
Massgeblichkeitsprinzip: Zwischen Rechnungslegungs- und Steuerrecht

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Wenn das handelsrechtliche Ergebnis in der Jahresrechnung nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht festgestellt ist, stellt sich regelmässig für Unternehmen die Frage nach der Ermittlung des steuerrechtlichen Gewinns. Hierfür gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten:
- Das Steuerrecht akzeptiert das handelsrechtliche Ergebnis als steuerlichen Gewinn. Die Zahlungsbemessungsfunktion für diverse Steuerarten wäre ermittelt.
- Das Steuerrecht ignoriert das handelsrechtliche Ergebnis vollkommen und fordert einen eigenen steuerrechtlichen Jahresabschluss.
- Das Steuerrecht lehnt sich grundsätzlich an das Handelsrecht an und ermittelt den steuerlichen Gewinn noch durch die Anwendung eigenständiger steuerrechtlicher Normen.
Das aktuelle Schweizer Rechnungslegungsrecht hält wie bis anhin am Massgeblichkeitsprinzip fest und folgt damit der dritten Möglichkeit. Somit ist der handelsrechtliche Abschluss nach Obligationenrecht massgebend für die Steuerberechnung und -veranlagung. So müssen sowohl Selbstständigerwerbende als auch juristische Personen für die Veranlagung ihrer Steuererklärung insbesondere die Jahresrechnung beilegen (Art. 125 Abs. 2 lit. a DBG).
Darin liegt zugleich ein wesentlicher Unterschied zu den anerkannten Standards der Rechnungslegung, mit welchen das Ziel eines "true and fair view" erreicht werden soll, was mit der Möglichkeit zur Bildung stiller Reserven kollidiert. Das besondere Verhältnis zwischen dem Schweizer Rechnungslegungsrecht und dem Steuerrecht ist jedoch auch für Investoren wichtig, welche eine Optimierung der Unternehmensbesteuerung anstreben und sich daher bewusst sein müssen, dass diese aufgrund des Massgeblichkeitsprinzips bereits in der handelsrechtlichen Jahresrechnung beginnen muss.
Die Steueroptimierung wird im Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht vor allem durch die Bildung und Auflösung stiller Reserven gesucht und bedingt eine zweifache Berichterstattung aus der Perspektive vieler Grossunternehmen, welche zusätzlich einen investorenorientierten Abschluss nach anerkanntem Standard wählen. Zum Vergleich gibt es in anderen Ländern, wie in den USA, traditionell ein sogenanntes "two-book-accounting-system". Die handelsrechtliche und die steuerrechtliche Erfolgsermittlung werden hierbei getrennt ermittelt.
Zentrale Regelungen im Schweizer Rechnungslegungsrecht
Das Schweizer Rechnungslegungsrecht stellt nach wie vor das Gläubigerschutzprinzip und den damit in Zusammenhang stehenden Grundsatz der Vorsicht in den Mittelpunkt. Allerdings sind die Jahresabschlussadressaten und deren Zielvorstellungen von Handels- und Steuerbilanz sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Im Rahmen des Schweizer Rechnungslegungsrechts bildet nicht die Rechtsform, sondern die wirtschaftliche Bedeutung der Unternehmen ein zentrales Kriterium über die anzuwendenden relevanten Buchführungs- und Rechnungslegungsvorschriften. Das Handelsrecht ist (zum Schutz der Gläubiger) vom Vorsichtsprinzip und von Höchstbewertungsvorschriften beeinflusst.
Das Schweizer Rechnungslegungsrecht beinhaltet eine Pflicht zur Erstellung eines Abschlusses nach einem anerkannten Standard, dazu gehören Abschlüsse gemäss den Regelwerken IFRS, US GAAP oder Swiss GAAP FER, welche allesamt dem Prinzip der "fair presentation" folgen. Ein solcher Abschluss nach anerkanntem Standard muss zusätzlich zur Jahresrechnung nach Art. 962 OR erstellt werden von:
- Gesellschaften, deren Beteiligungspapiere an einer Börse kotiert sind, wenn die Börse dies verlangt
- Genossenschaften mit mindestens 2000 Genossenschaftern
- Stiftungen, die von Gesetzes wegen zu einer ordentlichen Revision verpflichtet sind
Im Unterschied zum Handelsrecht bzw. Rechnungslegungsrecht hat das Schweizer Steuerrecht zum Ziel, die wirtschaftliche Situation möglichst nach den tatsächlichen Verhältnissen darzustellen. Dadurch sollen die Allgemeinheit und die Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erreicht werden.
Das Verhältnis zwischen Rechnungslegungsrecht und Steuerrecht
Betrachtet man das Verhältnis des Rechnungslegungsrechts zum Steuerrecht, bilden vor allem die Fragen zur prinzipiellen und zur umgekehrten Massgeblichkeit einen wichtigen Regelungsbereich, der im Folgenden näher beschrieben wird.
