Sourcecode: Aspekte der Hinterlegung

Wenn eine Vertragspartei (Bestellerin) bei der anderen Vertragspartei (Anbieterin) eine Software zur Entwicklung in Auftrag gibt, so ist die Bestellerin bereits in der Realisierungsphase der Anbieterin ein Stück weit ausgeliefert. Denn die Anbieterin als Fachspezialistin in diesem Bereich ist im Besitz der zur Weiterentwicklung, Anpassung sowie der Fehlerbehebung notwendigen Grundlagen wie dem Sourcecode und der gesamten technischen Dokumentation. Beim Sourcecode handelt es sich um den Quellcode der Software, einer für den Menschen lesbaren Version der Software.

01.04.2025 Von: André Henri Kuhn, Ursula Sury
Sourcecode

Wenn die Anbieterin ihren vertraglichen Pflichten nicht nachkommt, so kann seitens der Bestellerin nicht ohne Weiteres eine andere Anbieterin aufgeboten werden, welche in der Lage wäre, die anstehenden Probleme innert nützlicher Frist zu lösen. Denn ohne Zugriff auf den Sourcecode sowie ohne genau Kenntnis der zu erstellenden Software (z.B. der Programmiersprache) ist es für eine andere Anbieterin unmöglich, das Projekt fortzuführen. Die rechtliche Möglichkeit, eine andere Anbieterin für eine Ersatzvornahme aufzubieten, wenn die eigentliche Vertragspartei ihrer vertraglichen Leistungspflicht nicht/ungenügend nachkommt, besteht somit auch im Informatikbereich, lässt sich aber praktisch kaum realisieren, wenn der Zugriff auf den Quellcode nicht sichergestellt ist.

Rechtliche Aspekte der Hinterlegung

Grundsätzliche Ausgangslage

Erhält die Bestellerin der Software gemäss Vertrag das Urheberrecht an der für sie erstellten Software, so sollte die Herausgabe des Sourcecodes aus rechtlichen Gründen eigentlich kein Problem darstellen.

Erhält die Bestellerin der Software hingegen nur eine Lizenz an der Software, so wird die Anbieterin aus Gründen des Lizenzschutzes in aller Regel eine Übergabe des Quelltcodes verweigern. Möglicherweise wird sie sich aber damit einverstanden erklären, den Quelltext bei einem unabhängigen Dritten zu hinterlegen.

Zusammenhang Sourcecode und Urheberrecht

Einer Besitzerin des Sourcecodes stehen nicht automatisch auch die Urheberrechte zu. Es ist vertraglich genau festzulegen, welche Rechte die Anbieterin in jenen Fällen hat, in denen sie über den Quelltext verfügen darf. Zum Beispiel kann festgehalten werden, wie Fehler zu beheben sind, die Software anzupassen oder weiterzuentwickeln ist.

Konkurs der Softwareanbieterin

Im Konkursfall der Anbieterin wird sich das Urheberrecht an der Software unter Umständen als Aktivum in der Konkursmasse befinden, wenn es nicht im Vorfeld bereits vertraglich auf die Softwarebestellerin übertragen worden ist.

Wichtig ist es, zu wissen, dass es der Softwareanbieterin als Schuldnerin im Konkursfall nicht zusteht, nach Eröffnung des Konkurses Vorkehrungen zu treffen, welche vorsehen, dass das Urheberrecht an der Software nun doch der Softwarebestellerin zufällt. Solche Vereinbarungen sind rechtlich anfechtbar, unter Umständen auch strafrechtlich relevant. Bei der Redaktion entsprechender Verträge ist daher auch diesbezüglich achtzugeben.

Hinterlegung im Besonderen

Allgemeines

In der Praxis finden sich zwei rechtliche Konstruktionen der Hinterlegung. In der einen Konstellation kommt das Escrow-Agreement zwischen der Softwareanbieterin einerseits und der Escrow-Agentin andererseits zustande. Bei der zweiten möglichen Umsetzungsform ist die Softwarebestellerin zusätzlich als dritte Partei in dieses Escrow-Agreement involviert. Als Escrow-Agentin gilt ein Unternehmen, welches anbietet, die Software als Back-up entgegenzunehmen. Darüber hinaus wird teilweise auch vereinbart, dass eine Verpflichtung besteht, regelmässig zu überprüfen, ob und was auf dem entsprechenden Datenträger gespeichert ist und ob die Datei auch lesbar ist.

Zweiparteienvertrag zwischen Softwareanbieterin und Escrow-Agentin

Bei einem solchen Vertrag kann die Escrow-Agentin durch die Softwareanbieterin verpflichtet werden, bei Vorliegen bestimmter Gründe den hinterlegten Sourcecode an eine Softwarebestellerin (Kundin) herauszugeben. Die obligatorische Verpflichtung obliegt ihr natürlich nur gegenüber der Softwareanbieterin. Es handelt sich daher bei einem solchen Vertrag um einen Vertrag zugunsten Dritter, d.h. zugunsten der Softwarebestellerin. Diese kann die Herausgabe nur dann verlangen, wenn es dem Willen der beiden Vertragsparteien entspricht. Uneinigkeiten entstehen dann, wenn auszulegen ist, ob ein Herausgabegrund vorliegt oder nicht.

Dreiparteienvertrag zwischen Softwareanbieterin, Softwarebestellerin und Escrow-Agentin

Bei einem solchen Dreiparteienvertrag stehen sowohl die Softwareanbieterin als auch die Softwarebestellerin zur Escrow-Agentin in einem Vertragsverhältnis. Die Softwareanbieterin und die Softwarebestellerin bestimmen im Vertrag gemeinsam, unter welchen Umständen der Quellcode der Softwarebestellerin herauszugeben ist. Die Kundin hat daher selbst ein selbstständiges Forderungsrecht gegenüber der Escrow-Agentin, was regelmässig eine rechtlich vorteilhaftere Position bedeuten kann.

Schlussfolgerungen

Die Softwareanbieterin ist bei einem Softwareerstellungsvertrag die überlegene Partei, weil sie Zugriff auf den Quellcode hat. Die Softwarebestellerin hat daher ein grosses Interesse daran, sich so abzusichern, dass die weitere Nutzung der Software auch dann möglich ist, wenn die Softwareanbieterin den Sourcecode nicht mehr freigeben kann oder will. Solchen Situationen kann mit einem Dreiparteienverhältnis-Escrow-Agreement Rechnung getragen werden.

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