MWST-Strafrecht: Steuerhinterziehung durch eine korrekte Deklaration verhindern
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Das schweizerische MWST-Strafrecht
Trotzdem hat das schweizerische MWST-Strafrecht (Art. 96–106 MWSTG) mit der Gesetzesrevision 20101 an Eigenständigkeit gewonnen: Es ist zwar nach wie vor eingebettet in das übrige Strafrecht, vorab das Strafgesetzbuch (StGB) und das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR), und seine Handhabung ist dadurch nach wie vor nicht unbedingt einfacher geworden. Doch seine Regelungen sind umfangreicher und detaillierter.
Einleitende Bemerkungen zum MWST-Strafrecht
Das Gute vorweg: Trotz schuldhaften Verhaltens muss ein Strafverfahren nicht immer eingeleitet werden. Sind Schuld und Tatfolgen gering, darf nämlich die zuständige Behörde darauf verzichten.2 Zuständig ist hierfür die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) sowie für Fragestellungen der Einfuhrsteuer die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV).3
Für die Beteiligten erleichternd ist zudem die Möglichkeit der Behörde, auf die Bestrafung von physischen Personen zu verzichten und allfällige Bussen gegenüber dem Unternehmen auszusprechen. Diese Bestimmung kommt dann zur Anwendung, wenn die Untersuchungsmassnahmen zur Feststellung des persönlichen Verschuldens und der Beteiligung der entsprechenden Person im Vergleich zur verwirkten Strafe unverhältnismässig wären.4 Es handelt sich hierbei somit um eine Bestimmung, welche die Untersuchungen bei Strafprozessen ökonomisch gestalten will.5
Glücklicherweise hat die ESTV bisher diese Bestimmung in der Praxis nicht restriktiv angewendet. Entsprechend konnten dadurch lange Verfahren mit Befragungen der Beteiligten vermieden werden, aber auch die negative Wirkung eines möglichen Strafregistereintrags für die Unternehmer, die Unternehmensführung oder für andere Angestellte.
Ansonsten aber ist das Verschulden der Beteiligten von zentraler Bedeutung. Dieses bestimmt das Strafmass. Dies durch explizite Bezugnahme auf das StGB6 und im Gegensatz zum alten MWSTG. Dieses hatte den Erfolg der Tat und somit den Betrag der hinterzogenen MWST als Basis für die Strafzumessung festgelegt.
Dass im Spannungsfeld von Untersuchungsökonomie und dem Zwang zum Einleiten des Strafverfahrens respektive zum Festlegen des Verschuldens die Behörde gewisse Faustregeln fürs tatsächliche Einleiten eines Strafverfahrens aufstellt, leuchtet ein und ist sinnvoll. Es steigert die Rechtssicherheit und das rechtsgleiche Vorgehen.
In der Vergangenheit leitete die ESTV ab einer fixen Betragslimite von CHF 10'000.– 7 an hinterzogener MWST unabhängig von der Höhe von Umsätzen und Vorsteuer ein Strafverfahren ein. Dieser Betrag bezieht sich über den jeweils gesamten Kontrollzeitraum von üblicherweise fünf Jahren. Ob diese Vorgehensweise ein gerechtes und faires Verfahren widerspiegelt, was Art. 104 MWSTG eigentlich fordert, darf bezweifelt werden. Die sog. 3%-Regel (Aufrechnungen von mehr als 3% des Bruttoumsatzes führten zur Einleitung eines Strafverfahrens) wäre unserer Ansicht nach eindeutig sachgerechter gewesen sein. Denkbar wäre auch ein Prozentsatz von der ursprünglich deklarierten Nettosteuer der fraglichen Periode.
