Baugrubensicherung: Was Bauherren und Nachbarn beachten sollten

Der Bundesgerichtsentscheid 5A_245/2017 vom 4. Dezember 2017 befasst sich mit einer rechtlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Grundeigentümern im Zusammenhang mit der Duldung temporärer Baugrubensicherung auf Nachbargrundstücken. Dieser Fall veranschaulicht ein wiederkehrendes Problem beim Bauen, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten und Regionen mit schwierigen topografischen Verhältnissen wie Hanglagen. Bauprojekte können häufig nur durch die Nutzung angrenzender Grundstücke abgesichert werden, was zu rechtlichen Konflikten führt.

28.01.2025 Von: Linus Hofmann
Baugrubensicherung

Hintergrund des Falls

Der Fall betrifft die B. AG, die Eigentümerin der Parzelle Nr. 474 in Klosters war. Sie plante den Abriss eines bestehenden Gebäudes und den Bau eines Neubaus. Da sich die Parzelle in einer als "Gotschna-Rutschung" bekannten Rutschzone befindet, war es notwendig, umfangreiche Sicherungsmaßnahmen für die Baugrube zu ergreifen. Die Ingenieure der B. AG schlugen vor, Erdanker und Bodennägel temporär in den Untergrund der benachbarten Parzellen Nrn. 475 und 641 einzubringen, die dem Eigentümer A. gehörten. Diese Anker sollten nach Abschluss der Bauarbeiten zwar entspannt, jedoch nicht entfernt werden. Die oberen Reihen der Erdanker und Bodennägel wären in einer Tiefe von 6 bis 9 Metern unter dem Vorplatz von A.s Haus eingebracht worden.

A. verweigerte seine Zustimmung zu diesen Maßnahmen und argumentierte, dass er nicht verpflichtet sei, der Einbringung von Erdankern und Bodennägeln zuzustimmen. Er befürchtete zudem, dass die Bauarbeiten am Hang seine eigene Liegenschaft gefährden könnten, da der geplante Hanganschnitt zur Vergrößerung der Baugrube auf der Parzelle Nr. 474 möglicherweise das Gelände destabilisieren würde. Nach erfolglosen Verhandlungen brachte die B. AG den Fall vor Gericht, um eine gerichtliche Duldungsanordnung zu erwirken.

Rechtsgrundlagen und Eigentumsrecht

Art. 641 Abs. 2 ZGB gibt einem Grundstückseigentümer grundsätzlich das Recht, jede ungerechtfertigte Einwirkung auf sein Eigentum abzuwehren. Zudem erstreckt sich das Eigentum an Grund und Boden nach Art. 667 Abs. 1 ZGB nach unten nur so weit, wie der Eigentümer ein Interesse an der Nutzung dieses Raums hat. Dieses Interesse kann sowohl ein aktives als auch ein passives Interesse sein: Der Eigentümer kann den unterirdischen Raum nutzen wollen (positives Interesse) oder zukünftige Eingriffe vermeiden wollen, die seine Nutzungsmöglichkeiten beeinträchtigen könnten (negatives Interesse). 

Im vorliegenden Fall ging es darum, ob A. ein schutzwürdiges Eigentümerinteresse an dem unterirdischen Raum hatte, der durch die Baugrubensicherung tangiert wurde. Es bestand kein Zweifel daran, dass die Erdanker und Bodennägel in einem Bereich unterhalb der Grundstücke von A. installiert werden sollten, in den das Eigentum grundsätzlich reichen könnte, wenn ein entsprechendes Nutzungsinteresse nachgewiesen werden könnte.

Entscheid der Vorinstanzen

Das Bezirksgericht Prättigau/Davos entschied zunächst zugunsten der B. AG und verpflichtete A. dazu, die temporäre Einbringung von Erdankern und Bodennägeln in seine Grundstücke zu dulden, sofern ihm hierfür eine Entschädigung von 20.000 CHF gezahlt werde. A. legte gegen dieses Urteil Berufung ein, doch das Kantonsgericht Graubünden bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz im Wesentlichen.

In der Berufung stellte A. verschiedene Anträge, darunter die Forderung nach einer Sicherheitsleistung von CHF 5 Millionen für mögliche Schäden und eine Entschädigung von mindestens CHF 50'000 für die Duldung der Baugrubensicherungsmaßnahmen. Das Kantonsgericht wies diese Anträge ab und bestätigte, dass die Maßnahme keine wesentliche Beeinträchtigung seiner Liegenschaft darstellte. Das Gericht stützte sich hierbei auf ein technisches Gutachten, das keine Gefährdung des Gebäudes oder der Infrastruktur von A. feststellte.

Kernfragen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht musste in seinem Entscheid mehrere Fragen klären:

1. Schutzwürdiges Interesse nach Art. 641 und 667 Abs. 1 ZGB: Das Gericht stellte fest, dass A. kein schutzwürdiges Interesse an dem betroffenen unterirdischen Raum in einer Tiefe von 6 bis 9 Metern nachweisen konnte. Ein solches Interesse hätte bestehen können, wenn A. in naher Zukunft Bauvorhaben wie eine Unterkellerung oder die Installation einer Erdsondenheizung geplant hätte. Allerdings gab es laut Gutachten keine konkrete Planung in dieser Hinsicht, und eine Erdsondenheizung wäre auch trotz der Erdanker möglich gewesen.

