Vorsorgeeinrichtungen: Diese Sperrfrist gilt es zu beachten
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Einleitung
Bei der beruflichen Vorsorge und den anerkannten Formen der gebundenen Selbstvorsorge setzte der Gesetzgeber das sog. Waadtländer Modell um. Dieses Modell der vollständigen Abzugsfähigkeit der Beiträge/ Prämien und der vollen Besteuerung der Einkünfte aus der beruflichen Vorsorge ist nicht nur bundesrechtlich in Art. 81 ff. des Bundesgesetzes vom 2. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) verankert, sondern die Vorschriften bewirken in ihrer Umsetzung durch den Bundesgesetzgeber im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember 1990 (DBG; SR 642.11) und Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) namentlich eine vertikale und horizontale Vereinheitlichung von direkter Bundessteuer sowie der Steuern von Kantonen und Gemeinden.
Die Möglichkeit des vollen Abzugs bei voller Besteuerung der Vorsorgeleistungen erleidet insofern einen Einbruch, als die aus einem Einkauf resultierenden Leistungen innerhalb der nächsten drei Jahre nicht in Kapitalform aus der Vorsorge zurückgezogen werden dürfen (Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG). Unter die aus dem Einkauf resultierenden Leistungen fallen namentlich die Altersleistungen aus beruflicher Vorsorge, die Barauszahlung gemäss Art. 5 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1993 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (FZG; SR 831.42) und der Vorbezug zum Zwecke der Wohneigentumsförderung.
Regelmässig stellt sich im Zusammenhang mit Art. 79b Abs. 3 BVG die Frage, ob bei der beruflichen Vorsorge ein unmittelbarer Konnex zwischen einem bestimmten Einkauf und einem bestimmten Kapitalbezug erforderlich ist oder ob eine konsolidierende Gesamtbetrachtung anzustellen ist. Das Bundesgericht hat sich im Urteil 2C_6/2021 vom 12. Januar 2021 ein weiteres Mal mit dieser Frage auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Der Steuerpflichtige war in der Steuerperiode 2016 unselbstständig erwerbstätig und hatte steuerrechtlichen Wohnsitz im Kanton Zürich. Am 21. Oktober 2016 nahm er einen Einkauf von CHF 45 000.– in seine berufliche Vorsorge (BVK Personalvorsorge des Kantons Zürich) vor, was er später in der Steuererklärung zur Steuerperiode 2016 steuermindernd berücksichtigte.
Am 9. April 2019 bezog der Steuerpflichtige von seinem Freizügigkeitskonto bei der Swiss Life AG, das er im Zusammenhang mit einer anderen Erwerbstätigkeit angelegt hatte, eine Kapitalleistung von CHF 20 813.–. Das Steueramt des Kantons Zürich erliess am 7. April 2020 Nachsteuerverfügungen zur direkten Bundessteuer und den Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich. Darin rechnete es gegenüber den rechtskräftigen Veranlagungsverfügungen zur Steuerperiode 2016 den Betrag von CHF 20 813.– auf, was es damit begründete, dass in diesem Umfang eine Verletzung der dreijährigen Sperrfrist (Art. 79b BVG) eingetreten sei. Die Einsprache des Steuerpflichtigen, der seit Eröffnung des Nachsteuerverfahrens argumentiert hatte, aufgrund der Herabsetzung des Rentenumwandlungssatzes per 1. Januar 2017 und der Übergangsbestimmung mit Besitzstandgarantie lägen besondere Verhältnisse vor, blieb erfolglos.
Dagegen gelangte der Steuerpflichtige an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches die Rechtsmittel abwies. Der Steuerpflichtige erhob daraufhin beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragte, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei das Nachsteuerverfahren einzustellen.
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Objektivierte Sperrfrist
Das Bundesgericht bestätigt in seinem Urteil 2C_6/2021, dass die Sperrfrist gemäss Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG objektiviert und für alle Formen der Kapitalbezüge aus 2. Säule in gleicher Weise massgebend ist. Raum für eine Prüfung der individuell-konkreten Beweggründe verbleibt nicht. Anzustellen ist eine konsolidierende Gesamtbetrachtung der beruflichen Vorsorge (Säule 2). Die steuerrechtliche Abzugsfähigkeit des Einkaufs entfällt selbst dann, wenn die Kapitalleistung aus einer anderen Vorsorgeeinrichtung entnommen wird.
