Kostenvoranschläge: Offerten der Architekten oder Ingenieure
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Gesetzliche und vertragliche Grundlagen
Gesetzliche Grundlagen
Vertragliche Grundlagen
- Art. 4.32 SIA-Ordnung 102 (2020)
- Art. 4.3.32 SIA-Ordnung 103 (2020)
Terminologie und Begriff
Kostenvoranschlag
Ein Kostenvoranschlag ist eine Vorkalkulation der Baukosten, die mit einem rechtsverbindlichen Angebot vergleichbar ist. Kostenvoranschläge dienen dem Bauherrn dazu, sich eine Vorstellung zu verschaffen, was ihn ein bestimmter Auftrag kosten würde. Der Kostenvoranschlag ist eine Prognose und ein terminus technicus in der Baubranche. Er wird durch SIA Ordnung 102 in Art. 4.32 definiert. Andere Begriffe, wie Kostenprognose, Kostenschätzung oder Kostenberechnung wecken ein anderes Vertrauen und weisen deshalb andere Toleranzen auf.
Der Kostenvoranschlag des Architekten oder Ingenieurs bezieht sich in der Regel auf Arbeiten, die von andern, d. h. den Unternehmern ausgeführt werden. Nur ein Segment des Kostenvoranschlages umfasst seine eigenen Honorare.
Ist der Kostenvoranschlag zu ungenau und wird er deswegen überschritten, so haftet der Architekt – wenn ihn ein Verschulden trifft – seinem Vertragspartner, dem Bauherrn, für den daraus entstehenden Schaden aus Art. 97 Abs. 1 bzw. Art. 398 OR. Ebenfalls haftet der Architekt für Rechnungsfehler. Er hat dem Bauherrn den Schaden zu ersetzen, den dieser erleidet, weil er (fälschlicherweise) auf die Genauigkeit des Voranschlages vertraut hat. Fehlt es an einem solchen (Vertrauens-) Schaden, so trifft den Architekten keinerlei Ersatzpflicht.
Ob ein Kostenvoranschlag des Architekten oder Ingenieurs ungenau sind, beurteilt sich immer und nur nach dem Gegenstand des Voranschlages: auf was genau bezieht sich die Prognose, Kosten Dritter, Kosten ohne MWST oder mit MWST, alle BKP Positionen? Mit oder ohne Aufwendungen für Bauzinsen, Honorare des Architekten, den mutmasslichen Mehrkosten aus unvorhersehbaren Umständen oder einer Teuerung?
Worauf sich der Kostenvoranschlag genau bezieht, muss im Streitfall durch Auslegung (der Bestellung, der Anfrage, des Auftrages) ermittelt werden. Sicher aber erfasst er nicht die Mehrkosten aus nachträglichen Änderungswünschen des Bauherrn oder daraus, dass der Bauherr (z.B. mit Rücksicht auf die Benutzer des umzubauenden Gebäudes) den geplanten Bauvorgang verlangsamt.
Geschützt wird nicht das Vertrauen des Bauherrn in die absolute Richtigkeit des Kostenvoranschlages, sondern nur sein Vertrauen darauf, dass sich der Voranschlag innerhalb einer bestimmten Toleranzgrenze hält. Als Faustregel gilt eine Marge von 10%, die aber auch hier keine absolute Geltung hat. Namentlich bei Sanierungs- und Umbauarbeiten muss der Bauherr normalerweise einen höheren Ungenauigkeitsgrad tolerieren. Wurde die Toleranzgrenze bzw. eine Kostenlimite allerdings durch Vereinbarung festgelegt, so gilt die vereinbarte Grenze. Der Architekt kann zudem dem Bauherr klar und unmissverständlich zusichern, er übernehme das Risiko einer Kostenüberschreitung und haftet unabhängig von seinem Verschulden für die den garantierten Betrag übersteigenden Kosten (sog. Bausummengarantie).
Einschlägige Vorschriften finden sich auch in der SIA-Ordnung 102 (für Architekten) und in der SIA-Ordnung 103 (für Bauingenieure). Werden diese Ordnungen für anwendbar erklärt, dann gelten die entsprechenden Toleranzen aus Vertrag und nicht aus einer Faustregel heraus.
Nach Art. 4.32 SIA-Ordnung 102 ist der Genauigkeitsgrad (mangels besonderer Vereinbarung) +/– 10% mit den Spezialisten abzustimmen und zusammen mit den Beiträgen für Unvorhergesehenes im Kostenvoranschlag zu nennen.
Beachte: Die Toleranzgrenze von 10%, die mangels anderer Vereinbarung gilt, ist für die Sanierungs- und Umbauarbeiten im Regelfall zu tief!