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Ausführungen zum MWST-Strafrecht im Einzelnen
Grundsätzlich wird jede Art der Verkürzung der Steuerforderung (Nettozahllast der Steuerperiode) mit Straffolgen geahndet, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde und in der Praxis für die entsprechende Kontrollperiode ein «Schaden» zulasten der ESTV von mehr als CHF 10'000.– entstanden ist.8
Eine solche Steuerhinterziehung kann durch die nicht korrekte Deklaration der folgenden Steuerfaktoren erfolgen:
- zu tiefe steuerbare Einnahmen
- zu hohe Einnahmen aus von der MWST befreiten Leistungen
- keine oder zu tiefe Ausgaben, die der Bezugsteuer unterliegen (in der Kontrollpraxis wird auf eine Aufrechnung verzichtet, sofern die entsprechende Unternehmung über den vollen Vorsteuerabzug verfügt)
- zu tiefe Vorsteuerkorrekturen oder -kürzungen
- zu hohe Vorsteuerabzüge
Letzteres gilt auch bei Rückerstattungen an ausländische Unternehmen ohne MWST-Pflicht in der Schweiz im Rahmen des jährlichen Erstattungsverfahrens. Ferner wird auch die Erwirkung eines ungerechtfertigten Steuererlasses mit der gleichen Strafandrohung bestraft, nämlich einer Busse von bis zu CHF 400'000.–. Diese kann sich verdoppeln, wenn bei einer solchen MWST-Hinterziehung die MWST in einer Form auf die Kunden überwälzt wird, die zum Vorsteuerabzug berechtigt9. Der gleichen Strafdrohung, nämlich einer Busse bis zu CHF 800'000.–, unterliegen die Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Einfuhr-MWST oder die vorsätzlich falsche Angabe von nachgefragten Informationen bei MWST-Kontrollen oder bei einem anderen Verwaltungsverfahren10. Kommen bei einer Steuerhinterziehung erschwerende Umstände hinzu (sogenannte qualifizierte Steuerhinterziehung), erhöht sich das Strafmass um die Hälfte. Hier geht es um die gewerbsmässige MWST-Hinterziehung (z.B. Karussellgeschäfte) oder das Anwerben von Personen für eine Widerhandlung gegen das Mehrwertsteuerrecht11. Milder, nämlich mit einer Busse bis zu CHF 200'000.–, wird bestraft, wer die genannten Steuerfaktoren zwar korrekt deklariert, aber diese steuerlich falsch qualifiziert und dabei vorsätzlich klare gesetzliche Bestimmungen, Anordnungen der Behörden darüber oder publizierte Praxisfestlegungen nicht richtig anwendet und die Behörden darüber nicht vorgängig schriftlich in Kenntnis setzt. Bei fahrlässiger Begehung dieser Straftat beträgt die Busse bis zu CHF 20'000.–. Hier zeigen sich klar und eindeutig die Pflichten aus dem sogenannten Selbstveranlagungsprinzip der MWST. Der Steuerpflichtige muss alles Notwendige zur korrekten Festsetzung der MWST vornehmen. Macht er dies nicht, steht er theoretisch mit einem Bein in einem Strafverfahren.
Immerhin haben die Steuerpflichtigen noch die Möglichkeit, allfällig nicht korrekte MWST-Deklarationen einer MWST-Periode (= Kalenderjahr) im Rahmen der sogenannten Finalisierungsarbeiten (Jahresschlussabrechnung) zu korrigieren, um einer Steuerhinterziehung zu entgehen. Diese Abrechnung ist spätestens 60 Tage nach Ablauf von 180 Tagen nach Ende der Steuerperiode einzureichen12. Ist diese Frist abgelaufen, kann sich der Steuerpflichtige nur noch bei einer Selbstanzeige vor einer Strafverfolgung retten, wenn er die Behörde bei der Festsetzung der Steuer in zumutbarer Weise unterstützt und sich ernstlich um die Bezahlung der geschuldeten Steuer oder um die Rückzahlung bemüht13. Die Einreichung einer Korrekturabrechnung gilt dabei in der Praxis als Selbstanzeige. Anders als im Recht der direkten Steuern ist die Zahl der straflosen Selbstanzeigen nicht beschränkt. Dies dient der Förderung der Steuerehrlichkeit und der Berücksichtigung der Komplexität des MWST-Rechts im Rahmen der sehr hohen Anforderungen an die Selbstdeklaration der MWST durch die steuerpflichtigen Unternehmen14.
