Kapitaleinlageprinzip: Zentrale Punkte für die Kapitaleinlagereserve
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Emissionsabgabe auf Eigenkapital
Am 18. Juni 2021 hat die Bundesversammlung beschlossen die Emissionsabgabe auf Eigenkapital abzuschaffen. Der Nationalrat hatte der Abschaffung bereits 2013 zugestimmt, der Ständerat sistierte das Geschäft allerdings. 2020 hatte eine Expertengruppe mit Vertretern aus Bund, Kantonen, Wirtschaft und Wissenschaft die Abschaffung empfohlen, und auch der Bundesrat hat sich dafür ausgesprochen. Die Kommissionsmehrheit des Ständerats will nun die Eigenkapitaleinlage für Unternehmen, die stark von der Coronakrise betroffen sind, erleichtern. Dieser Umschwung ist begrüssenswert, ist aber durch aktuelle, finanzielle Interessen motiviert. Am 13. Februar 2022 scheiterte das Vorhaben schliesslich am Volks-Nein. Die Problematik ist daher nicht vom Tisch.
Sachverhalt
Für die vorliegende Problematik soll folgender Sachverhalt als Gedankenstütze dienen:
Die X AG führt im Jahr 2019 eine Kapitalerhöhung von CHF 5 000 000 (nominelles Kapital CHF 500 000, Agio CHF 4 500 000) durch. Sie meldet mit Formular 3 einen Agio-Betrag von CHF 4 500 000 und entrichtet einen Emissionsabgabebetrag von CHF 44 554.45. Mittels Formular 170 meldet die X AG Kapitaleinlagereserven von CHF 4 500 000. Die ESTV antwortet darauf mit einem Schreiben mit Verweis auf Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR, wonach das Agio nach Deckung der Ausgabekosten den gesetzlichen Reserven gutzuschreiben ist, und demnach lediglich CHF 4 455 445.55 (4 500 000 - 44 554.45) als Kapitaleinlagereserven anerkannt werden. Im Sinne der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen, sei der gemeldete KER-Betrag um den Emissionsabgabebetrag, welcher mittels Formular 3 gemeldet wurde, gekürzt worden.
Die X AG führt im Jahr 2019 eine Kapitalerhöhung von CHF 5 000 000 (nominelles Kapital CHF 500'000, Agio CHF 4 500 000) durch. Sie meldet mit Formular 3 einen Agio-Betrag von 4'500'000 und entrichtet einen Emissionsabgabebetrag von CHF 44 554.45. Mittels Formular 170 meldet die X AG Kapitaleinlagereserven von CHF 4 500 000. Die ESTV antwortet darauf mit einem Schreiben mit Verweis auf Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR, wonach das Agio nach Deckung der Ausgabekosten den gesetzlichen Reserven gutzuschreiben ist, und demnach lediglich CHF 4 455 445.55 (4 500 000 - 44 554.45) als Kapitaleinlagereserven anerkannt werden. Im Sinne der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen, sei der gemeldete KER-Betrag um den Emissionsabgabebetrag, welcher mittels Formular 3 gemeldet wurde, gekürzt worden.
Gesetzliche Grundlagen
Für den vorliegenden Sachverhalt sind die gesetzlichen Bestimmungen des Kapitaleinlageprinzips relevant, d.h. Art. 20 Abs. 3 undArt. 125 Abs. 3 DBG sowie Art. 5 Abs. 1bis VStG. Zudem sind die entsprechenden Kreisschreiben der ESTV Nr. 29a Kapitaleinlageprinzip neues Rechnungslegungsrecht vom 9. September 2015 sowie das Kreisschreiben der ESTV Nr. 29b Kapitaleinlageprinzip vom 23. Dezember 2019 zu konsultieren.
Steuerliche Würdigung
Gemäss Art. 20 Abs. 3 DBG wird die Rückzahlung von Einlagen, Aufgeldern und Zuschüssen (Reserven aus Kapitaleinlagen), die von den Inhabern der Beteiligungsrechte nach dem 31. Dezember 1996 geleistet worden sind, gleichbehandelt wie die Rückzahlung von Grund- oder Stammkapital. Dafür sind diese Aufgelder (Agios) und Zuschüsse auf einem gesonderten Konto (Kapitaleinlagereserven) in der Handelsbilanz auszuweisen und jede Veränderung der ESTV zu melden.
