fehlpässen und schiessen Eigentore.