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Steuerumgehung: Durch zu tiefen Lohn möglich?

Aufgrund der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen STAF haben in den meisten Kantonen Gewinnsteuersatzsenkungen stattgefunden. Für unternehmensinhaber-geführte Gesellschaften könnte dadurch der Anreiz geschaffen worden sein, dem Geschäftsführer weniger Lohn und mehr Dividende auszuzahlen. Dividendenerträge werden zwar höher besteuert als früher, gleichwohl aber noch privilegiert und auf jeden Fall günstiger als zu hohen Einkommenssteuertarif. Zudem sind auf Dividenden keine Sozialversicherungsabgaben geschuldet, weshalb es sich steuerlich nach wie vor um eine sehr attraktive Entschädigungsform handelt. Die alte Thematik von zu hohen Dividenden bei gleichzeitig zu tiefen Löhnen und einer allfälligen Umqualifizierung zur zuständigen Ausgleichskasse bleibt.

09.02.2022 Von: Alain Villard
Steuerumgehung

Ausgangslage

Eine wesentliche Errungenschaft der Unternehmenssteuerreform II war das Dividendenprivileg, das die wirtschaftliche Doppelbelastung auf Gewinnanteilen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit beseitigen sollte. Die AHV-Behörden haben in der Vergangenheit wiederholt AHV-Substrat generiert, indem sie angeblich zu hohe Dividenden in AHV-pflichtigen Lohn umqualifiziert haben. Bei diesem Vorgehen stellen sich folgende, wesentliche Fragen:

  • Wie verhält sich das Zivilrecht zum Steuerrecht, bzw. an welche Betrachtungsweise haben die Sozialversicherungsbehörden bei der Auslegung von steuerrechtlichen Normen anzuknüpfen?
  • Ist eine Umqualifikation eines wirtschaftlichen Vorgangs durch eine Sozialversicherungsbehörde unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten statthaft?
  • Kann ein zu tief angesetzter Lohn eine Steuerumgehung mit Bezug auf die AHV-Pflicht begründen?

Verhältnis Zivilrecht – Steuerrecht

Allgemeines

Bei der Auslegung von steuerrechtlichen Normen tritt das Verhältnis zwischen Zivil- und Steuerrecht in verschiedenen Konstellationen zu-tage, und es bestehen mehrere Rangordnungen zwischen diesen beiden Rechtsgebieten. Der Steuergesetzgeber muss auf “privatrechtliche Erscheinungen und Verhältnisse abstellen”, deren Regelung und Strukturierung durch das Zivilrecht definiert wird. Für die Analyse eines steuerrechtlichen Sachverhalts sind die wirtschaftlichen und zivilrechtlichen Aspekte zu berücksichtigen und der Entscheid darüber zu fällen, ob das zivilrechtliche Erscheinungsbild dem wirtschaftlichen Vorgang angemessen erscheint oder nicht (vgl. die Grafik bei Blumenstein/Locher, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., 2002, § 3, S. 31). Im Rahmen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise wird geprüft, “ob die gewählte Rechtsform dem wirtschaftlichen Gehalt des Sachverhalts gerecht wird, d.h. ob Kongruenz gegeben ist oder nicht” (Blumenstein/Locher, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., 2002, § 3, S. 31). Die zivilrechtliche Betrachtungsweise dient vor allem der Überprüfung, ob zwingende, zivilrechtliche Schranken bestehen.

Beispiele

Eine zivilrechtliche Anknüpfung liegt beispielsweise beim Wohnsitzbegriff vor, der sich nach den Art. 23–26 ZGB richtet. Wie die Geschäftsbücher eines Unternehmens zu führen und aufzubewahren sind, wird durch Art. 957 ff. OR bestimmt. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise liegt z.B. dem Begriff der wirtschaftlichen Handänderung bei der Grundstückgewinnsteuer zugrunde. Danach werden Rechtsgeschäfte, die mit Blick auf die Verfügungsgewalt über Grundstücke wirtschaftlich wie eine Veräusserung wirken, einer zivilrechtlichen Veräusserung gleichgestellt (vgl. Art. 130 Abs. 2 lit. a StG BE oder § 2 Ziff. 3 HGStG LU). Eine steuersystematische Anknüpfung besteht z.B. in der Bestimmung des steuerbaren Orts einer Leistung, indem zunächst bestimmt werden muss, ob es sich bei der Leistung um eine Lieferung (Art. 3 lit. d MWSTG) oder eine Dienstleistung (Art. 3 lit. e MWSTG) handelt. Erst in einem zweiten Schritt kann der steuerbare Ort der Lieferung (Art. 7 Abs. 1 MWSTG) oder der Dienstleistung bestimmt werden (Art. 8 MWSTG).

Bezug zur Gestaltungsmöglichkeit

Der Inhaber eines Unternehmens hat zwei Möglichkeiten, einen Teil des Betriebsergebnisses für sich abzuschöpfen. Er zahlt sich entweder einen sozialversicherungspflichtigen Lohn und oder eine beitragsfreie Dividende aus. Diese arbeits- und gesellschaftsrechtliche Gestaltung hat ihren Ursprung im Zivilrecht und entspricht grundsätzlich den wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Bei der Möglichkeit der Ausnützung von Gestaltungsmöglichkeiten spricht man von Steuerplanung. Diese kann mehr oder weniger aggressiv betrieben werden.

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