Die Rückzahlung von Grund- oder Stammkapital infolge einer Kapitalherabsetzung oder Liquidation erfolgt normalerweise zu 100 %, ohne Abzug der ursprünglichen Ausgabekosten. Aufgrund der steuergesetzlich geforderten Gleichstellung müsste dies ebenfalls für Agios und Zuschüsse gelten. Der Abzug der Emissionsabgabe vom Agio bei der Gewährung der Kapitaleinlagereserve durch die ESTV wäre demnach gesetzeswidrig und verletzt das Kapitaleinlageprinzip.
Die ESTV begründet ihre in der Lehre umstrittene Praxis mit Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR, wonach die Ausgabekosten mit dem Agio direkt verrechnet werden müssten. Sie geht davon aus, dass es sich um einen reinen Bilanzvorgang handelt und die Emissionsabgabe nicht als Aufwand über die Erfolgsrechnung verbucht wird. Es mag sein, dass die Emissionsabgabe zivilrechtlich als “Ausgabekosten” qualifiziert. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass auch die Kosten der öffentlichen Beurkundung, die Gebühren für Registereintragungen, Bankspesen, die Kosten für die Ausgabe von Aktien, Emissionskosten allgemein, Beratungshonorare, Kosten der Gründungsprüfung nach der Praxis der ESTV als von der Kapitaleinlagereserve abzuziehende Positionen sind. Es handelt sich also nicht nur gerade um 1 % des Kapitalerhöhungsbetrags, der verloren geht, sondern einiges mehr. Es stellt sich somit die Frage, ob diese Praxis zulässig ist.
Zum einen ist festzuhalten, dass die Ausgabekosten betriebswirtschaftlich als Kosten der Gesellschaft qualifizieren, schliesslich wird mit dem zur Verfügung gestellten Kapital die weitere Geschäftstätigkeit und der operative Betrieb ermöglicht oder aufrechterhalten. Auch steuerrechtlich sind die Kosten der Gesellschaft zuzuordnen und nicht den Beteiligungsinhabern, da sie im Rahmen von Art. 58 Abs. 1 lit. b DBG vom steuerbaren Gewinn abgezogen werden, auch wenn sie direkt dem Aufgeld belastet werden. Eine Kapitaleinlage fliesst einer Gesellschaft also im vollen Betrag zu. Zudem ist folgender Umstand zu berücksichtigen: Wenn zwischenzeitliche Verluste die Kapitaleinlagen definitiv vermindern und später mit Gewinnen wieder kompensiert werden, reduziert sich der steuerfreie Teil der Ausschüttungen um den Teil, um welchen Verluste die Kapitaleinlagereserven vermindert haben. Steuersystematisch wäre es deshalb korrekt, dass Gründungs- und Kapitalerhöhungskosten die Kapitaleinlage nicht zu schmälern vermögen. Es entspricht der Ratio legis, dass das Kapitaleinlageprinzip die steuerfreie Rückzahlung der gesamten Kapitaleinlagen einschliesslich des bisher steuerbaren Agios sicherstellt (vgl. Botschaft Reform Unternehmensbesteuerung II, BBl. 2005, 4859).
Kapitaleinlage- und Kapitalentnahme im Einkommens-, Gewinn- und Verrechnungssteuerrecht müssen deckungsgleich sein und verlangen, dass sämtliche Einlagen, Zuschüsse und Aufgelder unberücksichtigt von Verlusten oder Aufwendungen wieder an die Inhaber der Beteiligungsrechte zurückgeführt werden können. Wenn die Gründungs- und Kapitalerhöhungskosten durch spätere Gewinne der Gesellschaft kompensiert werden, würde mit einer definitiven Reduktion der Kapitaleinlagereserven das Leistungsfähigkeitsprinzip verletzt, da ein Teil der Leistungen, welche von den Anteilsinhabern stammen, nur noch steuerbar zurückgeführt werden kann. Eine Reduktion der Kapitaleinlagen durch die damit verbundenen Kosten, welche Aufwand der Gesellschaft darstellen, würde den Betrag der gesamten Kapitaleinlagen unzulässigerweise schmälern.
