Beweismittelfreiheit: Die Beweiskraft von elektronischen Kreditorenrechnungen

Das Mehrwertsteuergesetz (“MWSTG”) regelt in Art. 81 Abs. 3 MWSTG den Grundsatz der Beweismittelfreiheit zu Gunsten der steuerpflichtigen Person. Mit der Beweismittelfreiheit geht auch die freie Beweiswürdigung einher. Sie ist insbesondere im Zusammenhang mit dem Nachweis steuermindernder Tatsachen (z.B. Höhe der Vorsteuern) von praktischer Bedeutung. Besondere Beachtung sollten die beiden vorerwähnten Grundsätze bei Vorliegen elektronischer Rechnungen (“e-Rechnung”) bzw. bei elektronischer Archivierung von (Papier-)Rechnungen finden. E-Rechnungen, welche über eine digitale Signatur verfügen, sind in ihrer Beweiskraft einer Originalrechnung in Papierform gleichgestellt. Fehlt auf der elektronischen Rechnung jedoch die digitale Signatur, sind deren Beweiskraft aufgrund fehlender Authenzität und Integrität der Rechnung nicht gegeben. Aufgrund der Beweismittelfreiheit ist es jedoch möglich, den Nachweis mittels anderer Unterlagen bzw. Belege zu erbringen, zu denen beispielsweise Bestellunterlagen, Lieferscheine, Buchungssätze, Zahlungen, innerbetriebliche Kontrollsysteme und andere gehören, wobei deren Beweiskraft im Einzelfall zu prüfen ist.

10.10.2023 Von: Claudio Fischer, Urs Kipfer
Beweismittelfreiheit

Beweislast, Beweismittelfreiheit und freie Beweiswürdigung im Mehrwertsteuerrecht

Im Mehrwertsteuerrecht gilt der Grundsatz, dass steuerpflichtige Personen, welche steuermindernde Tatsachen geltend machen wollen, für das Vorliegen dieser Tatsachen beweispflichtig sind. Steuermindernde Tatsachen sind solche, welche zur Anwendung des reduzierten oder des Sondersatzes führen, eine Befreiung oder Ausnahme von der Mehrwertsteuer zur Folge haben oder zu einem Vorsteuerabzug führen. Dass Leistungen im Ausland erbracht worden sind und deshalb nicht der Schweizer Mehrwertsteuer unterliegen, ist gemäss der Eidgenössischen Steuerverwaltung (“ESTV”) ebenfalls eine steuermindernde Tatsache.

Wenn das Vorliegen von steuermindernden Tatsachen nicht bewiesen werden kann, sind erbrachte Leistungen zum Normalsatz zu versteuern bzw. kann die angefallene Vorsteuer nicht in Abzug gebracht werden.

Mit dem aktuellen MWSTG, welches per 1. Januar 2010 in Kraft trat, wurde im Mehrwertsteuerrecht der Grundsatz der Beweismittelfreiheit eingeführt. Die ESTV darf demnach den Nachweis einer steuermindernden Tatsache nicht mehr vom Vorhandensein eines spezifischen Beweismittels abhängig machen (Art. 81 Abs. 3 Satz 2 MWSTG). Die steuerpflichtige Person hat also grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, steuermindernde Tatsachen zu beweisen.

Der Beweismittelfreiheit steht die freie Beweiswürdigung gegenüber. Die ESTV hat bei Beweismitteln zu prüfen, ob mit diesen die geltend gemachten steuermindernden Tatsachen tatsächlich bewiesen werden können (Art. 81 Abs. 3 Satz 1 MWSTG). Wenn für den Nachweis eines Sachverhalts nur ein Beweismittel vorgebracht werden kann, muss dieses eindeutig sein. Beispiele für eindeutige Beweise sind die elektronischen Veranlagungsverfügungen der Eidgenössischen Zollverwaltung für den Nachweis von Exporten oder originale Kreditorenrechnungen (Papierform), die den Anforderungen von Art. 26 MWSTG entsprechen, für den Nachweis des Vorsteuerabzugsrechts.

Elektronische Rechnungen als eindeutige Beweismittel

Bei einer e-Rechnung handelt es sich um ein elektronisch oder in vergleichbarer Weise übermitteltes Dokument, mit dem gegenüber einer Drittperson über das Entgelt für eine Leistung abgerechnet wird, gleichgültig, wie dieses Dokument im Geschäftsverkehr bezeichnet wird (Art. 3 Bst. k MWSTG i.V.m. Art. 122 Abs. 1 MWSTV). Inhaltlich ergibt sich kein Unterschied zur Papierrechnung.

Während in Papierform erhaltene Rechnungen, welche die Kriterien von Art. 26 MWSTG erfüllen, grundsätzlich als eindeutige Beweise von der ESTV anerkannt werden, stellen das Gesetz und somit auch die ESTV an die Beweiskraft der e-Rechnung besondere Anforderungen.

Gemäss Art. 122 Abs. 1 MWSTV sind e-Rechnungen hinsichtlich Beweiskraft den in Papierform erhaltenen Rechnungen nur dann gleichgestellt, wenn ihr Ursprung und Integrität (Unverändertheit) nachgewiesen werden können und der Versand der e-Rechnung nicht abgestritten werden kann. Die Nichtabstreitbarkeit des Versands ergibt sich dabei in der Regel aus dem Nachweis des Ursprungs, weshalb im Folgenden mit dem Nachweis des Ursprungs auch die Nichtabstreitbarkeit des Versands gemeint ist. Der Nachweis des Ursprungs und der Integrität von e-Rechnungen ist mittels fortgeschrittener elektronischer Signaturen zu erbringen.

