Charisma: Charismatisches Führen als Erfolgsgeheimnis

Charisma hat viele Facetten. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hat es, John F. Kennedy hatte es. Aber auch Trickbetrüger, Scharlatane und Grössenwahnsinnige haben es zu ihrem Instrument gemacht – genauso wie CEOs, Prominente und Präsidenten. Klug gebraucht, ist es ein Segen, wenn missbraucht, ist es ein Fluch.

21.12.2020 Von: Matthias K. Hettl
Charisma

Wenn wir an charismatische Menschen denken, sind das oft Menschen, die einen besonderen «Magnetismus» im persönlichen Umgang mit anderen Menschen haben, die geradezu intensiv zuhören, sehr bildhaft und emotional sprechen und mitreissende Redner sind. Weil wir oft nicht so genau sagen können, wie charismatische Menschen es schaffen, andere zu faszinieren und zu überzeugen, haftet dem Charisma auch heute noch etwas Geheimnisvolles an.

Wir hören und sehen hin, wenn Charismatiker reden. Sie scheinen unsere geheimen Wünsche und Sehnsüchte zu kennen und bringen eine Saite in uns zum Schwingen. Selbst wenn ihre Botschaften nicht unbedingt positiv sind, selbst wenn sie uns Opfer abverlangen, strahlen sie etwas Besonderes aus, und wir sind bereit, ihnen zuzuhören und ihnen zu folgen.

Was ist «Charisma»?

Der Ausdruck Charisma stammt von griechischen chárisma, das mit Gnadengabe übersetzt werden kann. Im Christentum wird der Begriff für Gaben wie Weisheit, Erkenntnis, Glaube, Prophetie, Krankenheilungen oder Wundertaten gebraucht. Charisma ist nach dieser Definition eine Gabe und somit nicht erworben.

Der Soziologe Max Weber (1864–1920) definierte charismatisches Führen als die Begabung, mit Visionen andere inspirieren zu können und dadurch die Sozialstruktur zu verändern. In der Wirtschaftspsychologie findet sich ein Ansatz, der Charisma-Affinität und die Wahrnehmung von Charisma in die Nähe des Narzissmus stellt.

Wann ist jemand charismatisch?

Charismatischen Menschen gelingt es, andere in ihren Bann zu ziehen. Kaum treten sie auf, ziehen sie Blicke auf sich und werden von allen Seiten beachtet. Charisma ist etwas ziemlich Abstraktes.

Der Psychologe Richard Wiseman von der Universität Hertfordshire hat folgende Eigenschaften festgestellt, über die charismatische Personen verfügen:

  • Sie können Emotionen sehr stark empfinden
  • Sie sind fähig, auch andere Menschen starke Impulse zu verleihen
  • Sie sind resistent gegenüber Einflüssen anderer charismatischer Menschen
  • Sind von der Meinung anderer unabhängig
  • Sie haben starke Grundwerte
  • Sie haben eine Vision, die anspricht

Charisma-Paradoxon

Solche Analysen könnten nun wenig charismatische Redner dazu verleiten, ebenfalls «grosse Worte» zu machen. Dem stünde ein Charisma-Paradoxon entgegen. Den Wirkmechanismus zu kennen bedeutet noch nicht, ihn auch anwenden zu können. Für Charisma gibt es kein Patentrezept, es erfordert Improvisation und Intuition. Das «Geheimnis» liegt im Timing, in der Wiederholung, in der rhythmischen Kadenz, in der zum richtigen Zeitpunkt angehobenen Stimme.

Technik und Persönlichkeit

Kann man Charisma bewusst einsetzen? Kann man es sogar lernen?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich die psychologische Forschung erst in jüngster Zeit, denn bisher hat sie sich damit schwer getan, denn wie soll man Charisma messen. Zwar weiss jeder intuitiv, was es ist, aber selbst Wissenschaftler haben Schwierigkeiten es zu definieren.

Der Sozialpsychologe Ronald Riggio hat das Phänomen eingehend studiert. Die wohl wichtigste Eigenschaft, so fand er heraus, ist die emotionale Ausdrucksfähigkeit. Charismatische Persönlichkeiten artikulieren ihre Gefühle auf eine Weise, die Zuhörer anspricht, begeistert und schliesslich zum Handeln motiviert. Emotionale Ausdrucksstärke bedeutet jedoch nicht, dass jemand ständig strahlt, vor guten Gefühlen übersprudelt oder sich positiv darstellt. Manchmal sind solche Menschen sehr still, taktvoll und zurückhaltend, wenn es die Situation erfordert. Sie können die Gefühle der anderen «lesen» und in ihren Handlungen berücksichtigen. Das unterscheidet Charismatiker von den Narzissten, mit denen sie auffällig viele Merkmale teilen. Während die «Sache» der Narzissten immer nur sie selbst sind, können sich echte Charismatiker, Ideen, Idealen und Gefühle anderer unterordnen.

Charismatisch sprechen

Die Fähigkeit, andere zu begeistern und zu inspirieren, ist sicher das hervorstechendste aktive Merkmal charismatischer Persönlichkeiten. Die Sprache charismatischer Menschen ist ihr Hauptmedium. Damit appellieren sie an die grossen Emotionen und Empfindungen und benutzen dabei direkte, einfache Worte, die «zu Herzen gehen» und besonders geeignet sind, viele bildhafte Assoziationen bei den Zuhörern auszulösen. Abstrakte Floskeln und sachlichlogische Erläuterungen mögen die Köpfe erreichen, aber der Charismatiker zielt auf Herz und Bauchgefühle.

