Notwegrecht: Die Folgen im Nachbarrecht

Als ‹Nachbarrecht› werden eine Reihe von Regelungen des ZGB bezeichnet, welche bestimmte Rechte und Pflichten zwischen den Eigentümern von Grundstücken regeln, die direkt aneinander grenzen oder wenigstens nahe beieinander gelegen sind. Für die Bedürfnisse des Praktikers erweisen sich aber die wissenschaftlichen Definitionen und auch die vom ZGB vorgenommenen Einteilungen als unübersichtlich. Ausserdem sind bei auftauchenden Problemen immer auch noch andere einschlägige Gesetze und Verordnungen zu beachten.

10.10.2023 Von: WEKA Redaktionsteam
Notwegrecht

Immissionen

Bezüglich der Immissionen, also der schädlichen Einwirkungen auf die Grundstücke und deren Bewohner, enthalten sowohl das ZGB als auch diverse andere eidgenössische und kantonale Gesetze und Verordnungen einschlägige Regelungen. Auf diesem Gebiet (Umweltschutz!) ist die Gesetzesproduktion heute besonders gross; dennoch sind die technischen Abwehrmassnahmen mindestens so wirksam wie die Rechtsbehelfe, die sich gegen die Verursacher von Immissionen richten.

Fallgruppen und Problemkreise

Wir können folgende Fallgruppen und Problemkreise unterscheiden:

  • Verhältnisse rund um die Grenze zwischen zwei Grundstücken
  • Gesetzlichen Ansprüche auf die Errichtung von Grunddienstbarkeiten
  • Baueinsprachen
  • Immissionsabwehr
  • Technische und anderen Massnahmen gegen Immissionen

Auch Regelungen zu Notwegrecht gehören zur zweiten Fallgruppe der gesetzlichen Ansprüche auf Dienstbarkeiterrichtung. Regelungen und Beispiele zu den übrigen Fallgruppen finden Sie auch in der Online-Lösung BaurechtPraxis.

    Notwegrecht

    Es gibt Grundstücke, die ringsum von Grundstücken eingeschlossen sind, die im Eigentum fremder Personen stehen (einschliesslich Privatstrassen, die nicht für die öffentliche Benützung freigegeben worden sind), und die folglich von einer öffentlichen Strasse aus nicht ohne Zustimmung dieser Nachbarn zugänglich sind.

    Der Eigentümer eines solchermassen eingeschlossenen Grundstücks wäre nun der Willkür dieser Nachbarn ausgesetzt, welche ihm z.B. ein vertragliches Wegrecht gegen Bezahlung einer übermässigen Geldsumme oder den Zukauf einer Wegparzelle aufdrängen könnten oder ihm den Zugang so lange verweigern könnten, bis er ihnen sein eingeschlossenes Grundstück verkauft. Deshalb gibt das Gesetz hier dem eingeschlossenen Grundeigentümer das Recht, auch gegen den Willen der Nachbarn die Einräumung eines Notwegrechts zu verlangen.

    Art. 694 ZGB
    7. Wegrechte
    a. Notweg

    1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
    2 Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im Weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist.
    3 Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen.

    Das Notwegrecht ist eine Grunddienstbarkeit, auf deren Einräumung der ‹notleidende› Grundeigentümer einen gesetzlichen Anspruch hat.

    Anmerkungen: Dieser zivilrechtliche «Notwegrechts-Anspruch» darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hierfür die Anforderungen sehr hoch sind, da sie einer «privatrechtlichen Enteignung» gleichkommen, was grundsätzlich unzulässig ist. Daher hat die Lösung über das öffentliche-rechtliche Raumplanungsrecht gegenüber Art. 694 ZGB Priorität. Gemäss Art. 19 Abs, 2 des nationalen Raumplanungsgesetzes (RPG) hat das Gemeinwesen eine Erschliessungspflicht von Bauland. Gestützt auf diese Pflicht ist es daher zielführender, eine fehlende Zufahrt zu errichten (vgl. hierzu BGer 5A_931/2015 vom 10. Juni 2015, E. 3.3.1 f.). Erst wenn der betroffene Eigentümer darlegen kann, dass er erfolglos alles ihm Mögliche getan hat, um einen Zugang zu seinem Grundstück mit öffentlich-rechtlichen Mitteln zu erlangen, kann er ein Notwegrecht gestützt auf Art. 694 ZGB beanspruchen (vgl. hierzu BGE 130 III 130 ff.).

      Umfang des Anspruches

      Art und Ausbaugrad des Notweges (Fussweg, Fahrstrasse usw.) richten sich nicht nach den persönlichen Wünschen des an Wegenot leidenden Grundeigentümers, sondern danach, was für die bestimmungsgemässe Benutzung und Bewirtschaftung des Grundstückes nötig ist.