Unabhängig davon, ob eine Rechnung elektronisch oder in Papierform übermittelt wurde, erstreckt sich die Beweiskraft einer Rechnung nur auf Tatsachen, welche auf der Rechnung genannt werden. Der Inhalt der e-Rechnung ist also dafür massgebend, für welche Tatsachen die e-Rechnung beweiskräftig ist, sofern der Ursprung und die Integrität der Rechnung nachgewiesen werden können.

Bezüglich der Archivierung von e-Rechnungen ist zu beachten, dass diese zwingend elektronisch erfolgen muss, da bei einer nicht-elektronischen Archivierung die fortgeschrittene elektronische Signatur wegfallen würde und somit der geforderte Nachweis des Ursprungs und der Integrität nicht mehr erbracht werden könnte. Wird also beispielsweise eine elektronisch übermittelte Rechnung ausgedruckt, hat dieser Ausdruck keine eindeutige Beweiskraft mehr.

Scan von Papierrechnungen als eindeutiges Beweismittel

Das schweizerische Mehrwertsteuerrecht verweist in Art. 70 Abs. 1 MWSTG bezüglich der Führung der Geschäftsbücher und Aufzeichnungen, unter die Kreditorenrechnungen zu subsumieren sind, auf die handelsrechtlichen Grundsätze, welche in den Grundzügen in Art. 957 ff. OR festgehalten sind und mit der Geschäftsbücherverordnung (GeBüV) konkretisiert werden.

Gemäss Art. 10 GeBüV ist es zulässig, Daten in andere Formate oder auf andere Informationsträger zu übertragen, sofern bei dieser Datenmigration folgende Punkte sichergestellt werden:

  • Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen muss gewährleistet bleiben.

  • Die Verfügbarkeit und die Lesbarkeit müssen weiterhin den gesetzlichen Anforderungen genügen.

Die Übertragung von Daten von einem Informationsträger (z.B. Papier) auf einen anderen Informationsträger (z.B. Daten-Disk) muss protokolliert werden und das Protokoll zusammen mit den übertragenen Informationen aufbewahrt werden.

Der Scan einer Papierrechnung ist also für den Nachweis von mehrwertsteuerlichen Tatsachen gleich geeignet wie die Papierrechnung, sofern beim Scannen als Form der Datenmigration die oben genannten Anforderungen erfüllt wurden. Insbesondere ist sicherzustellen, dass keine Veränderung der Information während der Migration möglich war, was eine ausführliche Protokollierung des Scanvorgangs erfordert. Neben dem korrekten Scannen ist die Integrität der Scans sowie die Aufbewahrung der Protokollierung während der gesetzlichen Archivierungsdauer sicherzustellen. Die Archivierung muss in einer Form erfolgen, dass die Scans und Protokolle nicht verändert werden können, ohne dass sich dies feststellen lässt. Dazu bietet sich typischerweise ein zertifiziertes Speichermedium an, das aufgrund seiner technischen Eigenschaften grundsätzlich keine Veränderung der gespeicherten Daten zulässt. Wenn die Integrität der Scans nicht garantiert werden kann, haben sie nicht die gleiche Beweiskraft wie die zugrundeliegenden Papierrechnungen. Die Vernichtung von Papierrechnungen nach erfolgtem Scan kann in solchen Fällen zu erheblichen Mehrwertsteuerrisiken führen.

Fazit

Der Nachweis von steuermindernden Tatsachen erfordert unter dem geltenden MWSTG nicht mehr zwingend das Vorliegen bestimmter Beweismittel. Wo steuermindernde Tatsachen mittels Rechnung nachzuweisen sind, kommen neben Papierrechnungen auch e-Rechnungen respektive elektronisch archivierte Papierrechnungen als Beweismittel in Betracht.

Zur Sicherstellung der Beweiskraft von e-Rechnungen und elektronisch archivierten Papierrechnungen sind allerdings besondere Vorkehrungen zu treffen, um den Ursprung und die Integrität der Rechnungen zu garantieren. Diese Vorkehrungen betreffen einerseits die e-Rechnung an sich (Verwendung elektronischer Signaturen) und andererseits die elektronische Archivierung von e-Rechnungen und Papierrechnungen (bspw. Verfahrensdokumentation, Protokollierung des Scanning-Prozesses, Anforderungen an das Speichermedium, etc.).

Aus der Beweismittelfreiheit ergibt sich, dass der Nachweis der Authentizität und Integrität auch durch ein internes Kontrollsystem (IKS) erbracht werden kann, soweit ein verlässlicher Prüfpfad zwischen der elektronischen Rechnung und der dazugehörigen Leistungserbringung vorliegt.

In Anbetracht der Entwicklung einer zunehmenden Zahl von e-Rechnungen und der vermehrten elektronischen Archivierung von Papierrechnungen sollte frühzeitig sichergestellt werden, dass die entsprechenden Anforderungen erfüllt sind, um “böse Überraschungen” im Rahmen einer Kontrolle durch die ESTV zu verhindern.

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