Erschliessung: Wann ist ein Grundstück hinreichend durch eine Strasse erschlossen?

Entscheid Fallnr. 7H 20 238 vom 29. Oktober 2021 des Kantonsgerichts Luzern.

13.08.2024 Von: Véronique Amrein, Andreas Meier
Erschliessung

Sachverhalt

C. ist Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich ein etwas in die Jahre gekommenes Einfamilienhaus befindet. Über einen Weg, der über das Nachbargrundstück führt, kann C. zu ihrem Grundstück gelangen. Für diesen ca. 24.5 m langen Weg hat C. ein im Grundbuch eingetragenes Fusswegrecht. Zudem darf dieser Weg in Ausnahmefällen gestützt auf ein ebenfalls im Grundbuch eingetragenes Fahrwegrecht befahren werden. Des Weiteren ist C. grundbuchlich berechtigt, zwei Abstellplätze auf einem benachbarten Grundstück zu benützen. Diese Abstellplätze liegen in einer Gehdistanz von ca. 65 m vom Grundstück von C. entfernt.

C. beschliesst, das Einfamilienhaus zu sanieren. Die Gebäudehülle soll erneuert und der Haupteingang vergrössert bzw. mit Nebenräumen erweitert werden. C. reicht bei der zuständigen Gemeinde ein entsprechendes Gesuch um Erteilung der Baubewilligung ein. An der Nutzung des Grundstücks sowie des Gebäudes soll nichts geändert werden.

Gegen das Bauprojekt erhebt mindestens ein Nachbar Einsprache. Der Gemeinderat weist die Einsprache ab, soweit er darauf eintritt und verweist den Einsprecher bezüglich der privatrechtlichen Einsprachepunkten an den Zivilrichter. Der Gemeinderat erteilt die Baubewilligung unter Bedingungen und Auflagen. Gegen diesen Entscheid reicht der Einsprecher Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht ein. Vor Kantonsgericht bringt er u.a. vor, dass das Baugrundstück weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht genügend erschlossen sei. Insbesondere genüge das beschränkte Fahrwegrecht, welches nur in Ausnahmefällen benutzt werden dürfe, den Anforderungen an eine strassenmässige Erschliessung nicht.

Entscheid

Das Kantonsgericht befasst sich zuerst in allgemeiner Weise mit den gesetzlichen Anforderungen zur (strassenmässigen) Erschliessung, bevor es sich mit der konkreten strassenmässigen Erschliessung des Grundstücks von C. detailliert auseinandersetzt.

Es hält zur Erschliessung im Allgemeinen fest, dass eine Baubewilligung von Bundesrechts wegen nur erteilt werden dürfe, wenn das Baugelände erschlossen sei. Die genügende Erschliessung sei somit Bauvoraussetzung und müsse demzufolge bereits im Zeitpunkt der Baubewilligung sichergestellt sein. Zur Erschliessung zähle die Gesamtheit aller Einrichtungen, um ein Grundstück zonen-und bauordnungsgerecht benützen zu können. Das Kantonsgericht begründet dies damit, dass das Bundesrecht mit dem Erfordernis der ausreichenden Erschliessung vor allem polizeiwidrige Zustände verhindern wolle. Es solle damit sichergestellt sein, dass keine Bauten entstehen, die wegen fehlender Zufahrten sowie Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen feuer- und gesundheitspolizeiliche Gefahren bieten oder sonstige öffentliche Interessen gefährden.

Gestützt auf diese Ausführungen hält das Kantonsgericht im Zusammenhang mit der Verkehrserschliessung fest, dass ein Gebäude grundsätzlich nur auf Grundstücken errichtet werden dürfe, wenn es von einer öffentlichen Strasse her sowohl eine tatsächlich als auch rechtlich hinreichende Zufahrt habe. Was als hinreichende Zufahrt gelte, hänge gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung von der beanspruchten Nutzung des Grundstücks sowie von den örtlichen Umständen des Einzelfalls ab. Das Kantonsgericht bringt weiter vor, dass eine solche hinreichende Zufahrt dann bestehe, wenn die Zugänglichkeit sowohl für die Benützer der Bauten als auch für Fahrzeuge der öffentlichen Dienste gewährleistet sei. Die befahrbare Strasse müsse nicht bis zum Baugrundstück oder gar zu jedem einzelnen Gebäude reichen; vielmehr genüge es nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung, wenn Benützer und Besucher mit dem Motorfahrzeug (oder einem öffentlichen Verkehrsmittel) in hinreichende Nähe gelangen und von dort über einen Weg zum Gebäude gehen könnten. Bei der Beurteilung, ob eine hinreichende Zufahrt gegeben sei, stehe den zuständigen kantonalen und kommunalen Behörden ein erhebliches Ermessen zu.