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Rechtliche Überlegungen
Die ESTV begründet ihre Praxis zur Kürzung der Kapitaleinlagen mit Verweis auf Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR und mit der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen. Diese Praxis der ESTV stützt sich offenbar auf ein nicht publiziertes Gutachten aus dem Jahre 1977 ab.1)Das Argument der Gleichbehandlung ist vernünftigerweise nur so zu verstehen, dass die ESTV - im vorliegenden Fall die X AG bzw. deren Kapitalgeber - nicht anders behandeln will, wie alle anderen Kapitalgeber in der Vergangenheit. Dies vermag nicht zu überzeugen und bedeutet quasi, dass eine (falsche) Praxis keiner Praxisänderung zugänglich wäre, was nicht zutreffen kann. Es entspricht dem Legalitätsprinzip und dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, dass Gesetze korrekt angewendet werden, und falls sich eine Praxis als falsch herausstellt, diese durch Praxisänderung korrigiert wird. Die richtige Rechtsanwendung geht grundsätzlich dem Vertrauensschutz in eine bestimmte (bisher falsche) Praxis vor, erst recht, wenn sie zu Ungunsten des Steuerpflichtigen ist.
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob das Kapitaleinlageprinzip und die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen nicht mindestens gleich hoch zu gewichten sind wie Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR, da es sich in beiden Fällen um Bundesgesetze handelt. Ebenfalls ist fraglich, ob im Zuge der Rechtsetzung des Kapitaleinlageprinzips nicht ein gesetzgeberisches Versehen passiert ist, indem Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR nicht gestrichen worden ist. Jüngeres Recht vermag gleichrangiges, widersprechendes Recht zu verdrängen. Berücksichtigt man zudem die Tatsache, dass sich die Praxis der ESTV auf ein nicht publiziertes Gutachten aus dem Jahre 1977 stützt, erscheint die Rechtsanwendung der ESTV wenig überzeugend. Die Tatsache, dass es kaum Rechtsprechung zu diesem Thema gibt, vermag vor der Wirtschaftlichkeitsüberlegung, dass die Emissionsabgabe lediglich 1 % beträgt, nicht zu erstaunen. Betroffen sind aber auch die übrigen Kosten (HR-Gebühren, Notariatskosten, Beraterkosten etc.). Letztlich wiegt die falsche Praxis umso schwerer, wenn eine Gesellschaft mehrere Kapitalerhöhungen vornimmt und die Kapitaleinlagereserven jedes Mal mit Abzug der genannten Kosten gewährt werden.
Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Qualifikation der Emissionsspesen ist der Entscheid vom 24. Februar 1982 (ASA 51 [1982/83] 493 E. 2a zu erwähnen. Darin werden die Emissionsspesen im damals zu beurteilenden Sachverhalt als beispielhaft aufgezählt. Demgegenüber stützt sich die ESTV in ihrem nicht publizierten Gutachten aus dem Jahre 1977 angeblich auf eine ausschliessliche Aufzählung.2) Die erwähnte Bundesgerichtspraxis liesse eine Auslegung des Begriffs Ausgabekosten in Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR zu, unter welchen - entgegen der Ansicht der ESTV - gerade nicht alle Aufwendungen im Zusammenhang einer Kapitalerhöhung (öffentlichen Beurkundung, die Gebühren für Registereintragungen, Bankspesen, die Kosten für die Ausgabe von Aktien, Emissionskosten allgemein, Beratungshonorare, Kosten der Gründungsprüfung) erfasst werden müssten. Diese Ansicht steht auch im Einklang mit der von der Botschaft zu den Stempelabgaben vorgenommenen Zuordnung von Beurkundungs-, Handelsregistergebühren und Bankenkommissionen sowie der Emissionsabgabe selber als Emissionsspesen.3) Weil sie eben auf die Stempelabgaben selbst und nicht auf Kapitaleinlagereserven zugeschnitten ist.
