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Immaterielle Vermögenswerte: Strategien für die Bilanzierung

Dieser Beitrag beleuchtet die Herausforderungen im Zusammenhang mit immateriellen Vermögenswerten. Erfahren Sie, wie das Vorsichtsprinzip des OR und die Fachempfehlungen Swiss GAAP FER die Rechnungslegung beeinflussen und welche Gestaltungsspielräume sich öffnen.

14.05.2024 Von: Evelyn Teitler-Feinberg
Immaterielle Vermögenswerte

Die offene Ausgangslage gemäss dem schweizerischen Obligationenrecht 

Das OR fordert, dass sich Ditte ein zuverlässiges Urteil über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens bilden können (Art. 958 Abs. 1 OR). Es wird damit also nur die Lage, die Bilanz, angesprochen und allenfalls die Erläuterungen im Anhang, die dazugehören. 

Jedoch aufgepasst: Im OR herrscht das Vorsichtsprinzip (Art. 958c Abs. 1 Ziff. 5 OR). Das Vorsichtsprinzip widerspricht einer True & Fair View, die sich neben den IFRS auch die Swiss GAAP FER auf die Fahne geschrieben haben. Das OR dagegen kommt aus einer anderen Accounting-Philosophie, dem (scheinbaren) Vorsichtsprinzip: Es lässt die Bildung, den Bestand und die Auflösung von stillen Reserven nach dem Lust- und Bedarfsprinzip der Ersteller zu. Art. 960 Abs. 2 OR hält fest: «Die Bewertung muss vorsichtig erfolgen, darf aber die zuverlässige Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens nicht verhindern. » Zu Wiederbeschaffungszwecken sowie zur Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens dürfen jedoch zusätzliche Abschreibungen und Wertberichtigungen vorgenommen werden. Sind solche nicht mehr begründet, dann kann auf die Auflösung trotzdem verzichtet werden (Art. 960a Abs. 4 OR). Auch das HWP, Band Buchführung und Rechnungslegung, ist der Ansicht, dass dies ein Freipass ist, der erlaubt, in zwei Schritten einen Vermögenswert voll abzuschreiben (HWP 2023, S. 36, Note 56 und S. 74, Note 209). 

Konkret bedeutet das, wenn ein immaterielles Aktivum bilanziert werden muss, darf es rasch wieder abgeschrieben werden, unabhängig von seinem Nutzungspotenzial. Hier haben wir keinen Riegel im OR für die Unterbewertung. Wieder aufwerten ist heikel, jedoch ist es rechtlich unproblematisch, für eine Auflösung stiller Reserven künftig zu wenig oder überhaupt nicht abzuschreiben. 

Nun zum Riegel nach oben: zur Höchstbewertung eines Vermögenswerts: Aktiven dürfen maximal zu Anschaffungswerten oder zu Herstellkosten bewertet werden. Diese Werte dürfen nie überschritten werden (Art. 960a Abs. 1 und 2 OR). Marktwerte gemäss Art. 960b OR kommen kaum infrage, da immaterielle Vermögenswerte in der Regel keinen Börsenkurs bzw. einen beobachtbaren Marktwert aufweisen. 

Für die Bilanzierung eines Vermögenswerts hält das OR in Art. 959 Abs. 2 fest: «Als Aktiven müssen Vermögenswerte bilanziert werden, wenn aufgrund vergangener Ereignisse über sie verfügt werden kann, ein Mittelzufluss wahrscheinlich ist und ihr Wert verlässlich geschätzt werden kann. Andere Vermögenswerte dürfen nicht bilanziert werden.» Sind die Bedingungen nicht gegeben, dann gilt ein Aktivierungsverbot. Das HWP 2023 (S. 66, Note 173) und der Praxiskommentar 2019 (S. 301) leiten daraus eine Aktivierungspflicht ab, falls die Bedingungen erfüllt sind. Es liegt auf der Hand, dass in diesen Bedingungen viel Ermessen inhärent ist. 

Was bedeutet diese Begrifflichkeit für die selbst geschaffenen immateriellen Werte? Unter dem Gesichtspunkt der Vorsicht besteht kaum Spielraum zur Aktivierung selbst erschaffener immaterieller Werte auf der Grundlage des OR. Formell können die Kriterien jedoch durchaus erfüllt sein: Ein Unternehmen entwickelt ein innovatives veganes Fleischnachahmerprodukt auf ganz neuer Basis. Es wurde ein Prototyp hergestellt, der sich preislich mit den bisherigen Fleischersatzprodukten messen kann, und die Konsumentenbeurteilungen sind in der Testphase positiv ausgefallen. In sechs Monaten ist der Verkauf geplant. Das Ereignis in der Vergangenheit ist die Produktentwicklung, es ist wahrscheinlich, > 50%, dass das Produkt einen Markt findet und mit dem Verkauf Gewinn erzielt werden kann. In einer Kostenstelle wurden die entsprechenden Entwicklungskosten erfasst. Eine Bilanzierung wäre trotzdem unter OR unüblich und müsste erstklassig dokumentiert werden können, falls eine Aktivierung der Entwicklungskosten geplant ist. Eine selbst erstellte Datenbank darf m.E. nicht angesetzt werden – auch wenn die Kriterien der Aktivierungsfähigkeit erfüllt scheinen, das Vorsichtsprinzip würde unter dem Gesichtspunkt von Cyberkriminalität und der Rechtsrisiken einer Verletzung des Datenschutzgesetzes hier aus heutiger Sicht einen Riegel schieben.