Die dreijährige Sperrfrist war im vorliegenden Fall damit verletzt. Aus welchem Grund es bereits vor Ablauf der drei Jahre zur Auslösung des Kapitalbezugs kam, ist praxisgemäss von keiner Bedeutung. Entsprechend waren die Vorbringen des Steuerpflichtigen bezüglich der Hinweise auf die angekündigte Herabsetzung des Rentenumwandlungssatzes und die übergangsrechtliche Besitzstandsgarantie nicht zielführend, und derartige Argumente vermögen weder an der objektivierten Ausgestaltung der Sperrfrist noch an der Pfl cht zur säuleninternen Konsolidierung etwas zu ändern.
Steuerliche Korrektur des Abzugs bei Sperrfristverletzung
Ist eine Sperrfristverletzung eingetreten, so bleibt die Kapitalleistung nach den üblichen Regeln steuerbar (Sonderveranlagung einer vollen Jahressteuer gemäss Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 DBG bzw. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 11 Abs. 3 StHG). Der rechtskräftig veranlagte Abzug des seinerzeitigen Einkaufs ist im Umfang der bezogenen Kapitalleistung zu neutralisieren. Dies hat im Rahmen der Nachsteuer zu erfolgen.
Vorliegend hatte das Steueramt den Einkauf im Steuerjahr 2016 in Höhe der bezogenen Kapitalleistung von CHF 20 813.– im Nachsteuerverfahren somit zu Recht aufgerechnet. Die Beschwerde des Steuerpflichtigen wurde vom Bundesgericht abgewiesen.
Kommentar
Das Urteil 2C_6/2021 fügt sich nahtlos in die aktuelle bundesgerichtliche Rechtsprechung ein. Das Bundesgericht hat seit jeher den Einkauf in die berufliche Vorsorge dann nicht zugelassen, wenn eine Steuerumgehung vorliegt. Das ist dann der Fall, wenn missbräuchliche steuerminimierende, zeitlich nahe Einkäufe und Kapitalbezüge in und von Pensionskassen getätigt werden, mit denen nicht die Schliessung von Beitragslücken angestrebt wird, sondern die 2. Säule als steuerbegünstigtes «Kontokorrent» zweckentfremdet wird. Das Ziel eines Einkaufs von Beitragsjahren besteht im Aufbau bzw. in der Verbesserung der beruflichen Vorsorge. Dieses Ziel wird aber dann offensichtlich verfehlt, wenn die gleichen Mittel kurze Zeit später – bei kaum verbessertem Versicherungsschutz – der Vorsorgeeinrichtung wieder entnommen werden.
Im Rahmen der 1. BVG-Revision wurde mit Wirkung ab 1. Januar 2006 Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG neu in das Gesetz aufgenommen. Mit dem Inkrafttreten von Art. 79b BVG hatte das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und präzisiert. Im Grundsatzurteil 2C_658/2009 vom 12. März 2010 erkannte das Bundesgericht, Art. 79b BVG beruhe klar auf steuerrechtlichen Motiven. Aus den parlamentarischen Beratungen erhelle, dass mit der Sperrfrist von drei Jahren dieselben Missbräuche der Steuerminimierung bekämpft werden sollten, welche schon nach der bisherigen Praxis zur Verweigerung der Abzugsberechtigung geführt hätten. Wenn Art. 79b Abs. 3 BVG im Falle von Einkäufen für «die daraus resultierenden Leistungen» eine dreijährige Kapitalrückzugssperre vorsehe, so sei das nicht als notwendigerweise direkte Verknüpfung zwischen dem Einkauf und der Leistung zu verstehen, zumal die Leistungen aus Vorsorgeeinrichtungen nicht aus bestimmten Mitteln, sondern aus dem Vorsorgekapital der versicherten Person insgesamt fi nanziert werden (vgl. hierzu 2C_488/2014, 2C_489/2014 vom 15. Januar 2015).