2. Abwehranspruch und Duldungspflicht: Das Bundesgericht stellte klar, dass der Eigentümer eines Grundstücks nicht jede unterirdische Einwirkung abwehren kann, wenn kein schutzwürdiges Interesse besteht. Die Eigentumsrechte erstrecken sich nicht in unbegrenzte Tiefen, sondern nur so weit, wie der Eigentümer den Raum tatsächlich nutzen kann und dabei nicht erheblich beeinträchtigt wird. Da A. keine konkrete Beeinträchtigung seiner Nutzungsmöglichkeiten nachweisen konnte, entschied das Bundesgericht, dass er die Baugrubensicherungen dulden müsse.

3. Entschädigung: Die Frage der Entschädigung war ein weiterer zentraler Punkt des Verfahrens. A. hatte eine höhere Entschädigung gefordert, als ihm von der Vorinstanz zugesprochen worden war. Das Bundesgericht entschied jedoch, dass die angebotenen CHF 20'000 angemessen seien, da A. keinen konkreten Nachweis für eine Beeinträchtigung seiner Grundstücksnutzung oder einen wirtschaftlichen Schaden erbringen konnte. Die geforderte Summe von CHF 50'000 war aus Sicht des Gerichts unbegründet.

Technische und bauliche Aspekte

Besonders relevant für die Baupraxis ist die technische Dimension des Falles. Das Gutachten, das im Verfahren eingeholt wurde, kam zu dem Schluss, dass die Baugrubensicherung in der geplanten Form keine negativen Auswirkungen auf die Stabilität des Hangs oder die Gebäude von A. haben würde. Auch bei der künftigen Nutzung des Grundstücks – etwa durch eine Unterkellerung oder die Installation einer Erdsondenheizung – würden die in einer Tiefe von 6 bis 9 Metern verbleibenden Erdanker keine Behinderung darstellen, da sie im Bedarfsfall entfernt oder durchtrennt werden könnten.

Der Fall illustriert die Bedeutung einer sorgfältigen Planung und Begutachtung bei Bauprojekten in sensiblen Lagen. Die Sicherung von Baugruben durch Erdanker und Bodennägel ist eine gängige Praxis, um die Stabilität benachbarter Grundstücke zu gewährleisten. In Regionen mit Hanglagen wie der Gotschna-Rutschung sind solche Maßnahmen oft unumgänglich. Gleichzeitig zeigt der Fall, dass die betroffenen Nachbarn – in diesem Fall A. – rechtlich gut beraten sein müssen, um ihre Eigentümerrechte zu schützen, insbesondere wenn sie eine mögliche künftige Nutzung des Grundstücks geltend machen möchten. Bauherren haben vor der Geltendmachung von Duldungsansprüchen sinnvollerweise Varianten zu prüfen und diese Prüfung später nachweisen zu können. Dabei ist einerseits darzulegen, dass die vorgesehene Variante geeignet und sicher ist. Andererseits aber auch, dass es nicht andere technisch machbare und wirtschaftlich tragbare Lösungen gäbe, die das Grundstück des Nachbarn "verschonen" würden.

Bedeutung für die Immobilienbranche

Für die Immobilienbranche, insbesondere in der Bauplanung und -durchführung, ist dieser Entscheid von großer Relevanz. Er zeigt, dass die Rechte der Nachbarn in Bauprozessen nicht unbegrenzt sind und dass technische und rechtliche Abwägungen eine entscheidende Rolle spielen. Die Frage, wie weit sich das Eigentum in die Tiefe erstreckt, wird im Einzelfall entschieden und hängt stark von den konkreten Nutzungsinteressen des Eigentümers ab. Für Bauherren bedeutet dies, dass sie bei der Planung von Bauprojekten in Hanglagen oder dicht bebauten Gebieten sorgfältig prüfen müssen, ob und in welchem Umfang sie angrenzende Grundstücke beanspruchen können.

Fazit

Der Entscheid 5A_245/2017 stellt einen wichtigen Präzedenzfall für Bauvorhaben dar, bei denen Nachbargrundstücke temporär für Baugrubensicherungsmassnahmen in Anspruch genommen werden müssen. Das Urteil verdeutlicht, dass Grundstückseigentümer ihre Abwehrrechte nur dann erfolgreich geltend machen können, wenn sie ein schutzwürdiges Interesse nachweisen können. Es gibt kein generelles Zustimmungserfordernis. Bauherren müssen darauf achten, dass ihre Sicherungsmaßnahmen technisch einwandfrei sind und die Nutzungsmöglichkeiten des Nachbargrundstücks nicht übermäßig beeinträchtigen. Im vorliegenden Fall entschied das Bundesgericht, dass die Maßnahme verhältnismäßig war und die Rechte des Nachbarn nicht in unzumutbarer Weise einschränkte.

Nach Ansicht der Autors sind die Erwägungen und der Entscheid des Bundesgerichts stringent und nachvollziehbar und im Ergebnis richtig. Wie bei vielen Entscheiden stellen sich mit der Klärung einer Frage, wiederum neue. Hört das Eigentum an Grund und Boden auch dort auf, wo die (gerichtlich als bewiesen betrachteten) Nutzungsinteressen der Eigentümerschaft enden? Handelt es sich demnach in weitergehenden Tiefen um öffentlichen Grund und ist demnach für eine Nutzung eine Art Konzession notwendig

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