Veranlagungsverfügung: Ausserordentliches Rechtsmittel der Revision

Veranlagungsverfügungen können während der (i.d.R. 30-tägigen) Rechtsmittelfrist mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden. Nach dieser Frist ist es in gewissen Ausnahmefällen möglich, mittels Revision die Verfügung abzuändern. Nachfolgend wird aufgezeigt, wann eine Revision gemacht werden kann und was es zu beachten gilt.

18.04.2023 Von: Alain Villard
Veranlagungsverfügung

Gesetzliche Grundlagen

Stichwort

Rechtsnorm

Bund

Art. 147 ff. DBG

Verrechnungssteuer

Art. 59 VStG i.V. m. Art. 66–69 VwVG

Stempelabgabe

Art. 44 StG i.V. m. Art. 66–69 VwVG

Mehrwertsteuer

Art. 85 MWStG i.V. m. Art. 66–69 VwVG

Kantone

Art. 51 StHG

Bern

Art. 202 StG BE

Zürich

§ 155 StG ZH

Aargau

§ 201 StG AG

St. Gallen

Art. 197 StG SG

Allgemeines zur Revision

Grundsätzlich sind Veranlagungsverfügungen, die in Rechtskraft erwachsen, d.h., die während der (i.d.R. 30-tägigen) Rechtsmittelfrist nicht mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden, nicht mehr abänderbar. Dies gilt selbst dann, wenn sie materiell falsch sind, da für die Abänderung materiell unrichtiger Verfügungen und Entscheide das ordentliche Rechtsmittelverfahren in Anspruch zu nehmen ist. Vorbehalten ist das Instrument der Berichtigung für Rechnungsfehler und Schreibversehen (Art. 52 StHG und Art. 150 DBG).

In gewissen Ausnahmefällen vermag diese Regelung den Verhältnissen nicht gerecht zu werden. Dies ist dann gegeben, wenn aus objektiv nachvollziehbaren und entschuldbaren Gründen keine Veranlassung oder Möglichkeit bestand, ein Rechtsmittel zu ergreifen. In solchen (Ausnahme)fällen soll eine Korrektur auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist möglich sein.

Mit der Revision verlangt der Steuerpflichtige (oder von Amtes wegen die Behörde), dass eine vom gesetzlichen Mass abweichende Besteuerung (Übersteuerung) zugunsten (zur Möglichkeit der reformatio in peius vgl. unten Ziff. 2.2) des Steuerpflichtigen abgeändert wird (RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, § 155 N 10; VGer ZH 30.8.2000, StE [2001] B 97.3 Nr. 4, a). Die Revision qualifiziert als Rechtsmittel, weil bei gegebenen Voraussetzungen dem Steuerpflichtigen ein Erledigungsanspruch gegenüber der zuständigen Behörde zusteht, die Revisionsanträge materiell zu prüfen. Sie gilt indes als ausserordentliches Rechtsmittel, weil sie explizit nur gegen rechtskräftige Verfügungen oder Entscheide zulässig ist. Ist die ordentliche Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen bzw. steht dem Steuerpflichtigen noch ein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung, ist die Revision ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem subsidiären Rechtsmittel (vgl. die Terminologie bei VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 2).

Die Revision grenzt sich von der Wiedererwägung insofern ab, als Letztere formlos eingereicht werden kann und insbesondere an keine Frist gebunden ist. Im Gegenzug verleiht die Revision dem Rechtsuchenden einen Erledigungsanspruch, was beim Wiedererwägungsgesuch nicht der Fall ist. Vorbehalten bleibt die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV; vgl. HÄFELIN/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz 1041 f. und 1833; StRK AI 14.6.1996, StE [1997] B 97.11 Nr. 12). Indes wird die Terminologie im Steuerrecht nicht einheitlich verwendet. Gewisse kantonale Gesetze sprechen von Wiedererwägung, wo doch der Begriff Revision angebracht wäre (z.B. Art. 141 StG GR in der Fassung vom 10.3.1996, mittlerweile wurde der Wortlaut angepasst und sodass die Bestimmung seit 1.1.2007 ebenfalls von einer "Revision" ausgeht; auch das BGer betrachtete die alte Fassung prozessrechtlich als Revision, vgl. BGer 9.11.2004, 2A.359/2004, E. 4.2; zum Ganzen VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 4).

Die Revision ist auch von der Rückforderung bezahlter Steuern gemäss Art.168 DGB zu unterscheiden. Diese Bestimmung ist auf Fälle zugeschnitten, in welchen eine nicht geschuldete Steuer irrtümlich bezahlt worden ist. Zurückfordern kann der Steuerpflichtige all jene Steuerbeträge, für welche im Zeitpunkt der Rückforderung keine Veranlagung vorliegt und auch nicht erlassen werden wird. Über Art. 168 DBG kann der Steuerpflichtige keine rechtskräftige Verfügung überprüfen lassen VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 4a).

