Serverhardware: Desktop- und Gaming-PCs statt Server?

Es ist schon eine verrückte Welt in der IT: da laufen Gaming-PCs zu ständig neuen Hochleistungen auf, während in vielen Serverräumen und Rechenzentren noch betagte Systeme mit in die Jahre gekommenen Prozessoren und Festplatten vor sich hin werkeln. Gleichzeitig bekommt man kaum noch einen Büro-PC, der nicht wenigstens mit einem i3-Prozessor und 8 Gigabyte RAM ausgestattet ist. Da kommt so mancher Admin und IT-Verantwortliche schon ins Grübeln - tut es bei der nächsten Serveranschaffung vielleicht ein etwas besser ausgestatteter Gaming-PC?

13.08.2024 Von: Lars Behrens
Serverhardware

Entwicklung der PC-Hardware

So ganz abwegig ist diese Überlegung nicht, wenn man sich die Entwicklung der PC-Hardware ansieht. Sie meinen, dass Ihr teures IT-System State-of-the-Art ist? Sämtliche Anforderungen an Hard- und Software erfüllt? Und dass Ihre User nur darauf warten, dass endlich einmal der Durchbruch in Sachen Performance kommt? Dann hätten Sie vielleicht die GamesCom 2021 besuchen sollen – diese stand wie aktuell so vieles unter dem Corona-Stern und konnte mithin nur digital respektive virtuell besucht werden. Was aber auf solchen Messen an Hochleitungs-PC-Systemen gezeigt wird, könnte manchem gestandenen IT-Administrator die Tränen in die Augen treiben - und seinem Controller oder Kostenstellenverantwortlichen auch, aber aus anderen Gründen.

Es mag Sie überraschen - aber kaum eine virtualisierte Appliance, nur wenige Serveranwendungen und erst recht kein Feld-, Wald- und Wiesenserver mit Dateifreigaben, ein wenig Adressverwaltung oder dem einen oder anderen virtualisiert betriebenen Server werden leistungsmässig an das herankommen, was die prinzipiell als unseriös verschrieenen «Gamer» für Ihre Zwecke benötigen. Denn seien wir mal ehrlich: Die Mehrzahl der Server in KMU-Umgebungen fristet ein eher klägliches Dasein. Das ganze erinnert ein wenig an einen perfekt durchtrainierten Bodybuilder, der alle paar Tage das Leergut zur Migros zurückzubringen hat. «Welche Vergeudung an Ressourcen», mag da dem einen oder der anderen durch den Kopf gehen. Was auf einem anderen Blatt steht ist die Notwendigkeit, solche Systeme ein paar Jahre betreiben zu müssen, bis die Investitionskosten wieder eingespielt worden sind. So erklärt sich auch, dass in vielen KMUs und Rechenzentren eigentlich längst überholte Technik am Werkeln ist, die von jedem aktuellen Gaming-PC leistungsmässig längst in den Schatten gestellt werden würde. Und es erklärt natürlich den Trend zur Cloud – dort haben sich die entsprechenden Anbieter darum zu kümmern, dass Serverressourcen ausreichend zur Verfügung stehen.

Apropos Cloud: Kennen Sie die Anekdote über die Entstehung der ersten «echten» Cloud, nämlich Amazons AWS? Angeblich sass der Onlinehändler nach dem Weihnachtsgeschäft immer auf einem Haufen zurückgegebener Hardware (das Rückgaberecht macht es ja möglich), und irgend jemand bei Amazon kam auf die Idee, diese neuen, aber irgendwie nicht mehr so recht absetzbarer Systeme in einem Verbund zusammenzuschliessen und die so entstandene Rechenleistung an Interessenten zu vermieten:

https://www.youtube.com/watch?v=MRh9UUJfw-s

Sie finden die Anekdote im Verlauf des Videos. Auch auf der Webseite der Zeitschrift «Capital» findet sich übrigens ein Hinweis auf diese Vermutung:

«Eher ein Nebengedanke war es damals, nicht benötigte Rechenkapazitäten anderen Firmen zur Verfügung zu stellen.»

www.capital.de/wirtschaft-politik/aws-5-fakten-zu-amazons-erfolgreichem-cloud-service

Gamingsysteme

In der Tat können Gamingsysteme quasi als ein Proof-of-System für leistungsfähige PC-Systeme herangezogen werden. Heutzutage sind Computer in der Regel erheblich leistungsfähiger als das, was die Ansprüche ihrer User erfordern würden. Ein bisschen Grafik, gerne auch in 4K oder 3D, Gigabit-Netzwerk, superschnelle Dateizugriffe und -ablagen auf zeitgemässen SSDs bringen kaum noch ein System an den Rand der Verlegenheit respektive der drohenden Auslastung.

