Öffentliches Beschaffungsrecht: Wichtige gesetzliche Änderungen
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Hintergrund
Der Bundesrat hat am 15. Februar 2017 die Botschaft zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (nachfolgend nBöB) verabschiedet. Der National- und Ständerat haben am 21. Juni 2019 die Totalrevision des BöB beschlossen. Zielsetzung der Revision ist einerseits die Überführung des revidierten WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA 2012) und andererseits die Harmonisierung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen. Die revidierte Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (nachfolgend nVöB) wurde am 12. Februar 2020 vom Bundesrat verabschiedet. Beide Erlasse sind am 1. Januar 2021 in Kraft getreten.
Neuerungen
Die wichtigsten Neuerungen sind der Ausbau der Nachhaltigkeit sowie der Korruptionsprävention, das Prinzip Qualitätswettbewerb statt Preiswettbewerb, die vermeintliche Erweiterung des Rechtsschutzes (siehe diesbezüglich weiter unten), die neu geforderten Sprachen zur Publikation, die Einführung flexibler Instrumente wie Dialog, Rahmenverträge, elektronische Vergabe und elektronische Auktionen, die Harmonisierung, die neuen Zuschlagskriterien sowie für einige Aufträge die neuen Fristenregelung.
Harmonisierung zwischen Bund und Kantone
In einem gemeinsamen Projekt haben Bund und Kantone ihre Rechtsgrundlagen im Beschaffungsrecht soweit möglich parallel und inhaltlich aufeinander abgestimmt. Dies ist durch die inhaltliche Angleichung des BöB und der interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (nIVöB) erfolgt. Das IVöB ist im Gegensatz zum BöB nicht ein Gesetz, sondern ein Konkordat. Es wurde am 15. November 2019 durch das Interkantonale Organ für das öffentliche Beschaffungswesen genehmigt. Den Kantonen ist es somit freigestellt, dem Konkordat beizutreten. Die Vereinbarung tritt deshalb erst in Kraft, wenn ihr mindestens zwei Kantone beigetreten sind. Bis anhin haben die Kantone Basel-Stadt, Aargau, Schwyz, Bern und Waadt das Beitrittsverfahren eingeleitet (Stand: 7. Dezember 2020). Es ist davon auszugehen, dass weitere Kantone folgen werden.
Verbot der Abgebotsrunde
Reine Preisverhandlungen – sogenannte Abgebotsrunden – sind Verhandlungen mit dem Zweck, den Angebotspreis zu senken. Das alte Bundesrecht liess reine Preisverhandlungen in Art. 26 aVöB ohne Einschränkungen zu. Im interkantonalen Recht hingegen gilt sowohl im alten (Art. 11 lit. c aIVöB) als auch im neuen (Art. 11 lit. d nIVöB) Recht das Verbot der Abgebotsrunden. Mit der Revision wurde das Verbot neu auch auf Bundesebene verankert, um in diesem Bereich eine Harmonisierung zwischen Bund und Kantone zu erzielen.
Art. 11 lit. d nBöB / nIVöB1 sieht demnach vor, dass die Auftraggeberin auf Abgebotsrunden verzichtet. Der Verzicht auf reine Preisverhandlungen entspricht einer anlässlich der Vernehmlassung vielfach von Wirtschaftsverbänden geäusserten Forderung. Dieses Verbot ist unter anderem durch die Befürchtung motiviert, dass Anbieterinnen im Hinblick auf Preisverhandlungen Margen in ihre Angebote einbauen, die sie später wieder preisgeben, ohne dabei ihr ursprünglich angedachtes Angebot unterschreiten zu müssen. Dass dies nicht im Sinne des Gesetzgebers sein kann, liegt auf der Hand.
Weiterhin möglich bleiben die Angebotsbereinigungen (Art. 39 nBöB / nIVöB). Im Rahmen dieses Verfahrens sind Preisanpassungen unter gewissen Umständen weiterhin möglich.