Bei der Steuerhinterziehung ist auch der Versuch strafbar15. Dies gilt allerdings nicht bei der Steuerhehlerei (vgl. Art. 99 MWSTG) oder bei der Verletzung von Verfahrenspflichten (vgl. Art. 98 MWSTG). Beide sind sogenannte Tätigkeitsdelikte. Das heisst, sie unterliegen nur dann der Strafe, wenn sie tatsächlich und vollständig begangen wurden. Ein Versuch im Sinne von Art. 22 f. StGB ist somit begrifflich nicht möglich.
Jemand verletzt Verfahrenspflichten, wenn eine der folgenden Handlungen begangen wird:
- Unterlassen der Anmeldung
- Unterlassen der Abrechnung trotz Mahnung
- Verletzung der Pflicht zur periodengerechten Deklaration
- Unterlassen des Stellens gehöriger Sicherheiten
- Verletzung der Pflicht zur Führung, Aufbewahrung oder Vorlage der Geschäftsbücher
- Unterlassen der Auskunftspflicht trotz Mahnung
- Ausweisen einer falschen Steuer in der Rechnung oder unberechtigte Angabe einer Registernummer
- Erschwerung, Behinderung oder Verunmöglichung einer Kontrolle trotz Mahnung16
Die Behörden haben bisher diese Bestimmung meist mit Bedacht und nur in klaren, schwerwiegenderen Fällen angewendet. Dies ist unserer Ansicht nach zu begrüssen, denn in der Praxis führt das Selbstveranlagungsprinzip die Steuerpflichtigen oftmals an die Grenzen des Möglichen oder gar darüber hinaus.
Im Zusammenhang mit den teilweise technischen und abstrakten Begriffen möchten wir darauf hinweisen, dass die ESTV im Rahmen einer Kontrolle vor Ort die Buchhaltung als Ganzes ablehnen kann, sofern diese beispielsweise als unvollständig oder die Prüfspur zwischen MWST-Deklarationen und Buchungsbelegen (inklusive Rechnungen) als nicht gegeben qualifiziert wird. Anschliessend erfolgt eine sogenannte Ermessenseinschätzung. Das heisst, der Prüfer der ESTV wird nach pflichtgemässem Ermessen die geschuldete MWST einer Steuerperiode berechnen. In der Praxis muss davon ausgegangen werden, dass in solchen Fällen ein Strafverfahren eingeleitet wird.
Fussnoten:
1 Es handelt sich um ein eigenes Konzept des Parlaments, abweichend vom Bundesrat, vgl. Martin Kocher, in: Schweizer Treuhänder, 2010, S. 276 ff.,«STRAFRECHT UND STRAFPROZESSRECHT NACH NEUEM MEHRWERTSTEUERGESETZ».
2 Vgl. Art. 103 Abs. 4 MWSTG.
3 Vgl. Art. 103 Abs. 2 und 3 MWSTG.
4 Vgl. Art. 100 MWSTG.
5 Vgl. Martin Kocher, in: ASA 79 (201/2011), Nr. 1/2, S. 97, «KLARE TAT, UNKLARE TÄTERSCHAFT NACH REVIDIERTEM MEHRWERTSTEUERGESETZ».
6 Vgl. Art. 97 MWSTG mit Verweisen auf Art. 106 Abs. 3 und Art. 34 StGB.
7 Diese Regel wurde in der nahen Vergangenheit mehrfach festgestellt.
8 Vgl. Art. 96 Abs. 1 MWSTG.
9 Vgl. Art. 96 Abs. 2 MWSTG.
10 Vgl. Art. 96 Abs. 4 MWSTG.
11 Vgl. Martin Kocher, a.a.O., S. 284, «STRAFRECHT UND STRAFPROZESSRECHT NACH NEUEM MEHRWERTSTEUERGESETZ».
12 Vgl. Art. 72 MWSTG.
13 Vgl. Art. 102 MWSTG.
14 Vgl. Martin Kocher, a.a.O., S. 284, «STRAFRECHT UND STRAFPROZESSRECHT NACH NEUEM MEHRWERTSTEUERGESETZ».
15 Vgl. Art. 96 Abs. 5 MWSTG.
16 Vgl. Art. 98 MWSTG.