Computerspiele stellen gleichsam die Königsdisziplin der Leistungsansprüche dar - hier sind Grafik, Festplattenzugriffe, Schnelligkeit des Prozessors und Durchsatz sämtlicher Bus-Systeme eines PCs zugleich gefordert. Denn während bei grafiklastigen Anwendungen etwa aus dem Architekturbereich (Stichwort CA, Computer Added Design) lediglich die grafikdarstellende GPU (Graphics Processing Unit) in Anspruch genommen wird, bei rechenintensiven Anwendungen wiederum «nur» die CPU, die Central Processing Unit, und bei wenig rechen- oder grafikintensiven Operationen bestenfalls noch die schnellst mögliche Ablage der Daten in ein entsprechendes Filesystem (NAS, Share alias Freigabe, iSCSI-Volume usw) von Bedeutung ist, spielen bei wirklich herausfordernden Computerspielen alle Komponenten zusammen genommen eine wichtige und entscheidende Rolle.

So heisst es auf https://www.grundlagen-computer.de

«Schaut man sich auf dem Markt für Computer-Komponenten um, so stellt man fest, dass es für so ziemlich alle Teile auch eine Server-Variante gibt: Mainboard, CPU, Festplatte – sogar für die Grafikkarte gibt es mit den «Workstation»-Ausgaben eine extravagante Version. Nicht ganz zu unrecht kann man sich hier die Frage stellen, ob es überhaupt notwendig ist, auf Server-Hardware zurückzugreifen, da sie im Regelfall auch teurer ist.»

Oftmals wird unterschieden in Systeme für Server, die Workstation oder den Arbeitsplatz des durchschnittlichen Nutzers. Woher «weiss» nun aber eine bestimmte Hardware, dass sie dem kurzlebigen Leistungshype eines Spiele-Junkies oder dem ebenso leistungshungrigen, aber eher langjährigen Anspruch eines Serverbetreibers genügen soll?

Zuerst einmal geht es um die reine Hardware - diese ist bei Gaming-PCs eher auf kurzzeitige Leistungsspitzen ausgelegt, von einem ganzjährigen Betrieb 24/7 (ganztägig an sieben Tagen in der Woche das ganze Jahr über) wird hier nicht ausgegangen. Gerade hier kann aber das ausschlaggebende Kriterium für die Beschaffung einer Hardware liegen: Genügt diese wirklich einem Dauerbetrieb nicht nur über das aktuelle, sondern auch mehrere Folgejahre hinweg, bis das gute Stück abgeschrieben ist?

Windows Server auf Desktop-PCs?

Warum sollte man überhaupt ein Betriebssystem wie Windows Server oder Linux auf Desktop-Hardware installieren wollen? Auch im Zeitalter der allgegenwärtigen Virtualisierung gibt es hierfür einige gute Gründe. Am naheliegendsten ist der Kostenpunkt: Leistungsfähige Desktop-PCs sind günstig zu haben und teilweise zum nächsten Werktag verfügbar - versuchen Sie das einmal mit einem Serversystem, vor allem in den aktuellen Zeiten von Chip- und Speichermangel (was dann immer gerne auf die Folgen der Covid-19-Pandemie geschoben wird).

Als Hardwareanforderungen für die Installation des aktuellen Windows 2022-Servers nennt Microsoft übrigens:

  • Prozessor: 1.4 GHz 64-Bit-Prozessor, 64-Bit-kompatibel.
  • RAM (Speicher): 512 MB und 2 GB für Server mit der Option, Desktop Experience zu installieren.
  • Netzwerk: NIC-Karte mit einer Mindestbandbreite von 1 GBPS.
  • HDD: 32GB.

Jede Wette, dass sich in Ihrer IT nicht ein einziges Desktopsystem findet, welches diese Anforderungen unterschreitet. Und viele Prozessor-Kerne, die vor allem in virtualisierten Umgebungen (Hyper-V, KVM, Xen, VMWare) benötigt werden, bieten aktuelle Desktop-PCs ebenfalls. Im Prinzip könnte man also seinen Windows-Server auf einem guten Desktop-PC installieren.