Freihändiges Verfahren
Bereits das alte Recht sah unter gewissen Voraussetzungen vor, dass ein Auftrag direkt und ohne Ausschreibung einem Anbieter vergeben werden konnte (Art. 16 aBöB). Neu kann bei einem Folgeauftrag, der an die gleiche Anbieterin geht, eine freihändige Vergabe unabhängig vom Schwellenwert stattfinden. Dies ist möglich, wenn ein Wechsel der Anbieterin aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht möglich ist, erhebliche Schwierigkeiten bereiten oder substanzielle Mehrkosten mit sich bringen würde (Art. 21 Abs. 2 lit. e nBöB / nIVöB). Dabei können Schwierigkeiten oder substanzielle Mehrkosten darin begründet sein, dass Materialien, Dienstleistungen, Anlagen und Leistungen (wie Computerprogramme, Software) nicht beliebig austauschbar sind. Insbesondere dann, wenn die Kompatibilität mit bestehenden Komponenten gesichert sein muss.
Die Auftraggeberin hat in einer schriftlichen Begründung darzulegen, weshalb ein Anbieterwechsel zu erheblichen Schwierigkeiten oder substanziellen Mehrkosten führen würde. In Bezug auf die erwarteten Mehrkosten, liegt die Schwelle gemäss Botschaft des Bundesrates eher hoch. Denn nicht jede Erhöhung der erwarteten Kosten, kann den Ausschluss des Wettbewerbs rechtfertigen. Folgebeschaffungen setzen im Übrigen einen vergaberechtskonformen Grundauftrag voraus. Der Auftragswert eines Folgeauftrags darf ausserdem nie höher als der Auftragswert des entsprechenden Grundauftrags ausfallen.
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Neue Zuschlagskriterien
Art. 29 nBöB statuiert neue Zuschlagskriterien. Als wichtige Errungenschaft wird insbesondere die Nachhaltigkeit als gültiges Zuschlagskriterium angesehen. Die Vergabestellen dürfen nun auch Anforderungen an die Art und Weise der Produktion stellen, auch wenn sich diese nicht direkt in den beschafften Gütern oder Dienstleistungen als Eigenschaft niederschlagen. Das Kriterium der Nachhaltigkeit beinhaltet die drei Dimensionen Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Soziales. Letzteres lässt es z.B. zu, Fair-Trade-Produkte als Zuschlagskriterium zu definieren. Des Weiteren sind Lebenszykluskosten ebenfalls als Zuschlagskriterium zugelassen. Für die Definition der Umwelt- und Sozialaspekte und ihre Prüfung kann die Auftraggeberin auf international anerkannte Zertifizierungssysteme abstellen. Der Nachweis, dass gleichwertige Anforderungen eingehalten werden, ist jedoch gleichwohl zuzulassen. Neu können auch die Plausibilität des Angebots und die Verlässlichkeit des Preises als Zuschlagskriterium definiert werden (Abs. 1).
Ausserhalb des Staatsvertragsbereichs kann die Auftraggeberin ergänzend berücksichtigen, inwieweit die Anbieterin Ausbildungsplätze für Lernende in der beruflichen Grundbildung, Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmende oder eine Wiedereingliederung für Langzeitarbeitslose anbietet (Abs.2). Die Überprüfung der soeben genannten Kriterien dürfte in der Praxis jedoch mit Schwierigkeiten verbunden sein.
Anbieter
Seit dem 1. Januar 2021 ist das Eignungskriterium, wonach die Anbieterin einen oder mehrere öffentliche Aufträge ausgeführt haben muss unzulässig (Art. 27 Abs. 4 nBöB / nIVöB). Dies dient der Sicherung der Transparenz und Nichtdiskriminierung und soll den Markzutritt gewährleisten. Damit sollen auch langjährigen Seilschaften aufgehoben und verhindert werden. Die Einholung von Referenzen bleibt weiterhin zulässig, wobei Referenzen aus der Privatwirtschaft zuzulassen sind.