Die Fachempfehlungen zur Rechnungslegung Swiss GAAP FER gewähren bedeutsame Wahlrechte 

Immaterielle Werte gemäss FER 10 

FER 10 Immaterielle Werte befasst sich eigens mit dem Thema und verlangt für erworbene immaterielle Werte deren Bilanzierung, falls diese über mehrere Jahre einen messbaren Nutzen bringen (FER 10/3). Für selbst erarbeitete immaterielle Werte hält FER 10/4 fest: 

Selbst erarbeitete immaterielle Werte können nur aktiviert werden, falls sie zum Zeitpunkt der Bilanzierung die folgenden Bedingungen kumulativ erfüllen: • Der selbst erarbeitete immaterielle Wert ist identifizierbar und steht in der Verfügungsgewalt der Organisation. 

  • Der selbst erarbeitete immaterielle Wert wird einen für die Organisation messbaren Nutzen über mehrere Jahre bringen. 
  • Die zur Schaffung des selbst erarbeiteten immateriellen Werts angefallenen Aufwendungen können separat erfasst und gemessen werden. 
  • Es ist wahrscheinlich, dass die zur Fertigstellung und Vermarktung oder zum Eigengebrauch des immateriellen Werts nötigen Mittel zur Verfügung stehen oder zur Verfügung gestellt werden. 

Die Erfüllung dieser Kriterien müssen bei einer Aktivierung dokumentiert werden. Weiter ist dies – anders wie bei IAS 38 – eine Kann- Bestimmung, das heisst, selbst wenn die Kriterien als erfüllt gelten können, bleibt es dem Ersteller der Finanzberichterstattung immer noch unbenommen, auf eine Erfassung in der Bilanz zu verzichten und diese Ausgaben als Aufwand zu erfassen. 

Bei der Offenlegung gibt es einen Wermutstropfen: Weder im Anlagespiegel noch im Anhang sind die Beträge für erworbene immaterielle Werte und selbst erarbeitete immaterielle Werte getrennt offenzulegen. Wünschenswert wäre ebenfalls, dass FER 10 explizit fordern würde, dass zu den bilanzierten und zu den als Aufwand erfassten immateriellen Werten narrative Erläuterungen offengelegt würden, insbesondere weil in der Schweiz ein standardisierter Lagebericht fehlt.

Bestimmungen in der Konzernrechnung bezüglich des Goodwills und immaterieller Vermögenswerte aus Akquisition 

Auch bei FER unterliegt der selbst geschaffene Goodwill explizit einem Aktivierungsverbot (FER 10/19). 

Der Grundsatz gemäss FER 30/14 lautet: «Bei einer Akquisition sind die übernommenen Aktiven und Verbindlichkeiten per Zeitpunkt des Kontrollerwerbs zu bilanzieren und zu aktuellen Werten zu bewerten. Auch bisher nicht erfasste, für den Kontrollerwerb entscheidungsrelevante, immaterielle Vermögenswerte sind zu identifizieren und zu bilanzieren.» 

Da bestehen zwei Hintertürchen, das erste durch das Adjektiv «entscheidungsrelevant», das Unternehmen muss/darf beurteilen, ob bisher nicht erfasste Vermögenswerte das Kriterium der Entscheidungsrelevanz erfüllen. Nur wenn diese Frage bejaht wird, muss das Aktivum neu in der Konzernbilanz erfasst werden. Es gelten aktuelle Werte. Die noch verbleibende Differenz ist der erworbene Goodwill. 

Das zweite Hintertürchen ist noch bequemer: Es erlaubt, auf die Ausgliederung bisher nicht erfasster immaterieller Vermögenswerte ganz zu verzichten (FER 30/18). 

Da bestehen fundamentale Differenzen zu den IFRS, welche durch eine geregelte Purchase Price Allocation versuchen, den Headroom des Goodwills zu reduzieren. Denn: Je mehr nicht ausgegliederte immaterielle Vermögenswerte im Pauschalwert Goodwill verbleiben, desto eher werden Impairments von darin steckenden Aktiven durch Wertzuwächse anderer Aktiven kompensiert. 

Keine unbegrenzte Nutzungsdauer: Bei nichtbestimmbarer Nutzungsdauer legt FER 30/16 fünf Jahre fest; die Nutzungsdauer des erworbenen Goodwills darf 20 Jahre nicht übersteigen. 

Zum Zeitpunkt des Erwerbs ist auch eine Verrechnung des Goodwills mit dem Eigenkapital zulässig (FER 30/20). Bei Veräusserung kommt jedoch die Stunde der Wahrheit: Der Veräusserungsgewinn bzw. -verlust ist so zu ermitteln, wie wenn der Goodwill aktiviert worden wäre.

Take-aways 

Das schweizerische Obligationenrecht erlaubt die Aktivierung von selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerten und setzt die Kriterien für die Erfassung in der Bilanz grundsätzlich gleich wie FER 10. Allerdings fehlt beim OR das Erfordernis, dass die zur Fertigstellung und Vermarktung oder zum Eigengebrauch des immateriellen Werts nötigen Mittel zur Verfügung stehen oder zur Verfügung gestellt werden. Bei FER 10 ist die Bilanzierung von selbst geschaffenen immateriellen Werten eine «Kann-Bestimmung», beim OR bietet die Aktivierungspflicht einen Ermessensspielraum, der den Bilanzierungskriterien inhärent ist. 

Bei FER 30 Konzernrechnung kommen Regeln für immaterielle Werte im Rahmen einer Akquisition von immateriellen Werten hinzu; diese sind jedoch durch Wahlrechte geprägt: Verrechnung des Goodwills bei Erwerb mit dem Eigenkapital ist möglich, ebenso darf bei Goodwill-Bilanzierung auf eine Purchase Price Allocation, PPA, das heisst auf eine Ausgliederung weiterer immaterieller Aktiven aus dem Goodwill verzichtet werden.

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