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Realisierung stiller Reserven: Die Zulässigkeit, Entstehung und Funktionen

Stille Reserven stellen Mehrwerte dar, die in den Aktiven der Bilanz noch nicht berücksichtigt sind und die der Differenz zwischen tatsächlichem Wert der Verbindlichkeiten und deren Buchwert entsprechen. Stille Reserven entstehen, wenn Wertsteigerungen von Vermögenswerten buchmässig nicht berücksichtigt werden, oder bei Abschreibungen, die höher sind als die tatsächliche Entwertung.

06.11.2023 Von: Alain Villard
Realisierung stiller Reserven

Nicht ausgewiesenes Eigenkapital

Stille Reserven sind Gewinnreserven und bilden Eigenkapital. Im Gegensatz zu den offenen Reserven, die in der Bilanz unter einer eigenen Position geführt werden, werden die stillen Reserven nicht ausgewiesen.

Stille Reserven und deren Bildung und Auflösung haben insbesondere die folgenden Funktionen:

Latenter Anspruch

Die stillen Reserven sind kein liquides Aktivum, sondern vielmehr eine rechnerische Grösse. Solange die stillen Reserven nicht realisiert und zu offenem Eigenkapital werden, besteht darauf für den am Geschäftsvermögen Beteiligten nur ein latenter Anspruch.

  • Substanzerhaltung: Durch Bildung stiller Reserven kann der insbesondere in Inflationszeiten drohenden Gefahr einer Substanzreduktion vorgebeugt werden.
  • Erfolgsregulierung: Durch Bildung und Auflösung von stillen Reserven kann der auszuweisende Gewinn so beeinflusst werden, dass sowohl in guten als auch in schlechten Wirtschaftszeiten eine konstante Dividende ausgeschüttet werden kann. Die Erfolgsregulierung über die Bildung und Auflösung von stillen Reserven kann insbesondere für Gesellschaften, deren Beteiligungspapiere an der Börse gehandelt werden, insoweit entscheidend sein, als sich damit allzu starke Schwankungen des Börsenkurses vermeiden lassen.
  • Selbstfinanzierung: Die Reserven stellen als zurückbehaltene Gewinne eine Eigenfinanzierungsquelle dar. Ein höherer Selbstfinanzierungsgrad bedeutet eine gewisse Unabhängigkeit vom Geld- und Kapitalmarkt und erhöht dadurch die finanzielle Stabilität und mindert die Krisenanfälligkeit.

Zulässigkeit stiller Reserven

Nach OR

Die Zulässigkeit der Bildung bzw. der Entstehung stiller Reserven entspricht eigentlich dem gesetzlich verankerten Vorsichtsprinzip (Art. 958c Abs. 1 Ziff. 5 OR). Das Vorsichtsprinzip seinerseits besagt, dass "erkennbare, aber noch nicht eingetretene Verluste und Risiken, soweit deren Ursache auf das Geschäftsjahr oder frühere Jahre zurückgeht, aufwandwirksam zu verbuchen" sind (REICH, Steuerrecht, § 15 Rz 82). vgl. auch den synonymen Begriff "Imparitätsprinzip" (BÖCKLI, § 8 Rz 121 f). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung handelt es sich um eines der wichtigsten Prinzipien zur Bewertung von Aktiven (BGE 115 Ib 55, 59 E. 5b). Im schweizerischen Rechnungslegungsrecht, das den Gläubigerschutz zum Ziel hat, soll es sicherstellen, dass sich ein Unternehmen im Vergleich zu seinen tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zu positiv darstellt.

Das Schweizerische Obligationenrecht enthält mit Bezug auf die Bewertung von Aktiven lediglich Höchstbewertungsvorschriften und lässt dadurch die Verbuchung von Aktiven zu einem tieferen Wert als deren Verkehrswert zu. Dieser gesetzgeberische Mechanismus führt schliesslich zur Entstehung von stillen Reserven. Dies gilt sowohl für Zwangs- als auch für Willkürreserven.

Nach Steuerrecht

Während das Rechnungslegungsrecht vom Gläubigerschutz ausgeht und eine eher pessimistische Darstellung der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens anstrebt, stellt das Steuerrecht auf den «tatsächlich erwirtschafteten Periodengewinn» des Steuerpflichtigen ab. Um dieses Spannungsfeld zwischen handelsrechtlicher Darstellung und steuerrechtlich geforderter Gewinnermittlung zu überwinden, enthält das Steuerrecht eine Reihe von Korrekturvorschriften (Art. 59 DBG geschäftsmässig begründeter Aufwand), Abschreibungen (Art. 62 DBG) und Rückstellungen (Art. 63 DBG, Aufzählung nicht abschliessend), bei deren Anwendung durch die Veranlagungsbehörde – nebst der mit der Steuererklärung eingereichten Handelsbilanz – eine Steuerbilanz erstellt wird. Diese weist die Differenzen zwischen handels- und steuerrechtlicher Gewinnermittlung aus und kann zu einem höheren, steuerbaren Ergebnis führen, indem z.B. vorgenommene Abschreibungen oder verbuchte Spesen von der Steuerverwaltung nicht akzeptiert werden.

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