Die bisherigen Teilnahmebedingungen sind auch im revidierten BöB enthalten. Inskünftig ist jedoch die charakteristische Leistung grundsätzlich von der Anbieterin zu erbringen (Art. 31 Abs. 3 nBöB / nIVöB). Damit ist die Weitergabe übernommener Leistungen an Subunternehmer nicht mehr uneingeschränkt möglich. Die charakteristische Leistung ist jedoch von der Anbieterin zu umschreiben. Unterlässt sie dies, so ist eine weitgehende Weitergabe unter Umständen trotzdem möglich. Die Bestimmung soll Angebote von Anbieterinnen verhindern, die nur einen untergeordneten Teil der Leistung selbst erbringen und den grössten Teil an Subunternehmen delegieren. Bei Bietergemeinschaften soll es aber genügen, wenn eines der Konsortialmitglieder die charakteristische Leistung erbringt.
Die Bildung von Losen
Die Auftraggeberin kann neu einen Beschaffungsgegenstand in Lose aufteilen und an einen oder mehrere Anbieterinnen vergeben (Art. 32 Abs. 2 nBöB / nIVöB). Damit können durch eine Vergabe gleichzeitig mehrere Anbieter beschäftigt werden. Anbieterinnen können ein Angebot für mehrere Lose einreichen, sofern dies nicht von der Auftraggeberin untersagt wird. Die Auftraggeberin kann schliesslich vorsehen, dass nur eine beschränkte Anzahl Lose an eine einzelne Anbieterin vergeben wird (Art. 32 Abs. 3 nBöB / nIVöB).
Die Bildung von Losen erlaubt es der Auftraggeberin insbesondere bei umfangreichen Beschaffungen auch KMUs zu berücksichtigen. Des Weiteren wird der Wettbewerb gefördert. Oftmals können umfangreiche Vergaben nur von grösseren Unternehmungen offeriert und durchgeführt werden. Die Bildung von Losen soll dem entgegenwirken, sodass die Chancen von KMUs einen Zuschlag an einer umfangreichen Vergabe zu erhalten, erhöht werden.
Vom Preis- zu Qualitätswettbewerb, ein Paradigmenwechsel?
Ein zentrales Anliegen der Revision ist der Wechsel vom reinen Preiswettbewerb zum Qualitätswettbewerb. Dies zeigt sich insbesondere anhand von Art. 41 nBöB / nIVöB, welcher neu den Zuschlag für das „vorteilhafteste Angebot“ vorsieht. Die Bestimmung orientiert sich am GPA 2012 („most advantagous“). Der neue Begriff soll zum Ausdruck bringen, dass nicht nur der Preis zu berücksichtigen ist, sondern qualitative Kriterien in einer Gesamtwürdigung Einfluss finden müssen. Dass der Qualitätswettbewerb dominieren soll zeigt sich auch darin, dass neu die Nachhaltigkeit explizit als Zweck des Beschaffungsrechts aufgelistet ist: „Dieses Gesetz bezweckt: a. den wirtschaftlichen und den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel; […]“ (Art. 2 lit. a nBöB / nIVöB). Damit einher geht die Nachhaltigkeit als neues Zuschlagskriterium. Hinzu kommt, dass der Innovationsgehalt, die Ästhetik und die Plausibilität des Angebots ebenfalls Zuschlagskriterien bilden (Art. 29 Abs. 1 nBöB). Neu besteht auch eine Pflicht zur Überprüfung von ungewöhnlich tiefen Angeboten durch die Auftraggeberin (Art. 38 Abs. 3 nBöB / nIVöB). Schliesslich gilt, dass bei Angeboten, bei welchen die Leistung und der Preis in zwei separaten Couverts abzugeben sind, eine Rangliste entsprechend der Qualität zu erstellen ist. Erst in einem zweiten Schritt sind die Gesamtpreise zu bewerten (Art. 38 Abs. 4 nBöB / nIVöB).
Die voran genannten Änderungen zeigen den Willen des Gesetzgebers sich vom reinen Preiswettbewerb abzukehren. Ob damit ein Paradigmenwechsel erfolgt ist, bleibt weitgehend unbeantwortet. Bereits im alten Recht konnte die Auftraggeberin wohl auf weitere Kriterien nebst dem Preis abstellen. Fest steht jedenfalls, dass der Preis weiterhin ein zu beachtender Bestandteil bei der Vergabe bilden wird.