      Praxis-Beispiel: Für bebaute Grundstücke im Bereich von Ortschaften wird heute im Allgemeinen eine Zufahrt für Lieferanten und Besucher als nötig erachtet. Ein altes, abgelegenes Bauernhaus braucht keinen Notweg für die Autozufahrt von Anwohnern, auch wenn der dort ansässige Grundeigentümer berufsmässig Filme herstellt. Aufgrund vom Notwegrecht dürfen jedoch Ausnahmetransporte (Möbelwagen, Heizöl usw.) den vorhandenen Feldweg befahren.

      Vorgehen

      • Der Grundeigentümer, der einen Notweg beanspruchen möchte, hat zunächst zu untersuchen, wo die günstigste Linienführung für seinen Weg durchführen würde. Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weiteren gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist (Art. 694 Abs. 2 ZGB).

      Anmerkung: Naheliegend ist es natürlich, von einem Nachbarn die Benützung einer bereits bestehenden Privatstrasse zu verlangen.

      • Wenn die Linienführung gewählt ist, so sind die betroffenen Nachbarn schriftlich um ihre Zustimmung zu ersuchen. Vertragliche Einigungen können wie gewöhnliche Grunddienstbarkeiten im Grundbuch eingetragen werden.
      • Gegen diejenigen Nachbarn, mit denen keine Einigung zustande kommt, ist beim Richter eine Zivilklage zu erheben. Der Richter legt danach Art und Umfang vom Notwegrecht fest, indem er auf die beidseitigen Interessen Rücksicht nimmt (Art. 694 Abs. 3 ZGB). Die richterliche Regelung wird im Grundbuch eingetragen.

      Entschädigung

      Der von einem Notwegrecht belastete Nachbar hat Anspruch auf volle Entschädigung:

      • Wird lediglich eine im Eigentum dieses Nachbarn stehende Strasse vom Notwegberechtigten mitbenutzt, so hat der Notwegberechtigte wohl einen Anteil an den Strassenunterhalt beizusteuern, doch muss er nichts an die Kosten des Strassenbaus beitragen.
      • Wird ein Weg aber eigens für den Notwegberechtigten erstellt, so trägt dieser die Kosten in der Regel alleine.

      Änderungen

      Der Notwegberechtigte kann seinen Notweg erweitern lassen, wenn veränderte Verhältnisse bei ihm einen erweiterten Notweganspruch entstehen lassen. Umgekehrt kann aber auch der Eigentümer des belasteten Grundstückes verlangen, dass der Notweg reduziert oder an eine andere Stelle verlegt wird, wenn sich die Verhältnisse bei ihm oder beim Notwegberechtigten entsprechend geändert haben (vgl. Art. 736 und 742 ZGB).

      Praxis des Bundesgerichts zum Notwegrecht

      Aus der neueren Bundesgerichtspraxis zum Notwegrecht:

      • Die Frage der Entschädigung für ein verlangtes Notwegrecht muss spätestens im Urteil über die Einräumung vom Notwegrecht geregelt werden. Wer eine Zivilklage auf Einräumung von einem Notwegrecht erhebt, muss deshalb die Entschädigungsfrage zum Gegenstand des Rechtsbegehrens machen (BGE 104 II 302 ff.).
      • Wird in einer Auflage zu einer Baubewilligung aus polizeirechtlichen Gründen (Verkehrssicherheit usw.) die Erstellung einer besonders breiten Zufahrt verlangt, so gilt diese Betrachtungsweise nicht automatisch auch bei der Beurteilung der Frage vom Notwegrecht. Demnach besteht nur ein Anspruch auf einen Zufahrtsweg von normaler Breite als Notweg, auch wenn dieser den behördlichen Auflagen nicht genügt und die Überbauung deshalb nicht im vorgesehenen Mass realisiert werden kann (BGE 105 II 178 ff.). Anmerkung: Der Bauherrin steht das öffentlich-rechtliche Quartierplanverfahren offen, um die Zufahrtsverhältnisse besser zu regeln.
      • Wenn eine genügende Zufahrt zu den projektierten Bauten nur durch polizeiliche Vorschriften verhindert wird, so besteht deswegen nicht ein Notwegrecht gegen den Nachbarn (BGE 110 II 17 ff.).
      • Ein Grundeigentümer, dessen Grundstück in absehbarer Zeit nicht überbaut werden kann, weil eine planungsrechtliche Bausperre besteht, hat keinen Anspruch auf die vorsorgliche Einräumung von einem Notwegrecht im Hinblick auf eine Überbauung, wenn die heutige landwirtschaftliche Erschliessung bereits sichergestellt ist (BGE 110 II 125 ff.).  
      Newsletter W+ abonnieren