Rechtswirkungen

Bei erfüllten Voraussetzungen hebt eine Revision die formelle Rechtskraft des angefochtenen Entscheids bzw. der Veranlagungsverfügung ausnahmsweise auf. Zuständig für die Behandlung des Revisionsgesuches ist die zuletzt mit der Streitsache befasste Instanz. Zu beachten gilt es, dass die Rechtskraft nicht bereits mit Einreichung des Revisionsbegehrens, sondern erst mit einem gutheissenden Revisionsentscheid (RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, VB zu § 155–162 N 11). Ein Revisionsbegehren entfaltet deshalb grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem nicht suspensiven Rechtsmittel. Nicht devolutiv ist die Revision, weil sie als Rechtsmittel nicht an die nächst höhere, sondern an die sich mit der Streitsache zuletzt befassende Behörde zu richten ist. Als nicht vollkommenes Rechtsmittel gilt die Revision, weil die Überprüfungsbefugnis der zuständigen Behörde zugunsten der Rechtssicherheit und des Vertrauensgrundsatzes einem eingeschränkten Katalog von Revisionsgründen verpflichtet ist (VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 2 m.w.H.). Nicht jeder Mangel einer Veranlagungsverfügung kann somit gerügt werden, sondern es ist eine qualifizierte ursprüngliche Fehlerhaftigkeit erforderlich.

Reformatio in peius?

Gestützt auf Entscheide des Bundesgerichts zur alten Gesetzgebung vor Inkrafttreten des DBG könnte man schliessen, dass die Abänderung von Entscheiden auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen möglich ist (BGer 4.4.2003, 2A.508/2002, StR [2003] 513, 517; BGer 14.10.1998, Pra 88 [1999] Nr. 70, 383 f.). Gestützt auf die Botschaft und dem Willen des DBG-Gesetzgebers ist die reformatio in peius (Abänderung eines Entscheids zu Ungunsten des Steuerpflichtigen) abzulehnen (Botschaft DBG/StHG, 137). Der Rechtssicherheit wurde damit der Vorrang gegeben. Gleichwohl gilt es darauf hinzuweisen, dass die rechtsmissbräuchliche Berufung auf die Rechtskraft nach wie vor nicht schützenswert ist (VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 28).

Gegenstand

Mit der Revision können rechtskräftige Verfügungen und Entscheide abgeändert werden. Gemeint sind Veranlagungsverfügungen und Einspracheentscheide. Ebenfalls der Revision unterliegen rechtskräftige Revisions- und Nachsteuerentscheide. In diesem Fall qualifiziert der Revisions- bzw. Nachsteuerentscheid als Anfechtungsobjekt und nicht etwa der ursprüngliche Veranlagungsentscheid. Wird die Revision einer formell noch nicht rechtskräftigen Verfügung verlangt, tritt die Behörde auf das Revisionsbegehren nicht ein.

Revisionsgründe

Nur bei Vorliegen bestimmter Gründe kann eine Revision vorgenommen werden. Solche Gründe sind:

Neue Tatsachen und Beweismittel

Neue Tatsachen und Beweismittel, die zur Zeit der Veranlagung schon bestanden, jedoch dem Steuerpflichtigen nicht bekannt waren und trotz gebührender Sorgfalt auch nicht bekannt sein konnten.

Tatsachen sind Zustände oder Vorgänge (Ereignisse), die für eine Revision qualifizieren, wenn sie erheblich sind. Die Erheblichkeit liegt dann vor, wenn die Tatsache geeignet ist, den der Veranlagung bzw. Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt rechtserheblich zu verändern (VGer AG 22.12.1987, AGVE (1987) 327, 330). Dabei ist zu beachten, dass die rechtliche Würdigung einer Tatsache selbst keine neue Tatsache ist, weshalb Praxisänderungen keine Revisionsgründe darstellen VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 9).

Erheblich sind Tatsachen, die nachträglich entdeckt aber nicht nachträglich eingetreten sind (BGer 9.11.2004, 2A.530/2004, E. 4.2). Sie müssen also im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung oder der Entscheidfällung bereits bestanden haben (BGer 21.9.2004, 2A.407/2004, E. 2.2; BGer 14.2.2005, 2A.3/2005 und 2P.7/2005, E. 3.). In diesem Zusammenhang spricht FUCHS von “neuen alten” Tatsachen (BEAT FUCHS, Revision und Rückerstattung in der Steuerordnung von Basel-Stadt, BJM (1984) 246).

Der Steuerpflichtige erfährt nachträglich, dass ein Angestellter von ihm Geschäftsvermögen veruntreut hat und das Geld infolge Verschuldung beim Angestellten kaum mehr zurückzufordern ist. Die Veranlagung erfolgte somit auf zu hoher Basis, weil die veruntreuten Gelder noch nicht abgeschrieben worden waren, da von der Veruntreuung noch gar keine Kenntnis vorlag.