Zum konkreten, eingangs geschilderten Fall hält das Kantonsgericht fest, dass gestützt auf die vorangegangenen Erläuterungen es nicht erforderlich sei, dass eine befahrbare Strasse bis zum Wohnhaus führe. Es genüge – wie vorliegend – wenn mit dem Motorfahrzeug hinreichend nahe an das Wohnhaus zugefahren werde könne. Sowohl der 24.5 m lange Zufahrtsweg als auch die nahen Abstellplätze würden die erforderliche Erschliessung sicherstellen. Auch für die Fahrzeuge des öffentlichen Dienstes bestehe eine hinreichende Zufahrt, und wirksamer Schutz sei somit möglich. Die Erschliessung in tatsächlicher Hinsicht sei gegeben.

Gemäss dem Kantonsgericht ist zudem auch sicherzustellen, dass das Grundstück von C. nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich erschlossen ist. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass C. nicht nur zu ihrem Grundstück gelangen kann, sondern - weil der Weg über das Nachbargrundstück führt - auch darf. Aus Sicht des Kantonsgerichts genügt das im Grundbuch eingetragene Fusswegrecht und das beschränkte Fahrwegrecht als Nachweis für diese rechtliche Erschliessung. Ein unbeschränktes Fahrwegrecht bis zum Haus sei für die Bewilligungserteilung nicht notwendig. Allfällige Privatrechte wie der Inhalt eines Fuss- und Fahrwegrechtes seien zudem von den Baubewilligungsbehörden nicht zu beachten und beim Zivilrichter geltend zu machen. Für die Baubewillligungsbehörde genüge der Grundbucheintrag. Zudem sei die Bewilligung für den Bau des Hauses bereits im Jahr 1980 erteilt worden. Da die Nutzung des Wohnhauses nun nicht verändert werde, dürften an die Erschliessung keine höheren Anforderungen als dazumal gestellt werden. Das Kantonsgericht schützt damit den Entscheid der Baubewilligungsbehörde und hält insbesondere fest, dass die Gemeinde im Baubewilligungsentscheid den Einsprecher korrekterweise an den Zivilrichter verwiesen habe. 

Kommentar / Praxistipp:

Die Erfahrung hat gezeigt, dass es für Nichtjuristen jeweils schwierig nachzuvollziehen ist, für welche Vorbringen in einem Einspracheverfahren die Baubewilligungsbehörden und für welche Vorbringen die Zivilgerichte zuständig sind.

Grundsätzlich gilt: Wenn es sich um öffentlich-rechtliche Vorschriften handelt, d.h. um Vorschriften, die die Beziehung zwischen dem Bürger und dem Staat betreffen, ist die Baubewilligungsbehörde zuständig. Geht es hingegen um Vereinbarungen zwischen Privaten - wie zum Beispiel um die Ausübung eines im Grundbuch eingetragenen Fuss- und Fahrwegrechts - ist das Zivilgericht zuständig. Die Baubewilligungsbehörde prüft nur, ob die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten sind. Was Private untereinander vereinbart haben, beurteilt die Baubehörde grundsätzlich nicht. Hierfür ist der Zivilrichter, der über Streitigkeiten zwischen Privaten urteilt, zuständig. Aus diesem Grund hat die Baubewilligungsbehörde den Einsprecher im obigen Fall für einige seiner Einsprachepunkte korrekterweise «auf den Zivilweg» verwiesen. Der Einsprecher hat daher mit diesen Einwendungen ans Zivilgericht zu gelangen, um sie rechtlich prüfen zu lassen. 

Trotz dieser Trennung der Zuständigkeiten empfehlen wir jeweils, zivilrechtliche Ansprüche auch im Rahmen des Einspracheverfahrens geltend zu machen – im Wissen darum, dass ein Verweis auf den Zivilweg erfolgen wird. Dies dient zum einen dazu, die Bauherrschaft über die behaupteten zivilrechtlichen Verletzungen, die durch das Bauprojekt entstehen, zu orientieren. Andererseits zeigt die Erfahrung, dass sich die Baubewilligungsbehörden (insbesondere Gerichte) oft – trotz ihrer Unzuständigkeit - kurz und unverbindlich zu den zivilrechtlichen Ansprüchen äussern. Dies kann hilfreich sein, um einen Prozess vor Zivilgericht zu verhindern.

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