Wenn das aber so einfach ist - wieso sind denn nicht andere schon eher darauf gekommen?

Nun, es gibt natürlich eine ganze Reihe an Gründen, weswegen in Rechenzentren eben gerade nicht hochgestapelte Büro- oder Gaming-PCs vor sich hin werkeln, sondern fast immer massive Stahlblechkisten im 19-Zoll-Format. Dass letzteres ein wichtiger Punkt für eine standardisierte Umgebung, aber natürlich nicht ausschlaggebend für die Rechenleistung und Beständigkeit eines Servers ist, sei dabei nur am Rande erwähnt: 19 Zoll ist natürlich weltweit etabliert, niemand vermag sich vorzustellen, wie man Büro-PCs in einem Rechenzentrum neben- und übereinander stapelt.

Aber das Stichwort «Beständigkeit» liefert schon eines der schlagenden Argumente für einen «echten» Server: einige Komponenten wie Lüfter, Netzteile und teilweise auch die Boards sind bei einem Server massiver und auf Langlebigkeit hin ausgelegt. Gerade bei Lüftern ist es beispielsweise relativ egal, wie laut diese vor sich hin dröhnen - es muss ja niemand daneben sitzen und arbeiten. Büro-PCs sind heutzutage aber fast immer auf leisen Betrieb ausgelegt, bei Gaming-PCs oder CAD-Workstations sogar mit einer Wasserkühlung. Im Rechenzentrum oder Serverschrank ist das nicht nötig, es wird einfach eine Klimaanlage eingebaut und die Tür abgeschlossen.

Desktop-PCs unterstützen zudem in der Regel keine Multi-Sockel-Konfigurationen - dass Ihr PC über mehrere Prozessorkerne und einen schnellen Prozessor verfügt, ist nicht dasselbe!

Apropos Prozessor: Wollen Sie auf dem Server virtualisieren - und wer will das heutzutage nicht? -, benötigt der Prozessor die dafür notwendige Virtualisierungsunterstützung. Zwar bieten inzwischen auch einige in Desktop-PCs verbauten Prozessoren diese Technik, mitunter muss sie aber erst aufwendig im BIOS oder UEFI aktiviert werden - so richtig «dafür gedacht» ist es also wohl eher nicht.

Machen wir weiter mit den Festplatten: Moderne Server besitzen fast immer einen RAID-Controller, um mehrere Festplatten miteinander zu verbinden. Das gibt es auch in einem PC, aber dann wird solch ein Gerät schon nicht mehr ein «Mini-Tower» oder SFF (Small Form Factor)-Gerät sein. Und ein guter RAID-Controller besitzt eine so genannte BBU (Battery Backup Unit), um die Performance zu erhöhen und besser gegen etwaige Ausfälle gewappnet zu ein. Von einem Cache-Cade, der dem System noch mehr Beine macht, wollen wir in einem Büro-PC schon gar nicht mehr reden - wir haben diese interessante Technik in einem der letzten Newsletterbeiträge vorgestellt. Wichtiger ist dann schon die Möglichkeit, die Festplatten im laufenden Betrieb auszuwechseln - was übrigens auch mit Netzteilen und je nach Modell sogar mit dem Arbeitsspeicher geht; und spätestens hier dürfte es dann mit den Fähigkeiten eines Desktop- oder Gaming-PCs vorbei sein.

Schliesslich gibt es auch Unterschiede bei der Hardware für die Netzwerkanbindung. Es gibt tatsächlich Unterschiede zwischen Netzwerkkarten (NICs) für Server und solchen für Desktops.

Wer also meint, dass Serverhardware ja gar nicht unbedingt notwendig sei und seine nächste Hardware bei Amazon oder den einschlägigen Herstellern von Gaming-PCs ordert, darf sich eventuell über den günstigen Preis freuen, sollte sich aber auch nicht wundern, wenn das System im Dauerbetrieb in die Knie oder gleich ganz kaputt geht. Hier gilt in der Regel, dass doppelt kauft, wer billig kauft - womit nicht gesagt ist, dass man einen ausrangierten Büro-PC nicht auch einmal als Testsystem beispielsweise für eine neue Serverlösung nutzen darf.

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