Prinzipielle Massgeblichkeit
Nach aktuellem Rechnungslegungsrecht ist der gesetzliche Jahresabschluss für die Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlagen Gewinn und Kapital eines in der Schweiz steuerpflichtigen Unternehmens massgebend. Dieser Grundsatz wird auch als sogenanntes Massgeblichkeitsprinzip bezeichnet, das nur in solchen Fällen eine Abweichung zulässt, wenn steuerliche Korrekturvorschriften anwendbar sind, die dem Obligationenrecht vorgehen. Dies betrifft beispielsweise Abschreibungen, Delkredere oder sonstige Aufwandspositionen, sofern diese Positionen die von den Steuerverwaltungen veröffentlichten Maximalabzüge überschreiten bzw. der entsprechende Aufwand nicht geschäftsmässig begründet ist. Das Massgeblichkeitsprinzip stellt einen fundamentalen und kodifizierten Grundsatz des Schweizer Steuerrechts dar.
An diesem steuerrechtlichen Massgeblichkeitsprinzip wird auch unter dem aktuellen Rechnungslegungsrecht festgehalten. Gemäss dem Massgeblichkeitsprinzip gilt die Handelsbilanz als Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung. Das Steuerrecht sieht jedoch für die Bewertung der Aktiven und Passiven zum Teil abweichende Normen vor. Dies kann zu unterschiedlichen Werten in der Steuer- und Handelsbilanz führen.
Konkret wird im Einkommens- und Gewinnsteuerrecht für die Besteuerung auf die Einkünfte bzw. auf den Reingewinn abgestellt. Für die Ermittlung dieser Grössen wird auf das Handelsrecht zurückgegriffen (Art. 58 Abs. 1 lit. a DBG; sog. Massgeblichkeitsprinzip). Eine Abweichung vom Handelsrecht ist nur möglich, wenn das Steuerrecht dies explizit vorsieht. Nach Art. 58 Abs. 1 DBG setzt sich der steuerbare Reingewinn aus dem Saldo der Erfolgsrechnung korrigiert um den geschäftsmässig nicht begründeten Aufwand und der Erfolgsrechnung nicht gutgeschriebener Erträge zusammen.
Sofern das Steuerrecht keine Abweichung vorsieht, sind die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung und Rechnungslegung massgebend (materielle Massgeblichkeit). Die Steuerbehörden können vom Steuerpflichtigen keine Buchungen verlangen, die das Handelsrecht untersagt, oder solche – die Korrekturnormen vorbehalten – missachten, die es vorschreibt. Der Steuerpflichtige kann aber auch nicht Aufwand oder Ertrag geltend machen, den er nicht in der ordnungsmässigen Handelsbilanz verbucht hat. Steuerrechtlich ist daher nur relevant, was der Steuerpflichtige in seiner Erfolgsrechnung effektiv verbucht hat.
Ausnahmen von der Massgeblichkeit
Grundsätzlich muss ein Unternehmen seine Bilanzleser über allfällige steuerlich nicht akzeptierten Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen (d.h. versteuerte stille Reserven) mittels Offenlegung im Anhang zur Jahresrechnung informieren. Stille Reserven resultieren aus der bilanziellen Unter- bzw. Überbewertung von Aktiven bzw. Verbindlichkeiten, ohne dass deren Entstehung in der Bilanz oder in der Erfolgsrechnung offen ausgewiesen wird. Folglich stellen sie nicht ersichtliche – unsichtbare – Teile des Nettovermögens einer Gesellschaft dar.
Als Ausnahme vom Massgeblichkeitsprinzip gilt die wichtige Korrekturvorschrift des Art. 58 Abs. 1 lit. b DBG. Darin ist die Aufrechnung von geschäftsmässig nicht begründetem Aufwand vorgesehen. Es ist nur jener Aufwand abzugsfähig, der mittelbar oder unmittelbar dem unternehmerischen Zweck dient. Weiterhin verlangt Art. 63 Abs. 2 DBG abweichend vom Rechnungslegungsrecht in Art. 960e Abs. 4 OR die Auflösung von Rückstellungen, soweit sie nicht mehr begründet sind.
Es ist hierbei unerheblich, ob eine Aufrechnung von der Steuerbehörde im Rahmen der Veranlagung erfolgt ist oder ob das Unternehmen eine entsprechende Aufrechnung in der Steuererklärung vornimmt.
Im Rahmen der letzten Revision des Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht wurde vor allem die Festlegung, dass steuerliche Aufrechnungen aus Gründen der Transparenz in der Handelsbilanz nachvollziehbar sein müssen (sog. umgekehrte Massgeblichkeit) diskutiert, und schliesslich wurde auf einen handelsrechtlichen Nachvollzug von steuerrechtlichen Aufrechnungen verzichtet.Der Verzicht auf die Umkehrung der Maßgeblichkeit führt sicher zu einer höheren Aussagefähigkeit des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, weil der Informationsgehalt der Handelsbilanz nicht mehr durch steuerliche Besonderheiten beeinflusst werden kann. Ergänzend wird im Hinblick auf eine Ausnahme vom Massgeblichkeitsprinzip auf den Grundsatz von Treu und Glauben verwiesen.
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