Trotz der klaren bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es bei einer Sperrfristverletzung möglich, dass in der Praxis auf die Erhebung der Nachsteuer auf dem Einkauf verzichtet wird. Vorausgesetzt sind jedoch besondere Verhältnisse. Namentlich, wenn zum Zeitpunkt des Einkaufs nicht mit dem Kapitalbezug gerechnet werden konnte, wie bei einer unerwarteten Kündigung durch den Arbeitgeber, aufgrund derer das Vorsorgeguthaben ganz oder teilweise in Kapitalform bezogen werden muss (vgl. die publizierte Praxis der Steuerverwaltung des Kantons Bern: www.taxinfo.sv.fin.be.ch/taxinfo/display/taxinfo/Berufliche+Vorsorge, Ziff. 2.4; abgerufen am 7. Juni 2021). In diesen ausserordentlichen Fällen liegt der Kapitalbezug nicht im Ermessen des Steuerpflichtigen, und ein Missbrauch kann augeschlossen werden. Der Verzicht auf eine Nachbesteuerung ist daher richtig.
Das Bundesgericht ruft im Entscheid 2C_6/2021 auch in Erinnerung, dass aufgrund von Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG ebenso jeder während der Dauer der Sperrfrist getätigte Einkauf in die berufliche Vorsorge nachträglich vom steuerlichen Abzug auszuschliessen ist, ohne dass geprüft werden muss, ob die Voraussetzungen einer Steuerumgehung vorliegen. Es spielt somit keine Rolle, in welcher Reihenfolge Kapitalbezug und Kapitaleinzahlung erfolgen. Das Bundesgericht bestätigt im Übrigen, dass die gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) von der Konsolidierung auszunehmen ist, da eine Pflicht zur säulenübergreifenden Konsolidierung Art. 79 Abs. 3 Satz 1 BVG nicht entnommen werden kann.
Das Urteil 2C_6/2021 hatte Auswirkungen auf die Praxis. So hat namentlich der Kanton Bern eine Praxisanpassung vorgenommen (vgl. www.taxinfo.sv.fi n.be.ch/taxinfo/display/taxinfo/Berufl iche+Vorsorge; abgerufen am 7. Juni 2021). Nach alter Praxis hat der Kanton Bern für die innerhalb der Dreijahresfrist bezogene Kapitalleistung den privilegierten Vorsorgetarif nicht gewährt. Die Kapitalleistung wurde bis zur Höhe der Einkäufe der letzten drei Jahre zusammen mit dem übrigen Einkommen zum ordentlichen Tarif besteuert. Nur eine darüber hinausgehende Kapitalleistung wurde zum Vorsorgetarif besteuert. Auf eine rückwirkende Aufrechnung des Einkaufs im Jahr des Einkaufs wurde verzichtet. Nach neuer Praxis und im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unterliegt die Kapitalleistung, reduziert um den Einkauf, der Sonderveranlagung. Der rechtskräftig abgezogene Einkauf wird mittels Nachsteuer korrigiert. Ist die innerhalb der Sperrfrist bezogene Kapitalleistung tiefer als die Einkaufssumme, wird der Einkauf nur in der Höhe der Kapitalleistung nachbesteuert. In anderen Kantonen galt bereits vor dem Urteil 2C_6/2021 eine entsprechende Praxis.
Für Steuerpflichtige ergeben sich im Rahmen der beruflichen Vorsorge interessante Steueroptimierungsmöglichkeiten. Das vorliegende Urteil macht indessen ein weiteres Mal deutlich, dass in Anbetracht der individuellen Situation eines jeden Einzelnen insbesondere Einkäufe und Kapitalbezüge vorsichtig und vorausschauend zu planen sind. Zu guter Letzt sei noch auf Folgendes hingewiesen: Landläufig ist öfters zu hören, dass Justizverfahren nur schleppend vorangehen und ein Entscheid den Rechtsuchenden erst mehrere Monate, wenn nicht Jahre nach Einreichung einer Beschwerde eröffnet wird. Vorliegend ist daher besonders hervorzuheben, mit welcher Effizienz das Bundesgericht den Fall beurteilte. Die Beschwerde des Steuerpflichtigen vom 4. Januar 2021 wurde mit Urteil vom 12. Januar 2021 abgewiesen, womit das Bundesgericht für den Entscheid nur knapp eine Woche benötigte. Das Bundesgericht orientiert auf seiner Website, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer vor Bundesgericht zwischen vier und fünf Monaten beträgt. Die Dauer könne je nach Komplexität des Falls oder der Art seiner Erledigung kürzer oder wesentlich länger sein (vgl. www.bger.ch/index/federal/federal-inherit-template/federal-faq/federal-faq-18.htm; abgerufen am 7. Juni 2021).