Publikationssprache
Art. 48 BöB sieht neu vor, in welchen Amtssprachen die Ausschreibungen publiziert werden müssen. Neu muss zumindest auf Bundesebene in zwei Amtssprachen publiziert werden. Im Staatsvertragsbereich muss die Auftraggeberin ausserdem zumindest eine Zusammenfassung in einer Amtssprache der WTO publizieren. Die nVöB statuiert jedoch zahlreiche Ausnahmebestimmungen, unter denen nicht alles in zwei Amtssprachen zu publizieren ist (Art. 20 ff. nVöB). Für die Eingaben der Anbieterinnen sind im Übrigen alle Amtssprachen zulässig (Art. 48 Abs. 5 lit. c nBöB).
Fristen und Gerichtsferien
Im revidierten BöB werden die Einreichefristen für Angebote im offenen Verfahren verkürzt. Bis anhin galt die allgemeine Mindesteinreichefrist von 40 Tagen. Für Ausschreibungen im Staatsvertragsbereich sind verschiedene Möglichkeiten vorgesehen, um die Mindesteinreichefristen zu reduzieren (Art. 47 nBöB / nIVöB). So kann die Auftraggeberin z.B. im offenen und im selektiven Verfahren (im Staatsvertragsbereich) bei nachgewiesener Dringlichkeit die Minimalfrist auf zehn Tage verkürzen (Art. 47 Abs. 1 i.V.m. 46 Abs. 2 nBöB / nIVöB). Ausserhalb des Staatsvertragsbereichs beträgt die Frist für die Einreichung der Angebote in der Regel mindestens 20 Tage (Art. 46 Abs. 4 nBöB / nIVöB).
Schliesslich stehen die Frist zur Beschwerdeeinreichung während der Gerichtsferien nicht mehr still (Art. 56 Abs. 2 nBöB / nIVöB).
Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht
Bis anhin konnten nur Verfügungen innerhalb des Staatsvertragsbereichs gerichtlich überprüft werden. Neu ist gemäss Art. 52 Abs. 2 nBöB gegen Verfügungen betreffend Aufträge ausserhalb des Staatsvertragsbereichs auch die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht zulässig. Damit wird der Rechtsschutz auf Bundesebene nur vermeintlich ausgebaut. Bei Beschwerden ausserhalb des Staatsvertragsbereichs kann nämlich nur die Feststellung der Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Gemäss Art. 58 Abs. 3 nBöB kann die Beschwerdeführerin zwar einen Antrag auf Schadenersatz stellen, um z.B. Schadenersatz für ihre Offertaufwendungen zu beantragen. Sie kann jedoch nicht die Aufhebung des Zuschlags erwirken, sodass der neu gewährte Rechtsschutz in der Praxis kaum genutzt werden wird. Die zu Unrecht nicht berücksichtige Anbieterin kann ihr Erfüllungsinteresse nicht durchsetzen. Ohne die Möglichkeit den Zuschlag zu erhalten, wird eine Anbieterin deshalb auf die Einreichung einer Beschwerde verzichten.
Fazit
Mit dem Inkrafttreten des revidierten BöB und IVöB wird das schweizerische öffentliche Beschaffungswesen modernisiert. Zwischen Bund und Kantonen wurde eine beachtliche Harmonisierung erzielt. Bis anhin haben insgesamt fünf Kantone das Beitrittsverfahren zur IVöB eingeleitet. Es ist davon auszugehen, dass weitere Kantone folgen werden. Mit dem Beitritt zur IVöB dürfte der Regelungsspielraum für die Kantone auf ein Minimum reduziert worden sein. Das neue Vergaberecht bringt wesentliche Änderungen mit sich und wird sowohl Auftraggeberinnen als auch Anbieterinnen zum Umdenken und zur Umgestaltungen ihrer Prozesse bringen. Es ist deshalb ratsam sich zeitnah mit den neuen Regelungen auseinanderzusetzen, um allfällige notwendige Änderungen intern umzusetzen.
Fussnote:
1 Sofern das revidierte BöB dem revidierten IVöB entspricht wird dies entsprechend aufgeführt: / nIVöB.