“Nachträglich” ist indes nicht absolut zu verstehen. Wenn sich die Tatsache zwar später verwirklicht, gleichwohl latent von Anfang an vorhanden war, ist die Revision zulässig. So anerkannte die Steurrekurskommission FR den Revisionsanspruch eines Veräusserers einer Liegenschaft, der unter Anerkennung seiner Gewährleistungspflicht nachträglich Steuern seines Vorgängers übernommen hatte, die der Fiskus nach der Weiterveräusserung der Liegenschaft gestützt auf das gesetzliche Grundpfandrecht gegenüber dem neuen Eigentümer geltend gemacht hatte (VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 10).

Die zu den Tatsachen gemachten Ausführungen gelten analog auch für die Beweismittel. Neue Beweismittel können geeignet sein, eine bereits im Zeitpunkt der Verfügung vorgelegene Tatsache zu beweisen, die zwar im Veranlagungsverfahren behauptet, indes aus "Beweisnotstand" unbewiesen geblieben ist. Die neuen Beweismittel müssen eine neue Beurteilung der bestehenden Verfügung nahelegen (VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 11).

Strafbare Einwirkung auf die Veranlagung

Auf das Steuerverfahren wurde durch eine strafbare Handlung eingewirkt.

Erforderlich ist ein Verbrechen oder Vergehen und denkbar sind insbesondere folgende Tatbestände: falsche Zeugenaussage und falsches Gutachten (Art. 307 StGB), falsche Beweisaussagen von Parteien (Art. 306 StGB), unrechtmässige Aneignung (Art. 137 StGB), Diebstahl von Beweismitteln (Art. 139 StGB), Urkundenfälschung (Art. 251 StGB), Erpressung (Art. 156 StGB), Nötigung von Verfahrensbeteiligten (Art. 181 StGB), Amtsmissbrauch (Art. 312 StGB), ungetreue Amtsführung (Art. 314 StGB) sowie Bestechung von schweizerischen Amtsträgern (Art. 322ter StGB; VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 19).

Der Revisionsgrund ist dann gegeben, wenn ein tatbestandsmässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zu Ungunsten des Steuerpflichtigen Einfluss auf die Veranlagung bzw. den Entscheid genommen hat. Wenn der Täter also z.B. nicht schuldhaft oder aus einem Rechtfertigungsgrund (Notstand) gehandelt hat, liegt kein Revisionsgrund vor.

Der Steuerpflichtige wurde vom Angestellten, welcher Gelder veruntreute, genötigt, die Veruntreuung zu verheimlichen. Der Steuerpflichtige wusste somit zwar, dass er diese Abzüge geltend machen könnte, wurde aber faktisch gehindert, dies geltend zu machen.

Gravierende Verfahrensmängel

Aktenkundige erhebliche Tatsachen oder Begehren wurden übersehen. Erforderlich ist ein Fehler bzw. ein Irrtum in der Würdigung eines gegebenen und bekannten Sachverhalts durch die erlassende Behörde.

Der Steuerpflichtige erfährt nachträglich, dass in den Steuerakten eine Bestätigung des Zahlungsempfängers vorliegt, aus der hervorgeht, dass eine umstrittene Zahlung – deren entsprechende Belastung auf der Aufwandseite wurde verweigert – tatsächlich geleistet worden war.

Im Übrigen gelten auch die Missachtung von wesentlichen Verfahrensgrundsätzen (z.B. Verweigerung des rechtlichen Gehörs, Verletzung einer Verfahrensmaxime, die Nichtbeachtung gestellter Begehren, die unrichtige Besetzung des Gerichts, die Verletzung der Ausstandspflicht und die Missachtung der Bindung an Parteibegehren) als Revisionsgründe (VALLENDER/LOOSER, DBG-Komm, Art. 147 N 16a).

Fristen

Zu beachten ist einerseits die relative Frist von 90 Tagen ab Entdeckung des Revisionsgrundes und die absolute, 10-jährige Frist ab Mitteilung des Einschätzungsentscheids. “Ab Entdeckung des Revisionsgrundes” bedeutet dann, wenn der Steuerpflichtige die nötigen, sicheren Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Revisionsgrundes beisammen hat. Für den Gesuchsteller müssen damit zumindest begründete Erfolgsaussichten für das Revisionsgesuch bestehen. Als Beispiel bei der Grundstückgewinnsteuerveranlagung beginnt die Frist für das Revisionsbegehren im Falle von Gewinnreduktion infolge Garantiearbeiten, wenn die Abrechnungen für die Arbeiten vorliegen und geprüft werden können (RB 1965 Nr. 51 = ZBl 67, 134).

Beides sind Verwirkungsfristen und damit Gültigkeitsvoraussetzungen für die Revision. Genannte Fristen beziehen sich sowohl auf die bundesrechtlichen wie auch auf die kantonalrechtlichen Revisionsgründe (vgl. zum Ganzen RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER [Hrsg.], Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, § 156 N 1 ff.).

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