Körpersprache und Auftreten

Ebenso wichtig wie die richtige Wortwahl und ein flexibler, massgeschneiderter Rhetorikstil ist das nichtverbale Verhalten, also Körpersprache und «Auftreten». Es reichen schon wenige Sekunden aus, um den besonderen Charakterzug «Extraversion» an anderen Menschen zu erkennen. Diese Eigenschaft hängt eng mit Charisma zusammen – sie beschreibt die Bereitschaft, auf andere zuzugehen und sie für sich einzunehmen. Unsere Persönlichkeit spiegelt in unserem Auftreten, im nichtverbalen Verhalten, im mimischen und gestischen Ausdruck Signale wieder, die andere Menschen stark beeinflussen.

Charismatische Menschen kennen zwar die Gesten und Tricks, aber sie besitzen vor allem die angeborene Gabe, sie vor einem Publikum und im Gespräch mit anderen richtig einzusetzen, denn Charisma ist eine Mischung aus Technik und Persönlichkeit.

Kann man Charisma lernen?

Es gibt Autoren von zahllosen Ratgeberbücher und Veranstalter von Charismaseminaren, welche diese Frage selbstverständlich bejahen. Sicher lassen sich charismatische Techniken bis zu einem gewissen Mass erlernen und man kann durchaus von Tipps profitieren. Wer jedoch überhaupt kein charismatisches Potential besitzt, dem werden diese Tipps auch nicht viel weiterhelfen. Auch nüchterne, sachliche, uncharismatische Menschen können ihre Nische finden und Erfolg haben.

Strategien mitreissender und faszinierender Persönlichkeiten:

  • Die eigenen Stärken im Umgang mit anderen erkennen und weiterentwickeln

    Humor, zuhören können, eine besondere Beobachtungsgabe – all das sind Pfunde, mit denen sich wuchern lässt. Selbst eine vermeintliche Schwäche wie «Schüchternheit» kann so eingesetzt werden, dass andere sie positiv bewerten.

  • Begeisterungsfähigkeit und Emotionalität

    Charismatiker sind nicht «cool» und wollen auch nicht so wirken. Sie zeigen ihre Gefühle, wenn ihnen etwas wichtig ist, und werden dann auch leidenschaftlich und «intensiv».

  • Auf andere eingehen können

    Es «kommt gut an», wenn man sich für das Befinden der anderen ehrlich interessiert, wenn man ihnen Feedback gibt (vorzugsweise positives), ihnen zuhören kann und sie ernst nimmt. Charismatiker sind keine Egozentriker.

  • Die Initiative ergreifen

    Charismatische Menschen sind risikofreudig und aktionsorientiert, eher Macher als Abwarter. Sie taktieren nicht und «eiern nicht herum», sondern sind – ohne zu verletzen – ehrlich und direkt in ihren Urteilen und Wünschen.

  • Seien Sie ganz Sie selbst

    Charismatische Menschen sind authentisch: Was sie tun und sagen, passt zu dem Gesamterscheinungsbild. Nichts ist gespielt, angelernt oder aufgesetzt. Als oberste Regel gilt immer: Seien Sie ganz Sie selbst. Es geht nicht darum, dass Sie andere Menschen einfach kopieren oder nur das anwenden, was hier steht. Entscheidend ist, dass Sie Ihren eigenen, ganz persönlichen Stil finden und leben. Charisma haben heisst nicht, irgendetwas zu tun, um anderen zu gefallen, sondern Sachen zu tun und zu sagen, weil diese für Sie richtig sind. Ecken Sie lieber einmal mehr an, als sich anzubiedern. Charisma ist etwas, das tief aus Ihrem Inneren kommen muss. Sie können es nicht nachmachen. Charismatisch sind Sie nur, wenn Sie «echt» sind – eben authentisch. Unterdrücken ihre Originalität nicht, sondern kultivieren sie diese. Bekennen Sie sich zu ihren Ecken und Kanten, ohne diese gleich zu Tugenden umzustilisieren (wie ein Egozentriker).

  • Positive Selbstkommunikation

    Das heisst sich selbst Mut zuzusprechen, an Erfolge und Stärken zu erinnern und diese immer wieder bewusst zu machen. Und es hilft, mit positiven Gedanken in die Begegnung mit anderen zu gehen, sich etwa eine angenehme Eigenschaft oder eine Leistung des Gegenübers zu vergegenwärtigen. Diese mentale Haltung wirkt sich auf den körperlichen Ausdruck, auf Mimik und Gestik aus und wird entsprechend «gelesen».

  • Verbale und non-verbale Kommunikation

    Die Körpersprache und die Sprechweise können nicht beliebig verändert und «auf charismatisch getrimmt» werden. In den meisten Fällen wirkt das unauthentisch und aufgesetzt. Trotzdem ist es hilfreich, sich um sicheres Sprechen, um eine bessere Atemtechnik und einen kontrollierten Sprechrhythmus zu bemühen. Das lässt sich lernen, ohne dass es künstlich wirkt. Und es verbessert den Auftritt, wenn man die Gesten der Unsicherheit oder Ablehnung vermeidet. Dies sind verschränkte Arme, gerunzelte Stirn, hochgezogene Brauen.

  • Glauben Sie an sich

    Das, was wir von uns selbst denken, beeinflusst unsere Wirkung auf andere. Charismatisch kann deshalb nur jemand sein, der an sich selbst und auch an seine eigene charismatische Ausstrahlung glaubt.

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