Nach Art. 4.3.32 SIA-Ordnung 103 hat der Ingenieur den Auftraggeber über die Grundlagen und die Genauigkeit von Kostenangaben zu informieren. Gemäss der SIA-Ordnung 103 haben Kostenvoranschläge in der Regel ebenfalls die Genauigkeit von +/- 10% einzuhalten.
Sinnvoll erscheint, dass sich die Parteien im Voraus über die Genauigkeit der Prognose einigen. Eine hohe Präzision führt dazu, dass der Ingenieur oder Architekt mehr Zeit (und Geld) zur Kalkulation benötigt.
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Sanierungen und Umbauten
Bei Sanierungen und Umbauten kommt es häufig vor, dass der Kostenvoranschlag des Architekten bzw. Ingenieurs deswegen überschritten wird, weil sich die Bauausführung durch nachträgliche Änderungswünsche des Bauherrn verteuert. Dafür hat der Architekt bzw. Ingenieur grundsätzlich zwar nicht einzustehen, doch bleibt zu beachten:
Der bauleitende Architekt bzw. Ingenieur, der einen Kostenvoranschlag ausgearbeitet hat, ist verpflichtet, den Bauherrn auf die finanziellen Folgen der nachträglichen Wünsche hinzuweisen, wenn sie zu einer Überschreitung seines Voranschlages führen. Durch seine Inaktivität schädigt er den Bauherrn, der auf den ihm unterbreiteten Kostenvoranschlag vertraute.
Beachte: Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht ist eine Vertragsverletzung, für deren Folgen der Architekt bzw. Ingenieur bei gegebenem Verschulden (ohne Rücksicht auf die Toleranzgrenze!) einstehen muss (OR Art. 97 Abs. 1 und Art. 398 ). Der Bauherr hat also Anspruch auf Ersatz des aus der ausgebliebenen Aufklärung entstandenen Schadens, es sei denn, der Architekt beweise, dass der Bauherr auch bei vertragsmässiger Aufklärung nicht an seinem Verhalten geändert hätte.
Von den erwähnten Fällen zu unterscheiden ist der ganz andere Fall, in dem der Architekt bzw. Ingenieur durch sein vertragswidriges Verhalten (z. Bsp. fehlerhafte Planung ungenügende Bauaufsicht, eigenmächtiges Abweichen vom Bauprojekt) zusätzliche Baukosten verursacht, die dem Bauherrn bei richtiger Erfüllung des Architektur- bzw. Ingenieurvertrages erspart geblieben wären. Dieser Fall, der zu einer Vertragshaftung des Architekten bzw. Ingenieurs führen kann, hat mit dem Kostenvoranschlag und dessen Überschreitung überhaupt nichts zu tun. Die Toleranzgrenze bleibt dementsprechend von vornherein ausser Acht. Der Architekt hat diese Mehrkosten jedoch als Schaden zu ersetzen, soweit er sie schuldhaft verursacht hat.
Schaden?
Der falsch berechnende Ingenieur oder Architekt haftet nicht bedingungslos für die entstehenden Mehrkosten, weil er diese falsch berechnet hat. Er haftet nur für den aus der falschen Prognose resultierenden (kausalen) Schaden. Geschützt wird das Vertrauen des Bauherrn in die Genauigkeit (inkl. Toleranz) der Kosteninformation. Daraus resultierender Schaden ist schwer zu berechnen. Es geht um Zweitbeurkundungskosten für eine Erhöhung von Schuldbriefen, oder eine Zweitschätzung durch die finanzierende Bank oder um hypothetische Geschäfte und Unterlassungen (lucrum cessans). Der Bauherr, der keine Information über die Kostenüberschreitung erhalten hat, kann in einen Engpass geraten und Folgeschäden tragen müssen. Der Bauherr der zu spät informiert wurde, kann auf der Baustelle nicht mehr reagieren und Sparmassnahmen durchsetzen. Deshalb ist die Rechtzeitigkeit der Kosteninformation und einer allfälligen Kostenüberschreibung im Bauprozess sehr entscheidend.
Praxis
- BGE 119 II 294 und Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden ZK2 11 59 vom 26. 04.2013
- Urteil des Bundesgerichts 4A_418/2012 vom 03. 12. 2012 oder
- Urteil des Bundesgericht 4A_2010/2015 vom 02.10.2015
- BGE 127 III 328 und 134 III 365 oder
- Urteile des Bundesgerichts 4A_457/2017 vom 03.04.2018 und 4A_89/2017 vom 01.10.2017