Abschaffung der Emissionsabgabe
Die Bundesversammlung hat am 18. Juni 2021 entschieden die Emissionsabgabe auf Eigenkapital abzuschaffen, womit die hier und in der Literatur4) geforderte Praxisänderung vom Tisch gewesen wäre. Die Volksabstimmung vom 13. Februar 2022 scheiterte allerdings, womit die Problematik bestehen bleibt.
Praxisfragen
Mitteilung der ESTV
Der von der ESTV als Kapitaleinlagereserve anerkannte Betrag wird in einem Schreiben der betroffenen Gesellschaft mitgeteilt. Die Kürzung wird - wie vorgenannt - mit Verweis auf Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR und der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen begründet. Obwohl das Schreiben Rechte und Pflichten der X AG bzw. hinsichtlich des auf dem gesonderten Konto für Kapitaleinlagereserven zu verbuchenden Betrages enthält, dürfte aufgrund der fehlenden Rechtsmittelbelehrung gleichwohl keine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG vorliegen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die blosse Mitteilung einer Rechtsauffassung durch die ESTV keine Verfügung, es liege lediglich eine Auskunftserteilung ohne Verfügungscharakter vor.5)
Abweichende Buchung von KER
Kapitaleinlagereserven werden nur dann wie die Rückzahlung von Grund- oder Stammkapital behandelt, wenn sie in der Handelsbilanz auf einem gesonderten Konto ausgewiesen sind (Art. 5 Abs. 1bis VStG).6) Nimmt die X AG eine Buchung der KER abweichend von der Anerkennung der ESTV, also zum vollen Betrag ohne die Kürzung vor, passiert zunächst nichts. Die ESTV wird von der Abweichung bei der nächsten Veränderung orientiert. Dies kann aufgrund der Pflicht zur Einreichung der Jahresrechnung aufgrund einer Voraussetzung von Art. 21 Abs. 1 VStV (Bilanzsumme CHF 5 Mio., Beschluss einer Gewinnverteilung, Vorliegen einer steuerbaren Leistung etc.) erfolgen. Die Abweichung wird indes auf jeden Fall bei späterer Rückzahlung des vollen KER-Betrages auffallen und Verrechnungssteuerfolgen auslösen. Abgesehen davon kann die ESTV auch jederzeit einen entsprechenden Auszug des separaten Kontos verlangen.
Korrektes Vorgehen der Steuerpflichtigen
Wenn sich die X AG gegen die Kürzung der KER wehren will, muss sie von der ESTV diesbezüglich eine anfechtbare Verfügung verlangen, und innert der angesetzten Rechtsmittelfrist Einsprache erheben. In der Aufforderung eine anfechtbare Verfügung zu erlassen, sollte die X AG ihre gegenteilige Ansicht hinsichtlich der Kürzung manifestieren. Zusammen mit der Verbuchung des ungekürzten KER-Betrages, kann ihr in einem späteren Verfahren immerhin nicht vorgeworfen werden, sie hätte die Kürzung hingenommen.
Die unerwünschten Steuerfolgen sind damit aber keinesfalls beiseitegeschafft. Dazu müsste ein Verfahren angestrengt, und die nach vorliegender Auffassung und auch verbreiteten Lehrmeinung kritische Praxis der ESTV gerichtlich überprüft werden. Die X AG trägt auf jeden Fall das Risiko der Steuerfolgen und jenes des Verfahrens.
Fazit
Es wäre wünschenswert, die ESTV gäbe die überholte und von der überwiegenden Lehre kritisierte Praxis (Agio mit Saldierung der Ausgabekosten zulasten der KER), zugunsten des Kapitaleinlageprinzips auf, und änderte seine Praxis hin zur Aufwandlösung (vollumfängliche Gewährung der KER ohne Saldierung der Ausgabekosten). Denn eine konsequente Umsetzung des Kapitaleinlageprinzips erfordert ohne Ausnahme, die ungeschmälerte Rückzahlung von allem Kapital, welches in eine Gesellschaft einbezahlt worden ist.